Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Paketsendungen an Bewohner der sowjetisch besetzten Zone begründen eine außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 und § 33 a EStG, wenn sie dem Unterhalt dienen.
Die Ausgaben für solche Pakete sind zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich auf Grund besonderer Verhältnisse zu der Hilfe verpflichtet fühlen konnte.
Die Unterstützung von Verwandten, zu denen der Steuerpflichtige in persönlichen Beziehungen steht, ist stets zwangsläufig, auch wenn diese Personen nicht zum Kreise der Angehörigen im Sinne von § 10 StAnpG gehören.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 2, § 33a/1
Tatbestand
Die unverheiratete Steuerpflichtige (Stpfl.) bezog im Jahre 1962 einen Arbeitslohn von 8,917 DM. Sie machte im Lohnsteuerjahresausgleich 1962 733,05 DM für 50 Liebesgabenpakete an ihre nächsten Verwandten (eine Tante 2. Grades, zwei Cousinen 1. Grades, drei Nichten 2. Grades) und elf Freunde in der sowjetischen Besatzungszone SBZ) als außergewöhnliche Belastung geltend. Sie hatte diesen Personen im Jahre 1962 wie in den Vorjahren je ein bis sechs Pakete gesandt, da sie sich ihnen besonders verpflichtet fühlte, weil ihr diese Verwandten und Freunde von Februar 1951 bis Oktober 1952 geholfen hatten, als sie mittellos in Ostberlin lebte.
Das Finanzamt (FA), das diesen Antrag im Lohnsteuerjahresausgleich zunächst abgelehnt hatte, erkannte in der Einspruchsentscheidung die Kosten für die Pakete an die Verwandten mit 372 DM, nicht aber auch die Ausgaben für die Pakete an die Freunde als außergewöhnliche Belastung an.
Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Berlin, dessen Urteil in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1965 S. 586 veröffentlicht ist, ließ auch die Ausgaben für die Pakete an die Freunde zum Abzug zu und führte aus: Die Paketsendungen seien Unterhaltsleistungen, da der Inhalt der Pakete für den Lebensbedarf der Empfänger bestimmt gewesen sei. Nach der Verwaltungspraxis würden bei Liebesgabenpaketen in der SBZ die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Empfänger nicht im einzelnen geprüft. Das sei rechtlich einwandfrei. Die Ausgaben seien der Stpfl. auch zwangsläufig entstanden, weil sie sich sittlich verpflichtet gefühlt habe zu helfen, da zwischen ihr und den Empfängern der Pakete enge persönliche Bindungen bestanden hätten. Wegen der besonderen Verhältnisse in der SBZ dürfe sich die Notwendigkeit von Aufwendungen "nicht an kleinlichen überlegungen orientieren". Es käme nicht darauf an, ob mit den Paketen etwa ein laufender Unterhalt gewährt worden sei.
Das FA rügt mit der Revision mangelnde Sachaufklärung und unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts.
Es beantragt, die Berufung zurückzuweisen und auch den bisher in der Einspruchsentscheidung gewährten steuerfreien Betrag von 372 DM für Pakete an Verwandte zu versagen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Die Stpfl. beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Gemäß § 33 a Abs. 1 EStG kann auf Antrag die Einkommensteuer ermäßigt werden, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig Aufwendungen für den Unterhalt und die Berufsausbildung von Personen entstehen, für die der Steuerpflichtige keinen Kinderfreibetrag erhält, sofern die unterhaltenen Personen kein oder nur geringes Vermögen und geringe Einkünfte besitzen. Die Aufwendungen sind gemäß § 33 Abs. 2 EStG zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Voraussetzung ist ferner, daß die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
Liebesgabenpakete in die SBZ können, da eine besondere gesetzliche Regelung fehlt, steuerlich nur unter diesen Voraussetzungen als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden. Es ist zweifellos politisch und menschlich zu begrüßen, daß die Bürger der Bundesrepublik den Deutschen in der SBZ durch Liebesgabenpakete helfen. Trotzdem kann der Senat der überlegung des FG, die Beurteilung dürfe sich wegen der besonderen politischen Verhältnisse "nicht an kleinlichen überlegungen orientieren", nicht unbedingt zustimmen. Die Steuergerichte können sich nur am Gesetz orientieren, an das sie gebunden sind (Art. 20 Abs. 3 GG). Sie können auch die besonderen Umstände in der SBZ nur nach den allgemeinen Grundsätzen der Gesetzesauslegung berücksichtigen. In diesem Sinn dürfte wohl auch die Bemerkung des FG zu verstehen sein.
Mit Recht hat das FG die Paketsendungen als Unterhaltsleistungen im Sinne von § 33 a Abs. 1 EStG anerkannt. "Unterhalt" sind Zuwendungen zur Bestreitung des Lebensbedarfs, besonders zur Ernährung, Kleidung und Wohnung (Urteil des BFH IV 213/64 U vom 11. Februar 1965, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 82 S. 440 - BFH 82, 440 -, BStBl III 1965, 407; Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 9. Aufl. Bd. II, § 33 a EStG Anm. 3 c Abs. 2; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 8. Aufl., § 33 a EStG Anm. 6). Dazu gehören nicht nur Zuwendungen zur Erhaltung des Existenzminimums, sondern auch solche zu einer gehobenen Lebensführung, z. B. gute Lebensmittel oder anspruchsvollere Kleidung, zumal solche Waren in der SBZ in den Streitjahren oft nicht erhältlich oder unerschwinglich teuer waren.
Es ist auch rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das FG entsprechend der Verwaltungsübung die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Empfänger in der SBZ nicht im einzelnen nachgeprüft, sondern die Bedürftigkeit der Empfänger unterstellt hat (Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort "Außergewöhnliche Belastungen" unter II 10).
Paketsendungen in der SBZ können in der Regel als Unterhaltsleistungen anerkannt werden, wenn sie der Unterstützung der Empfänger dienen. Es genügen gelegentliche und unregelmäßige Gaben, sofern sie für den laufenden Lebensbedarf bestimmt sind oder ihn für eine gewisse Zeit ermöglichen. Reine Geschenke oder Aufmerksamkeiten zu Festtagen oder bei besonderen persönlichen Anlässen, z. B. zu Geburtstagen, die man ebenso auch Verwandten oder Freunden in der Bundesrepublik zuwenden würde, sind hingegen keine Unterhaltsleistungen.
Die Stpfl. hatte im Jahre 1962 an einige der Empfänger zwar nur ein oder zwei Pakete gesandt. Trotzdem konnte das FG ohne Rechtsverstoß auch die Ausgaben für diese Pakete als Unterhaltsleistungen anerkennen. Die Stpfl. unterstützt seit Jahren 17 Verwandte und Freunde in der Ostzone laufend. Sie konnte jährlich nicht allen viele Pakete schicken, da die Ausgaben für 50 Pakete von insgesamt 733 DM ihr nicht hohes Einkommen erheblich belasteten. Bei so großer Hilfsbereitschaft kann die Stpfl. nicht deswegen schlechter gestellt werden, weil sie nicht nur einigen, sondern verhältnismäßig vielen Menschen mit ihren bescheidenen Mitteln geholfen hat.
Das FG hat die Aufwendungen der Stpfl. zu Recht auch als zwangsläufig angesehen. Nach dem BFH-Urteil IV 342/53 U vom 8. April 1954 (BFH 58, 722, BStBl III 1954, 188) sind allerdings Unterhaltsleistungen an Personen, die nicht Angehörige im Sinne des § 10 StAnpG sind, nur ausnahmsweise zwangsläufig, wenn der Stpfl. sich auf Grund besonderer Verhältnisse im Einzelfall verpflichtet fühlen kann, wie etwa gegenüber einer langjährigen arbeitsunfähigen Hausgehilfin, der gegenüber eine auf gegenseitige Treue beruhende Fürsorgepflicht besteht. Wie der BFH damals betonte, begründet die allgemeine Anstandspflicht, Flüchtlingen in ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage zu helfen, nicht ohne weiteres auch die Zwangsläufigkeit zur Hilfe im Sinne von § 33 Abs. 2 EStG. Die Grundsätze dieses Urteils gelten auch heute noch bei der Unterstützung von Bekannten, Freunden oder anderen hilfsbedürftigen Personen in der SBZ. Die sittliche Pflicht zu helfen, wo Not ist, rechtfertigt es nicht allgemein, Ausgaben der Steuerpflichtigen zu solchen Zwecken durch eine Steuerermäßigung nach § 33 a EStG zu berücksichtigen. Aufwendungen für mildtätige Zwecke können nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 10 b EStG als Spenden steuerlich abgesetzt werden. Es erscheint aber angebracht, mit dem FA und dem FG Unterhaltsleistungen an Verwandte in der SBZ, zu denen die Stpfl. in persönlichen Beziehungen steht, stets als sittlich gebotene und daraus zwangsläufige Belastungen anzuerkennen, auch wenn diese Personen nicht zum Kreis der Angehörigen im Sinne des § 10 StAnpG gehören. Bei Paketsendungen an solche Personen braucht der Steuerpflichtige also nicht nachzuweisen, auf Grund welcher besonderer Umstände er sich ihnen gegenüber zur Hilfe verpflichtet fühlte. Nach den vom FG eingeholten Auskünften wird diese Auffassung wohl auch von mehreren Oberfinanzdirektionen geteilt, wenn sie die Finanzämter angewiesen haben, bei entfernteren Verwandten "nicht kleinlich" zu verfahren. Nach den Feststellungen des FG bestanden hier sogar enge persönliche Beziehungen zwischen der Stpfl. und ihren Verwandten in der SBZ.
Bei den von der Stpfl. unterstützten Freunden hat das FG zu Recht darauf abgestellt, ob die Stpfl. sich ihnen gegenüber aus besonderen Gründen sittlich verpflichtet fühlen konnte. Es hat das bejaht, weil die Empfänger der Pakete der Stpfl. in der Zeit der Arbeitslosigkeit großzügig geholfen hatten. An diese rechtlich mögliche Würdigung des FG ist der Senat gebunden.
Entgegen der Auffassung des FA hat das FG auch seine amtliche Ermittlungspflicht nicht verletzt. Da das FG die Empfänger der Pakete in der SBZ nicht befragen konnte, konnte es sich mit der Vernehmung der Stpfl. begnügen. Für die Entscheidung ist es nicht wesentlich, daß die Stpfl. nach 13 bis 14 Jahren nicht mehr angeben konnte, wie hoch die Unterstützungen damals im einzelnen waren.
Fundstellen
Haufe-Index 424133 |
BStBl III 1966, 534 |
BFHE 1966, 457 |
BFHE 86, 457 |