Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält im Ergebnis an seiner Rechtsprechung zur Frage der Abzinsung von Steuerschulden und Steuererstattungsansprüchen (vgl. BFH-Urteile vom 10. Mai 1972 III R 58/71, BFHE 106, 102, BStBl II 1972, 691; und III R 83/71, BFHE 106, 96, BStBl II 1972, 688) fest.
Normenkette
BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 14 Abs. 3
Tatbestand
Bei der endgültigen Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Gesamtrechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, auf den 1. Januar 1962 durch den Bescheid vom 5. Dezember 1969 ließ der Beklagte und Revisionskläger (das FA) verschiedene von der GmbH gebildete Steuerrückstellungen und Steuererstattungsansprüche sowie vom Prüfer bei einer in den Jahren 1966 bis 1969 durchgeführten Betriebsprüfung gebildete Steuerrückstellungen nur mit einem abgezinsten Betrag zum Abzug zu. Im einzelnen handelte es sich um Abzinsungsbeträge von Steuerrückstellungen der GmbH vor der Betriebsprüfung in Höhe von 458 800 DM, von Rückstellungen für Steuernachholung aufgrund einer vorangegangenen Betriebsprüfung (Betriebsprüfungsbericht vom 15. März 1962) in Höhe von 90 203 DM und von Rückstellungen aufgrund der Betriebsprüfung 1966 bis 1969 in Höhe von zusammen 211 380 DM. Gegen diese Abzinsung hatte die GmbH Sprungklage erhoben. Während des Klageverfahrens änderte das FA den angefochtenen Bescheid in einem anderen Punkt nach § 94 AO ab. Der Änderungsbescheid vom 5. Juni 1970 wurde auf Antrag der Klägerin nach § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Das FG gab der Klage statt.
Das FA beantragt mit der Revision, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klage abzuweisen. Es wird Verletzung des § 14 Abs. 3 BewG gerügt. Die Revision wird im wesentlichen unter Berufung auf die Argumente des Senats in dem Urteil vom 10. Mai 1972 III R 58/71 (BFHE 106, 102, BStBl II 1972, 691) begründet.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie hält die Auffassung des FG für zutreffend und wendet sich gegen die Begründung des Urteils III R 58/71. Dabei nimmt sie auf die Ausführungen von Bachmayr im BB 1973, 205 Bezug. Sie regt eine Anrufung des Großen Senats nach § 11 Abs. 4 FGO an.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zum Teil begründet.
1. Der Senat hat zur Frage der Abzinsung von Steuerschulden in zwei erst nach dem Ergehen des FG-Urteils veröffentlichten Entscheidungen vom 10. Mai 1972 III R 83/71 (BFHE 106, 96, BStBl II 1972, 688) und III R 58/71 Stellung genommen und entschieden, daß Steuernachzahlungen, die sich durch die Feststellungen einer Betriebsprüfung ergeben, an Feststellungszeitpunkten oder Veranlagungszeitpunkten vor der Prüfung nur mit ihrem nach § 14 Abs. 3 BewG abgezinsten Wert abgezogen werden können. Der Senat hat in diesen Urteilen Bedenken dagegen geäußert, daß diese in der Vergangenheit rechtlich entstandenen Schulden an Feststellungszeitpunkten, an denen die Betriebsprüfung weder durchgeführt noch der Zeitpunkt ihrer Durchführung bekannt war, auch wirtschaftlich eine Belastung des Steuerschuldners bedeuten. Diese Bedenken hat der Senat daraus hergeleitet, daß für die Anerkennung der wirtschaftlichen Belastung Umstände herangezogen werden, die eindeutig erst nach dem Stichtag eingetreten sind, nämlich die Betriebsprüfung. Gegen diese Auffassung sind von der Klägerin, aber auch im Schrifttum (vgl. Bachmayr, a. a. O.) Einwendungen erhoben worden. Der Senat verschließt sich diesen Einwendungen nicht, insbesondere nicht den Argumenten, daß die bisherige Rechtsprechung des Senats, soweit sie bei Steuerschulden eine wirtschaftliche Belastung verneint habe, immer nur solche Fälle betroffen habe, in denen es vor dem jeweiligen Stichtag bereits festgestanden habe, daß die Steuerschulden trotz ihrer rechtlichen Entstehung tatsächlich nicht erfüllt zu werden brauchten. Die wirtschaftliche Belastung mit einer rechtlich entstandenen Schuld kann allerdings auch dadurch fehlen, daß der Schuldner nach den Verhältnissen des maßgebenden Stichtags gar nicht weiß, mit einer Schuld belastet zu sein. Der Senat anerkennt jedoch, daß bei einer rechtlich enstandenen, aber noch nicht aufgedeckten Steuerschuld schon vor Durchführung der Betriebsprüfung eine allgemeine wirtschaftliche Belastung mit dieser Schuld besteht, die aber für einen Schuldabzug vor Durchführung der Betriebsprüfung nicht ausreicht. Er stimmt insoweit der Rechtsprechung der Ertragsteuersenate zu, die bei diesem Sachverhalt auch eine Rückstellung in der Steuerbilanz ablehnt (vgl. Urteile des BFH vom 13. Januar 1966 IV 51/62, BFHE 84, 517, BStBl III 1966, 189 und vom 24. August 1972 VIII R 21/69, BFHE 107, 202, BStBl II 1973, 55).
Für die Änderung der bisherigen Auffassung war für den Senat die Erwägung ausschlaggebend, daß die Finanzbehörden nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit § 169 Abs. 10 und 11 und § 204 AO) gesetzlich zur Durchführung von Betriebsprüfungen verpflichtet sind und eine durch die Betriebsprüfung bekanntgewordene Steuerschuld einziehen müssen; bei privaten Schuldverhältnissen liegt es dagegen im Ermessen des Gläubigers, ob er seine Forderung geltend machen will. Dabei ist zu berücksichtigen, daß im gewerblichen Leben Kulanzerwägungen eine nicht nur untergeordnete Rolle spielen. Dieser Unterschied rechtfertigt für privatrechtliche Schulden und für Steuerschulden eine unterschiedliche Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine wirtschaftliche Belastung mit der Schuld verneint werden muß. Für private Schuldverhältnisse, z. B. bei Verbindlichkeiten aus Haftung, Gewährleistung usw., hält der Senat demgemäß an seiner Rechtsprechung fest, daß die wirtschaftliche Belastung erst anerkannt werden kann, wenn der Schuldner ernstlich mit der Einforderung der Schuld zu rechnen hat.
Wird die Betriebsprüfung durchgeführt, so wird der Steuerschuldner mit den schon vor Durchführung der Betriebsprüfung rechtlich entstandenen und durch die Betriebsprüfung aufgedeckten Steuernachholungen auch greifbar belastet. Die schon vor Durchführung der Betriebsprüfung bestehende allgemeine wirtschaftliche Belastung rechtfertigt es, mit dem Eintritt der konkreten wirtschaftlichen Belastung die Steuernachholungen auch schon an Stichtagen vor Durchführung der Betriebsprüfung als abziehbare Schulden zu behandeln.
2. Der Senat hält jedoch an seiner Auffassung fest, daß es sich bei den aufgrund der Betriebsprüfung nachzuholenden Mehrsteuern um unverzinsliche, befristete Schulden im Sinne des § 14 Abs. 3 BewG handelt. Er hält die Einwendungen Bachmayrs (a. a. O.), der Begriff "Befristung" könne in § 14 Abs. 3 BewG nicht anders ausgelegt werden als in § 8 BewG, nicht für begründet. Denn diese beiden Vorschriften betreffen nicht die gleichen Tatbestände. § 8 BewG ist nur in Fällen anwendbar, in denen durch die Befristung auf einen ungewissen Zeitpunkt die rechtliche Entstehung einer Forderung oder Schuld hinausgeschoben wird. Er ist nicht anwendbar auf Fälle, in denen die Forderung oder Schuld rechtlich sofort entstehen soll, aber die Fälligkeit auf einen gewissen oder ungewissen Zeitpunkt hinausgeschoben wird. Damit deckt sich der Anwendungsbereich des § 8 BewG voll mit dem Anwendungsbereich des § 163 BGB. Deshalb kann, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, § 8 BewG - wie auch die §§ 4 bis 7 BewG - nur angewandt werden, wenn die Befristung der Entstehung der Forderung oder Schuld rechtsgeschäftlich vereinbart ist. Anders liegt es bei § 14 Abs. 3 BewG. Sein Anwendungsbereich betrifft gerade die Fälle, auf die § 8 BewG nicht angewandt werden kann, nämlich die Fälle, in denen nicht die Entstehung der Forderung oder Schuld, sondern nur ihre Fälligkeit befristet ist. Das Wort "befristet" hat hier einen anderen Sinn als in § 8 BewG. Es bedeutet "Hinausschieben der Fälligkeit". Das zeigte sich besonders deutlich, in der dem § 14 Abs. 3 BewG entsprechenden Vorschrift des § 16 Abs. 3 RBewG 1931, die lautete: "Der Wert unverzinslicher, befristeter Forderungen oder Schulden ist gleich dem Betrag, der mit angemessenen Jahreszinsen bis zur Fälligkeit die Forderung oder Schuld ergibt." Die Änderung dieser Vorschrift in § 14 Abs. 3 RBewG 1934, der mit § 14 Abs. 3 BewG übereinstimmt, diente nur der Einführung einer einfacheren Berechnungsmethode (vgl. amtliche Begründung zum RBewG 1934, RStBl 1935, 161 ff., zu § 14). Der Anwendungsbereich der Vorschrift sollte dadurch nicht geändert werden.
Deshalb sind auch die Wirkungen einer Befristung im Sinne des § 8 BewG und einer Befristung im Sinne des § 14 Abs. 3 BewG völlig verschieden. Ist die Entstehung einer Forderung oder Schuld nach § 8 BewG aufschiebend befristet, so wird die Forderung nach § 4 BewG erst nach Eintritt des Anfangstermins angesetzt bzw. die Schuld nach § 6 Abs. 1 BewG vor Eintritt des Anfangstermins überhaupt nicht berücksichtigt. Ist eine unverzinsliche Forderung oder Schuld befristet im Sinne des § 14 Abs. 3 BewG, so wird sie zwar angesetzt bzw. abgezogen, die Befristung wirkt sich aber auf ihren Wert am jeweiligen Stichtag aus. Diese Unterschiede zwischen den beiden Vorschriften müssen auch durch eine unterschiedliche Auslegung des in ihm verwendeten Begriffs der Befristung berücksichtigt werden. Der Senat bleibt deshalb bei seiner Auffassung, daß unter § 14 Abs. 3 BewG auch solche Forderungen und Schulden fallen, bei denen die Befristung nicht rechtsgeschäftlich vereinbart ist, sondern sich aus gesetzlichen Vorschriften ergibt. Deshalb fallen grundsätzlich auch Steuerschulden unter diese Vorschrift, wenn bei ihnen die Fälligkeit bis zur Geltendmachung durch das FA hinausgeschoben ist. Die Fälligkeit tritt dann nach § 99 AO mit dem Ablauf der Frist ein, die in dem zu erlassenden Steuerbescheid für die Zahlung der Steuerschuld gesetzt ist. Sie hängt damit allerdings von einem Ereignis ab, bei dem der Zeitpunkt des Eintritts noch ungewiß ist und erst feststeht, wenn der auslösende Steuerbescheid erlassen ist. Der Senat ist jedoch in Übereinstimmung mit Rössler-Troll (Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl. Anm. 10 zu § 12 BewG 1965) der Meinung, daß § 14 Abs. 3 BewG trotz der Ungewißheit des Zeitpunkts der Fälligkeit angewandt werden kann. Er hat das auch bereits in den Fällen anerkannt, in denen die Fälligkeit vom Tode einer Person abhängt (vgl. BFH-Urteil vom 8. Juni 1956 III 108/56 S. BFHE 63, 33, BStBl III 1956, 208). Der Senat setzt sich damit nicht in Widerspruch zu dem BFH-Urteil vom 22. November 1962 II 175/60 U (BFHE 76, 127, BStBl III 1963, 46). Die Bemerkung in diesem Urteil, § 14 Abs. 3 BewG gelte nicht für unverzinsliche Forderungen, für die ein fester Zahlungstermin nicht bestimmt ist, betrifft die Fälle, in denen die Fälligkeit nur durch rechtsgeschäftliche Vereinbarungen hinausgeschoben werden kann. In diesen Fällen hält auch der Senat die Vereinbarung eines festen Fälligkeitstermins für erforderlich. Der Senat hat allerdings auch in dem Urteil vom 12. Juli 1968 III 216/64 (BFHE 93, 332, BStBl II 1968, 837), in dem es um die Abzinsung eines Anspruchs auf Erstattung von Soforthilfeabgabe und Vermögensabgabe ging, auf das Urteil II 175/60 U Bezug genommen. Er ist jedoch der Meinung, daß das Urteil III 216/64, das einen besonders gelagerten Fall betraf, nicht allgemein auf Erstattungsansprüche anzuwenden ist. Der Senat hat bereits im Urteil III R 58/71 ausgeführt, daß er keine Bedenken habe, daß Steuererstattungsansprüche, die auf Feststellungen einer nach dem Veranlagungszeitpunkt bzw. Feststellungszeitpunkt durchgeführten Betriebsprüfung beruhen, an dem zurückliegenden Veranlagungs- bzw. Feststellungszeitpunkt ebenso bewertet werden wie Steuernachzahlungen aufgrund einer Betriebsprüfung.
Der Senat ist schließlich der Auffassung, daß es nicht gegen das Stichtagsprinzip verstößt, wenn der Eintritt der Fälligkeit auf vorherliegende Stichtage zurückbezogen wird. Die nach den Ausführungen oben zu 1. zurückzubeziehende Konkretisierung der einzelnen nachzuholenden Mehrsteuern durch die Betriebsprüfung umfaßt die Steuerschulden in ihrem ganzen gesetzlichen Umfang, also auch in der Bestimmbarkeit ihrer gesetzlichen Fälligkeit.
3. Die Vorentscheidung war, weil sie eine andere Rechtsauffassung vertritt, aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Abzinsung der Steuerschulden für die Mehrsteuern, die aufgrund der in den Jahren 1966 bis 1969 durchgeführten Betriebsprüfung nachgeholt wurden, ist nach den obigen Ausführungen nicht zu beanstanden. Insoweit muß die Revision des FA Erfolg haben. Die Revision ist dagegen unbegründet, soweit sie auch eine Abzinsung der von der Klägerin bereits in ihren Steuerbilanzen gebildeten Steuerrückstellungen und der Steuerschulden aus Mehrsteuern, die aufgrund der vorangegangenen Betriebsprüfung nachgeholt worden sind, begehrt. In beiden Fällen handelt es sich um Steuerschulden, die entweder aufgrund der Erklärung des Steuerpflichtigen oder durch die Betriebsprüfung bereits offengelegt sind. Für sie kommt nach den Grundsätzen des Urteils III R 83/71 keine Abzinsung in Betracht. Nach den Feststellungen des FG handelt es sich auf den 1. Januar 1962 um Abzinsungsbeträge von 90 203 DM + 458 800 DM = 549 003 DM. Um diese Beträge muß der Einheitswert gekürzt bleiben. Dagegen ist der vom FG festgestellte Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1962 um die weiteren Abzinsungsbeträge von 15 828 DM + 38 200 DM + 157 352 DM = 211 380 DM zu erhöhen. Der Einheitswert war deshalb auf 21 948 234 DM + 211 380 DM = 22 159 614 DM, abgerundet 22 159 000 DM festzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 70488 |
BStBl II 1973, 623 |
BFHE 1973, 378 |