Leitsatz (amtlich)
1. Wochenendhäuser sind als Einfamilienhäuser zu bewerten, wenn sie eine Wohnung enthalten (vgl. BFH-Urteil vom 24. November 1978 III R 81/76, BFHE 126, 565, BStBl II 1979, 255) und während des ganzen Jahres bewohnbar sind.
2. Der Umstand, daß ein Wochenendhaus in einem im Bebauungsplan ausgewiesenen Wochenendhausgebiet liegt und somit baurechtlich nicht ständig bewohnt werden darf, steht der Artfeststellung als Einfamilienhaus nicht entgegen.
Normenkette
BewG 1965 § 75 Abs. 5
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines Grundstücks, das in einem im Bebauungsplan ausgewiesenen Wochenendhausgebiet liegt. Der Voreigentümer hatte 1955 im damaligen Landschaftsschutzgebiet ein Wochenendhaus errichtet. Das Gebäude enthält eine voll ausgestattete Küche, ein Bad, einen Wohnraum von 27 m2 und zwei Schlafräume von 6 und 9 m2. Das Haus wird mit einer Ölfeuerungsanlage beheizt und kann nach seiner baulichen Ausstattung ganzjährig benutzt werden.
Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) das Grundstück sowohl nach altem Recht als auch bei der Hauptfeststellung der Einheitswerte auf den 1. Januar 1964 als Einfamilienhaus im Ertragswertverfahren bewertet hatte, führte er zum 1. Januar 1975 eine Art- und Wertfortschreibung durch, da das Gebiet, in dem das Grundstück liegt, zwischenzeitlich zu einem Wochenendhausgebiet erklärt worden war. Das FA bewertete das Grundstück nunmehr als sonstiges bebautes Grundstück im Sachwertverfahren.
Einspruch und Klage, mit denen der Kläger begehrte, das Grundstück wie bisher zu bewerten, waren erfolglos. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, das Gebäude enthalte keine Wohnung im Sinne des Bewertungsrechts, da es aus Rechtsgründen nicht ganzjährig bewohnt werden dürfe. Es sei daher nicht als Einfamilienhaus, sondern als sonstiges bebautes Grundstück zu bewerten. Diese Auslegung stehe auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Begriff der Wohnung nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG). Für die Zurechnung von Wochenendhäusern zur Grundstücksart sonstige bebaute Grundstücke spreche schließlich, daß für ihre Bewertung das Sachwertverfahren besser geeignet sei als das für Einfamilienhäuser vorgesehene Ertragswertverfahren.
Mit der Revision trägt der Kläger vor, für die Bewertung von Grundstücken seien ausschließlich die Vorschriften des Bewertungsgesetzes 1965 (BewG), nicht jedoch Bebauungspläne, Baunutzungsverordnung oder ähnliche Bestimmungen maßgeblich. Das Gebäude enthalte eine Wohnung, da die Räume in ihrer Gesamtheit so beschaffen seien, daß darin ein Haushalt geführt werden könne und auch über längere Zeit geführt worden sei. Der Wohnungsbegriff des Zweiten Wohnungsbaugesetzes könne nicht auf das Bewertungsrecht übertragen werden, da das Zweite Wohnungsbaugesetz, das Wohnungsbaumaßnahmen fördere, eine andere Zielsetzung als das Bewertungsgesetz habe.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und die Art- und Wertfortschreibungsbescheide auf den 1. Januar 1975 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Das Grundstück ist nicht als sonstiges bebautes Grundstück, sondern als Einfamilienhaus zu bewerten.
1. Einfamilienhäuser sind Wohngrundstücke, die nur eine Wohnung enthalten (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG).
a) Wohngrundstücke sind Grundstücke, die nicht gewerblichen oder öffentlichen Zwecken, sondern Wohnzwecken dienen. Wohnzwecken dient auch ein Grundstück, das nur zeitweise bewohnt wird oder aus rechtlichen Gründen nicht dauernd bewohnt werden darf. Denn § 75 BewG unterscheidet nur zwischen dem Dienen zu Wohnzwecken einerseits und dem zu gewerblichen oder öffentlichen Zwecken andererseits.
b) Unter einer Wohnung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Urteil vom 24. November 1978 III R 81/76, BFHE 126, 565, BStBl II 1979, 255) die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß sie die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen. Das ist u. a. der Fall, wenn die Räume in ihrer Gesamtheit eine bestimmte Mindestfläche aufweisen und wenn die notwendigen Nebenräume wie Küche oder zumindest ein Raum mit Kochgelegenheit und Toilette vorhanden sind. Welche Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sein müssen, ist unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu entscheiden. Darunter ist nach der Rechtsprechung des Senats zum Wohnungsbegriff die gerichtsbekannte Anschauung zu verstehen, die urteilsfähige und unvoreingenommene Bürger von einer Sache haben oder gewinnen, wenn sie mit ihr befaßt werden. Diese Verkehrsauffassung kann entsprechend der Veränderung der Wohngepflogenheiten einem gewissen Wandel unterliegen, wobei die örtlichen Verhältnisse zu Unterschiedlichkeiten in der Beurteilung führen können.
Eine Wohnung im Sinne des Bewertungsgesetzes setzt nicht voraus, daß die Räume zum dauernden Aufenthalt bestimmt sind und dauernd benutzt werden. Nach der Verkehrsauffassung sind auch solche Räume als Wohnung anzusehen, die neben der Hauptwohnung nur zeitweise - z. B. an Wochenenden und in den Ferien - bewohnt werden, Entscheidend ist, daß die Räume zur Führung eines selbständigen Haushalts zu jeder Jahreszeit, insbesondere auch während des Winters, geeignet sind. Sie müssen demnach winterfest sein. Unter diesen Voraussetzungen bilden auch Wohnräume in Wochenendhäusern eine Wohnung im Sinne des § 75 Abs. 5 Satz 1 BewG (vgl. z. B. Gürsching-Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 75 BewG Rdnr. 13 b; Rössler-Troll-Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., § 75 BewG Rdnr. 16).
c) Der Beurteilung als Einfamilienhaus steht nicht entgegen, daß das Grundstück in einem im Bebauungsplan ausgewiesenen Wochenendhausgebiet liegt.
In einem Wochenendhausgebiet sind nach § 10 Satz 1 der Baunutzungsverordnung i. d. F. vom 20. Dezember 1968 (BGBl I 1969, 11) ausschließlich Wochenendhäuser als Einzelhäuser zulässig. Unter Wochenendhäusern werden solche baulichen Anlagen verstanden, die nur einem zeitlich begrenzten Aufenthalt, insbesondere an Wochenenden und in den Ferien, dienen (vgl. Fickert-Fieseler, Kommentar zur Baunutzungsverordnung, § 10 Anm. 122 a; Müller-Neuffer, Die Baunutzungsverordnung, Kommental, 4. Aufl., § 10). Nach Bauart, Ausstattung und Einrichtung lassen sich Wochenendhäuser von sonstigen Wohngebäuden regelmäßig nicht abgrenzen. Der Unterschied besteht im allgemeinen lediglich in der Zweckbestimmung. Nach überwiegender Meinung in der Baurechtsliteratur stellt die Benutzung der Wochenendhäuser zum dauernden Bewohnen eine Nutzungsänderung dar, die nach dem Bauordnungsrecht des jeweiligen Landes genehmigungs- oder anzeigebedürftig ist. In einem Wochenendhausgebiet darf die Genehmigung zu einer solchen Nutzungsänderung nicht erteilt werden; gegen ein ungenehmigtes Dauerwohnen kann die Baubehörde einschreiten (vgl. Kohlhammer, Kommentar zum Bundesbaugesetz, Bd. 4, § 10 BaunutzungsVO Anm. 3 a mit weiteren Nachweisen; Kromik-Schwager, Die neue Baunutzungsverordnung, S. 107; Müller-Neuffer, a. a. O., § 10; Gelzer, Bauplanungsrecht, 2. Aufl., Nr. 573; a. A. Fickert-Fieseler, a. a. O., § 10 Rdnr. 121).
Zwar können nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) III R 81/76 auch baurechtliche Vorschriften Ausdruck der Verkehrsauffassung im Sinne der bewertungsrechtlichen Beurteilung sein. Dies gilt in der Regel jedoch nur für Vorschriften über die bauliche Gestaltung von Wohnungen. Der Umstand, daß nach dem Baurecht aus infrastrukturellen Gründen ein Dauerwohnen nicht erlaubt ist, hat auf die für die Abgrenzung des Begriffs der Wohnung maßgebende Verkehrsauffassung keinen Einfluß. Ob eine Wohnung im Sinne des Bewertungsrechts vorliegt, hängt allein davon ab, ob in den Räumen nach der Verkehrsauffassung tatsächlich ein Haushalt geführt werden kann. Daß die Räume auch rechtlich zur Dauernutzung geeignet sind, wird nicht vorausgesetzt. Dieser Auffassung entspricht Abschn. 15 Abs. 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Richtlinien für die Bewertung des Grundvermögens (BewRGr), in dem für die Beurteilung eines Wochenendhauses als Einfamilienhaus ebenfalls eine rechtliche Dauernutzung nicht verlangt wird.
d) Der Zurechnung von Wochenendhäusern zur Grundstücksart der Einfamilienhäuser steht nicht entgegen, daß sich für Wochenendhäuser eine übliche Miete im Sinne von § 79 Abs. 2 Nr. 1 BewG nur schwer feststellen läßt. Denn auch für eigengenutzte Einfamilienhäuser wäre im allgemeinen das Sachwertverfahren häufig besser zur Wertermittlung geeignet als das Ertragswertverfahren, da die übliche Miete schwer zu schätzen ist. Der Gesetzgeber hat jedoch dem Ertragswertverfahren bei Einfamilienhäusern den Vorzug gegeben.
e) Die Rechtsprechung des BVerwG, nach der Wochenendhäuser nicht als Wohnung im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes gelten (vgl. z. B. Urteile vom 14. November 1968 VIII C 65.65, BVerwGE 31, 50, und vom 27. März 1974 VIII C 21.73, BVerwGE 45, 120), kann auf den Streitfall nicht übertragen werden. Ebenso wie die baurechtlichen Vorschriften können die Vorschriften des Zweiten Wohnungsbaugesetzes in der Regel nur soweit als Ausdruck der Verkehrsauffassung (vgl. BFH-Urteil III R 81/76) berücksichtigt werden, als sie die bauliche Gestaltung von Räumen regeln. Bei der Beurteilung, ob Räume, die wegen ihrer Lage in einem Wochenendhausgebiet einer Nutzungsbeschränkung unterliegen, als Wohnung anzuerkennen sind, ist dagegen die unterschiedliche Zielsetzung der Vorschriften des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und des Bewertungsgesetzes zu beachten. Nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz sollen nur solche Wohnungen steuerlich begünstigt werden, die sowohl nach objektiven Merkmalen zur Führung eines selbständigen Haushalts geeignet als auch dazu bestimmt sind, dem dauernden Aufenthalt einer Familie zu dienen. Daher ist ein Wochenendhaus, das lediglich dem vorübergehenden Erholungsaufenthalt der Familien dienen soll, nicht förderungswürdig (BVerwG-Urteil VIII C 65.65). Die Frage, ob ein Gebäude ein Einfamilienhaus im bewertungsrechtlichen Sinn ist, ist dagegen unabhängig von der Frage der Dauernutzung zu entscheiden.
f) Auch die Urteile des VIII. Senats des BFH zu § 9 II. WoBauG, § 54 des Einkommensteuergesetzes-EStG- (Urteil vom 25. April 1972 VIII R 59/69, BFHE 106, 53, BStBl II 1972, 670) und zu § 7 b EStG (Urteil vom 18. Juli 1978 VIII R 94/77, BFHE 125, 454, BStBl II 1978, 593) können zur Auslegung des Wohnungsbegriffs nach dem Bewertungsgesetz nicht herangezogen werden. Nach ständiger Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH sind Räume nur dann Wohnräume im Sinne dieser Vorschriften, wenn sie "ständig für Wohnzwecke zur Verfügung stehen". Das ist nach Auffassung des VIII. Senats nur der Fall, wenn sie tatsächlich und rechtlich zur Dauernutzung geeignet sind. Dieses Merkmal wird bei der Beurteilung, ob ein Einfamilienhaus im bewertungsrechtlichen Sinn vorliegt, nicht gefordert.
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist das Grundstück des Klägers in die Grundstücksart der Einfamilienhäuser einzuordnen, da es zu Wohnzwecken genutzt wird und alle zur Führung eines selbständigen Haushalts erforderlichen Haupt- und Nebenräume aufweist. Insbesondere kann das Gebäude nach den nicht angefochtenen und damit bindenden Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - seiner bauJichen Gestaltung nach ganzjährig benutzt werden.
3. Einfamilienhäuser sind - abgesehen von den im Streitfall nicht vorliegenden Ausnahmen des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG - im Ertragswertverfahren zu bewerten (§ 76 Abs. 1 BewG). Das FA durfte somit auf den 1. Januar 1975 weder eine Art- noch eine Wertfortschreibung des Grundstücks vornehmen. Die Vorentscheidung, die von anderen Grundsätzen ausgeht, die Einspruchsentscheidung und der Art- und Wertfortschreibungsbescheid werden daher ersatzlos aufgehoben.
Fundstellen
Haufe-Index 73171 |
BStBl II 1979, 543 |
BFHE 1979, 259 |