Entscheidungsstichwort (Thema)
Billigkeitserlaß von Säumniszuschlägen
Leitsatz (NV)
Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist als sachlich unbillig anzusehen, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuern unmöglich ist und deshalb die Ausübung eines Drucks zur Zahlung ihren Sinn verliert.
Normenkette
AO 1977 §§ 5, 37 Abs. 1, § 3 Abs. 3, § 227 Abs. 1, § 240; FGO §§ 76, 96, 101 Sätze 1-2, §§ 102, 108, 118 Abs. 2, § 120 Abs. 2 S. 2, § 136 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin nach ihrem 1973 verstorbenen Ehemann. Dieser war bis zu seinem Tode als selbständiger Handelsvertreter tätig. Die Eheleute hatten zuletzt für 1962 eine Einkommensteuererklärung, der Erblasser zugleich eine Gewerbe- und Umsatzsteuererklärung eingereicht. Diese Steuererklärungen wurden vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) nicht ausgewertet. Weitere Steuererklärungen wurden weder angefordert noch eingereicht. Der Erblasser zahlte bis zu seinem Tode die aufgrund der Veranlagungen für 1961 festgesetzten Vorauszahlungen.
Im November 1976 wurden beim FA die unbearbeiteten Steuerakten der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes aufgefunden.
Das FA schätzte ohne weitere Rückfrage die Besteuerungsgrundlagen für 1968. Die Steuerbescheide 1968 vom 10. Dezember 1976 ergaben Abschlußzahlungen in Höhe von 22 384,70 DM. Diese waren am 13. Januar 1977 fällig. Die Klägerin legte Einsprüche ein. Das FA stundete die Abschlußzahlungen antragsgemäß bis zum 15. März 1977 und forderte die Klägerin auf, die Steuererklärungen für 1968 bis zum gleichen Datum und die Steuererklärungen für die Jahre 1969 bis 1973 jeweils in monatlichen Abständen einzureichen. Die Klägerin hielt diese Fristen nicht ein, sondern begehrte mehrfach Fristverlängerungen.
Das FA schätzte deshalb auch die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 1969 bis 1973. Entsprechende Bescheide ergingen am 15. Juli 1977. Nach erfolgloser Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen für 1974 und 1975 schätzte das FA die Einkünfte der Klägerin auch für diese Jahre. Die Bescheide für 1974 und 1975 ergingen am 6. und 14. September 1977.
Auch gegen die Bescheide 1969 bis 1975 legte die Klägerin Einsprüche ein. Sie erbat jeweils eine Begründungsfrist von zwei Monaten und Stundung der Abschlußzahlungen. Die Abschlußzahlungen für 1969 bis 1975 beliefen sich auf insgesamt 167 789,80 DM. Das FA lehnte die als Anträge auf Aussetzung der Vollziehung angesehenen Stundungsbegehren ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde von der zuständigen Oberfinanzdirektion (OFD) mit bestandskräftiger Entscheidung vom 3. Februar 1978 zurückgewiesen.
Im Hinblick auf die vorgenannte Beschwerdeentscheidung über die Ablehnung einer Aussetzung der Vollziehung zahlte die Klägerin über 50 000 DM an das FA.
Die Steuererklärungen für 1968, 1969, 1974 und 1975 wurden von der Klägerin im Juli 1978, die restlichen Steuererklärungen im März 1979 eingereicht. Nach verschiedenen Rückfragen setzte das FA die Steuern im wesentlichen erklärungsgemäß durch Bescheide vom 12. November 1979 fest. Die sich danach ergebenden Abschlußzahlungen machten nur einen kleinen Teil der vorher in den Schätzungsbescheiden berechneten Abschlußzahlungen aus, nämlich nur rund 14 000 DM an Stelle von rund 200 000 DM.
Bei der Abrechnung aufgrund der geänderten Bescheide behielt das FA von der vorgenannten Abschlagszahlung 22 659 DM Säumniszuschläge ein, die durch Nichtzahlung der aufgrund der Schätzungsbescheide geschuldeten Steuern für 1968 bis 1975 sowie der Einkommensteuer-Vorauszahlungen für 1977 und 1978 entstanden waren.
Die Klägerin beantragte den Erlaß der verrechneten Säumniszuschläge und berief sich darauf, daß sie von den geschäftlichen Angelegenheiten ihres verstorbenen Mannes nichts gewußt habe und deshalb die Steuererklärungen nicht früher habe abgeben können. Im übrigen habe sie durch die Abschlagszahlung auf die Schätzungsbescheide die tatsächlich geschuldeten Beträge um rund 40 000 DM überzahlt, die dem FA für mehr als ein Jahr zinslos zur Verfügung gestanden hätten. Schließlich sei die Einbehaltung der Säumniszuschläge auch wegen ihrer nur geringen Einkünfte unbillig.
Gegen die Ablehnung des Erlaßantrags durch das FA legte sie Beschwerde ein, wobei sie ergänzend anführte, daß die verspätete Abgabe der Steuererklärungen im wesentlichen auf ein Verschulden des FA zurückzuführen sei, von dem der Erblasser seit 1962 nichts mehr gehört habe. Sie habe Geschäftsunterlagen von dritter Seite besorgen und langwierige Nachforschungen anstellen müssen.
Die OFD wies die Beschwerde mit Entscheidung vom 12. Mai 1982 zurück. Ihre hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos.
Mit der Revision beantragt die Klägerin sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der ablehnenden Entscheidung des FA vom 14. September 1981 in Gestalt der hierzu ergangenen Beschwerdeentscheidung der OFD vom 12. Mai 1982, das FA zu verpflichten, Säumniszuschläge in Höhe von 22 659 DM zu erlassen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Beschwerdeentscheidung der OFD, des Ablehnungsbescheids des FA und zur Verpflichtung des FA, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO). Soweit die Klägerin beantragt, das FA (i. S. von § 101 Satz 1 FGO) zum Erlaß der Säumniszuschläge zu verpflichten, ist die Klage abzuweisen.
1. Nach § 227 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. § 37 Abs. 1, § 3 Abs. 3, § 240 AO 1977 können die Finanzbehörden auch Säumniszuschläge ganz oder teilweise im Erlaßwege erstatten, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig ist.
Bei der Ablehnung des von der Klägerin beantragten Erlasses von Säumniszuschlägen durch das FA in Gestalt der Beschwerdeentscheidung der OFD handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur daraufhin zu überprüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO).
2. a) Verfahrensgegenstand ist dagegen nicht die Frage, ob den verschiedenen Anträgen der Klägerin auf Stundung oder Aussetzung der Vollziehung hätte entsprochen werden müssen, was zur Folge gehabt hätte, daß Säumniszuschläge in geringerer Höhe entstanden wären. Diese Frage hätte nur durch Rechtsbehelfseinlegung in jenen Verfahren überprüft werden können.
b) Soweit die Klägerin eine Tatbestandsunrichtigkeit des angefochtenen Urteils rügen will, kann sie hiermit nicht mehr gehört werden, nachdem sie es unterlassen hat, rechtzeitig einen konkreten Antrag auf Tatbestandsberichtigung gemäß § 108 FGO zu stellen.
c) Soweit in der Revisionsbegründung möglicherweise ferner gerügt werden soll, daß das Finanzgericht (FG) bei seiner Entscheidung Akteninhalt unberücksichtigt gelassen und nicht das gesamte Ergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt habe (§ 96 FGO), fehlt es für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels bereits an der konkreten Tatsachenbezeichnung i. S. des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO. Aus dem gleichen Grund kann dem Revisionsvorbringen auch keine Rüge mangelnder Aufklärung (§ 76 FGO) entnommen werden. Soweit die Klägerin dennoch den ohne Verstoß gegen die Denkgesetze vom FG getroffenen Feststellungen anderen Sachvortrag entgegenstellen will, kann das Revisionsgericht diesen gemäß § 118 Abs. 2 FGO nicht berücksichtigen.
3. Das FG hat jedoch zu Unrecht das Vorliegen eines Ermessensfehlers bei der Ablehnung des Billigkeitserlasses der Säumniszuschläge verneint.
Eine fehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, daß die Finanzbehörden ihre Entscheidung anhand des einwandfrei und erschöpfend ermittelten Sachverhalts treffen. Dabei müssen die Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigt werden, die nach Sinn und Zweck der Norm, die das Ermessen einräumt, maßgeblich sind (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, 513, BStBl II 1985, 489; vom 2. Juli 1986 I R 5/83, BFH / NV 1987, 684, jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Ablehnungsbescheid des FA in Gestalt der Beschwerdeentscheidung der OFD genügt diesen Anforderungen nicht.
a) Bei der Ermessensentscheidung über einen Erlaß nach § 227 AO 1977 sind sachliche und persönliche Billigkeitsgründe zu prüfen (Urteile des BFH vom 26. Februar 1987 IV R 298/84, BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612; vom 27. Mai 1987 X R 41/81, BFH / NV 1987, 691, und vom 29. Juni 1987 X R 22/81, BFH / NV 1987, 693, jeweils mit weiteren Nachweisen).
b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt ein Erlaß von Säumniszuschlägen (§ 240 AO 1977) aus sachlichen Billigkeitsgründen voraus, daß ihre Einziehung im Einzelfall - insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge - nicht mehr zu rechtfertigen ist, weil deren Erhebung - obwohl der Sachverhalt den gesetzlichen Tatbestand erfüllt - den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft; Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewußt in Kauf genommen hat, rechtfertigen dagegen nicht den Erlaß aus Billigkeitsgründen (Urteile in BFHE 143, 512, 514, BStBl II 1985, 489; BFH / NV 1987, 684; Beschluß vom 4. November 1986 VII B 108/86, BFH /NV 1987, 555; Urteile in BFH / NV 1987, 691 und 693, jeweils mit weiteren Nachweisen).
aa) Kraft ausdrücklicher Regelung in § 240 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 entspricht es dem gesetzgeberischen Willen, die Verwirkung von Säumniszuschlägen bei späterer Änderung bzw. Herabsetzung der zugrunde liegenden Steuerfestsetzungen unberührt zu lassen.
Gegen die Wirksamkeit dieser Vorschrift bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 30. Januar 1986 2 BvR 1336/85, Deutsche Steuer-Zeitung / Eildienst - DStZ / E - 1986, 101; Koch / Höllig, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 240 Rdnr. 22; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 240 AO 1977 Rdnr. 2). Nach der vorstehend angeführten Entscheidung des BVerfG ist dem Rechtsschutz des Steuerpflichtigen gegenüber Steuerschätzungsbescheiden zur Vermeidung von Säumniszuschlägen durch die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes Genüge getan.
bb) Auch in der Häufung der Steuernachforderungen im Säumniszeitraum nach vorheriger Nichtbearbeitung des Steuerfalles kann für sich allein kein sachlicher Billigkeitsgrund hinsichtlich des Erlasses von Säumnizuschlägen gesehen werden. Diese Umstände hätten im Rahmen von Stundungsanträgen und eventuell im Rahmen von Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung berücksichtigt werden müssen.
cc) Auf die Frage des Verschuldens bei der Säumnis des Steuerpflichtigen kommt es grundsätzlich nicht an, weil der Gesetzgeber die Entstehung der Säumniszuschläge hiervon unabhängig allein an den Erfolg verspäteter Zahlung geknüpft hat (Urteile in BFHE 143, 512, 514, BStBl II 1985, 489; BFH / NV 1987, 684 und 693, jeweils mit weiteren Nachweisen).
dd) Die Säumniszuschläge sind ein Druckmittel, um die Zahlung der festgesetzten - und kraft Gesetzes sofort zu leistenden - Steuerschuld zu erreichen (Urteile in BFHE 143, 512, 514, BStBl II 1985, 489; BFH / NV 1987, 684 und 555 sowie 693, jeweils mit weiteren Nachweisen), insoweit stellen sie eine Art Zwangsgeld dar (Beschluß in DStZ / E 1986, 101). Dementsprechend ist die Erhebung von Säumniszuschlägen als unbillig anzusehen, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuern unmöglich ist und deshalb die Ausübung eines Drucks zur Zahlung ihren Sinn verliert.
Zur Beantwortung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, bedarf es einer eingehenden Ermittlung und Würdigung der wirtschaftlichen Situation des Steuerpflichtigen bei Eintritt der Zahlungspflicht. Sofern sich dabei nicht schon der Fall der Zahlungseinstellung wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ergibt, ist an die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen der abgabenrechtliche Maßstab für Erlaß und Stundung anzulegen, auch wenn kein Erlaß- oder Stundungsverfahren hinsichtlich der Steuerschulden bei deren Fälligkeit durchgeführt wurde (Urteile in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489; BFH / NV 1987, 684 und 693). Im vorliegenden Fall wurden diese in der Rechtsprechung des BFH zwischenzeitlich konkretisierten Grundsätze nicht beachtet.
ee) Ungeachtet des nicht festgestellten Inhalts der zwischen der Klägerin und der Vollstreckungsstelle des FA geführten Verhandlungen bestand im Streitfall schon bei überschlägiger Betrachtung der absoluten Höhe der Steuernachforderungen im Säumniszeitraum ab 1977 einerseits und der Vermögenslage der Klägerin andererseits Anlaß zur Prüfung der Frage, ob eine Erlaß- oder Stundungssituation bezüglich der zugrunde liegenden Steuerschulden bestand. Die Erwägung dieser Frage kann der Beschwerdeentscheidung nicht entnommen werden. Insbesondere reichen hierzu die für die Frage eines Erlasses der Säumniszuschläge aus persönlichen Billigkeitsgründen getroffenen Feststellungen nicht aus.
Für die hier - im Rahmen der sachlichen Billigkeitsgründe für einen Erlaß der Säumniszuschläge - zu prüfende Frage, ob ein Erlaß oder eine Stundung der Hauptforderungen bei Fälligkeit in Betracht kam, hätte insbesondere erwogen werden müssen, inwieweit bei Fälligkeit der Steuerschulden in 1977 die liquiden Mittel der Klägerin zur Begleichung überhaupt ausreichten oder zur bescheidenen Lebensführung benötigt wurden und inwieweit die Beschaffung weiterer flüssiger Mittel durch die Grundstücksverwertung erst in 1978 erfolgen konnte (vgl. z. B. zur Erlaßbedürftigkeit Urteile in BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612; BFH / NV 1987, 691 und 693).
Es wäre auch abzuwägen gewesen, ob die Klägerin eines Erlasses oder einer Stundung der Steuern würdig war (vgl. zur Erlaßwürdigkeit BFH-Urteil vom 29. April 1981 IV R 23/78, BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726; Urteile in BFH / NV 1987, 691 und 693; Klein / Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 227 Anm. 11 b; zur Stundungswürdigkeit BFH-Urteil vom 2. Juli 1986 I R 39/83, BFH / NV 1987, 696).
Erlaß- oder Stundungswürdigkeit ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige nicht seine mangelnde Leistungsfähigkeit selbst herbeigeführt oder durch sein Verhalten in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat (ebenda).
Die im Zusammenhang mit dem Erlaß der Säumniszuschläge aus persönlichen Billigkeitsgründen getroffene Feststellung über die zinslose Darlehensgewährung und den Rückzahlungsverzicht der Klägerin gegenüber ihrem Sohn in Verbindung mit der Frage der Pflegeheim-Vereinbarung steht zumindest der Steuererlaß- oder -stundungswürdigkeit für den vorangegangenen Fälligkeitszeitraum nicht ohne weiteres entgegen, so daß es hierzu einer weiteren Ermessensausübung bedarf. Was die Gründe der nach den seit 1977 gesetzten Fristen verspäteten Erklärungseinreichung anbelangt, so kann der Klägerin ein Fehlverhalten ihres verstorbenen Ehemannes nicht zugerechnet werden (vgl. Urteil in BFH / NV 1987, 691, 693), das in ihrer gemeinsamen und seiner Versäumnis der früheren Fristen für die Einreichung der jährlichen Steuererklärungen lag und mit der pflichtwidrigen Nichtbearbeitung des Steuerfalles durch das FA korrespondierte.
Insbesondere wird bei der Ermessensausübung jedoch der Frage nachzugehen sein, inwieweit die spätere Verzögerung der Erklärungseinreichung auf den behaupteten Schwierigkeiten der Beschaffung der Geschäftsunterlagen des Erblassers von dritter Seite einerseits, was der Klägerin ebenfalls nicht anzulasten wäre, oder aber auf einem Verschulden ihres Steuerberaters andererseits beruhte, was ihr in diesem Zusammenhang - ungeachtet eines etwaigen Regreßanspruchs gegen ihn - zuzurechnen wäre (vgl. zur Zurechnung des Verschuldens eines Erklärungspflicht-Erfüllungsgehilfen BFH-Urteile vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324; vom 28. Juni 1983 VIII R 37/81, BFHE 139, 8, BStBl II 1984, 2; Klein / Orlopp, a.a.O., § 173 Anm. 14 c - Steuerberater -; Urteil in BFH / NV 1987, 693, 695 - Buchhalter, bezüglich Erlaßwürdigkeit -).
Sollte sich hierbei herausstellen, daß bezüglich der Steuerschulden seinerzeit zwar keine Erlaßsituation, jedoch eine Stundungssituation gegeben war, so ist zu prüfen, ob die Säumniszuschläge insoweit teilweise - in Anlehnung an die Höhe der Stundungs- oder Aussetzungszinsen gemäß § 238 AO 1977 - oder darüber hinaus - entsprechend § 234 Abs. 2 AO 1977 - zu erlassen sind (vgl. Urteile in BFHE 143, 512, 517, BStBl II 1985, 489; BFH / NV 1987, 684).
4. Für die Frage der Billigkeitserstattung der Säumniszuschläge - aus deren Entrichtung unmittelbar betreffenden - persönlichen Billigkeitsgründen sind die vorstehenden tatsächlichen Umstände der Erlaßbedürftigkeit und -würdigkeit entsprechend zu erwägen, wobei jedoch auf den Zeitpunkt der Entrichtung der Säumniszuschläge abzustellen ist (vgl. BFH-Urteil vom 24. September 1976 I R 41/75, BFHE 120, 212, BStBl II 1977, 127, 130; Tipke / Kruse, a.a.O., § 227 AO 1977 Rdnr. 58).
5. Durch die Aufhebung des Ablehnungsbescheides und der Beschwerdeentscheidung wird der Finanzbehörde die erneute Entscheidung über den Erlaßantrag unter Beachtung der vorstehenden Ermessensgesichtspunkte ermöglicht.
Da die Gerichte gemäß § 102 FGO nicht befugt sind, ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens zu setzen, kann die von der Klägerin begehrte Verpflichtung der Behörde zum Erlaß der Säumniszuschläge nicht ausgesprochen werden. Im Streitfall liegt keine Ermessenseinengung vor, die nur eine einzige Entscheidung als ermessensfehlerfrei erscheinen läßt (vgl. BFH-Urteile vom 4. Juli 1972 VII R 103/69, BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806; BFH / NV 1987, 684, 685).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Da die vor dem BFH - gemäß Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - ordnungsgemäß vertretene Klägerin nicht mit ihrem vollen Verpflichtungsbegehren i. S. des § 101 Satz 1 FGO durchgedrungen ist, sondern nur ein Bescheidungsurteil gemäß § 101 Satz 2 FGO ergeht, erscheint es dem Senat angemessen, die gesamten Kosten des Verfahrens der Klägerin und dem FA je zur Hälfte aufzuerlegen (vgl. BFH-Urteile vom 1. Februar 1977 VII R 62/75, BFHE 121, 371, 378, BStBl II 1977, 370, 373; vom 25. April 1978 VII R 24/74, BFHE 125, 129, 138; Ziemer / Haarmann / Lohse, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 10634/2).
Fundstellen
Haufe-Index 415571 |
BFH/NV 1988, 695 |