Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von Druckschriften mit Kleinanzeigen
Leitsatz (NV)
1. Zur Abgrenzung zwischen umsatzsteuerbegünstigten Zeitungen usw. und überwiegend Werbezwecken dienenden Drucken.
2. Werbezwecke (1.) werden mit der Geschäftswerbung (Eigen- und Fremdwerbung) sowie mit privaten Kleinanzeigen mit Angeboten verfolgt, nicht dagegen mit Suchanzeigen (Fortführung der Rechtsprechung).
Normenkette
UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 1; GZT Tarifst. 49.11 B, TNr. 49.02
Tatbestand
Gestritten wird - im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage hinsichtlich Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheiden des beklagten und revisionsklagenden Finanzamts (FA) für die Zeiträume . . . über die Frage, ob die Umsätze der von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) herausgegebenen Druckschrift X mit überwiegendem Anteil - ca. 80 bis 90 v. H. - an kostenlos abgedruckten privaten Kleinanzeigen unterschiedlicher Art (u. a. ,,Suche" und ,,Biete") dem vollen Umsatzsteuersatz oder dem ermäßigten Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 mit Nr. 43 Buchst. b der Anlage - ,,Zeitungen . . ." - unterliegen. Das Finanzgericht (FG) entschied zugunsten der Klägerin in letzterem Sinne (Zeitung oder andere periodische Druckschrift, kein nicht begünstigter ,,Werbedruck").
Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe zu Unrecht den Begriff ,,Werbung" auf die Wirtschafts- bzw. Absatzwerbung reduziert. Drucke, die überwiegend Werbezwecken dienten, seien gerade solche mit Anzeigen von Nichtunternehmern.
Die Klägerin trägt im wesentlichen vor, die X biete auch mit den Angebotsrubriken Kommunikation und Information; sie sei eine Kommunikationszeitung für breite Bevölkerungsschichten. Zwischen Anzeigen- und Annoncenblättern mit geschäftlicher Werbung und solchen mit kostenlosen privaten Gelegenheitsanzeigen und Mitteilungen müsse unterschieden werden. Es liege auch kein überwiegender Anteil an Angebotsanzeigen vor; bei fast allen Sach- und Dienstleistungsangeboten seien auch die Rubriken ,,Suche" und Anzeigen kommunikativer Natur zu finden. Im übrigen verstoße die (ursprünglich angegriffene) Höherbesteuerung gegen Treu und Glauben, da das FA zuvor eine der Rechtsauffassung der Klägerin entsprechende Auskunft erteilt habe.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Soweit dieses erkannt hat, Zeitungsanzeigen von Privatpersonen (Nichtunternehmern) könnten - schlechthin - nicht als Werbezwecken dienend angesehen werden, beruht die Vorentscheidung auf einer zu engen Auslegung des Begriffs ,,Werbezweck". Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden, weil sich auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen nicht beurteilen läßt, ob die von der Klägerin herausgegebene Druckschrift überwiegend Werbezwecken dient.
2. Die Auslegung der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 richtet sich allein nach zolltariflichen Vorschriften und Begriffen (Senat, Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, BFHE 160, 342 f., BStBl II 1990, 760), soweit die Verweisung auf den Zolltarif reicht. Die hier maßgebende Fassung - Anlage Nr. 43 Buchst. b - verweist auf den Zolltarif (Zeitungen und andere periodische Druckschriften . . . aus Tarifnr. 49.02) einschließlich der (Abgrenzungs-)Vorschrift 4 zu Kap. 49 (Senat, Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 121/86, BFHE 160, 79, 81, BStBl II 1990, 761; vgl. zur Rechtslage ab 1. Januar 1988 die Anmerkung zu dem vorbezeichneten Urteil in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1990, 442). Dazu hat der Senat (a. a. O.) entschieden, daß die zweite Alternative in Vorschrift 4 zu Kap. 49 - (nichtbegünstigte) Drucke, die überwiegend Werbezwecken dienen (= Tarifst. 49.11 B) - auch die nichtgeschäftliche private Werbung erfaßt.
Hieran ist auch im Hinblick auf die Gegenansicht festzuhalten, die in den von der Klägerin vorgelegeten Rechtsgutachten vertreten wird. Der Senat ist von dem weitgespannten Werbebegriff ausgegangen, den die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entwickelt hat (insbesondere Urteil vom 28. September 1988 X R 49/81, BFHE 155, 200, 203, BStBl II 1989, 208). Bezogen auf die zweite Alternative in Vorschrift 4 zu Kap. 49 ergibt er, daß nicht auf einen ,,Werbungtreibenden" im - engeren - Sinne eines Wirtschaftsunternehmens abgestellt wird (so die erste Alternative), sondern auf jedes Subjekt, das - in weitem Sinne - ,,wirbt". Die zolltariflichen Erläuterungen, nach denen es bei Druckschriften mit Anzeigen darauf ankommt, ob die Herausgabe hauptsächlich zu diesem Zweck erfolgt (BFHE 160, 79, 81), differenzieren gleichfalls nicht nach der Art der Anzeige - geschäftlich oder privat -; sie schließen die Anzeigen von Privatpersonen ein (vgl. im übrigen Erläuterungen zu Tarifnr. 49.02 Teil I Rz. 2, zu Tarifnr. 49.01 Teil I Rz. 13).
Eine Aussage dahin, daß der Werbebegriff auch ,,Propaganda" u. dgl. umfasse, ist damit nicht verbunden. Auf die seit dem 1. Januar 1988 geltende Rechtslage - weitgehend eigenständige umsatzsteuerrechtliche Regelung - kommt es nicht an. Ihr kann auch kein Gesichtspunkt entnommen werden, der bei der Auslegung der hier maßgebenden Norm des Gemeinschaftsrechts (Gemeinsamer Zolltarif) von Bedeutung wäre.
Ergänzend bemerkt der Senat, daß nach dem von der Revision angeführten Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - (vom 5. März 1974 1 BvR 712/68, BVerfGE 36, 321, 337, BStBl II 1974, 267, 272) die volle Umsatzsteuerpflicht für die Umsätze von Drucken zu Werbezwecken (Anzeigenblätter usw.), wiewohl diese Drucke zu den Waren und Leistungen aus dem kulturellen Bereich gerechnet werden, auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Druckschriften mit Kleinanzeigen unterscheiden sich nach ihrem Inhalt wesentlich von Zeitungen, Zeitschriften und dgl. (vgl. zu deren Inhalt die zolltariflichen Erläuterungen zu Tarifnr. 49.02 Teil I Rz. 6 und 7); das gilt auch, soweit jenen Schriften ein gewisser Informationswert zukommen sollte. Auch aus der Entscheidung des BVerfG zur Frage der Vereinbarkeit staatlicher Förderungsmaßnahmen für die Presse (Beschluß vom 6. Juni 1989 1 BvR 727/84, BVerfGE 80, 124) kann die Revision nichts zu ihren Gunsten herleiten. Abgesehen davon, daß es sich im Streitfall um unterschiedliche Steuersätze für die Umsätze von Zeitungen und Werbedrucken handelt, ergibt sich aus dieser Entscheidung, daß bei einer Subventionierung der Presse (Leistung) eine Differenzierung nach meinungsneutralen Kriterien nicht ausgeschlossen ist. Die Kriterien, die der unterschiedlichen Besteuerung von Zeitungen und Werbedrucken zugrunde liegen, sind jedoch sachbezogen und meinungsneutral.
3. Der Senat hat bisher die Frage offengelassen, ob auch Suchanzeigen Werbezwecken dienen können. Sie ist, bezogen auf den hier noch maßgebenden zolltariflichen Werbebegriff, in Übereinstimmung mit dem FG zu verneinen. Für die nichtgeschäftliche Werbung kann insoweit nichts anderes gelten als für die Geschäftswerbung. Diese zielt darauf ab, den Werbeadressaten zur Inanspruchnahme von (entgeltlichen) Leistungen zu veranlassen (vgl. die Erläuterungen in BStBl I 1983, 567, 590 Tz. 144; ähnlich für die Zollbefreiung von ,,Werbedrucken" Art. 92 der Verordnung (EWG) Nr. 918/83 des Rates vom 28. März 1983 über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 105/1; in anderem Zusammenhang BFH, Urteil vom 24. September 1987 V R 105/77, BFHE 151, 213, 216, BStBl II 1988, 303). Mit der Nachfrage nach Gütern oder Dienstleistungen ist kein derartiger Zweck verbunden.
4. Das FG hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, keine näheren Feststellungen über die in der Druckschrift enthaltenen Kleinanzeigen getroffen. Dies wird, falls die (schon in erster Instanz erfolgte) Berufung der Klägerin auf den Grundsatz von Treu und Glauben nicht durchgreifen sollte, im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein. Dabei ist davon auszugehen, daß nach der Beschaffenheit und der erkennbaren Bestimmung der Druckschrift zu beurteilen ist, ob Werbezwecke überwiegen (BFHE 155, 200, 203, m. w. N.). Werbezwecke werden mit der Geschäftswerbung (einschließlich etwaiger Eigenwerbung) sowie mit privaten Kleinanzeigen mit Angeboten verfolgt, nicht dagegen mit Suchanzeigen. Das Raumverhältnis zwischen werbendem und anderem Text ist nicht unmittelbar maßgebend. Ergibt sich etwa aus der Aufmachung, dem Inhalt oder auch dem Herausgabezweck der Druckschrift, daß die Werbung im Vordergrund steht, so würde selbst ein nennenswerter Anteil an Suchanzeigen den Werbecharakter nicht entfallen lassen. Bei Zweifeln kann indessen auch das Raumverhältnis bei der Beurteilung von Beschaffenheit oder Zweck der Schrift herangezogen werden. Diese Gesichtspunkte wird das FG bei seiner erneuten Entscheidung zu beachten haben.
Fundstellen