Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Zeitpunkt des Aufgabegewinns bei Überführung einzelner Wirtschaftsgüter in das Privatvermögen
Leitsatz (NV)
Es gibt in der Regel keinen ,,Zeitpunkt" der Betriebsaufgabe, weil die Veräußerung der einzelnen zum bisherigen Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter regelmäßig nicht in einem Zeitpunkt, sondern während eines Zeitraums erfolgt (Anschluß an BFH-Urteil vom 27. Februar 1985 I R 235/80, BFHE 143, 436, BStBl II 1985, 456).
Daraus folgt, daß die Betriebsaufgabe grundsätzlich mit der Einstellung der werbenden Tätigkeit beginnt und z. B. mit der Veräußerung des letzten, zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehörenden Wirtschaftsguts beendet wird. Für Wirtschaftsgüter, die nicht zur Veräußerung bestimmt sind, entsteht der Aufgabegewinn in dem Zeitpunkt, in dem sie während des Zeitraums der Betriebsaufgabe ausdrücklich ins Privatvermögen überführt werden oder - falls dies nicht geschieht - in dem Zeitpunkt, in dem nach Einstellung der werbenden Tätigkeit alle anderen wesentlichen Betriebsgrundlagen veräußert oder entnommen worden sind.
Normenkette
EStG § 16
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine GbR - betrieb bis 1957 ein gewerbliches Unternehmen in einem eigenen Grundstück. Die Produktion wurde 1957 eingestellt. Die Klägerin verpflichtete sich, in Zukunft keine Erzeugnisse mehr herzustellen. Alle Warenvorräte, der gesamte Fuhrpark, alle Betriebs- und Geschäftsausstattungen sowie der gesamte Maschinenbestand wurden verkauft bzw. verschrottet. Im Eigentum der Klägerin verblieb lediglich das bebaute Betriebsgrundstück (Buchwert am 31. Dezember 1958 . . . DM). Es war bereits vor Produktionseinstellung teilweise vermietet gewesen. Nach der Produktionseinstellung wurde es in vollem Umfang vermietet.
Außerdem verblieben der Klägerin nach Betriebseinstellung noch . . . DM Betriebsschulden, die seit 1955 auf dem Grundstück hypothekarisch abgesichert waren. Auch nach Einstellung der Fabrikation erklärte die Klägerin weiter Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Für die Jahre 1961 bis 1962 erklärte sie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Daraufhin teilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) der Klägerin mit, daß eine Behandlung ihrer Einkünfte als solche aus Vermietung und Verpachtung eine Entnahme des Grundstücks und eine Besteuerung der stillen Reserven zur Folge habe. Im Anschluß daran kamen die Beteiligten 1964 übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß im Streitfall keine Überführung des Grundstücks ins Privatvermögen erforderlich sei, weil von einer Betriebsverpachtung ausgegangen werden könne. Daraufhin erklärte die Klägerin in der Folgezeit wieder Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Im Rahmen einer 1976 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat das FA zunächst die Auffassung, die stillen Reserven des Grundstücks müßten aufgedeckt werden, da im Hinblick auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Juni 1975 IV R 122/71 (BFHE 116, 540, BStBl II 1975, 885) nicht mehr von einer Betriebsverpachtung ausgegangen werden könne. Trotzdem stellte das FA die Einkünfte der Klägerin weiterhin erklärungsgemäß als solche aus Gewerbebetrieb fest.
Ende 1977 veräußerte die Klägerin das Grundstück für . . . DM zum 1. Januar 1978. Der Veräußerungserlös überstieg nach Abzug der Veräußerungskosten den ,,Buchwert" des Grundstücks um . . . DM.
Das FA vertrat die Ansicht, das Grundstück sei im Veräußerungszeitpunkt noch Betriebsvermögen gewesen. Es behandelte demzufolge den Betrag von . . . DM als steuerbegünstigten gewerblichen Gewinn.
Hiergegen wendete sich die Klägerin. Sie vertrat die Auffassung, das Grundstück sei mit der Betriebseinstellung 1958 Privatvermögen geworden.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Mit der Revision wird die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Gewinnfeststellungsbescheides 1978.
1. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts (FG) ist durch die zum 1. Januar 1978 erfolgte Grundstücksveräußerung der Klägerin kein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn entstanden. Das Grundstück war zu diesem Zeitpunkt kein Betriebsvermögen mehr. Es ist durch die 1957 erfolgte Betriebsaufgabe der . . . herstellung Privatvermögen geworden.
2. Nach § 16 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn, der bei der Aufgabe eines Gewerbebetriebs erzielt wird. Für die Ermittlung dieses Gewinns sind anzusetzen - soweit die einzelnen, dem Betrieb gewidmeten Wirtschaftsgüter im Rahmen der Betriebsaufgabe veräußert werden - die erzielten Veräußerungspreise (§ 16 Abs. 3 Satz 2 EStG) und - soweit die Wirtschaftsgüter nicht veräußert wurden - deren gemeiner Wert im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 Satz 3 EStG).
Daraus folgt, daß grundsätzlich mit der Betriebsaufgabe kein Betriebsvermögen mehr vorhanden ist und mithin vom Zeitpunkt der Betriebsaufgabe an alle nicht veräußerten Wirtschaftsgüter zum Privatvermögen gehören. Dabei ist zu beachten, daß es in der Regel keinen ,,Zeitpunkt" der Betriebsaufgabe gibt, weil die Veräußerung der einzelnen zum bisherigen Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter regelmäßig nicht in einem Zeitpunkt, sondern während eines Zeitraums erfolgt (Schmidt, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 16 Anm. 37 und 48; vgl. auch BFH-Urteil vom 27. Februar 1985 I R 235/80, BFHE 143, 436, BStBl II 1985, 456). Daraus folgt, daß die Betriebsaufgabe grundsätzlich mit der Einstellung der werbenden Tätigkeit beginnt und z. B. mit der Veräußerung des letzten, zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehörenden Wirtschaftsguts beendet wird (Schmidt, a. a. O.). Für Wirtschaftsgüter, die nicht zur Veräußerung bestimmt sind, entsteht der Aufgabegewinn in dem Zeitpunkt, in dem sie während des Zeitraums der Betriebsaufgabe ausdrücklich ins Privatvermögen überführt werden oder - falls dies nicht geschieht - in dem Zeitpunkt, in dem nach Einstellung der werbenden Tätigkeit alle anderen wesentlichen Betriebsgrundlagen veräußert oder entnommen worden sind. Das folgt zwingend aus § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG, wenn man die Vorschrift entsprechend den tatsächlichen Gegebenheiten dahingehend versteht, daß Wirtschaftsgüter, die im Rahmen einer Betriebsaufgabe spätestens (soweit sie nicht vorher ausdrücklich ins Privatvermögen überführt werden) im Zeitpunkt der Beendigung der Betriebsaufgabe mit dem gemeinen Wert anzusetzen, also ins Privatvermögen zu überführen sind. Der BFH hat deshalb bereits in seinem Urteil vom 12. April 1967 VI R 240/86 (BFHE 88, 417, BStBl III 1967, 420) entschieden, daß bei Betriebsaufgabe und Veräußerung des Betriebsvermögens bis auf das Betriebsgrundstück, dieses notwendig Teil des Privatvermögens des Unternehmers wird (vgl. auch Schmidt, a.a.O.; BFH-Urteile vom 26. September 1961 I 5/61 U, BFHE 73, 689, BStBl III 1961, 517, und vom 17. Februar 1971 I R 170/69, BFHE 102, 44, BStBl II 1971, 484).
Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin ihr Anlagevermögen und die Waren (außer dem Betriebsgrundstück) in den Jahren 1956 und 1957 veräußert. Spätestens mit Ablauf des Jahres 1957 war also die Aufgabe des Betriebs der Klägerin beendet. Das Grundstück ist zu diesem Zeitpunkt ins Privatvermögen der Gesellschafter der Klägerin übergegangen.
3. Zu einem anderen Ergebnis könnte man kommen, wenn die Vermietung des Betriebsgrundstücks, die teils vor, teils nach der Betriebseinstellung erfolgt ist, sich als Betriebsverpachtung darstellen würde. Das ist jedoch nicht der Fall.
a) Nach der Rechtsprechung des BFH hat der Steuerpflichtige im Fall der Verpachtung seines Betriebs ein Wahlrecht, ob er den Vorgang als Betriebsaufgabe i. S. des § 16 Abs. 3 EStG behandeln oder ob und wie lange er das Betriebsvermögen während der Verpachtung fortführen und daraus betriebliche Einkünfte erzielen will (BFH-Beschluß vom 13. November 1963 GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124). Eine Betriebsverpachtung in diesem Sinne setzt u. a. voraus, daß der Steuerpflichtige dem Pächter einen Betrieb zur Nutzung überläßt und der Pächter diesen im wesentlichen fortsetzen kann (BFH-Urteil in BFHE 116, 540, BStBl II 1975, 885). Außerdem muß dem Verpächter objektiv die Möglichkeit verbleiben, den ,,vorübergehend" eingestellten Betrieb wieder aufzunehmen und fortzuführen (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1987 IV R 66/86, BFHE 152, 62, BStBl II 1988, 260).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Die Klägerin hat 1958 keinen Betrieb verpachtet. Die von ihr betriebene Fabrikation ist von den Mietern des Grundstücks nicht fortgeführt worden. Die Klägerin war infolge der von ihr 1957 abgegebenen Verpflichtung nicht mehr in der Lage, die eingestellte Produktion irgendwann einmal wieder aufnehmen zu können.
b) Die vorstehend wiedergegebene Rechtsprechung beruht auf dem Beschluß des Großen Senats des BFH in BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124). Im Streitfall ist die Grundstücksverpachtung, die die Beteiligten bei ihrer ,,Vereinbarung" von 1964 als Betriebsverpachtung bewertet haben, bereits 1958 erfolgt. Zu dieser Zeit wurde von der Rechtsprechung des BFH folgende Auffassung vertreten: Die Vermietung oder Verpachtung eines ganzen Gewerbebetriebs ist keine gewerbliche Tätigkeit. Sie führe zu einem Ruhen des Gewerbebetriebs. Die Pachteinkünfte seien Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Die Verpachtung eines Gewerbebetriebs sei danach zwar keine Betriebsaufgabe. Der Verpächter habe aber ein Wahlrecht, ob er - wie bei einer Betriebsaufgabe - die stillen Reserven sofort versteuern wolle oder erst zu einem späteren Zeitpunkt.
Auch diese Rechtsprechung setzte - ebenso wie die durch den Beschluß in BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124 geänderte - die Verpachtung eines Gewerbebetriebs voraus. Daran aber fehlt es im Streitfall. Die Klägerin hat 1958 nicht einen Betrieb - nicht ihre Produktion - verpachtet, sondern lediglich das Betriebsgebäude, in dem sie bis zur Einstellung der Produktion im Jahre 1957 diese betrieben hatte.
Der Klägerin stand somit auch nach der 1958 geltenden Rechtsprechung kein Wahlrecht in dem vorstehend geschilderten Sinn zu.
c) Ein Wahlrecht der Klägerin im Sinne der Betriebsverpachtungs-Rechtsprechung kann - entgegen der Ansicht des FA - auch nicht aus der 1964 zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarung hergeleitet werden. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil die Vereinbarung erst 1964 getroffen worden ist, die zur Betriebsaufgabe führende Betriebseinstellung aber bereits 1957 erfolgt war.
4. Der vom FG vertretenen Meinung, das Grundstück sei Betriebsvermögen geblieben, weil nach Betriebseinstellung noch erhebliche Betriebsschulden vorhanden gewesen seien, kann der erkennende Senat nicht zustimmen.
a) Die vom FG in diesem Zusammenhang vertretene Auffassung, ein Steuerpflichtiger habe bei einer Betriebseinstellung auch ohne das Vorliegen einer Betriebsverpachtung ein Wahlrecht, ob er die ihm verbliebenen Wirtschaftsgüter ins Privatvermögen übernehmen oder weiterhin als Betriebsvermögen behandeln wolle, gibt es nicht. Ein solches Wahlrecht wäre mit den Ausführungen unter 3. und der dort wiedergegebenen Rechtsprechung nicht vereinbar.
Auch mit dem Sinn und Zweck des § 16 Abs. 3 EStG, nämlich im Zusammenhang mit einer Betriebsaufgabe alle stillen Reserven der Besteuerung zuzuführen, würde ein solches Wahlrecht nicht vereinbar sein. Denn es würde einem Steuerpflichtigen die Möglichkeit verschaffen, die Versteuerung hoher stiller Reserven im Rahmen einer Betriebsaufgabe zu vermeiden und auf viele Jahre, bis zu einer Veräußerung des betreffenden Wirtschaftsguts, hinauszuschieben.
b) Das BFH-Urteil vom 12. März 1964 IV 107/63 U (BFHE 79, 476, BStBl III 1964, 406), das das FG in diesem Zusammenhang anführt, stützt seine Ansicht nicht.
In dieser Entscheidung wird zwar ausgeführt, daß bei einer Betriebseinstellung das bisherige Betriebsvermögen solange weiterhin Betriebsvermögen bleibe, bis der Steuerpflichtige erklärt, daß das bisherige Betriebsvermögen Privatvermögen werden solle. Das jedoch ist - wie sich aus dem Urteil unzweideutig ergibt - nur solange möglich, wie die Weiterbehandlung als Betriebsvermögen rechtlich noch möglich ist.
Der BFH hat in BFHE 79, 476, BStBl III 1964, 406 eine solche rechtliche Möglichkeit für ein bisher zu einem Betriebsvermögen gehörendes Grundstück nur für den Fall bejaht, daß neben dem Grundstück noch ein zum bisherigen Betriebsvermögen gehörendes Warenlager vorhanden war, noch sehr erhebliche Betriebsschulden bestanden und der Sachverhalt keinen Anlaß zu der Annahme bot, daß der Grundbesitz nicht bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zur Tilgung der erheblichen Verbindlichkeiten veräußert werden sollte. In einem solchen Fall ist die Ansicht vertretbar, daß die Betriebsaufgabe noch nicht beendet ist.
Im Streitfall waren nach 1957 außer dem Grundstück keine anderen Wirtschaftsgüter des bisherigen Betriebsvermögens mehr vorhanden. Eine Weiterbehandlung des Grundstücks als Betriebsvermögen war damit rechtlich nicht mehr möglich.
c) Ob die Beendigung einer Betriebsaufgabe auch dann verneint werden kann, wenn nach Betriebseinstellung und Veräußerung oder Entnahme aller wesentlichen Betriebsgrundlagen nur noch eine wesentliche Betriebsgrundlage und erhebliche Betriebsschulden vorhanden sind, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 63599 |
BFH/NV 1992, 227 |