Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufteilung von Werbungskosten bei steuerfreier Aufwandsentschädigung für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bindungswirkung des Beschlusses des BVerfG vom 11. November 1998 2 BvL 10/95 (BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502) erstreckt sich nach § 31 Abs. 1 BVerfGG auch auf die einem Landesbeamten für seine Tätigkeit im Beitrittsgebiet im Jahre 1991 gewährte Aufwandsentschädigung.
2. Die einem Beamten für seine Tätigkeit im Beitrittsgebiet gewährte Aufwandsentschädigung ist nicht vorab auf die durch die Abordnung in das Beitrittsgebiet verursachten Werbungskosten anzurechnen.
3. § 3c EStG findet auch dann Anwendung, wenn das BVerfG eine Regelung über die Steuerbefreiung von Einnahmen für mit dem GG unvereinbar erklärt, jedoch anordnet, dass die betreffenden Einnahmen aus Gründen des Vertrauensschutzes steuerfrei zu belassen sind.
4. Erhält der Beamte für seine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eine steuerfreie Aufwandsentschädigung, sind seine Werbungskosten zu dem Teil nicht abziehbar, der dem Verhältnis der steuerfrei gewährten Aufwandsentschädigung zu den in dem Zeitraum der Tätigkeit im Beitrittsgebiet erzielten Gesamteinnahmen entspricht.
Normenkette
EStG 1991 § 3 Nr. 12 S. 1, §§ 3c, 9; BVerfGG § 31 Abs. 1-2
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (EFG 2000, 111) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein Beamter der Baden-Württembergischen Steuerverwaltung, war im gesamten Jahr 1991 an eine Finanzbehörde im Beitrittsgebiet abgeordnet. Er bezog neben seiner Besoldung eine Aufwandsentschädigung für die Tätigkeit im Beitrittsgebiet, die als steuerfrei behandelt wurde (§ 3 Nr. 12 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―). Durch die Tätigkeit im Beitrittsgebiet entstanden ihm Aufwendungen für Dienstantritts-, Heim- und Dienstbeendigungsfahrten sowie ein Mehraufwand für Verpflegung in Höhe von zusammen 28 190 DM. Davon erstattete ihm der Dienstherr 19 097 DM. Den überschießenden Betrag in Höhe von 9 093 DM machte der Kläger neben Kosten für Fachliteratur in Höhe von 411 DM bei der Einkommensteuererklärung für 1991 als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) berücksichtigte dagegen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nur den Arbeitnehmer-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 EStG) in Höhe von 2 000 DM.
Der dagegen gerichteten Klage hat das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 111 veröffentlichten Gründen stattgegeben. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Die Aufwandsentschädigung, die der Kläger erhalten habe, dürfe aus Vertrauensschutzgründen nicht besteuert werden. Dadurch werde sie jedoch nicht zu einer steuerfreien Einnahme, die i.S. von § 3c EStG unmittelbar zum Ausgleich der auf die Tätigkeit im Beitrittsgebiet entfallenden Werbungskosten bestimmt gewesen sei. Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. November 1998 2 BvL 10/95 (BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502) folge, dass neben der steuerfrei gewährten Aufwandsentschädigung sämtliche auf die Tätigkeit im Beitrittsgebiet entfallenden Werbungskosten uneingeschränkt und ungekürzt zusätzlich abziehbar seien. Das zu versteuernde Einkommen eines im Beitrittsgebiet tätigen Beamten könne aufgrund seines auf Vertrauensschutz beruhenden Anspruchs auf Steuerfreistellung der Aufwandsentschädigungen niedriger ausfallen, als es der Rechtslage vor der Entscheidung des BVerfG entsprochen hätte.
Mit seiner dagegen gerichteten Revision rügt das FA sinngemäß die Verletzung von § 3c EStG. Zwar sei der Beschluss des BVerfG in BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502 zu der nach § 17 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) gezahlten Aufwandsentschädigung ergangen; dieser Beschluss gelte gleichermaßen für die in dem Landesbesoldungsgesetz (LBesG) für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet gezahlten Aufwandsentschädigung. Die Schlussfolgerung des FG, § 3c EStG sei nicht (mehr) anwendbar, nachdem das BVerfG die Steuerbefreiung der betreffenden Aufwandsentschädigung als verfassungswidrig erkannt habe, sei jedoch unzutreffend. Diese Aufwandsentschädigung sei als steuerfreie Einnahmen zu qualifizieren. Damit sei auch § 3c EStG grundsätzlich anwendbar.
Das FA beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er trägt vor, das FA versuche durch eine Anrechnung der Aufwandsentschädigung auf die unstreitig entstandenen Werbungskosten indirekt eine zumindest teilweise Besteuerung der Aufwandsentschädigung zu erreichen. Dagegen habe das BVerfG von einer ―an sich verfassungsrechtlich gebotenen rückwirkenden― Besteuerung der sog. Aufwandsentschädigungen aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Fürsorgepflicht des Dienstherrn ausdrücklich abgesehen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Die Vorentscheidung war aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, nach Maßgabe des Beschlusses des BVerfG in BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502 seien die Werbungskosten eines Beamten, der für seine Tätigkeit im Beitrittsgebiet steuerfrei eine Aufwandsentschädigung erhalten hat, ungekürzt zu berücksichtigen. Die einem Beamten für seine Tätigkeit im Beitrittsgebiet gewährte Aufwandsentschädigung ist zwar nicht auf die durch die Abordnung in das Beitrittsgebiet verursachten Reisekosten anzurechnen. Nach § 3c EStG sind die auf die Tätigkeit des Beamten im Beitrittsgebiet entfallenden Werbungskosten jedoch teilweise nicht abziehbar.
1. Der Kläger hat zutreffend die ihm infolge seiner Abordnung in das Beitrittsgebiet entstandenen Reisekosten zunächst um die Reisekostenerstattungen gekürzt und nur den Differenzbetrag als Werbungskosten geltend gemacht. Reisekosten und Verpflegungsmehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Dienstreise entstehen, gehören zu seinen Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Erhält der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber hierfür einen Ausgleich, so handelt es sich dabei grundsätzlich um zusätzlichen Arbeitslohn, dem die genannten Werbungskosten gegenübertreten. Steuerfrei sind dagegen nach § 3 Nr. 13 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung die aus öffentlichen Kassen gezahlten Reisekostenvergütungen, Umzugskostenvergütungen und Trennungsgelder. Vergütungen für Verpflegungsmehraufwendungen sind nur insoweit steuerfrei, als sie die Pauschbeträge nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG nicht übersteigen. Die Steuerbefreiung des Reisekostenersatzes hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer nur diejenigen Aufwendungen als Werbungskosten geltend machen kann, die die Reisekostenentschädigung übersteigen. Dies folgt aus dem Grundgedanken des § 3c EStG (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. April 1993 IX R 26/92, BFHE 171, 443, BStBl II 1993, 784; vom 28. Januar 1988 IV R 186/85, BFHE 153, 11, BStBl II 1988, 635; vom 30. Januar 1986 IV R 247/84, BFHE 146, 65, BStBl II 1986, 401, und vom 10. Dezember 1971 VI R 180/71, BFHE 104, 241, BStBl II 1972, 257).
2. Das FG hat auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung keine Feststellungen zum Inhalt und zur Zweckbestimmung der dem Kläger im Streitfall nach landesrechtlichen Vorschriften gewährten Aufwandsentschädigung getroffen. Diesbezügliche Feststellungen des FG sind jedoch ―ausnahmsweise― entbehrlich.
a) Zwar obliegt es dem Tatsachengericht, entsprechende Feststellungen zu treffen, an die der BFH gemäß § 155 FGO i.V.m. § 562 der Zivilprozessordnung (ZPO a.F., jetzt § 560 ZPO) wie an tatsächliche Feststellungen des FG gebunden ist (vgl. BFH-Urteile vom 24. Oktober 1991 VI R 83/89, BFHE 165, 542, BStBl II 1992, 140; vom 9. Juni 1989 VI R 154/86, BFHE 157, 530, BStBl II 1990, 121, und VI R 27/88, BFHE 157, 535, BStBl II 1990, 123, jeweils m.w.N.). Das BVerfG hat jedoch in dem Beschluss in BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502 unter A. I. a.E. ausgeführt, die für Landesbedienstete geltenden Regelungen über die Aufwandsentschädigung für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet entsprächen jedenfalls in den Grundzügen der bundesrechtlichen Richtlinie. Diese bestimmte, dass "wegen der mit dem Aufenthalt im Beitrittsgebiet verbundenen besonderen Aufwendungen" eine pauschalierte monatliche Aufwandsentschädigung gezahlt werde. Hinsichtlich dieser bundesrechtlichen Aufwandsentschädigung hat das BVerfG angenommen, es handele sich jedenfalls überwiegend um eine Stellenzulage, die im Kern nicht tatsächlich entstandenen Erwerbsaufwand ausgeglichen, sondern einen finanziellen Anreiz für die Übernahme der Stelle im Beitrittsgebiet geboten habe. Dieser Auffassung des BVerfG zur Zweckbestimmung der bundesrechtlichen Aufwandsentschädigung folgt der Senat. Entsprechendes gilt auch für die einem Landesbeamten für die Tätigkeit im Beitrittsgebiet gewährte Aufwandsentschädigung. Diese stellt ebenfalls ―jedenfalls überwiegend― eine Stellenzulage dar. Eine andere Auslegung der der bundesrechtlichen Richtlinie vergleichbaren landesrechtlichen Regelungen würde gegen materielles Bundesrecht verstoßen und wäre deshalb für den Senat nicht bindend (vgl. BFH-Urteile vom 8. März 1995 II R 10/93, BFHE 177, 276, BStBl II 1995, 431; vom 11. September 1991 XI R 16/90, BFHE 165, 466, BStBl II 1992, 132; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 62).
b) Stellt die dem Kläger als Landesbeamten für die Tätigkeit im Beitrittsgebiet gewährte Aufwandsentschädigung ―jedenfalls überwiegend― eine Stellenzulage dar, kommt eine Saldierung der Aufwandsentschädigung mit den vom Kläger als Werbungskosten geltend gemachten Reisekosten nicht in Betracht. Im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502 und die darin enthaltene Anordnung der weiteren Anwendung des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG, hält der Senat nicht mehr an seiner im Beschluss vom 21. Oktober 1994 VI R 15/94 (BFHE 175, 368, BStBl II 1995, 142 unter V. 3.) vertretenen Rechtsauffassung fest, die steuerfrei gewährte Aufwandsentschädigung sei auf die aufgrund der Tätigkeit im Beitrittsgebiet entstandenen Werbungskosten anzurechnen.
3. Die vom Kläger geltend gemachten Werbungskosten sind jedoch zu dem Teil nicht abziehbar, der dem Verhältnis der steuerfrei bezogenen Aufwandsentschädigung zu den in dem Zeitraum der Tätigkeit im Beitrittsgebiet erzielten Gesamteinnahmen entspricht.
a) § 3c EStG in der für das Streitjahr 1991 geltenden Fassung bestimmt, dass Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, nicht als Werbungskosten abgezogen werden dürfen. Bei der dem Kläger nach § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG steuerfrei gezahlten Aufwandsentschädigung handelt es sich um eine steuerfreie Einnahme i.S. des § 3c EStG. Dem steht nicht der Umstand entgegen, dass § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG auch insoweit mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar ist, als er eine an Landesbedienstete für ihre Tätigkeit im Beitrittsgebiet gezahlte Aufwandsentschädigung steuerfrei stellt. Die dem Kläger als Landesbeamten gewährte Aufwandsentschädigung ist aus Vertrauensschutzgründen steuerfrei zu belassen.
b) Zwar hat das BVerfG § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG ausschließlich in seiner Anwendung auf die an Bundesbedienstete für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet gewährte Aufwandsentschädigung mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt; die Bindungswirkung dieser Unvereinbarkeitserklärung betrifft jedoch auch die Anwendung des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG auf die an Landesbedienstete gewährte vergleichbare Aufwandsentschädigung.
aa) Die Bindungswirkung der genannten Entscheidung des BVerfG folgt zwar nicht aus § 31 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG). Nach dieser Vorschrift kommt einer Entscheidung des BVerfG über die Vereinbarkeit einer Norm mit dem GG (§ 13 Nr. 11 BVerfGG), wie sie durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502 getroffen worden ist, Gesetzeskraft zu. Diese Gesetzeskraft erstreckt sich nur auf die Entscheidungsformel ―Tenor― (BVerfG-Urteil vom 31. Januar 1989 1 BvL 17/87, BVerfGE 79, 256, 264; Beschluss vom 30. Mai 1972 1 BvL 21/69 und 18/71, BVerfGE 33, 199, 203; Urteil vom 19. Juli 1966 2 BvF 1/65, BVerfGE 20, 56, 86). Die in Gesetzeskraft erwachsene Entscheidungsformel des Beschlusses in BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502 bezieht sich ausschließlich auf § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG in seiner Anwendung auf die an Bundesbeamte gezahlte Aufwandsentschädigung.
bb) Eine Bindung des Senats folgt aber aus § 31 Abs. 1 BVerfGG. Nach dieser Vorschrift sind die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des BVerfG gebunden. Die Bindungswirkung sichert über die Rechtskraft hinaus die Befolgung der konkreten Entscheidung und ihre Beachtung durch die Hoheitsträger. Sie umfasst nicht nur den Tenor der Entscheidung, sondern auch die tragenden Entscheidungsgründe (BVerfG-Urteil in BVerfGE 20, 56, 87; Beschlüsse vom 20. Januar 1966 1 BvR 140/62, BVerfGE 19, 377, 391 ff.; vom 10. Juni 1975 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88, 93). Die Bindung an diese kann sich aber nur auf den Streitgegenstand beziehen, über den das BVerfG entschieden hat (BVerfG-Beschluss vom 6. November 1968 1 BvR 727/65, BVerfGE 24, 289, 297). Das ergibt sich aus dem Zweck des § 31 Abs. 1 BVerfGG, materiell abweichende Entscheidungen über künftige gleichgelagerte Fälle zu verhindern (vgl. Rennert in Mitarbeiterkommentar zum BVerfGG, 1992, § 31 Rdnr. 59 ff.). Welche Fälle als Folge- oder Parallelfälle vergleichbar sind, lässt sich nur anhand des Streitgegenstands der Entscheidung des BVerfG bestimmen.
cc) Streitgegenstand im Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ―in diesem Verfahren erging der Beschluss in BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502― ist das dem BVerfG zur Überprüfung auf seine Verfassungsmäßigkeit vorgelegte Gesetz. Die Entscheidung im Normenkontrollverfahren entfaltet Bindungswirkung nur hinsichtlich der Feststellung, ob eine bestimmte Norm mit dem GG vereinbar ist (ständige Rechtsprechung, u.a. BVerfG-Beschluss vom 24. Januar 1995 1 BvL 18/93, 5, 6, 7/94, 1 BvR 403, 569/94, BVerfGE 92, 91, 107).
Streitgegenstand im Beschluss des BVerfG in BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502 war ausschließlich die Frage, ob § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG in seiner Anwendung auf die bundesrechtliche Aufwandsentschädigung für das Jahr 1993 mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.
dd) Gleichwohl handelt es sich im Streitfall, der eine landesrechtliche Aufwandsentschädigung betrifft, um einen vergleichbaren Folge- oder Parallelfall. Ebenso wie die bundesrechtliche Richtlinie enthält die landesrechtliche Verwaltungsvorschrift die Formulierung, "wegen der mit dem Aufenthalt im Beitrittsgebiet verbundenen besonderen Aufwendungen" werde eine pauschalierte monatliche Aufwandsentschädigung gezahlt. Selbst wenn es sich bei der landesrechtlichen Aufwandsentschädigung nicht nur jedenfalls überwiegend, sondern ausschließlich um eine Stellenzulage gehandelt haben sollte, wie dies das FG Niedersachsen im Urteil vom 21. Dezember 1999 9 K 444/92 (EFG 2000, 345) in Bezug auf die vergleichbare niedersächsische Regelung angenommen hat, wäre § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG in seiner Anwendung auf die landesrechtliche Aufwandsentschädigung aus denselben Gründen mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, aus denen das BVerfG die Unvereinbarkeit in Bezug auf § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG in seiner Anwendung auf die bundesrechtliche Aufwandsentschädigung festgestellt hat (vgl. auch den Vorlagebeschluss des Senats in BFHE 175, 368, BStBl II 1995, 142). Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass der Beschluss des BVerfG die Anwendung des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG auf eine im Jahre 1993 gewährte Aufwandsentschädigung betraf, während im Streitfall eine im Jahre 1991 gewährte Aufwandsentschädigung in Rede steht.
c) Das BVerfG hat ferner entschieden, eine rückwirkende Nichtanwendung des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG auf die einem Bundesbediensteten gewährte Aufwandsentschädigung komme aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes in den Fällen nicht in Betracht, in denen Steuerpflichtige Verfahren mit dem Ziel der Absetzbarkeit weiterer Werbungskosten führten. Die Bindungswirkung dieser Entscheidung erstreckt sich entsprechend § 31 Abs. 1 BVerfGG darauf, dass auch eine rückwirkende Nichtanwendung des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG auf die einem Landesbediensteten gewährte Aufwandsentschädigung ausscheidet. Sie muss aus dem vom BVerfG herangezogenen Gedanken der Rechtsicherheit und des Vertrauensschutzes auch für die Fälle gelten, in denen die Beteiligten ―wie im Streitfall― nicht über die Absetzbarkeit weiterer Werbungskosten streiten, sondern darüber, ob die dem Bediensteten steuerfrei gezahlte Aufwandsentschädigung auf die als Werbungskosten geltend gemachten Reisekosten anzurechnen ist.
d) Entgegen der Auffassung des FG kann der Kläger jedoch seine mit der Tätigkeit im Beitrittsgebiet im Zusammenhang stehenden Aufwendungen nicht in vollem Umfang zusätzlich neben der Aufwandsentschädigung als Werbungskosten absetzen. Dass § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG nach der Anordnung des BVerfG weiterhin auf die für die Tätigkeit im Beitrittsgebiet gewährte Aufwandsentschädigung anwendbar ist, steht der Anwendung des § 3c EStG nicht entgegen. Das BVerfG hat in dem genannten Beschluss in BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502 unter C. II. 2. c zwar ausgeführt: "Die Bezieher dieser Aufwandsentschädigungen brauchen den Finanzbehörden einen entsprechenden Erwerbsaufwand nicht nachzuweisen, können derartige Aufwendungen vielmehr, soweit sie den Werbungskosten-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 EStG) übersteigen, zusätzlich neben der Steuerfreiheit des § 3 Nr. 12 EStG absetzen."Diesen Ausführungen des BVerfG kommt jedoch keine Bindungswirkung zu, da sie nicht die Entscheidung tragen. Der genannte Beschluss betraf ausschließlich die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG in seiner Anwendung auf die einem Bundesbeamten gewährte Aufwandsentschädigung, nicht aber die einfach-rechtliche Frage, ob die einem Bundesbeamten gewährte Aufwandsentschädigung ganz oder teilweise auf die mit der Tätigkeit im Beitrittsgebiet zusammenhängenden Werbungskosten anzurechnen ist. Der erkennende Senat hält die Anwendung des § 3c EStG auch dann für geboten, wenn ―wie im Streitfall― aufgrund einer Entscheidung des BVerfG eine Steuerbefreiung trotz Verfassungsverstoßes weiterhin zu beachten ist. Dabei kann der vom BVerfG herangezogene Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht dazu führen, dass die Einkommensteuer in diesen Fällen auf einen geringeren Betrag festzusetzen ist, als der Betrag, der sich ergeben hätte, wenn § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG in seiner Anwendung auf die genannte Aufwandsentschädigung verfassungsgemäß gewesen wäre. Der Gedanke des Vertrauensschutzes vermittelt keine günstigere Rechtsposition, als diejenige, die die betroffenen Steuerpflichtigen bei der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG in Anwendung auf die fraglichen Aufwandsentschädigungen innegehabt hätten. Das Vertrauen der betroffenen Steuerpflichtigen auf die gewährte Steuerfreiheit der Aufwandsentschädigungen erfährt dort seine Grenze, wo aus der Anwendung des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG die anteilige Nichtabziehbarkeit von Werbungskosten entsprechend § 3c EStG folgt.
e) Die Anwendung des § 3c EStG setzt voraus, dass zwischen den steuerfreien Einnahmen und den Ausgaben ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang besteht.
aa) Aus dem Erfordernis des unmittelbaren Zusammenhangs ergibt sich, dass solche Aufwendungen vom Abzug ausgeschlossen sind, die nach ihrer Entstehung oder Zweckbestimmung mit den steuerfreien Einnahmen in einem unlösbaren Zusammenhang stehen, d.h. ohne diese nicht angefallen wären (BFH-Urteile vom 11. Februar 1993 VI R 66/91, BFHE 170, 392, BStBl II 1993, 450, sowie vom 29. Januar 1986 I R 22/85, BFHE 146, 132, BStBl II 1986, 479). Die Vorschrift des § 3c EStG dient der Vermeidung einer doppelten Begünstigung von Steuerpflichtigen durch die steuerliche Freistellung von Bezügen einerseits und den Abzug von Werbungskosten andererseits (BFH-Urteil vom 9. Juni 1989 VI R 33/86, BFHE 157, 526, BStBl II 1990, 119). Ein finaler Zusammenhang zwischen den Ausgaben und den Einnahmen ist nicht erforderlich. Ausreichend ist vielmehr die Feststellung einer erkennbaren und abgrenzbaren Beziehung, die im Einzelfall zu prüfen ist (BFH-Urteile in BFHE 170, 392, BStBl II 1993, 450; in BFHE 157, 526, BStBl II 1990, 119; vom 4. März 1977 VI R 213/75, BFHE 122, 265, BStBl II 1977, 507, sowie vom 9. November 1976 VI R 139/74, BFHE 120, 491, BStBl II 1977, 207).
bb) Im Streitfall ist zwischen den Ausgaben und den Einnahmen des Klägers, die auf seine Tätigkeit bei der Finanzbehörde im Beitrittsgebiet entfallen, eine solche erkennbare und abgrenzbare Beziehung gegeben. Der Kläger hat für seine Tätigkeit im Beitrittsgebiet neben seinen Dienstbezügen die steuerfrei gewährte Aufwandsentschädigung erhalten. Zur Erzielung dieser Gesamteinnahmen hat er die auf diese Tätigkeit entfallenden Werbungskosten aufgewendet. Der erforderliche Zusammenhang besteht damit auch zwischen der steuerfrei gewährten Aufwandsentschädigung und solchen Werbungskosten, die ―wie die Aufwendungen für Fachliteratur― auch angefallen wären, wenn der Kläger lediglich seine steuerpflichtigen Dienstbezüge bezogen hätte. Folglich sind die gesamten Werbungskosten des Klägers in einen abziehbaren und einen nach § 3c EStG nicht abziehbaren Teil aufzuteilen.
f) Der nicht abziehbare Teil der Werbungskosten ist nach dem Verhältnis zu bemessen, in dem die steuerfreien Einnahmen zu den betreffenden Gesamteinnahmen stehen (BFH-Urteile in BFHE 170, 392, BStBl II 1993, 450, sowie vom 14. November 1986 VI R 209/82, BFHE 148, 460, BStBl II 1989, 351). Von diesem Aufteilungsverfahren wären nur solche Werbungskosten auszunehmen, die entweder ausschließlich der steuerfreien Aufwandsentschädigung zuzuordnen wären, weil sie etwa durch diese unmittelbar abgegolten werden, oder bei denen sich eine Beziehung zu den steuerfreien Bezügen erkennbar nicht herstellen lässt, weil sie Tätigkeiten dienen, die ausschließlich durch steuerpflichtige Bezüge vergütet werden (BFH-Urteil in BFHE 170, 392, BStBl II 1993, 450). Hinsichtlich der auf die Tätigkeit bei einer Dienststelle im Beitrittsgebiet entfallenden Werbungskosten ist jedoch nicht anzunehmen, dass sie entweder ausschließlich der steuerfreien Aufwandsentschädigung zuzuordnen wären oder dass sie Tätigkeiten gedient hätten, die ausschließlich durch steuerpflichtige Bezüge vergütet worden sind. Dies gilt selbst dann, wenn die für die Tätigkeit im Beitrittsgebiet gezahlte Aufwandsentschädigung nicht nur der Abgeltung immaterieller Belastungen gedient haben sollte, wie dies das Niedersächsische FG im Urteil in EFG 2000, 345 in Bezug auf die vergleichbare Regelung für niedersächsische Landesbeamte angenommen hat, sondern auch für den Fall, dass die Aufwandsentschädigung jedenfalls zum Teil die durch die Tätigkeit im Beitrittsgebiet hervorgerufenen materiellen Mehraufwendungen abgegolten hat. Einer solchen ganz überwiegend als Stellenzulage zu qualifizierenden Zuwendung können, wie der erkennende Senat bereits zu einer steuerfreien Auslandszulage entschieden hat, nicht einzelne Werbungskosten zugeordnet werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 170, 392, BStBl II 1993, 450). Würde eine Zulage, die wegen der mit der Tätigkeit verbundenen besonderen materiellen und immateriellen Belastungen gewährt wird, in vollem Umfang auf die insoweit entstandenen Werbungskosten angerechnet, würde der für die immaterielle Belastung gewährte Ausgleich dann zur Gänze entfallen, wenn die Summe der mit der Tätigkeit zusammenhängenden Werbungskosten die Höhe der Aufwandsentschädigung erreicht bzw. übersteigt.
4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung keine Feststellungen dazu getroffen, welche steuerpflichtigen Einnahmen der Kläger aus seiner nichtselbständigen Arbeit im Beitrittsgebiet erzielt hat. Die gesamten Werbungskosten des Klägers wird das FG nach dem Verhältnis der steuerfreien Einnahmen aus der Aufwandsentschädigung zu den Gesamteinnahmen aufzuteilen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 749311 |
BFH/NV 2002, 1085 |
BStBl II 2002, 823 |
BFHE 198, 545 |
BFHE 2003, 545 |
BB 2002, 1470 |
DB 2002, 1537 |
DStRE 2002, 950 |
HFR 2002, 780 |