Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Anwendung und Überprüfung der Bewertung nach dem sog. Stuttgarter Verfahren
Leitsatz (NV)
1. Die Anteile an einer AG mit dem Sitz in der Schweiz sind nur dann von der VSt im Inland freigestellt, wenn die den Anteilen zuzuordnenden Dividenden nach dem DBA- Schweiz von der Ertragsbesteuerung im Inland ausgenommen sind. Das ist der Fall, wenn der Ausschüttungsempfänger eine im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft ist.
2. Der Wert der von einer schweizerischen Kapitalgesellschaft gehaltenen Anteile an einer anderen schweizerischen Kapitalgesellschaft kann nach dem sog. Stuttgarter Verfahren geschätzt werden.
3. Die Schätzung des Ertragswertes nach dem sog. Stuttgarter Verfahren hat die Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft und damit die Verhältnisse am Bewertungsstichtag zugrunde zu legen. Diese sind nach den zu diesem Zeitpunkt möglichen Erkenntnissen zu ermitteln. Dabei sind nur solche Verhältnisse und Gegebenheiten zu berücksichtigen, die im Bewertungszeitpunkt so hinreichend konkretisiert sind, daß mit ihnen zu diesem Zeitpunkt objektiv als Tatsachen zu rechnen ist. Nicht entscheidend ist, ob dem Steuerpflichtigen diese objektiven Verhältnisse am Stichtag bereits bekannt waren; sie können auch dann berücksichtigt werden, wenn sie ihm erst später bekannt geworden sind. Nach dem Bewertungsstichtag eintretende Ereignisse dürfen jedoch nicht in die Schätzung Eingang finden.
4. Die Rüge, das FG habe entscheidungserhebliche Tatsachen übergangen, erfordert die Darlegung, daß die als übergangen beanstandeten Tatsachen dem FG bekannt waren oder nach Aktenlage hätten bekannt sein müssen.
Normenkette
AO 1977 § 162; BewG 1965 §§ 9, 11 Abs. 2 S. 2, § 106 Abs. 1 S. 2, § 112; FGO § 118 Abs. 2; VStG § 1; DBA CHE Art. 24 Abs. 2 Nr. 1; VStR 1980/1983 Abschn. 76f
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind miteinander verheiratet. Der Ehemann war bis 31. August 1983 zu 66 v. H. und ab 1. September 1983 mit 83 v. H. an der X-AG mit Sitz in der Schweiz beteiligt. Die Aktien der X-AG waren weder zum amtlichen Handel an einer deutschen Börse zugelassen noch wurden sie an einer ausländischen Börse gehandelt. Die X-AG ist eine Holdinggesellschaft; sie hielt in den Streitjahren jeweils 99 v. H. der Anteile der Y-Ltd. (Y) sowie der Z-Ltd. (Z); auch diese Unternehmen hatten ihren Sitz jeweils in der Schweiz.
Bei den Vermögensteuerveranlagungen auf die Veranlagungszeitpunkte 1. Januar 1980 bis einschließlich 1. Januar 1984 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die gemeinen Werte der Anteile an der X-AG an, die er auf der Grundlage des Vermögenswertes in entsprechender Anwendung des sog. Stuttgarter Verfahrens ermittelt hatte. Die gemeinen Werte der Beteiligungen der X-AG an der Y und der Z schätzte das FA ebenfalls nach dem Stuttgarter Verfahren. Die Z handelte mit ... - Maschinen zu einem Stückpreis von ca. ... sfr, die sie nach einem ihr gehörenden Patent jeweils in Einzelanfertigung herstellen ließ.
Die Klage, mit der sich die Kläger gegen die Höhe der vom FA angesetzten Werte der Anteile an der Y und an der Z gewandt und eine Herabsetzung der Vermögensteuer auf alle fünf Veranlagungszeitpunkte begehrt hatten, hatte keinen Erfolg. Ihre Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) haben die Kläger auf die Veranlagungszeitpunkte 1. Januar 1982 bis 1. Januar 1984 sowie auf den Wert der Beteiligung der X-AG an der Z zu den entsprechenden Stichtagen beschränkt.
Sie rügen einen Verstoß gegen §§ 9, 11 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der an den Stichtagen maßgebenden Fassung und Abschn. 79 der Vermögensteuer-Richtlinien (VStR) 1980/1983 i. V. m. § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) sowie mangelnde Sachaufklärung.
Die Kläger beantragen, die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1982 von ... DM auf ... DM, auf den 1. Januar 1983 von ... DM auf ... DM und auf den 1. Januar 1984 von ... DM auf ... DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Zutreffend ist der Wert der Anteile an der X-AG in die Bemessungsgrundlage für die Vermögensteuer einbezogen worden. Die Kläger sind mit ihrem Gesamtvermögen unbeschränkt vermögensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 des Vermögensteuergesetzes). Die Anteile an der X-AG zählen als sonstiges Vermögen der Kläger zu ihrem Gesamtvermögen. Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Ver mögen vom 11. August 1971 -- DBA- Schweiz -- (BGBl II 1972, 1022) steht einer Besteuerung nicht entgegen. Die Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 2 Nr. 1 DBA- Schweiz sind nicht erfüllt. Danach sind die Anteile an der X-AG nur dann von der Vermögensteuer im Inland freigestellt, wenn die den Anteilen zuzuordnenden Dividenden nach Art. 24 Abs. 1 Buchst. b DBA- Schweiz von der Ertragsbesteuerung im Inland ausgenommen wären. Das ist nicht der Fall, denn Ausschüttungsempfänger war im Streitfall nicht, wie diese Vorschrift voraussetzt, eine unbeschränkt im Inland steuerpflichtige Kapitalgesellschaft, sondern eine natürliche Person.
2. Unbedenklich ist, daß der Wert der von der X-AG gehaltenen Anteile an der Z gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Z geschätzt worden ist. Hierzu konnte sich das FA, wie das FG zu Recht angenommen hat, auf das in Abschn. 76 f. VStR 1980/1983 geregelte sog. Stuttgarter Verfahren stützen; dieses Verfahren entspricht den Anforderungen des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 6. Februar 1991 II R 87/88, BFHE 163, 471, BStBl II 1991, 459). Wie der erkennende Senat in dieser Entscheidung näher begründet hat, durfte das FG seiner eigenen Schätzung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. § 162 AO 1977) die Wertermittlung des FA auf der Grundlage des Stuttgarter Verfahrens zugrunde legen und sich darauf beschränken, die dagegen vorgebrachten Einwendungen der Kläger zu prüfen. Die revisionsrechtliche Nachprüfung der Entscheidung des FG beschränkt sich auf zulässige und begründete Revisionsrügen gegen das vom FG gewonnene Schätzungsergebnis.
3. Die Revisionsbegründung, die sich nur gegen die Vermögensteuerveranlagung auf die Veranlagungszeitpunkte 1. Januar 1982 bis 1. Januar 1984 richtet und sich auf Einwendungen gegen die in die Schätzung der gemeinen Werte der Anteile an der Z eingegangenen Ertragswerte beschränkt, ist nicht geeignet, die Vorentscheidung in Frage zu stellen.
a) Insbesondere ist die Vorentscheidung nicht deshalb fehlerhaft, weil das FG es hingenommen hat, daß das FA zur Ermittlung des voraussichtlichen künftigen Jahresertrages auf den bisherigen tatsächlich erzielten durchschnittlichen Jahresertrag abgestellt hat (Abschn. 78 Abs. 1 Satz 1 und 2 VStR) und nicht auf die nach den jeweiligen Bewertungsstichtagen tatsächlich erzielten Erträge. Denn die Schätzung des Ertragswertes als einer der beiden Komponenten der Wertermittlung (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG) nach dem sog. Stuttgarter Verfahren hat die Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft und damit die Verhältnisse am Bewertungsstichtag (§ 106 Abs. 1 Satz 2, § 112 BewG) zugrunde zu legen. Diese sind nach den zu diesem Zeitpunkt möglichen Erkenntnissen zu ermitteln. Dafür, daß das FG auf der Grundlage des von ihm festgestellten und seiner Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts bei der Überprüfung der Schätzung des FA solche Erkenntnisse nicht beachtet habe, ergeben sich keine Anhaltspunkte.
Unbedenklich ist im Streitfall, daß das FG es gebilligt hat, daß statt des Betriebsergebnisses der letzten drei Jahre vor dem Bewertungsstichtag das der letzten vier bzw. der letzten fünf Jahre vor diesem Zeitpunkt zugrunde gelegt worden ist, weil, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, sich dies zugunsten der Kläger ausgewirkt hat; Revisionsrügen sind insoweit nicht erhoben worden. Aus der Einbeziehung des letzten vor dem jeweiligen Bewertungsstichtag erzielten Jahresergebnisses als Grundlage für die Ermittlung der Ertragsaussichten folgt auch nicht, wie die Kläger vortragen lassen, daß Umstände, die nach dem jeweiligen Stichtag eingetreten sind, deshalb zu berücksichtigen seien, weil es praktisch unmöglich sei, wegen der erst nach dem Stichtag erfolgenden Feststellung des Jahresergebnisses, das bis dahin erworbene Wissen auszuschalten. Diese Argumentation verkennt, daß für die Schätzung der Ertragsaussichten nur solche Verhältnisse und Gegebenheiten berücksichtigt werden, die im Bewertungszeitpunkt so hinreichend konkretisiert sind, daß mit ihnen zu diesem Zeitpunkt objektiv als Tatsachen zu rechnen ist. Nicht entscheidend ist dagegen, ob dem Steuerpflichtigen -- wie die Kläger meinen -- diese objektiven Verhältnisse am Stichtag bereits bekannt waren; sie können auch dann noch berücksichtigt werden, wenn sie ihm erst später bekannt geworden sind. Nach dem Bewertungsstichtag eintretende Ereignisse dürfen jedoch nicht in die Schätzung Eingang finden, auch wenn sie anläßlich der Ermittlung des letzten Jahresergebnisses bekannt werden. Dies würde ebenso sowohl dem Stichtagsprinzip als auch dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG widersprechen, wie die Einbeziehung von tatsächlichen Jahresergebnissen nach dem Bewertungsstichtag zur Bestimmung des voraussichtlichen künftigen Jahresergebnisses (vgl. Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 11 BewG Anm. 293).
b) Soweit die Käger mit der Revision vortragen lassen, die Folgerungen des FG stünden in Widerspruch zu dem unstreitigen Sachverhalt, haben sie keinen Erfolg. Die Würdigung des FG verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze; auch hat das FG seiner Entscheidung keinen anderen als den von ihm festgestellten Sachverhalt zugrunde gelegt. Der von den Klägern als unstreitig bezeichnete Sachverhalt ist vom FG nicht festgestellt worden. Sollten die Kläger mit ihrer Wendung geltend machen wollen, daß die Sachverhaltsfeststellung des FG fehlerhaft gewesen seien, geht ihr Revisionsangriff ins Leere, weil sie keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben haben (§ 118 Abs. 2 FGO). Das gilt insbesondere für das Vorbringen der Kläger, daß es zwar gelungen sei, unmittelbar nach Gründung der Z bereits im Jahr 1980 zwei Maschinen zu verkaufen, die in den Jahren 1981 und 1982 ausgeliefert worden seien. Der schnelle Anfangserfolg habe sich jedoch nicht fortgesetzt, weil sich unmittelbar nach der Lieferung der ersten Maschine erhebliche Mängel gezeigt hätten, so daß die erwarteten Nachbestellungen nicht erfolgt seien; 1981 und 1982 seien keine Aufträge mehr eingegangen. Zu Unrecht habe das FG daher für den Stichtag 1. Januar 1982 an genommen, daß noch Ertragserwartungen bestanden hätten. Vielmehr habe die Geschäftsführung an diesem Stichtag die Mängel der Maschine gekannt, weil die Abnehmer sie unmittelbar nach der Montage gerügt habe. Die Folgerung des FG stehe daher in Widerspruch zu diesem unbestrittenen Sachverhalt.
Zwar ist das FG bei seiner Entscheidung insoweit von einem hiervon abweichenden Sachverhalt ausgegangen, als es ausgeführt hat, daß an den maßgeblichen Bewertungsstichtagen nicht erkennbar gewesen sei, daß künftig mit anderen Jahresergebnissen zu rechnen sei; für die Behauptung der Kläger, Z habe an den Bewertungsstichtagen keine Anschlußaufträge gehabt, lägen keine nachprüfbaren Belege vor. Ein revisionsrechtlich zu beachtender Mangel der Vorentscheidung ergibt sich hieraus jedoch nicht. Selbst wenn man davon ausginge, daß die Kläger innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zum Ausdruck gebracht hätten, daß das FG entscheidungserhebliche Tatsachen übergangen habe, genügt dies nicht zur Begründung einer Verfahrensrüge, denn die Kläger haben nicht dargelegt, daß die von ihnen als übergangen beanstandeten Tatsachen, insbesondere die Kenntnis der Mängel der Maschine und der sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Konsequenzen, dem FG bekannt waren oder nach Aktenlage hätten bekannt sein müssen. Auch eine zulässige und begründete Rüge mangelnder Sachaufklärung enthält die Revisionsbegründung nicht. Das Vorbringen der Kläger stellt sich somit als im Revisionsverfahren nicht zu beachtendes neues tatsächliches Vorbringen dar (§ 118 Abs. 2 FGO).
Entsprechendes gilt für den Vortrag der Kläger, das FG habe es zu Unrecht als Indiz für die zu den Bewertungsstichtagen noch begründeten Ertragserwartungen angesehen, daß der Geschäftsbetrieb fortgeführt und sogar noch eine massive Werbekam pagne durchgeführt worden sei. Eine Liquidation oder ein Konkurs der Z sei nämlich im Interesse der Unternehmensgruppe nicht in Frage gekommen; es habe sich auch nicht um eine Werbekampagne gehandelt, sondern im wesentlichen um Kosten für einen langfristig gemieteten Ausstellungsplatz auf einer Fachmesse. Die Kläger tragen damit lediglich einen anderen Sachverhalt vor, als ihn das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Sie legen aber nicht dar, weshalb das FG von diesem Sachverhalt hätte ausgehen müssen. Der BFH kann seine Entscheidung nur auf solche Tatsachen gründen, die im finanzgerichtlichen Urteil oder durch zulässige Bezugnahmen enthalten sind. Das gilt auch für offenkundige und unstreitige Tatsachen. Neue Tatsachen (durch neues Vorbringen) können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (zu den Mindestanforderungen an die Revisionsbegründung vgl. BFH-Urteil vom 5. November 1968 II R 118/67, BFHE 94, 116, BStBl II 1969, 84).
Neues nicht mehr zu berücksichtigendes tatsächliches Vorbringen enthalten die Ausführungen der Revision auch zu den finanziellen Entwicklungen der Z, zur Entwicklung des Absatzes, der nicht, wie das FG angenommen habe, gestockt habe, sondern nicht mehr vorhanden gewesen sei, und zur mangelnden Konkurrenzfähigkeit der von der Z entwickelten Maschine. Es besteht daher auch kein Anlaß für den erkennenden Senat zu prüfen, ob hierin besondere Umstände gesehen werden könnten, die durch Abschläge gemäß Abschn. 79 Abs. 3 VStR zu berücksichtigen sein könnten.
Fundstellen
Haufe-Index 421594 |
BFH/NV 1997, 157 |