Wegzugsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz (AStG)
Hintergrund: Übertragung von GmbH-Anteilen an einen USA-Ansässigen
Streitig war, ob eine teilentgeltliche Übertragung von GmbH-Anteilen der Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG unterliegt. Die Entscheidung betrifft § 6 AStG in der Fassung vor der Reform der Wegzugsbesteuerung durch das ATAG-Umsetzungsgesetz v. 25.6.2021 (BGBl I 2021, 2035). Die Neuregelung gilt ab 2022. Das Urteil hat auch für die Neuregelung Bedeutung.
Der Vater (V) übertrug in 2009 an seinen Sohn (S), der die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besaß und im Zeitpunkt der Übertragung in den USA ansässig war, einen Geschäftsanteil an einer GmbH mit Sitz im Inland. Das Vermögen der GmbH bestand überwiegend aus im Inland belegenem Grundvermögen. In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hatte V weitere Geschäftsanteile an der GmbH an seine Ehefrau (E) übertragen.
Das FA behandelte die Übertragungen auf S und E als teilentgeltliche Erwerbe und setzte für V einen steuerpflichtigen Übertragungsgewinn für die Übertragung auf S und E an.
Für den unentgeltlichen Teil der Übertragung auf S bejahte das FA die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG. Es ermittelte einen (weiteren) Veräußerungsgewinn und setzte die ESt für V entsprechend fest.
Das FG folgte dem FA und wies die gegen die Wegzugsbesteuerung gerichtete Klage des V ab.
Entscheidung: Keine einschränkende Auslegung des § 6 AStG
§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG ist im Streitfall erfüllt. Eine einschränkende Auslegung kommt nicht in Betracht.
Rechtslage
V hat die Anteile an der GmbH, an der er innerhalb der letzten fünf Jahre zu mindestens 1 % beteiligt war, durch teilweise unentgeltliches Rechtsgeschäft auf seinen nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Sohn S übertragen. Damit sind bei V dem Wortlaut nach die Voraussetzungen der Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG erfüllt.
Keine einschränkende Auslegung
§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG ist (entgegen der Auffassung des V) weder aus teleologisch-historischen noch aus systematischen Gründen einschränkend dahingehend auszulegen, dass durch die unentgeltliche Anteilsübertragung auf einen beschränkt Steuerpflichtigen das Recht Deutschlands zur Besteuerung der in den unentgeltlich übertragenen Anteilen ruhenden stillen Reserven ausgeschlossen oder beschränkt werden müsste.
Zwar wurde (mit Blick auf § 6 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 3 AStG) in der Fachwelt kritisiert, dass der Besteuerungstatbestand u.a. deshalb zu weit reiche, weil er nicht voraussetzt, dass das deutsche Besteuerungsrecht für den Gewinn aus der Veräußerung der Anteile im Zuge der Übertragung ausgeschlossen oder zumindest beschränkt wird. Diese Erwägungen haben jedoch keinen Eingang in den Gesetzeswortlaut gefunden.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken
Die mit der Revision verfolgte einengende Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG ist auch nicht aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten. Denn eine verfassungskonforme Auslegung scheidet aus, wenn sie dem Wortlaut der auszulegenden Norm sowie dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes widerspricht (BFH v. 10.4.2013, I R 80/12, BStBl II 2013, S. 1004).
Die Norm durchbricht zwar das Realisationsprinzip, nach dem Wertzuwächse grundsätzlich erst bei einer transaktionsbezogenen Gewinnrealisierung erfasst werden dürfen. Jedoch ist ausnahmsweise die Abrechnung der vorhandenen stillen Reserven bereits vorher ohne Transaktion zulässig, wenn ein späterer Steuerzugriff (z.B. aufgrund von DBA) nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich wäre. § 6 Abs. 1 AStG verlagert damit lediglich die Besteuerung zeitlich vor, die nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG grundsätzlich vorgesehen ist (BFH v. 25.8.2009, I R 88, 89/07, BStBl II 2016, 438).
Kein Verstoß gegen Unionsrecht
Die einengende Auslegung ist im Streitfall auch nicht unionsrechtlich geboten. Zwar ist bei einer Schenkung von Anteilen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) einschlägig. Damit stellt sich jedoch nicht die Frage der Rechtfertigung der sofortigen Entstrickungsbesteuerung nach § 6 AStG. Denn die sog. Standstill-Klausel (Art. 64 Abs. 1 AEUV) greift ein, weil mit der Übertragung der Anteile von V auf S eine Direktinvestition i.S.v. Art. 64 Abs. 1 Satz 1 AEUV vorliegt und § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG für Schenkungen seit dem Stichtag (31.12.1993) unverändert gegolten hat. V kann sich damit nicht auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen.
Kein Verstoß gegen DBA
Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 24 Abs. 1 DBA-USA (Verbot der höheren Besteuerung von Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaats) vor. Dieses Verbot greift schon deshalb nicht ein, weil die Steuerpflicht des V nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt des S als Erwerber anknüpft. Art. XI des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags vom 29.10.1954 zwischen Deutschland und den USA ist nicht anwendbar, weil Art. 24 DBA-USA die einzige Rechtsgrundlage für die Geltendmachung von Ansprüchen auf diskriminierungsfreie Behandlung im Anwendungsbereich des DBA-USA bildet (BFH v. 3.9.2020, I R 80/16, BStBl II 2021, S. 237).
Hinweis: Kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
V (bzw. E als dessen Rechtsnachfolgerin) hatte vor dem FG gerügt, in der sofortigen Besteuerung der an den (nicht unbeschränkt steuerpflichtigen) S übertragenen stillen Reserven im Rahmen der Wegzugsbesteuerung liege eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber der nicht besteuerten Übertragung an die (unbeschränkt steuerpflichtige) E. Das FG hat insoweit zutreffend auf die Unterschiedlichkeit der Sachverhalte hingewiesen. Der Ersatztatbestand in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG wurde für den Fall des Transfers des Besteuerungssubstrats in das Ausland geschaffen. Im Fall der E verblieb es in Deutschland.
BFH Urteil vom 08.12.2021 - I R 30/19 (veröffentlicht am 27.05.2022)
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