Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsfreie Revision -- Nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts -- Fehlen von Entscheidungsgründen
Leitsatz (NV)
1. Zu den Voraussetzungen der schlüssigen Rüge nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts wegen
-- Vereitelung der Ermittlung des gesetzlichen Richters,
-- Verstoßes gegen den Geschäftsverteilungsplan des FG,
-- Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens der ehrenamtlichen Richter und
-- fehlender Beratung nach mündlicher Verhandlung.
2. Zu den Voraussetzungen der schlüssigen Rüge fehlender Entscheidungsgründe wegen
-- nicht zureichender Darstellungen im Tatbestand,
-- lückenhafter rechtlicher Begründung der Entscheidung,
-- formelhafter Begründungen und
-- stillschweigenden Übergehens selbständiger Angriffs- und Verteidigungsmittel.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 5
Tatbestand
Aufgrund verschiedener Einwendungen des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) erteilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) diesem unter dem 3. Januar 1989 einen Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer Mai 1988, der unter dem 1. Februar 1989 berichtigt wurde. Ferner erteilte das FA dem Kläger hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 1987 unter dem 24. Januar 1989 einen Abrechnungs bescheid, der unter dem 27. Januar 1989 berichtigt wurde. Auf die Beschwerden des Klägers hin wurden diese Abrechnungsbescheide mit Schreiben des FA vom 21. Juni 1989 wieder aufgehoben. Zwischenzeitlich hatte die Oberfinanzdirektion (OFD) dem Kläger unter dem 10. Mai 1989 aufgrund bestehender Streitigkeiten eine Aufstellung über die Buchungsvorgänge beim FA hinsichtlich der Umsatzsteuerkonten des Klägers für die Jahre 1986 bis 1988 übersandt. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 16. Mai 1989 Bedenken und begehrte "ordnungsgemäße" Abrechnungen. Mit Schreiben vom 14. August 1989 wiederholte er u. a. sein Begehren auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids zur Umsatzsteuer 1986, zur Umsatzsteuer Mai 1988 und hinsichtlich der Säumniszuschläge Umsatzsteuer 1987. Gleichzeitig erhob er Untätigkeitsbeschwerde.
Unter dem 3. November 1989 teilte die OFD dem Kläger mit, daß wegen des Umfangs seiner Eingaben die Bearbeitung einige Zeit in Anspruch nehmen werde. Mit Beschwerdeentscheidung vom 10. Januar 1990 verwarf die OFD die Untätigkeitsbeschwerde als unzulässig. Zur Begründung führte die OFD aus: Über die vom Kläger gestellten Anträge auf Erlaß von Abrechnungsbescheiden sei nicht innerhalb angemessener Frist nicht entschieden worden. Angemessen sei grundsätzlich eine Frist von sechs Monaten, der Kläger habe die Untätigkeitsbeschwerde jedoch schon drei Monate nach Erteilung eines Zwischenbescheides, nämlich des Schreibens der OFD vom 10. Mai 1989, erhoben. Bei der Vielzahl der vom Kläger gestellten Anträge, eingelegten Rechtsbehelfe und erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerden seien Gründe, die eine kürzere Frist für angemessen erscheinen ließen, nicht ersichtlich gewesen.
Unter dem 25. Januar 1990 erließ das FA gegenüber dem Kläger Abrechnungsbescheide zur Umsatzsteuer 1986 bis 1988 einschließlich Säumniszuschlägen, die Gegenstand der beim Senat anhängigen Verfahren ... und ... sind. Im Klagewege hat sich der Kläger erfolglos gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD vom 10. Januar 1990 mit dem Antrag gewandt, die Rechtswidrigkeit der Beschwerdeentscheidung festzustellen.
Das Finanzgericht (FG) wies die vom Kläger geltend gemachten Rügen gegen das gerichtliche Verfahren wegen fehlerhafter Besetzung des Gerichts, Verletzung des gesetz lichen Richters, Verletzung rechtlichen Gehörs, nicht ordnungsgemäßer Gewährung von Akteneinsicht, Verletzung des Prinzips des fairen Verfahrens, nicht erfolgter Terminsaufhebung, -verlegung, -vertagung, Nichterledigung von Anträgen auf Aussetzung des Verfahrens, auf Beiziehung weiterer Akten, auf Beweiserhebung, auf Sachverhaltsermittlung, auf Vorabentscheidung u. a. m. zurück. Außerdem führte das FA aus: Werde mit der Beschwerdeentscheidung eine Untätigkeitsbeschwerde als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen, könne der Betroffene die Beschwerdeentscheidung nicht isoliert angreifen, sondern müsse Klage auf Erteilung des oder der beantragten Verwaltungsakte unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung erheben. Das Verfahren der Untätigkeitsbeschwerde ersetze (nur) das für eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erforderliche Vorverfahren. Für eine Klage auf Aufhebung der Untätigkeitsbeschwerdeentscheidung sei daneben kein Raum. Die Beschwerdeentscheidung sei nicht rechtswidrig. Angesichts des umfassenden Vorbringens des Klägers zu dem Schreiben der OFD vom 10. Mai 1989 und des Schriftwechsels zwischen Kläger, FA und OFD, der sich dazu entwickelt habe, könne nicht festgestellt werden, daß im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung die Anträge des Klägers auf Erlaß von Abrechnungsbescheiden innerhalb angemessener Frist zu Unrecht nicht beschieden worden wären.
Der Kläger hat gegen das Urteil des FG Nichtzulassungsbeschwerde und gleichzeitig Revision eingelegt. Mit der Revision rügt der Kläger, die Entscheidung des FG sei mit wesentlichen Verfahrensmängeln i. S. von § 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) behaftet.
Das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO). Die Ermittlung des gesetzlichen Richters sei ihm -- dem Kläger -- durch das FG vereitelt worden. Trotz Antrags sei ihm die Besetzung des Spruchkörpers vor der mündlichen Verhandlung nicht mitgeteilt worden. Insbesondere habe er nicht die ordnungsgemäße Heranziehung der ehrenamtlichen Richter prüfen können, da ihm am Tag der mündlichen Verhandlung zur Prüfung zahlreicher Karteikarten nur 20 Minuten eingeräumt worden seien. Auch sei das Wahlverfahren der ehrenamtlichen Richter rechtswidrig gewesen, da die Vorschlagsliste nur Verbandsmitglieder enthalten habe. Des weiteren habe nach der mündlichen Verhandlung keine Beratung stattgefunden. Das Urteil habe vielmehr bereits vor der mündlichen Verhandlung festgestanden. Den FG-Akten sei zu entnehmen, daß der Urteilstenor schon vorher abgesetzt worden sei. Das Urteil des FG sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO). Es gehe nicht auf das Begehren des Klägers ein; selbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel (tatsächliche Dauer der Untätigkeit, Ermessensfehler, verfassungsrechtliche Einwendungen, Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH -- zur isolierten Anfechtung) seien mit Stillschweigen übergangen worden. Der Sachverhalt sei fehlerhaft und unvollständig, wesentliches Vorbringen des Klägers werde im Tatbestand nicht erwähnt und sei nicht beachtet worden. Die Entscheidungsgründe seien formelhaft; eine Überprüfung des Urteils sei nahezu unmöglich, da es keine überprüfbaren Rechtssätze enthalte. Dem FG sei eine fehlerhafte Rechtsanwendung vorzuwerfen, da es den wirklichen Willen des Klägers nicht richtig ausgelegt und auch die von ihm dargelegte Befangenheit der Verwaltungsbediensteten sowie deren fehlerhafte Ausübung des Verwaltungsermessens nicht beachtet habe. Im übrigen rügt der Kläger weitere Verfahrensmängel, die er auch mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht hat (Verletzung des rechtlichen Gehörs, verhinderte Akteneinsicht, Verletzung des Willkürverbots sowie weiteren Verfassungsrechts durch fehlerhafte Prozeßführung).
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig; sie ist gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.
1. Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH EntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat oder wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO gegeben ist. Das FG hat im Streitfall die Revision nicht zugelassen; die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wurde durch Beschluß des erkennenden Senats vom heutigen Tage als unbegründet zurückgewiesen. Gründe, die eine zulassungsfreie Revision nach § 116 FGO gerechtfertigt erscheinen lassen, liegen nicht vor. Zwar hat der Kläger die Rüge nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts und das Fehlen von Entscheidungsgründen und damit wesentlicher Verfahrensmängel nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 FGO geltend gemacht. Verfahrensmängel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO sind jedoch nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, die Mängel ergeben, d. h., wenn sie schlüssig vorgetragen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluß vom 19. Januar 1993 VII R 121/92, BFH/NV 1994, 40 m. w. N.). Daran fehlt es im Streitfall.
2. Mit der Verfahrensrüge gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO wird geltend gemacht, das FG sei bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen.
a) Die ordnungsgemäße Geltendmachung dieser Rüge setzt voraus, daß konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Besetzung des FG dargelegt werden (BFH-Urteil vom 30. Oktober 1974 I R 40/72, BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232). Dazu muß der Kläger ggf. eigene Ermittlungen anstellen und auf der Grundlage der ihm erteilten Auskünfte oder der ihm möglichen Einsicht in die Regelungen über die Geschäftsverteilung Tatsachen darlegen, die seiner Meinung nach den Besetzungsmangel begründen (BFH-Beschluß vom 18. März 1987 V R 96/86, BFH/NV 1987, 591 m. w. N.). Ein Verfahrensfehler i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist bei unrichtiger Anwendung einer Vorschrift, die die Besetzung des Gerichts betrifft, außerdem nur dann anzuerkennen, wenn sich der Gesetzesverstoß zugleich als Verletzung des in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) niedergelegten Gebots des gesetzlichen Richters darstellt (BFH-Beschluß vom 18. August 1992 VIII R 9/92, BFHE 168, 508, BStBl II 1993, 55, und Urteil vom 17. Januar 1989 VII R 187/85, BFH/NV 1989, 532, jeweils mit umfangreichen Nachweisen der Rechtsprechung anderer oberster Bundesgerichte). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verstößt nur eine gerichtliche Entscheidung gegen das Gebot des gesetzlichen Richters, die von willkürlichen Erwägungen bestimmt ist. Von Willkür kann nur dann die Rede sein, wenn die Entscheidung sich soweit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, daß sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (BVerfG-Beschluß vom 23. Juni 1981 2 BvR 1107/77 u. a., BVerfGE 58, 1, 45).
b) Der Vortrag des Klägers reicht nicht aus, um daraus eine schlüssig begründete Besetzungsrüge entnehmen zu können.
Der Einwand des Klägers, ihm sei die Besetzung der Richterbank nicht vorab mitgeteilt worden, ist für sich allein im Hinblick auf die Rüge eines Verfahrensverstoßes gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO unerheblich. Dazu hätte der Kläger in seiner Revisionsbegründung zumindest noch vortragen müssen, gegen welche Richter er welche Einwände habe. Die konkrete Besetzung des Gerichts wird von ihm jedoch nicht näher gerügt. Auch gegen die ehrenamt lichen Richter hat er in seiner Revisions begründung keine konkreten Einwendungen vorgebracht. Zur Begründung der Rüge reicht es nicht aus vorzutragen, er habe die ordnungsgemäße Heranziehung der ehrenamtlichen Richter vor der münd lichen Verhandlung nicht prüfen können. Bei einer solchen Sachlage hätte er nach der mündlichen Verhandlung Ermittlungen anstellen und die ermittelten Tatsachen vortragen müssen. Der Kläger behauptet nicht, daß das FG ihn daran gehindert hat, nach der Verhandlung etwa die Unterlagen über die Wahl und Heranziehung der ehrenamtlichen Richter zu prüfen.
Auch die Einwände des Klägers gegen die Zuständigkeit des FG-Senats sind nicht schlüssig begründet. Der Kläger trägt selbst vor, daß der Geschäftsverteilungsplan des FG die Zuständigkeit des Senats für Abrechnungsbescheide vorsehe. Da es im Streitfall um den Vorwurf des Klägers geht, das FA sei im Hinblick auf den Erlaß von Abrechnungsbescheiden untätig geblieben, ist die Zuständigkeit des FG-Senats schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers gegeben. Die Einwände bezüglich der Wahl der ehrenamtlichen Richter reichen ebenfalls nicht aus, um eine Besetzungsrüge zu begründen. Der Kläger macht sinngemäß geltend, die Vorschlags liste der ehrenamtlichen Richter (§ 25 FGO) sei deshalb nicht ordnungsgemäß aufgestellt worden, weil sie nur Verbandsmitglieder enthalte. Nach § 25 FGO soll der Präsident des FG, der die Vorschlags liste für die Wahl der ehrenamtlichen Richter aufstellt, die Berufsvertretungen zuvor hören. Diese Vorschrift schreibt aber nicht vor, daß in der Vorschlagsliste alle Bevölkerungsgruppen gleichmäßig zu berücksichtigen sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift des § 36 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), nach der die Vorschlagsliste für Schöffen, die bei der Verhandlung und Entscheidung in Straf sachen mitwirken, "alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigen" soll, sinngemäß auf die Vorschlagsliste für ehrenamtliche Richter anzuwenden ist, die bei der Urteilsfindung in finanzgerichtlichen Sachen mitwirken (§ 155 FGO). Denn selbst wenn man dies bejahte, würde ein Verstoß gegen diese bloße Sollvorschrift keinen Einfluß auf die Ordnungsmäßigkeit der Wahl haben (BFH- Beschluß vom 4. März 1987 II R 47/86, BFHE 149, 23, BStBl II 1987, 438; Urteil in BFH/NV 1989, 532, und Beschluß vom 31. Juli 1989 VIII R 41/86, BFH/NV 1990, 511).
Der weitere Einwand des Klägers, das FG habe ohne Beratung entschieden und der Urteilstenor sei bereits vor der mündlichen Verhandlung abgesetzt worden, begründet ebenfalls nicht schlüssig die Verfahrens rüge des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Soweit der Kläger geltend macht, das Protokoll der mündlichen Verhandlung weise keine Beratung aus, ist dieser Einwand unerheblich, da der davon betroffene Vorgang nicht zum Inhalt des Protokolls i. S. des § 94 FGO i. V. m. § 160 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gehört. Er kann auch schon deswegen nicht in das Protokoll aufgenommen werden, weil die Beratung regelmäßig nach Schluß der mündlichen Verhandlung (vgl. § 93 Abs. 3 Satz 1 FGO), auf jeden Fall aber außerhalb dieser Sitzung (vgl. § 52 FGO i. V. m. §§ 192 bis 197 GVG) erfolgt. Das weitere Vorbringen des Klägers, der Urteilstenor sei bereits vor der münd lichen Verhandlung schriftlich abgesetzt worden, enthält schon deshalb keine schlüssige Begründung einer Verfahrensrüge, weil es nicht rechtswidrig ist, wenn der Berichterstatter die Urteilsformel als Beschlußvorschlag vor der mündlichen Verhandlung erstellt. Erst die Unterschriften zumindest der Berufsrichter machen den Vorschlag zum Urteil des Senats (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 105 Anm. 6). Der Kläger hat aber nicht vorgetragen, daß die Berufsrichter das Urteil bereits vor der Verhandlung unterzeichnet hätten.
3. Die Verfahrensrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO betrifft das Fehlen der rechtlichen Begründung des Urteils.
a) Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO müssen Urteile begründet werden. Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen liegt deshalb nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417). Das ist insbesondere der Fall, wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt, oder wenn nicht ersichtlich ist, auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt (BFHE 143, 325). Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe auch dann, wenn das FG einen selbständigen prozessualen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (vgl. BFH-Beschluß vom 28. April 1993 II R 123/91, BFH/NV 1994, 46, und Urteil vom 12. April 1991 III R 181/90, BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638 m. w. N.). Unter selbständigen Ansprüchen und selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln sind nur die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (BFH- Beschluß vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351).
b) Trotz ihrer Ausführlichkeit bezeichnen die Ausführungen des Klägers in seiner Revisionsbegründungsschrift nicht die den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz FGO genügenden Tatsachen, die einen wesentlichen Begründungsmangel der Vorentscheidung schlüssig ergeben.
Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung im Urteil nicht ausreichend oder nicht richtig dargestellt, ergibt sich daraus noch kein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO. Ein solcher liegt nur vor, wenn eine hinreichende rechtliche Begründung fehlt, nicht jedoch schon dann, wenn Darstellungen im Tatbestand fehlen oder unzureichend sind (BFH-Beschlüsse vom 18. Januar 1993 X R 5/92, BFH/NV 1993, 610, und vom 29. April 1991 IV R 22/90, BFH/NV 1991, 698 m. w. N.).
Die Rügen des Klägers, das Urteil gehe nicht auf sein Begehren ein und in den Gründen werde erhebliches Vorbringen nicht beachtet, reichen zur Darlegung eines Begründungsmangels i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ebenfalls nicht aus. Selbst eine lückenhafte rechtliche Begründung stellt keinen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dar (BFH-Beschluß vom 9. Juni 1988 VI R 77/86, BFH/NV 1989, 179). Das FG braucht sich nicht mit jeder rechtlichen Erwägung auseinanderzusetzen, die ein Beteiligter vorbringt, um den Einwand zu vermeiden, die Entscheidung sei nicht im Sinne des Gesetzes mit Gründen versehen (BFH-Beschluß vom 2. Februar 1987 III R 131/86, BFH/NV 1987, 311). Auch bei einer ggf. unvollständigen, unzureichenden oder sonst fehlerhaften Begründung liegt keine "nicht mit Gründen versehene Entscheidung" i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO vor, sofern noch zu erkennen ist, welche Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren (BFH-Beschlüsse vom 5. Februar 1988 VI R 65/86, BFH/NV 1988, 583, und in BFH/NV 1989, 179 m. w. N.). Diese Voraussetzung kann sogar dann erfüllt sein, wenn das FG sich nicht ausdrücklich zu einer bestimmten Frage geäußert hat (BFH-Urteil vom 15. April 1986 VIII R 325/84, BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195). Die Beteiligten müssen lediglich durch die Entscheidung Kenntnis davon erhalten, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen oder rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht (BFH- Beschluß vom 15. April 1992 III R 31/91, BFH/NV 1993, 367). Im Streitfall hat sich das FG im übrigen mit der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns, insbesondere der Beschwerdeentscheidung, in seinen Entscheidungsgründen auseinandergesetzt. Daß es nicht auf jedes Vorbringen des Klägers eingegangen ist, führt nicht dazu, daß seine Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.
Die vom Kläger vorgebrachte Rüge, die Entscheidungsgründe seien formelhaft, reicht ebenfalls nicht aus, um einen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO schlüssig zu bezeichnen. Wenn die Begründung aus inhaltsleeren Floskeln besteht, kann zwar ein solcher Mangel vorliegen (BFH-Beschluß in BFH/NV 1994, 46; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Anm. 24). Der Kläger bezieht sein Vorbringen aber ersichtlich auf die vom FG getroffenen Aussagen zum gerichtlichen Verfahren (Akteneinsicht, Beiziehung weiterer Akten, Beweiserhebung, Terminierung, Aussetzung, Vorabentscheidung). Wenn diese auch knapp gehalten sind, so stellen sie jedoch keine inhaltsleeren Floskeln dar. Vielmehr konnte der Kläger erkennen, daß die von ihm vorgebrachten Rügen und eingebrachten Anträge aus Sicht des FG unbegründet waren. Selbst wenn aber die Richtigkeit des klägerischen Vorbringens unterstellt wird, läge noch kein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO vor. Eine fehlende Begründung der Entscheidung des FG kann nur in Betracht kommen, wenn und soweit das sachliche Begehren des Klägers und die damit zusammenhängenden Angriffs- und Verteidigungsmittel betroffen sind (BFH-Beschluß vom 5. Dezember 1986 VI R 58/86, BFH/NV 1987, 175 zur Begründung der Kostenentscheidung).
Der Einwand des Klägers, das FG habe selbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen, ist ebenfalls nicht schlüssig begründet. Unter selbständigen Ansprüchen und selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln sind nur die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (BFH- Beschlüsse in BFH/NV 1994, 46, und in BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351). Das Vorbringen des Klägers beinhaltet nur unselbständige Begründungselemente, die die von ihm geltend gemachte Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns belegen sollen, nicht aber selbständige Angriffsmittel im dargestellten Sinn. Dies gilt sowohl für den Einwand, das FG habe die tatsäch liche Dauer der Untätigkeit des FA falsch berechnet, für die Einwände wegen der Nichtbeachtung der vom Kläger behaupteten Fehlerhaftigkeit der Ermessensausübung, für die verfassungsrechtlichen Einwendungen, als auch für die Berufung auf die Rechtsprechung des BFH zur isolierten Anfechtbarkeit von Beschwerdeentscheidungen. Dem Urteil ist zu entnehmen, daß das FG eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Untätigkeitsbeschwerdeentscheidung angesichts der Möglichkeit einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nicht für zulässig erachtet. Den Urteilsgründen kann ferner entnommen werden, daß unabhängig von der Zulässigkeit der Feststellungsklage diese auch nicht begründet ist, weil die Beschwerdeentscheidung mangels Untätigkeit der Verwaltung als rechtmäßig anzusehen ist.
Ob die vom FG der Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsansichten zutreffend sind oder nicht, ist im Rahmen der Rüge, ein Urteil sei nicht mit Gründen versehen, unerheblich. Entscheidend ist für die Verfahrensrüge nur, ob erkennbar ist, welche Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren (BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351). Diese Voraussetzung kann sogar dann vorliegen, wenn das FG sich nicht ausdrücklich zu einer bestimmten Frage geäußert hat (BFHE 147, 101, BStBl II 1987, 195). Diesen Anforderungen genügt das Urteil. Die Nennung bestimmter Rechtsvorschriften ist nicht erforderlich. Im Streitfall reicht aus, daß die Rechtsansichten des FG hinsichtlich der Zulässigkeit und Begründetheit der Feststellungsklage erkennbar werden. Insofern hatte das FG keine Veranlassung, auf die weiteren Rügen des Klägers einzugehen. Der Kläger hat somit nicht schlüssig gerügt, daß das angefochtene Urteil die wesentlichen Entscheidungsgründe nicht erkennen lasse. Vielmehr wendet er sich gegen die im Urteil angegebenen Gründe, die für die Überzeugung des FG leitend waren.
Die vom Kläger weiterhin behaupteten Verfahrensfehler (Verletzung des rechtlichen Gehörs, verhinderte Akteneinsicht, erschwerte Prozeßführung usw.) fallen nicht unter die in § 116 Abs. 1 FGO abschließend aufgezählten wesentlichen Verfahrensmängel (BFH-Beschluß vom 3. Februar 1993 IV R 4/92, BFH/NV 1994, 42 m. w. N.). Sie können die zulassungsfreie Revision nicht eröffnen. Mit seinem sonstigen Vorbringen wendet sich der Kläger gegen die vom FG getroffene Sachentscheidung. Die in Form von Verfahrensrügen gekleideten Rügen der Verletzung materiellen Rechts vermögen jedoch nicht, die zulassungsfreie Revision zu begründen (BFH- Beschluß in BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351, und Urteil vom 6. März 1985 II R 240/83, BFHE 143, 393, BStBl II 1985, 494). Insbesondere ist der Einwand des Klägers, das FG habe seinen -- des Klägers -- wirklichen Willen der Entscheidung nicht zugrunde gelegt, für die Begründung der zulassungsfreien Revision unerheblich. Es liegt auch kein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO vor, wenn das FG bei der rechtlichen Würdigung des die Entscheidung bildenden Sachverhalts einen bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt übergangen haben sollte (BFH-Beschluß vom 18. Februar 1993 VI R 23/92, BFH/NV 1993, 552).
Fundstellen
Haufe-Index 420119 |
BFH/NV 1995, 403 |