Entscheidungsstichwort (Thema)
Abtretung von Vorsteuererstattungen, Aufrechnungslage, Kassenidentität
Leitsatz (NV)
1. Zur Entstehung und Fälligkeit von Vorsteuererstattungsforderungen.
2. Das Erfordernis der Kassenidentität (§ 395 BGB) findet bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis keine Anwendung (Anschluß an Urteil vom 25. April 1989 VII R 105/87, BFHE 157, 8).
3. Eine Aufrechnung nur für den Fall des Entstehens einer Gegenforderung stellt eine nach § 388 BGB unwirksame, da bedingte Aufrechnung dar.
Normenkette
AO 1977 §§ 46, 168, 220 Abs. 2; UStG § 13 Abs. 1, §§ 16, 18; BGB §§ 387-388, 395
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine aus 13 Bauherren bestehende Bauherrengemeinschaft, erklärte durch Schreiben vom 8. August 1984 gegenüber dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -), daß die Bauherren ihre Umsatzsteuererstattungsforderungen abtreten würden und sie hinsichtlich ihrer eigenen Umsatzsteuerschulden einen Stundungsantrag stelle. Das FA sah in diesem Schreiben eine Aufrechnungserklärung, die es durch Bescheid vom 31. Oktober 1984 wegen fehlender Kassenidentität der zur Aufrechnung gestellten Forderungen nicht anerkannte. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt (Aufrechnung in Höhe von . . . DM). In seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 215 abgedruckten Urteil führte es im wesentlichen aus, die Klägerin habe - soweit Erstattungsansprüche der Bauherren bestünden - mit ihrem Schreiben vom 8. August 1984 wirksam aufgerechnet, da die Voraussetzungen des § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vorgelegen hätten. Der Aufrechnung habe nicht entgegengestanden, daß das FA den Umsatzsteuervoranmeldungen der Bauherren P und K erst nach Abgabe der Aufrechnungserklärung zugestimmt habe und die Festsetzung der Umsatzsteuererstattung für den Bauherren Dr. K aus der Umsatzsteuerjahreserklärung 1983 im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung noch nicht bekanntgegeben und abgerechnet gewesen sei. Die Aufrechnung sei auch nicht wegen § 395 BGB (Kassenidentität) unwirksam, da diese Vorschrift bei Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nicht zur Anwendung komme.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung der Vorschriften des § 226 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. §§ 387, 395 BGB. Es macht geltend:
Das FG sei zu Unrecht von der Gegenseitigkeit der Forderungen ausgegangen. Die Klägerin habe ihre Aufrechnung am 8. August 1984 erklärt, während vier Bauherren die Abtretung ihrer Erstattungsforderungen an die Klägerin erst am 31. August 1984 angezeigt hätten, die Abtretungsanzeige der Bauherren P und W. K. sei sogar erst am 2. Oktober 1984 bei den zuständigen FÄ eingegangen. Die Aufrechnung sei daher vor den Abtretungen erklärt worden.
Die Abtretungen seien zudem auch unwirksam, da sie vor Entstehung der Erstattungsansprüche angezeigt worden seien (§ 46 Abs. 2 AO 1977). Gegenstand der Abtretungen seien die Umsatzsteuererstattungen aus den Umsatzsteuervoranmeldungen Dezember 1983 gewesen. Die sich daraus ergebenden Erstattungsansprüche seien aber am 31. August 1984 noch nicht entstanden gewesen. Zwar entständen Steuererstattungsansprüche wegen der Umsatzsteuer grundsätzlich mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, doch seien von allen Bauherren berichtigte Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben worden, die jeweils zusammen mit den Abtretungsanzeigen bei den zuständigen FÄ eingegangen seien. Bei Berichtigungen von Steuerbescheiden zugunsten des Steuerpflichtigen entständen Erstattungsansprüche jedoch erst mit der Bekanntgabe des Berichtigungsbescheids. Da die Steueranmeldungen zu einer Steuererstattung geführt hätten, sei nach § 168 Satz 2 AO 1977 die Steuerfestsetzung erst mit Zustimmung der FÄ geändert worden. Selbst wenn man mit dem FG von einer Zustimmung der FÄ ausgehe, könne daraus nicht gefolgert werden, daß die FÄ sofort bei Eingang der berichtigten Voranmeldungen diesen zugestimmt hätten. Die Erstattungsansprüche seien daher erst nach Eingang der Abtretungsanzeige entstanden, so daß die Abtretungen unwirksam seien. Es habe somit an der Gegenseitigkeit der Forderungen gefehlt.
Darüber hinaus sei das FG zu Unrecht von der Fälligkeit der Forderungen ausgegangen. Bei einem Anspruch aus der Festsetzung einer Steuererstattung trete die Fälligkeit nicht vor Bekanntgabe der Festsetzung ein. Die Festsetzung sei erst nach dem 31. August 1984 erfolgt. Zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung, am 8. August 1984, seien die Erstattungsansprüche somit noch nicht fällig gewesen.
Auch die Voraussetzungen des § 226 Abs. 3 AO 1977 hätten nicht vorgelegen. Am 8. August 1984 seien die Gegenansprüche der Klägerin weder unbestritten noch rechtskräftig festgestellt gewesen. Die berichtigten Umsatzsteuervoranmeldungen seien zu diesem Zeitpunkt bei den jeweils zuständigen FÄ gar nicht eingegangen.
Entgegen der Ansicht des FG stehe der Aufrechnung auch § 395 BGB entgegen. Diese Vorschrift sei bei Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis über § 226 Abs. 1 AO 1977 anwendbar, so daß die Gegenseitigkeit nur gegeben sei, wenn die Leistung des Steuerpflichtigen an dieselbe Kasse zu erfolgen habe, aus der die Forderung des Steuerpflichtigen zu befriedigen sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie tritt der Auffassung des FA entgegen, daß die Aufrechnung bereits mit Schreiben vom 8. August 1984 erfolgt sei. In diesem Schreiben habe sie lediglich auf die Existenz der Vorsteuererstattungsansprüche der Bauherren hingewiesen. In diesem Schreiben heiße es weiter: ,,Diese werden an die Bauherrengemeinschaft abgetreten, die Abtretungserklärungen werden wir Ihnen in Kürze in Kopie übersenden". Aus dieser Formulierung gehe eindeutig die Absicht der Aufrechnung hervor, die Aufrechnung selbst sei durch schlüssige Handlung erfolgt zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Umsatzsteuervoranmeldungsbeträge und der Nichtbezahlung der fälligen Umsatzsteuerschuld durch die Klägerin. Bei der Aufrechnung handle es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die nicht in einer ausdrücklichen Erklärung erfolgen müsse.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Das FG ist ohne Rechtsverstoß zu dem Ergebnis gelangt, daß die Vorschrift des § 395 BGB einer Aufrechnung der Klägerin gegenüber dem FA mit den abgetretenen Erstattungsansprüchen nicht entgegenstand. Der Senat hat in seinem Urteil vom 25. April 1989 VII R 105/87 (BFHE 157, 8) entschieden, daß das Erfordernis der Kassenidentität bei der Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis keine Anwendung findet. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die eingehende Begründung der o. a. Entscheidung.
2. Das FG ist indes zu Unrecht ohne nähere Prüfung der Aufrechnungslage davon ausgegangen, daß der Klägerin am 8. August 1984 fällige Gegenansprüche an das FA aus abgetretenem Recht zugestanden haben. Die hierzu von der Vorinstanz getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen zu der Annahme der Rechtsfolge nicht aus, die Klägerin habe zu diesem Zeitpunkt gegenüber dem FA wirksam mit den ursprünglich den einzelnen Bauherren zustehenden, an die Klägerin abgetretenen Umsatzsteuererstattungsansprüchen aufgerechnet.
a) Eine wirksame Aufrechnung setzt nach § 387 BGB u. a. voraus, daß der Aufrechnende Inhaber einer bestehenden und fälligen Gegenforderung ist, wobei die Gegenseitigkeit der Forderungen - wie alle übrigen Voraussetzungen der Aufrechnung auch - zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vorhanden sein muß (v. Feldmann in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 2, 2. Aufl. 1985, § 387 Rdnr. 2). Eine Aufrechnung nur für den Fall des Entstehens einer Gegenforderung stellt eine nach § 388 BGB unwirksame, da bedingte Aufrechnungserklärung dar (Zeiss in Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 2/1, 11. Aufl. 1986, § 387 Rdnr. 8). Auch die Aufrechnung mit einer nicht fälligen Forderung ist ausgeschlossen (v. Feldmann, a. a. O., § 387 Rdnr. 10).
Diese Voraussetzungen der Aufrechnung sind im Streitfall nur erfüllt, wenn der Klägerin im Zeitpunkt der vom FG angenommenen Aufrechnungserklärung, also am 8. August 1984, die Erstattungsansprüche der Bauherren wirksam abgetreten waren, wobei nach § 46 Abs. 2 AO 1977 die Abtretungen steuerrechtlich erst nach formgerechter Anzeige (§ 46 Abs. 3 AO 1977) bei den zuständigen FÄ nach Entstehung der Ansprüche wirksam werden konnten.
Bei den Erstattungsforderungen der Bauherren handelte es sich um nach §§ 16, 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) berechnete Rückzahlungsansprüche (Vorsteuerüberschüsse), die nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entstanden waren. Vom Zeitpunkt der Entstehung ist der Zeitpunkt der Fälligkeit der Ansprüche zu unterscheiden. Dieser ist in § 18 Abs. 1 i. V. m. § 16 UStG geregelt. Zusätzlich bedurfte es im Streitfall für den Eintritt der Fälligkeit der Erstattungsforderungen nach § 168 Satz 2 AO 1977 der Zustimmung der zuständigen FÄ zu den abgegebenen Voranmeldungen. Nach dieser Vorschrift steht eine Steueranmeldung, die zu einer Steuerherabsetzung oder Steuervergütung führt, erst dann einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO 1977) gleich, wenn das FA der Anmeldung zugestimmt hat. Ein Überschuß zugunsten des Unternehmers wird folglich erst mit dieser Festsetzung, d. h. nach § 220 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 erst mit Bekanntgabe der Festsetzung bzw. Zustimmung durch das FA fällig (Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl 1988, § 168 AO 1977 Tz. 3; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 168 Rdnr. 3).
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt allerdings für die Fälle, in denen die Finanzverwaltung ihre Zustimmung allgemein erteilt hat (vgl. Nr. 9 des Einführungserlasses zur AO 1977 zu § 168, BStBl I 1976, 609). Liegt eine Steueranmeldung vor, für die die Verwaltung ihre Zustimmung allgemein erteilt hat, so steht diese Anmeldung bereits vom Tag ihres Eingangs beim FA an einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 AO 1977). Der sich aus dieser Anmeldung ergebende Überschuß zugunsten des Steuerpflichtigen ist nach § 18 Abs. 1 Satz 5 UStG frühestens am 10. des auf den Voranmeldungszeitraum folgenden Monats fällig (§ 220 Abs. 1 AO 1977).
Die Feststellungen des FG tragen jedoch nicht die Annahme, daß ein solcher Ausnahmefall hier vorliegt. Im Hinblick auf Nr. 9 des Einführungserlasses zu § 168 AO 1977 haben sich die obersten Finanzbehörden der Länder darauf verständigt, daß aus Vereinfachungsgründen einer Umsatzsteuervoranmeldung, die einen Überschuß von nicht mehr als 2 000 DM ausweist, die Zustimmung nach § 168 Satz 2 AO 1977 allgemein erteilt wird (vgl. Lange in Schüle / Teske / Wendt, Umsatzsteuergesetz, § 18 Anm. 106, mit weiteren Nachweisen). Diese Summe wird in den für den Streitfall relevanten Voranmeldungen der Bauherren ganz offensichtlich überschritten, so daß es für die Fälligkeit der abgetretenen Erstattungsforderungen auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Zustimmung (Festsetzung) durch das FA ankommt (§ 220 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).
Das FG wird also die tatsächlichen Feststellungen über den Zeitpunkt der Entstehung und Fälligkeit der einzelnen Erstattungsforderungen der Bauherren und Feststellungen über den Zeitpunkt der Wirksamkeit der Abtretungen nachzuholen haben.
b) Im übrigen tragen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz auch nicht die rechtliche Schlußfolgerung, die Klägerin habe mit ihrem Schreiben vom 8. August 1984 dem FA gegenüber die Aufrechnung erklärt. Diesem Schreiben allein ist weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Aufrechnungserklärung zu entnehmen. Die Klägerin stellt in dem besagten Schreiben - worauf die Revisionserwiderung zu Recht hingewiesen hat - lediglich die Höhe ihrer eigenen Umsatzsteuerschuld heraus und teilt dem FA mit, daß die einzelnen Bauherren die ihnen zustehenden Umsatzsteuererstattungsforderungen an die Klägerin abtreten werden und die Klägerin dem FA die Abtretungserklärungen in Kopie dann vorlegen werde. Ausdrücklich beantragt die Klägerin lediglich Stundung der eigenen Umsatzsteuerschuld im Hinblick auf die ihr nach erfolgter Abtretung zustehenden Erstattungsforderungen. Insbesondere aus diesem Antrag ist zu schließen, daß die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 8. August 1984 gerade noch nicht die Aufrechnung erklären wollte, da ansonsten eine Stundung wegen der eingetretenen Tilgung nicht möglich und der darauf gerichtete Antrag ohne Sinn wäre.
Die Vorentscheidung enthält über das Schreiben vom 8. August 1984 hinaus keine anderen tatsächlichen Feststellungen dazu, wann und durch welche Erklärung die Klägerin dem FA gegenüber die Aufrechnung erklärt haben könnte. Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte, der sich der Senat angeschlossen hat (Senatsurteil vom 3. November 1983 VII R 153/82, BFHE 140, 10, BStBl II 1984, 184, mit weiteren Nachweisen), schreibt das Gesetz für die in der Aufrechnung liegende Gestaltungserklärung keine besondere Form vor. Die Aufrechnung braucht demnach nicht ausdrücklich erklärt zu werden. Sie kann auch in einem schlüssigen Verhalten gesehen werden. Die Vorinstanz wird daher den Sachverhalt auch dahin aufzuklären haben, ob die Behauptung der Klägerin zutrifft, sie habe später - nach Fälligkeit der an sie abgetretenen Erstattungsansprüche - konkludent mit diesen aufgerechnet.
Zu diesen Ermittlungen wird insbesondere auch die Feststellung gehören, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin ihre Aufrechnungserklärung abgegeben hat. Ausgehend von diesem Zeitpunkt wird zu prüfen sein, ob die nach § 226 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. § 387 BGB für eine wirksame Aufrechnung erforderliche Aufrechnungslage gegeben war, ob also die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Aufrechnungserklärung Inhaberin von fälligen Erstattungsforderungen gewesen ist.
Fundstellen