Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit als geschäftsführendes Vorstandsmitglied einer rechtsfähigen Familienstiftung wird in der Regel nicht selbständig im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1951 ausgeübt.
Normenkette
UStG 1951 § 2 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) gehört seit dem Jahre 1949 dem Vorstand einer Familienstiftung an. Gegenstand der Stiftung sind nach der Satzung eine Reihe von Grundstücken, die Anteile an einer "Bodengesellschaft" und das für die Stiftung ausgesetzte Kapital. Die Vertretung und Verwaltung der Stiftung sowie die Verwendung der Erträgnisse obliegt nach der Satzung dem Vorstand, der aus drei Personen besteht, von denen jeweils zwei zeichnungsberechtigt und zur gerichtlichen sowie außergerichtlichen Vertretung der Stiftung befugt sind. Der Vorstand erhält als Vergütung für seine Tätigkeit zusammen 2 v. H. des Bruttoertrages der "zur Erhebung gelangenden Gelder" (§ 15 der Satzung).
In seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied der Stiftung erhielt der Kläger in den Jahren 1961 bis 1966 Bezüge, die er in seinen Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1961 bis 1966 nicht angegeben hat. Auf Grund des Ergebnisses einer im Jahre 1967 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (FA) den Standpunkt, daß der Kläger in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied als Unternehmer (§ 2 UStG 1951) tätig gewesen sei, weshalb er mit den ihm hieraus zugeflossenen Einnahmen zur Umsatzsteuer heranzuziehen sei. Es setzte die Umsatzsteuer für die Jahre 1961 bis 1965 dementsprechend fest.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage, mit der sich der Kläger hinsichtlich sämtlicher Streitjahre dagegen wandte, daß er als Vorstandsmitglied der Stiftung als Unternehmer tätig gewesen sei, hatte Erfolg. Das FG hat im wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe die Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Stiftung nicht selbständig ausgeübt und sei daher nicht Unternehmer im Sinne von § 2 UStG 1951. Er sei vielmehr nach dem Gesamtbild der von ihm bei der Stiftung zu erbringenden Tätigkeit in deren Organismus weisungsgebunden eingegliedert und daher unselbständig tätig gewesen (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1951). Der Sachverhalt sei umsatzsteuerrechtlich ebenso zu beurteilen wie die Tätigkeit von Vorstandsmitgliedern von Kapitalgesellschaften, die nach der ständigen Rechtsprechung des BFH unselbständig seien, weil sie als Organ der juristischen Person fungierten. Der Unterschied zwischen einer Stiftung und einer Kapitalgesellschaft bzw. einem Verein bestehe lediglich darin, daß bei der Stiftung außer dem Vorstand kein weiteres Organ vorhanden sei. Darauf könne es für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung nicht ankommen. Daß Testamentsvollstrecker und Vermögensverwalter umsatzsteuerrechtlich als Unternehmer behandelt würden, lasse keine Schlüsse auf die Beurteilung der Mitglieder eines Stiftungsvorstands zu, weil die ersteren das ihnen übertragene Amt kraft eigenen Rechtes ausübten, während der Stiftungsvorstand als gesetzlicher Vertreter der Stiftung und somit als deren Organ tätig sei. Dieser Umstand erweise sich als ausschlaggebend, während die Tatsache, daß der Kläger als Angehöriger der Familie des Stifters selbst zu den Destinatären der Stiftung gehöre, nicht entscheidungserheblich sei. Der Hinweis des FA auf das Urteil des RFH vom 24. Januar 1934 VI A 1395/33 (RStBl 1934, 504) gehe fehl. Der Sachverhalt des dort entschiedenen Falles lasse sich mit dem hier vorliegenden schon deshalb nicht vergleichen, weil der Kläger nicht alleinvertretungsberechtigt und nur einer von mehreren Destinatären der Stiftung sei.
Das FG ist zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger mit seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Familienstiftung nicht als Unternehmer tätig gewesen und daher für sämtliche Streitjahre keine Umsatzsteuer zu erheben sei.
Mit der Revision rügt das FA die unrichtige Anwendung materiellen Rechts. Das FG habe gegen § 2 UStG 1951 verstoßen, indem es die Frage der Selbständigkeit hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers als Vorstandsmitglied der Familienstiftung verneint habe. Daß der Vorstand einer Stiftung gemäß §§ 86, 26 Abs. 2 BGB gesetzlicher Vertreter und damit Organ der Stiftung sei, rechtfertige diese Auffassung nicht. Der Sachverhalt sei anders zu beurteilen als bei Organen von Kapitalgesellschaften, so daß die für diese ergangene Rechtsprechung nicht einschlägig sei. Ein wesentlicher Unterschied bestehe darin, daß der Stiftungsvorstand - anders als der Vorstand einer AG oder eines Vereins - das einzige Organ der Stiftung sei. Die Willensbildung liege ausschließlich beim Stiftungsvorstand, da die Stiftung keine Anteilseigner oder Mitglieder, sondern nur Destinatäre habe und weitere Organe wie Hauptversammlung (AG) oder Mitgliederversammlung (Verein) nicht vorhanden seien. Bei der Willensbildung und deren Vollzug sei der Stiftungsvorstand lediglich an den vom Stifter festgelegten Stiftungszweck gebunden, im übrigen in seiner Entscheidungsfreiheit nicht beschränkt. Daß der Vorstand als "selbständiges Willensorgan" tätig sei, stehe als maßgeblicher Gesichtspunkt derart im Vordergrund, daß den daneben ausgeübten Verwaltungsfunktionen keine Bedeutung beizumessen sei. Bei einer Familienstiftung sei die weitgehend unbeschränkte Entscheidungsfreiheit der Vorstandsmitglieder noch besonders ausgeprägt. Es fehle mithin bei dem Stiftungsvorstand an der Eingliederung in die Organisation eines Unternehmens, so daß die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1951 nicht gegeben seien. Der Kläger habe als Vorstandsmitglied der Familienstiftung bei sachgerechter Würdigung der von ihm wahrzunehmenden und wahrgenommenen Funktionen eine selbständige Tätigkeit ausgeübt. Er sei für die Streitjahre mit den von ihm bewirkten Umsätzen zu Recht zur Umsatzsteuer herangezogen worden.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1951 nicht selbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen derart eingegliedert sind, daß sie den Weisungen des Unternehmens zu folgen verpflichtet sind. Bei der Prüfung der Frage der Selbständigkeit in bezug auf die vom Kläger bei der Familienstiftung als Vorstandsmitglied ausgeübte Tätigkeit ist nach der feststehenden Rechtsprechung des BFH von dem Gesamtbild auszugehen, das sich bei Würdigung des Innenverhältnisses zwischen dem Kläger und der Stiftung ergibt (Urteile vom 7. Dezember 1961 V 139/59 U, BFHE 74, 396, BStBl III 1962, 149, und vom 13. Dezember 1962 V 270/60 U, BFHE 76, 460, BStBl III 1963, 167). Da im Streitfall schriftliche Verträge zwischen dem Kläger und der Stiftung nicht abgeschlossen worden sind, ist das Gesamtbild danach zu beurteilen, ob die von dem Kläger ausgeübte Tätigkeit nach dem überwiegenden Erscheinungsbild ihrer äußeren Merkmale nach Umfang und Gewichtigkeit als selbständig oder unselbständig anzusehen ist (vgl. BFH-Urteil vom 30. Oktober 1969 V R 150/66, BFHE 98, 302, BStBl II 1970, 474 ff.). Daß dem Kläger neben den Bezügen als Vorstandsmitglied der Stiftung noch andere Einnahmen erheblichen Umfangs aus selbständiger Tätigkeit zugeflossen sind, kann für sich allein nicht dazu führen, die Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Stiftung nur als Ausfluß einer im übrigen selbständigen Tätigkeit zu beurteilen, weil sich aus den besonderen Umständen des Falles ergibt, daß die Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Stiftung - selbst als Nebentätigkeit - nur unselbständig ausgeübt werden kann (vgl. Urteil des BFH vom 4. Oktober 1956 V 126/55 U, BFHE 64, 65, BStBl III 1957, 24). Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Stiftungsvorstand nach den §§ 86, 26 Abs. 2 BGB die Stellung eines gesetzlichen Vertreters hat und damit Organ der Stiftung ist. Hat der Kläger aber seine Tätigkeit als Mitglied dieses Organs ausgeübt, so begegnet es keinen Bedenken, daß die Vorinstanz diesen Gesichtspunkt bei Beurteilung der Frage der Selbständigkeit in Anknüpfung an die zur Tätigkeit der Vorstandsmitglieder von Kapitalgesellschaften ergangene Rechtsprechung als entscheidungserheblich erachtet hat. Denn die ständige Rechtsprechung des BFH stellt darauf ab, daß sich die weisungsgebundene Eingliederung in den Organismus der Kapitalgesellschaft aus der rechtlichen Stellung der Vorstandsmitglieder als Organ und gesetzlicher Vertreter der juristischen Person ergebe (vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1968 VI R 25/68, BFHE 94, 366, BStBl II 1969, 185, mit Hinweisen). Deshalb sind die Vorstandsmitglieder selbst großer Aktiengesellschaften unbeschadet ihrer oftmals sehr weitgehenden Vollmachten und geringen Bindungen in ihrer Entscheidungsfreiheit stets als Arbeitnehmer und damit als unselbständig Tätige beurteilt worden (vgl. das genannte Urteil des BFH VI R 25/68). Ausmaß oder Umfang des den Vorstandsmitgliedern bei der Willensbildung eingeräumten Spielraums wird daher für die Streitfrage von der ständigen Rechtsprechung nicht als maßgeblich erachtet.
Wenngleich diese Rechtsprechung vorzugsweise zu der Frage der Abgrenzung von Einkünften aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit ergangen ist, so können die von ihr entwickelten Grundsätze auch für die Qualifizierung der Tätigkeit bei der Umsatzsteuer - selbständig oder nicht? - übernommen werden. Denn die Abgrenzung beurteilt sich, wie der erkennende Senat im Urteil vom 27. Juli 1972 V R 136/71 (BFHE 106, 389 [391], BStBl II 1972, 810) entschieden hat, im Umsatzsteuer- und im Einkommensteuerrecht nach den gleichen Grundsätzen. Bei dieser Sachlage teilt der erkennende Senat die Auffassung der Vorinstanz, daß für die Vorstandsmitglieder von rechtsfähigen Stiftungen grundsätzlich nichts anderes gelten kann, als für die Vorstandsmitglieder von Kapitalgesellschaften in ihrer Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter und Organ der juristischen Person. Die gegenteilige Auffassung des FA, die vorzugsweise auf die Unterschiede in der Willensbildung abstellt, läßt außer acht, daß der Stiftungsvorstand nicht nur Willensentscheidungen zu treffen, sondern im Zusammenhang mit deren Verwirklichung auch Verwaltungstätigkeiten wahrzunehmen hat.
2. Entgegen der Auffassung des FA läßt auch der Umstand, daß es sich um eine Familienstiftung handelt und daß der Kläger als Angehöriger der Familie zu den Destinatären der Stiftung gehört, keine andere Beurteilung zu. Denn dieser Umstand hat mit der Frage, wie die Tätigkeit des Klägers als Mitglied des Stiftungs vorstandes zu beurteilen ist, nichts zu tun. Wenn der Kläger als Angehöriger der Familie des Stifters bei seinen Entscheidungen über einen etwas größeren Spielraum verfügt, so bleibt dadurch seine Funktion als gesetzlicher Vertreter und Organ der Stiftung, wie sich aus der oben bereits angeführten Rechtsprechung zu Vorstandsmitgliedern von Kapitalgesellschaften ergibt, unberührt. Aus diesem Grund ist die Tätigkeit des Klägers auch nicht vergleichbar mit derjenigen eines Testamentsvollstreckers oder Vermögens-(Konkurs-) verwalters, da die letzteren nicht als Organe einer Rechtsperson, sondern kraft eigenen Rechtes tätig sind. Schließlich geht der Hinweis des FA auf das RFH-Urteil vom 24. Januar 1934 VI A 1395/33 (RStBl 1934, 504) insofern fehl, als der Sachverhalt in dem dort entschiedenen Fall, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, in wesentlichen Punkten anders gelagert war.
3. Der erkennende Senat kommt nach alledem zu dem Ergebnis, daß der Kläger in seiner Eigenschaft als Stiftungsvorstand unselbständig tätig ist und insoweit keine steuerbaren Umsätze bewirkt. Da sich damit die Vorentscheidung in vollem Umfang als zutreffend erweist, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
BStBl II 1975, 400 |
BFHE 1975, 556 |