Entscheidungsstichwort (Thema)
Beruf des Gebäudeschätzers nicht dem des Architekten ähnlich
Leitsatz (NV)
Ein selbständig tätiger Gebäudeschätzer übt keinen der Berufstätigkeit der Architekten ähnlichen Beruf i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus; die Erstattung von Wertgutachten stellt im Leistungsbild des Architektenberufs allenfalls einen kleinen Ausschnitt dar.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat eine abgeschlossene Ausbildung als Zimmermann. Seit 1964 ist er ausschließlich als Gebäudeschätzer tätig. Er erstattet Wertgutachten für Gerichte, Banken und Versicherungsgesellschaften auf der Grundlage der Wertermittlungsverordnung - WertV - (vom 7. August 1961, BGBl I, 1183; vom 15. August 1972, BGBl I, 1417). Der Kläger ist nicht als Architekt zugelassen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) behandelte die Einkünfte aus dieser Tätigkeit - den Einkommensteuererklärungen des Klägers folgend - seit dem Jahre 1964 als Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Mit Schreiben vom 24. Januar 1973 forderte das FA den Kläger auf, für die Jahre 1970 und 1971 Gewerbesteuererklärungen einzureichen, weil die Tätigkeit als Gebäudeschätzer gewerblich sei. Gleichwohl wurde der Kläger danach noch für die Veranlagungszeiträume 1970 und 1971 wie bisher mit Einkünften aus selbständiger Arbeit zur Einkommensteuer veranlagt. Dies geschah auch für die Streitjahre 1972 bis 1975, für welche die Einkommensteuer jeweils gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufig festgesetzt wurde. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung wertete das FA die berufliche Tätigkeit des Klägers als Gewerbebetrieb, weil die Tätigkeit keinem der Katalogberufe gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) - auch nicht dem Beruf des Architekten - ähnlich sei. Diese Betrachtungsweise führte in geänderten Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre zum Wegfall des Freibetrags gemäß § 18 Abs. 4 EStG.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger keinen der Berufstätigkeit der Architekten ähnlichen Beruf i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübt.
1. Ein Beruf ist einem sog. Katalogberuf ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit ihm verglichen werden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. November 1981 VIII R 121/80, BFHE 135, 421, BStBl II 1982, 492) oder wenn das typische Bild des Katalogberufs mit allen seinen Merkmalen dem Gesamtbild der zu beurteilenden Tätigkeit vergleichbar ist (BFH-Urteile vom 31. Juli 1980 I R 66/78, BFHE 132, 22, BStBl II 1981, 121; vom 4. August 1983 IV R 6/80, BFHE 139, 84, BStBl II 1983, 677). In diesem Sinne ist die Tätigkeit des Klägers nicht mit dem Beruf des Architekten vergleichbar.
2. Die Berufstätigkeit des Architekten besteht im wesentlichen in der künstlerischen, technischen und wirtschaftlichen Planung von Bauwerken (BFHE 132, 22, BStBl II 1981, 121; vgl. auch Locher, Das private Baurecht, 3. Aufl., 1983, Tz. 209-211). In diesem Bereich müßte auch der Schwerpunkt eines vergleichbaren Berufs liegen (BFHE 135, 421, BStBl II 1982, 492). Die Tätigkeit des Klägers liegt nicht in diesem Bereich.
Der Kläger erstattet Wertgutachten für Gerichte, Banken und Versicherungsgesellschaften auf der Grundlage der WertV. Wertgutachten können auch von Architekten erstellt werden (vgl. § 23 der Gebührenordnung für Architekten - GOA - vom 13. Oktober 1950, Bundesanzeiger - BAnz - Nr. 216 vom 8. November 1950; § 34 der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure - HOAI - vom 17. September 1976, BGBl I 1976, 2805); sie werden oftmals auch von Angehörigen anderer Berufsgruppen erbracht (vgl. Hesse/Korbion/Mantscheff, Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, Kommentar, 2. Aufl., 1983, § 34 Anm. 7); BFH-Urteil vom 30. April 1959 IV 45/58 U, BFHE 69, 16, BStBl III 1959, 267).
Im Hinblick auf das Leistungsbild der gesamten Architektentätigkeit (vgl. dazu § 19 GOA; § 15 HOAI; Locher, a.a.O., Tz. 229f.) kann die Erstellung von Wertgutachten nicht als wesentlicher Teil angesehen werden. Der Beruf des Klägers ist auf eine Tätigkeit beschränkt, die im Leistungsbereich des Architektenberufs allenfalls einen kleinen Ausschnitt darstellt. Eine Spezialisierung beeinträchtigt aber nur dann die Ähnlichkeit mit dem Vergleichsberuf nicht, wenn die Tätigkeit in wesentlichen Punkten mit dem zu vergleichenden Beruf übereinstimmt (BFHE 132, 22, BStBl II 1981, 121). Das ist hier nicht der Fall.
3. Das FG hat zu Recht angenommen, daß die Betätigung des Klägers keine wissenschaftliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Satz 1 EStG ist. Den Ausführungen des FG ist nichts hinzuzufügen.
Dem FG ist auch darin zu folgen, daß die Grundsätze von Treu und Glauben einer Zuordnung der umstrittenen Einkünfte zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb nicht entgegenstehen.
1. Das FA hat keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, demzufolge der Kläger hätte darauf vertrauen können, hinsichtlich der streitigen Steuerbeträge nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung hatte das FA in jedem Veranlagungszeitraum den Sachverhalt erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen. Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung mußte es zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgeben. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn die Finanzbehörde über einen langen Zeitraum hinweg eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hat und wenn die Streitfrage in einem früheren Veranlagungszeitraum vom FA ausdrücklich geprüft und im Sinne des Klägers entschieden worden ist (vgl. BFH-Urteile vom 3. November 1982 I R 39/80, BFHE 137, 183, 187, BStBl II 1983, 182; vom 7. Juni 1984 IV R 180/81, BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780). Deshalb ist es nicht erheblich, daß das FA bei der Veranlagung der Einkommensteuer 1970 und 1971 noch von einer freiberuflichen Tätigkeit des Klägers ausgegangen ist, obgleich das FA zu diesem Zeitpunkt bereits die Frage der Gewerbesteuerpflicht aufgeworfen hatte. Die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre (1972 bis 1975) ergingen zunächst vorläufig gemäß § 100 Abs. 2 AO. Der Kläger mußte deshalb damit rechnen, daß es zu einer Überprüfung dieser Steuerfälle kommen würde (vgl. BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780).
2. Eine anderweitige Beurteilung könnte sich allenfalls dann ergeben, wenn der Vorsteher oder der zuständige Sachgebietsleiter des FA eine bestimmte rechtliche Behandlung des umstrittenen Sachverhalts für die Streitjahre zugesagt hätte. Das FG hat einen solchen Sachverhalt nicht festgestellt. Die insoweit hilfsweise vorgebrachte Rüge mangelnder Sachaufklärung kann die Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht beseitigen. Die Rüge bezeichnet nicht ,,Tatsachen, die den Mangel ergeben" (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Hierzu hätte es u.a. einer Darstellung bedurft, welches Ergebnis die vermißten Ermittlungen aller Voraussicht nach gehabt hätten und warum dies zu einer anderen Entscheidung des FG geführt hätte. Denn was nicht entscheidungserheblich ist, braucht nicht ermittelt zu werden (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489). An der von der Revision bezeichneten Stelle der Klageschrift ist nicht dargetan, daß der Vorsteher oder der zuständige Sachgebietsleiter des FA dem Kläger eine bestimmte rechtliche Behandlung des umstrittenen Sachverhalts für die Streitjahre zugesagt hätte. Im übrigen wendet sich die Revision auch nicht gegen das vom FG festgestellte Fehlen einer für die Verbindlichkeit einer Zusage erforderlichen Vertrauensfolge, d.h. einer auf die ggf. vorliegende Zusage gestützten Disposition des Klägers. Aus der Verfahrensrüge ergibt sich mithin nicht, welche rechtlich erheblichen Tatsachen das FG hätte aufklären müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 413822 |
BFH/NV 1986, 81 |