Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsvermittlung einer Ärztekammer als Betrieb gewerblicher Art
Leitsatz (NV)
1. Schließt eine Ärztekammer (Körperschaft des öffentlichen Rechts) mit einem Versicherungsunternehmen einen Gruppenversicherungsvertrag für ihre Mitglieder, so handelt sie nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt.
2. Unterrichtet die Ärztekammer den Versicherer aufgrund besonderer organisatorischer Maßnahmen über Bestand und Anschriften der Mitglieder, kann hierin eine ,,Einrichtung" i. S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG und - bei entgeltlicher Tätigkeit - ein Betrieb gewerblicher Art liegen.
3. § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1977 verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
4. Erzielt die Kammer während sieben Jahren bei geringem Risiko ständig steigende, beträchtliche Gewinne, kann ohne weitere Feststellungen von einer Gewinnerzielungsabsicht i. S. des Gewerbesteuerrechts ausgegangen werden.
Normenkette
KStG § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 Abs. 1 S. 2; EStG § 15 Abs. 2; GewStG § 2 Abs. 1 Sätze 1-2
Tatbestand
I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) in den Streitjahren 1974 bis 1980, 1983 und 1984 einen Betrieb gewerblicher Art unterhielt.
A. Die Klägerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihr gehören alle Ärzte an, die im Landesteil A des Landes B ihren Beruf ausüben. Aufgabe der Klägerin ist es, den öffentlichen Gesundheitsdienst bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen, Fachgutachten zu erstatten, die beruflichen Belange der Kammerangehörigen wahrzunehmen, deren Fortbildung zu fördern und Fürsorgeeinrichtungen und Versorgungseinrichtungen für die Kammerangehörigen und deren Familienmitglieder zu schaffen (§ 5 HeilBerG).
Im Jahre 1982 erfuhr der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -), daß die Klägerin als Versicherungsnehmerin mit der Versicherung C Gruppenversicherungsverträge abgeschlossen hatte. Danach waren ihre Mitglieder als Hauptversicherte nach verschiedenen Gruppentarifen krankenversichert worden. Die Klägerin verpflichtete sich im Versicherungsvertrag, den Versicherern alle zu versichernden Personen bekanntzugeben und alle Veränderungen in diesem Personenkreis mitzuteilen.
Die Klägerin teilte aufgrund dieser Verpflichtung den Versicherern laufend die Anschriften sämtlicher in ihrem Bereich praktizierender oder - wenn sie nicht mehr berufstätig waren - die Anschriften der in diesem Bereich wohnenden Ärzte und die eintretenden Änderungen mit.
Die Versicherer zahlten der Klägerin jährlich 2 v. H. der Prämieneinnahmen.
Auf Aufforderung des FA reichte die Klägerin für die Jahre 1977 bis 1980 Körperschaftsteuererklärungen ein, in denen Gewinn und Einkommen jeweils mit 0 DM angegeben waren. Die Klägerin vertrat die Auffassung, daß sie keinen Betrieb gewerblicher Art unterhalte.
Mit Verfügung vom 10. Dezember 1982 ordnete das FA eine Außenprüfung bei der Klägerin für die Jahre 1974 bis 1980 an. Auf Antrag der Klägerin wurde die Prüfung in das Jahr 1983 verschoben und begann am 6. Juni 1983. Der Prüfer stellte fest, daß die Klägerin von den Versicherern Vergütungen zwischen rd. 120 000 DM und rd. 350 000 DM jährlich erhalten hatte.
Prüfer und FA qualifizierten die auf dem Gruppenversicherungsvertrag beruhende Tätigkeit der Klägerin als Betrieb gewerblicher Art. Sie ermittelten den Gewinn durch Schätzung. Dabei wurden zunächst die direkt zuzuordnenden Ausgaben dem Bereich zugeordnet, den sie betrafen. Die übrigen Kosten wurden im Verhältnis der Einnahmen aus dem Gruppenversicherungsvertrag zu den übrigen Einnahmen der Klägerin aufgeteilt. Dabei ergaben sich jeweils Betriebsausgaben in Höhe von 50 v. H. der Einnahmen.
Die so ermittelten Gewinne legte das FA den Körperschaftsteuerbescheiden 1974 bis 1980 vom 22. August 1983 und den Gewinn 1980 dem Körperschaftsteuervorauszahlungsbescheid 1983 und 1984 vom gleichen Tage sowie den Gewerbesteuermeßbeträgen 1974 bis 1980 zugrunde.
Die Körperschaftsteuerbescheide, der Körperschaftsteuervorauszahlungsbescheid 1983/1984 und die Gewerbesteuermeßbescheide sind an die Klägerin adressiert. Die Körperschaftsteuerbescheide enthalten den Zusatz:
,,Auf Grund des BP-Berichts vom 28. Juni 1983 werden die KSt-Veranlagungen 1974-1980 wie folgt durchgeführt":
Die Gewerbesteuermeßbescheide enthalten den Zusatz:
,,Der Festsetzung/Feststellung liegen die Ergebnisse der bei Ihnen durchgeführten Prüfung zugrunde (siehe Prüfungsbericht vom 28. 6. 83)."
Im Vorauszahlungsbescheid 1983/1984 lautet der Abschnitt Begründung:
,,Auf den Bp-Bericht vom 28. 6. 1983 wird hingewiesen."
B. Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage mit der Begründung zurück, die Klägerin unterhalte einen Betrieb gewerblicher Art.
C. Die Klägerin stützt ihre Revision auf die Verletzung von Verfahrensrecht, von Verfassungsrecht und von materiellem Steuerrecht.
Die Klägerin hat mitgeteilt, daß am 1. März 1985 und am 12. Februar 1986 Körperschaftsteuerjahresbescheide für 1983 und 1984 ergangen seien. Sie hat beantragt, diese Bescheide gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) anstelle der Körperschaftsteuervorauszahlungsbescheide 1983 und 1984 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Der Körperschaftsteuerbescheid 1984 sei am 21. August 1989 durch einen geänderten Bescheid ersetzt worden, gegen den Einspruch eingelegt worden sei. Insoweit sei gemäß § 74 FGO das Ruhen des Verfahrens von Amts wegen anzuordnen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Die Revision ist unbegründet, soweit die Klägerin rügt, daß das angefochtene Urteil bezüglich der Gewerbesteuer nicht mit Gründen versehen sei (§ 119 Nr. 6 FGO). Das FG hat eingehend begründet, daß die Klägerin einen Betrieb gewerblicher Art unterhalte. Die Tatbestandsmerkmale eines gewerbesteuerpflichtigen Unternehmens einer juristischen Person des öffentlichen Rechts (§ 2 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung - GewStDV - 1974/1979, § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -) decken sich weitgehend mit den Tatbestandsmerkmalen des Betriebs gewerblicher Art im Sinn des Körperschaftsteuerrechts. Das angefochtene Urteil enthält allerdings keine tatsächlichen Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal der Gewinnerzielungsabsicht. Sind die rechtlichen Folgerungen eines Urteils nicht durch entsprechende tatsächliche Feststellungen gedeckt, so handelt es sich nicht um den Verfahrensmangel fehlender Gründe (§ 119 Nr. 6 FGO), sondern um einen materiellen Mangel des Urteils (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Januar 1985 VII R 112/81, BFHE 143, 203, 208, BStBl II 1985, 562, m. w. N.). Auf die Ausführungen unter Abschnitt IV wird hingewiesen.
2. Die Revision ist begründet, soweit die Klägerin die Körperschaftsteuerbescheide 1974 bis 1980 angreift.
a) Die Körperschaftsteuerbescheide und die Gewerbesteuermeßbescheide für die Streitjahre sind wirksam bekanntgegeben worden.
Ein Verwaltungsakt ist demjenigen bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist (§ 122 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -), Steuerrechtssubjekt i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 ist die Körperschaft des öffentlichen Rechts (BFH-Urteil vom 13. März 1974 I R 7/71, BFHE 112, 61, BStBl II 1974, 391). Die Bescheide wurden deshalb zutreffend der Klägerin als dem Steuerrechtssubjekt bekanntgegeben.
Die Bescheide sind auch inhaltlich hinreichend klar bezeichnet (§ 119 Abs. 1 AO 1977). Der Hinweis auf den Prüfungsbericht in der Einleitung der Körperschaftsteuerbescheide und in den Erläuterungen der Gewerbesteuermeßbescheide und der Vorauszahlungsbescheide machten für die Klägerin hinreichend deutlich, daß Körperschaftsteuer, Körperschaftsteuervorauszahlungen und Gewerbesteuermeßbeträge wegen des von der Außenprüfung ausschließlich geprüften und vom FA bejahten Betriebs gewerblicher Art festgesetzt wurden.
b) Das FG hat § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1968/1977 zutreffend ausgelegt.
aa) Die Klägerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 1 Satz 2 HeilBerG). Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1968/1977 ist sie mit ihren Betrieben gewerblicher Art unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig.
bb) Betriebe gewerblicher Art sind Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen, sich innerhalb der Gesamtbetätigung der Körperschaft wirtschaftlich herausheben und nicht überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (§§ 1 Abs. 1 und 2, 4 der Körperschaftsteuer - Durchführungsverordnung - KStDV - 1968; § 4 Abs. 1 und 5 KStG 1977).
cc) Die Klägerin übte bei Abschluß und Durchführung des Gruppenversicherungsvertrages keine öffentliche Gewalt aus.
Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt, wenn sie sich in den wirtschaftlichen Verkehr einschaltet und eine Tätigkeit entfaltet, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheidet (BFH-Urteil vom 7. Dezember 1965 I 319/62 U, BFHE 84, 417, BStBl III 1966, 150). Als entscheidend ist anzusehen, ob die in Frage stehende Tätigkeit der Körperschaft des öffentlichen Rechts als Trägerin der öffentlichen Gewalt eigentümlich und vorbehalten ist, wobei der Begriff ,,Hoheitsbetrieb" eher enger als weiter auszulegen ist (BFH-Urteile vom 15. März 1972 I R 232/71, BFHE 105, 27, BStBl II 1972, 500; vom 4. Februar 1976 I R 200/73, BFHE 118, 31, BStBl II 1976, 355; vom 22. September 1976 I R 102/74, BFHE 120, 53, BStBl II 1976, 793; vom 30. Juni 1988 V R 79/84, BFHE 154, 192, BStBl II 1988, 910).
Der Abschluß eines Gruppenversicherungsvertrages mit einem privaten Versicherungsunternehmen ist keine den Trägern öffentlicher Gewalt vorbehaltene Tätigkeit. Die Klägerin hat sich in einem privatrechtlichen Vertrag zu laufenden Tätigkeiten (Änderungsmitteilungen) verpflichtet, um dadurch dem Versicherer zu versichernde Personen zuzuführen und ihn in die Lage zu versetzen, die Daten des Versicherungsbestandes zeitnah zu ergänzen. Vergleichbare Leistungen werden auch von gewerblich tätigen Versicherungsvertretern erbracht. Auch sprechen die verwendeten privatrechtlichen Formen für eine Tätigkeit außerhalb der öffentlichen Gewalt. Im übrigen hat der Gesetzgeber durch die Befreiungsvorschrift in § 4 Abs. 1 Nr. 10 KStG 1968/§ 5 Abs. 1 Nr. 8 KStG 1977 erkennen lassen, daß er sogar öffentlich-rechtliche Versicherungs- und Versorungseinrichtungen von Berufsgruppen, deren Mitglieder aufgrund einer durch Gesetz angeordneten Verpflichtung Mitglieder sind, nicht als Hoheitsbetriebe ansieht. Sonst hätte es einer Körperschaftsteuerbefreiung dieser Einrichtungen im Gesetz nicht bedurft (vgl. Urteil in BFHE 118, 31, BStBl II 1976, 355).
dd) Die Klägerin übte eine nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen aus.
Die laufende Übermittlung von Veränderungen im Bestand und in den persönlichen Daten der Versicherten bedingt eine Tätigkeit der Klägerin. Eine Tätigkeit liegt auch dann vor, wenn die Klägerin lediglich die Durchschriften von Meldeformularen oder Ausdrucke aus ihrer Datenverarbeitungsanlage übersandte. Beide Übermittlungsverfahren erfordern den dauernden Einsatz sachlicher und persönlicher Mittel der Klägerin. Auf den Umfang der Tätigkeit kommt es für den Tätigkeitsbegriff nicht an.
Die Tätigkeit war auch nachhaltig. Sie mußte vom Abschluß des Gruppenversicherungsvertrages im Jahre 1973 während sämtlicher Streitjahre laufend erbracht werden. Es bedarf keiner Ausführungen, daß es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen handelte, da die Tätigkeit der Klägerin mit 2 v. H. der jährlichen Beitragseinnahmen vergütet wurden.
ee) Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen jedoch nicht aus, um überprüfen zu können, ob die Klägerin eine ,,Einrichtung" i. S. des § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KStDV 1968, § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG 1977 unterhielt.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß eine ,,Einrichtung" in diesem Sinne keine verselbständigte organisatorische Einheit erfordert. Die Tätigkeit der Einrichtung kann auch innerhalb der für andere Aufgaben der Körperschaft eingerichteten Organisationen miterledigt werden (BFH in BFHE 112, 61, BStBl II 1974, 391; vgl. auch Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 4 KStG Rdnr. 14; Gail / Goutier / Grützner, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 4 Rdnr. 7). Eine personelle Trennung ist nicht Voraussetzung einer ,,Einrichtung" i. S. des § 4 KStG 1977. Auch die Einbeziehung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in eine überwiegend mit hoheitlichen Aufgaben betraute organisatorische Einheit schließt es nicht aus, die wirtschaftliche Tätigkeit gesondert zu beurteilen, wenn sie eine funktionelle Einheit darstellt (BFH-Urteile in BFHE 112, 61, BStBl II 1974, 391; vom 26. Mai 1977 V R 15/74, BFHE 123, 70, BStBl II 1977, 813; vom 14. April 1983 V R 3/79, BFHE 138, 260, BStBl II 1983, 491). Erforderlich sind allerdings zumindest organisatorische Maßnahmen der Klägerin, durch die sich die Übermittlung der für die Versicherer bedeutsamen Angaben von der Tätigkeit für rein berufsständische Zwecke der Klägerin abgrenzen läßt.
Das FG hat lediglich festgestellt, daß die Klägerin laufend Veränderungen im Bestand und in der Anschrift der Mitglieder der Klägerin an die Versicherer übermittelt hat. Diese Tätigkeit kann eine ,,Einrichtung" i. S. des § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KStDV 1968, § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG 1977 darstellen. Die Feststellungen des FG reichen jedoch zu dieser Schlußfolgerung nicht aus.
Sollte die Klägerin lediglich die für ihre eigenen Zwecke zu den gleichen Terminen (z. B. zur Erhebung der Mitgliedsbeiträge) erforderlichen Angaben in Listen zusammengestellt haben, dürfte es an der für eine ,,Einrichtung" erforderlichen Abgrenzung fehlen. Sollten die Angaben jedoch aufgrund besonderer organisatorischer Maßnahmen speziell für die Zwecke der Versicherer zusammengestellt und übermittelt worden sein (z. B. Erfassen und/oder Übermitteln ausschließlich der Daten der neuen Mitglieder und/oder der Veränderungen bei den alten Mitgliedern), so läge darin bereits eine ,,Einrichtung" im Sinne der erwähnten Bestimmungen.
Das FG muß die erforderlichen Feststellungen noch nachholen. Dabei können auch die bei den Versicherern vorliegenden Mitteilungen der Klägerin Anhaltspunkt über das Ausmaß der bei ihr angefallenen Tätigkeiten und über ihre Abgrenzbarkeit geben.
Es bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die Annahme des FG, daß eine ,,Einrichtung", sofern sie vorlag, sich innerhalb der Gesamtbetätigung der Klägerin wirtschaftlich heraushob. Das FG hat zwar keine Feststellungen zum Verhältnis der Provisionseinnahmen der Klägerin zu ihren sonstigen Einnahmen getroffen. Entsprechende Feststellungen waren jedoch nicht erforderlich, da jährliche Einnahmen zwischen 124 000 DM und 349 000 DM und - geschätzte - Gewinne von durchschnittlich mehr als 120 000 DM die geschuldeten Tätigkeiten aus der Gesamttätigkeit der Klägerin wirtschaftlich herausheben (vgl. BFH-Urteil vom 2. März 1983 I R 100/79, BFHE 138, 66, BStBl II 1983, 386).
Diese Folgerung widerspricht entgegen der Auffassung der Klägerin nicht der Entstehungsgeschichte der Bestimmungen zur Besteuerung vom Betrieb gewerblicher Art. Nach der Begründung zum KStG 1934 sollen Betriebe öffentlich-rechtlicher Körperschaften besteuert werden, wenn sie das äußere Bild eines Gewerbebetriebs bilden (Begründung zum KStG 1934, RStBl 1935, 81, 82; ebenso: BFH-Urteile vom 22. September 1976 I R 102/74, BFHE 120, 53, BStBl II 1976, 793, und vom 11. Januar 1979 V R 26/74, BFHE 127, 83, BStBl II 1979, 746, jeweils im Anschluß an Reichsfinanzhof - RFH - vom 22. Oktober 1929 I A a 644/29, RStBl 1929, 666; Mrozek, Körperschaftsteuergesetz 1925, § 2 Abs. 1 Nr. 3 R. 14 und 15). Diese Voraussetzung ist durch die Tatbestandsmerkmale des § 1 KStDV 1968/§ 4 KStG 1977 so konkretisiert worden, daß die Begründung zum KStG 1934 allenfalls als Auslegungshilfe in Betracht kommt. Im übrigen erfüllt eine Einrichtung, die jährlich zu Provisionseinnahmen zwischen 124 000 DM und 349 000 DM führt und nach ihrem äußeren Erscheinungsbild mit der laufenden Bestandspflege eines gewerblich tätigen Versicherungsvermittlers vergleichbar ist, auch äußerlich das Bild eines Gewerbebetriebs.
3. Die Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1968/1977, § 1 KStDV 1968 verstößt nicht gegen Bestimmungen des Grundgesetzes (GG).
a Ein Verstoß gegen Art. 20 GG wegen tatbestandsmäßiger Unbestimmtheit liegt nicht vor.
§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1968/1977 normiert eine unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit den in ihren Betrieben gewerblicher Art erzielten Einkünften. Auch wenn der Wortlaut der Vorschrift auf eine selbständige Steuerpflicht des rechtlich unselbständigen Betriebes hindeutet, ist der rechtliche Gehalt durch Auslegung zu ermitteln und ausreichend bestimmt. Der erkennende Senat hat im Urteil in BFHE 112, 61, BStBl II 1974, 391 ausgeführt, es ergebe sich durch Auslegung, daß Steuersubjekt nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1968 nur die im Rechtsverkehr handlungsfähige Trägerkörperschaft wegen ihres Betriebs gewerblicher Art sein könne. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.
Der sachliche Umfang der Steuerpflicht ergibt sich aus dem Einkommensteuergesetz - EStG - (§ 8 Abs. 1 KStG 1977 i. V. m. § 2 EStG) mit den Besonderheiten, die sich aus § 1 KStDV 1968/§ 4 KStG 1977 selbst ergeben. So ist für gewerbliche Einkünfte nach der Sonderbestimmung des § 4 KStG 1977 (früher § 1 KStDV 1968) abweichend von § 15 EStG keine Gewinnerzielungsabsicht und keine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erforderlich (§ 4 Abs. 1 Satz 2 KStG 1977/§ 1 KStDV 1968). Diese Beschränkung ist jedoch aus dem Wortlaut des Gesetzes klar zu entnehmen. Ebenso scheiden land- und forstwirtschaftliche Einkünfte nach der Ausschlußregelung in § 1 KStDV 1968/§ 4 Abs. 1 Satz 1 KStG 1977 aus.
b) Auch aus dem Verhältnis der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1977 zur beschränkten Steuerpflicht gemäß § 2 Nr. 2 KStG 1977 ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin keine Unbestimmtheit der Gesetzesbestimmungen. Während nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1968/1977 die Trägerkörperschaft wegen aller im Rahmen des Betriebs gewerblicher Art erzielten und in § 4 KStG 1977 näher bezeichneter Einkünfte unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist (Welteinkommensprinzip), besteht eine beschränkte Körperschaftsteuerpflicht juristischer Personen des öffentlichen Rechts nach § 2 Nr. 2 KStG 1977 nur wegen der dort bezeichneten abzugspflichtigen Einkünfte.
c) Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 22. Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357; Kirchhof in Kirchhof / Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 2 Rdnr. A 268 ff.) schließt eine Besteuerung ohne Gewinnerzielungsabsicht nicht aus.
Die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist ein objektiver Maßstab der Besteuerung, der von den subjektiven Vorstellungen des Steuerpflichtigen beim Bezug des Einkommens unabhängig ist. Eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist auch bei Betrieben gewerblicher Art dadurch gesichert, daß eine Ertragsbesteuerung nur eingreift, wenn im Betrieb Überschüsse erwirtschaftet werden. Der Gesetzgeber hat sich mit der Heranziehung der ,,Betriebe gewerblicher Art" zur Körperschaftsteuer bewußt von den Merkmalen gewerblicher Einkünfte im Sinn des Einkommensteuer- und Gewerbesteuerrechts gelöst (vgl. Mirre / Dreuter, Körperschaftsteuergesetz 1934, Kommentar, § 1 Anm. 24 a; Herrmann / Heuer / Raupach, a. a. O., § 4 KStG Rdnr. 8). Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, die Steuerpflicht im Bereich der Körperschaftsteuer an andere Merkmale anzuknüpfen als im Bereich der Einkommensteuer, sofern der die gesamte Ertragsbesteuerung beherrschende Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit beachtet ist.
4. Die Festsetzungsfristen für die im Jahre 1983 erlassenen Steuerbescheide waren nicht abgelaufen.
Die Festsetzungsverjährung für die vor dem 1. Januar 1977 entstandenen Steueransprüche richtete sich nach den Verjährungsvorschriften der Reichsabgabenordnung (AO) vom 22. Mai 1931 (RGBl I 1931, 161) i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 25. Juli 1975 - BGBl I, 1973 - (vgl. Art. 97 § 10 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 - vom 14. Dezember 1976, BGBl I 1976, 3341). Gemäß § 146 a Abs. 3 AO wurde der Ablauf der Verjährung gehemmt, wenn eine vor Ablauf der Verjährung angeordnete Betriebsprüfung auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wurde. Da die Klägerin für die Jahre 1974 bis 1976 keine Steuererklärungen abgegeben hatte, begann die Verjährung der Körperschaftsteuer 1974 und der Gewerbesteuer 1974 am 1. Januar 1978 (§ 145 Abs. 2 Nr. 1 AO). Ihr Ablauf wurde durch den Antrag der Klägerin gehemmt, die Außenprüfung in das Jahr 1983 zu verschieben. Dadurch konnte die Verjährung nicht vor der Unanfechtbarkeit der im Revisionsverfahren streitigen Steuerbescheide eintreten. Für die später entstandenen Steueransprüche der Veranlagungszeiträume / Erhebungszeiträume 1975 bis 1980 ist ebenfalls keine Verjährung eingetreten.
III. Die Revision ist auch begründet, soweit die Klägerin die Körperschaftsteuerbescheide 1983 und 1984 angreift.
1. Diese Bescheide sind gemäß § 68 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden.
Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird gemäß der auch im Revisionsverfahren (§§ 121, 123 FGO) geltenden Vorschrift des § 68 FGO der ändernde oder ersetzende Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, wenn der Kläger dies beantragt. Die Begriffe ,,Änderung" oder ,,Ersetzung" sind weit auszulegen (BFH-Urteile vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791; vom 9. September 1986 VIII R 198/84, BFHE 147, 463, BStBl II 1987, 28). Durch den Erlaß der Jahressteuerbescheide haben die Vorauszahlungsbescheide ihre Wirkung wenigstens insoweit verloren, als sie noch nicht vollzogen waren (Urteil in BFHE 147, 463, BStBl II 1987, 28; vgl. auch BFH-Urteil vom 11. November 1987 I R 189/82, nicht veröffentlicht).
2. Die Sache muß auch insoweit an das FG zurückverwiesen werden, da tatsächliche Feststellungen fehlen, die eine rechtliche Überprüfung dieser Bescheide ermöglichen könnten. Derartige Feststellungen konnte das FG noch nicht treffen, da für den Körperschaftsteuerbescheid 1983 vom 1. März 1985 bei Ergehen des erstinstanzlichen Urteils keine Anträge nach § 68 FGO gestellt waren. Der Körperschaftsteuerbescheid 1984 vom 12. Februar 1986 erging erst nach Zustellung des angefochtenen Urteils.
Es kann dahingestellt bleiben, ob gemäß § 74 FGO das Ruhen des Verfahrens bezüglich des am 21. August 1989 geänderten Körperschaftsteuerbescheids 1984 anzuordnen ist. Da auch insoweit die für eine rechtliche Überprüfung des Bescheids erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlen, muß das Verfahren in jedem Falle an das FG zurückverwiesen werden. Aus Gründen der Prozeßökonomie wird die Entscheidung über das Ruhen des Verfahrens dem FG vorbehalten.
IV. Die Revision ist auch begründet, soweit die Klägerin die Entscheidung über die Gewerbesteuermeßbescheide 1974 bis 1980 angreift.
Die Gewerbesteuerpflicht von Körperschaften des öffentlichen Rechts richtete sich in den Streitjahren nach § 2 Abs. 1 GewStG und den §§ 1 und 2 GewStDV i. d. F. der Bekanntmachung vom 15. November 1974 - GewStDV 1974 - (BGBl I 1974, 3138, BStBl I 1974, 979) und den §§ 1 und 2 GewStDV i. d. F. der Bekanntmachung vom 26. Januar 1979 - GewStDV 1979 - (BGBl I 1979, 114, BStBl I 1979, 87). Danach unterlagen Körperschaften des öffentlichen Rechts der Gewerbesteuer, wenn sie einen ,,stehenden Gewerbebetrieb" unterhielten (§ 2 Abs. 2 GewStDV 1974/1979), der nicht der öffentlichen Gewalt diente. Der Begriff des stehenden Gewerbebetriebs ist gesetzlich in § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewStG definiert und erfordert über die Verweisung auf das EStG eine Gewinnerzielungsabsicht. Die dazu vom FG getroffenen Feststellungen reichen aus. Aus der Feststellung der erzielten Überschüsse ist abzuleiten, daß die Klägerin Gewinne erstrebte. Zwar lassen auch tatsächlich erwirtschaftete Gewinne während eines bestimmten Zeitraums nicht stets den Schluß auf die Absicht der Erzielung eines Totalgewinns über eine längere Periode zu (vgl. BFH-Urteil vom 22. August 1984 I R 102/81, BFHE 142, 152, BStBl II 1985, 61). Werden jedoch - wie im Streitfall - über eine siebenjährige Periode bei geringem Risiko ständig steigende, beträchtliche Gewinne erzielt, kann ohne weitere Feststellungen von einer Gewinnerzielungsabsicht ausgegangen werden.
Die übrigen Voraussetzungen eines nicht der öffentlichen Gewalt dienenden stehenden Gewerbebetriebs können - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - aus dem Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art im Sinne des Körperschaftsteuerrechts abgeleitet werden. Die hierzu vom FG noch zu treffenden tatsächlichen Feststellungen (Abschnitt II Nr. 2 Buchst. b, ee dieser Entscheidung) können für die Beurteilung der Gewerbesteuerpflicht übernommen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 417192 |
BFH/NV 1991, 628 |