Leitsatz (amtlich)
Ein Elektrizitätsunternehmen, das nach dem Konzessionsvertrag seine Anlagen auf öffentlichem Grund und Boden nach Ablauf des Vertrags zu entfernen hat, darf für diese Entfernungsverpflichtung eine Rückstellung bilden, durch die der voraussichtliche Wert der betroffenen Anlagen gleichmäßig auf die Jahre verteilt wird, in denen der Vertrag läuft.
Normenkette
KStG § 6; EStG §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) ist eine AG, die der Versorgung der Bevölkerung mit Elektrizität dient. Der Bayerische Staat erteilte ihr durch notariellen Vertrag vom 31. Januar 1913 (Staatsvertrag) auf die Dauer von 75 Jahren, vom 1. Januar 1913 an gerechnet, die Erlaubnis, Starkstromleitungen mit Zubehör auf, über und unter Staatsgrund, öffentlichen und Staatsprivatgewässern und staatseigenen Anlagen innerhalb eines bestimmten Gebiets zu führen. Nach Ablauf der 75 Jahre läuft der Vertrag stillschweigend weiter, kann jedoch immer auf fünf Jahre, erstmals am 1. Januar 1983 auf den 1. Januar 1988 vom Staat gekündigt werden. Kommt nach Ablauf des Vertrags eine Einigung über die Belassung der Anlagen der Steuerpflichtigen auf Staatseigentum nicht zustande, so ist die Steuerpflichtige verpflichtet, ihre Anlagen auf, über und unter Staatsgrund, öffentlichen und Staatsprivatgewässern und staatseigenen Anlagen auf ihre Kosten gänzlich zu entfernen unter ordentlicher Instandsetzung der Straßen, Gebäude usw. Die Entfernung der Anlagen und die Instandsetzungsarbeiten haben innerhalb einer vom Staat zu bestimmenden Frist zu erfolgen, widrigenfalls der Staat berechtigt ist, die Arbeiten auf Kosten der Steuerpflichtigen vornehmen zu lassen.
Die Stromlieferungen an die Gemeinden sind durch die in § 4 des Staatsvertrags vorgeschriebenen Zustimmungsverträge geregelt, deren Dauer teils auf 25 Jahre, teils auf 30 Jahre festgelegt ist. Kommt nach Ablauf des Vertrags zwischen der Steuerpflichtigen und der Gemeinde eine neue Vereinbarung über die weitere Dauer der Stromversorgung nicht zustande, so ist die Steuerpflichtige berechtigt und auf Verlangen der Gemeinde verpflichtet, die innerhalb des Gemeindegebiets errichteten oberirdischen Leitungen nebst Zubehör, jedoch unter Ausschluß der Fernleitungen und der Transformatorenstationen, auf ihre Kosten gänzlich zu entfernen unter ordentlicher Instandsetzung der Straßen, Gebäude usw.
Für die Verpflichtung zur Entfernung der Anlagen, die gegenüber dem Bayerischen Staat und gegenüber den Gemeinden bestand, bildete die Steuerpflichtige eine Rückstellung, der sie jährlich Beträge zuführte. Der Revisionsbeklagte (FA) ließ die Zuführung zur Rückstellung bei der Körperschaftsteuerveranlagung für das Streitjahr 1952 nicht zu. Die Sprungberufung blieb ohne Erfolg.
Das FG hat die Auffassung vertreten, die Bildung einer Rückstellung für die im Staatsvertrag vorgesehene Verpflichtung zur Entfernung der Anlagen auf Staatsgrund sei dem Grunde nach gerechtfertigt. Eine Erhöhung der bis zum 31. Dezember 1951 bereits gebildeten Rückstellung sei jedoch nicht zulässig. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei die Gefahr für die Steuerpflichtige, im Jahre 1988 die benutzten Grundstücke des Bayerischen Staats entschädigungslos räumen zu müssen, gering zu veranschlagen. Für dieses geringe Risiko sei auch nach den kaufmännischen Grundsätzen vorsichtiger Bilanzierung eine Rückstellung zum 31. Dezember 1952 angemessen, die jedenfalls erheblich unter dem Betrag liege, der anzusetzen wäre, wenn das verlustbringende Ereignis mit Sicherheit einträte. Der angemessene Betrag werde auf jeden Fall unter der bis zum 31. Dezember 1951 vorhandenen Rückstellung liegen.
Das FG hat davon abgesehen, den angemessenen Rückstellungsbetrag genau zu beziffern, weil eine teilweise Auflösung der bis zum 31. Dezember 1951 gebildeten Rückstellung aus den Gründen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) I 188/61 S vom 26. Juni 1962 (BFH 75, 366, BStBl III 1962, 399) nicht möglich sei. Andererseits könne die Steuerpflichtige unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht verlangen, daß die Rückstellungen nach der vom FA für richtig erachteten rechnerischen Methode auch für die Zukunft in vollem Umfang zugelassen werden.
Mit der Rechtsbeschwerde (Revision) beantragt die Steuerpflichtige, die Vorentscheidung aufzuheben und zum 31. Dezember 1952 die Zuführung zur Rückstellung für die Entfernungsverpflichtung in Höhe von 233 596 DM anzuerkennen.
Zur Begründung führt die Steuerpflichtige aus, das FG habe die Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung verkannt. Wenn die Entstehung einer Schuld sicher und nur die Höhe der Schuld ungewiß sei, müsse eine Rückstellung gebildet werden. Sei dagegen zweifelhaft, ob die Schuld überhaupt entstehe, so sei abzuschätzen, wie groß die Gefahr des Entstehens der Schuld sei. Im Streitfall habe die Verpflichtung aus dem Staatsvertrag, die Anlagen nach Ablauf des Vertrages auf Verlangen des Staates zu beseitigen, auch am maßgeblichen Bilanzstichtag noch bestanden. Nach kaufmännischen und insoweit auch nach steuerlichen Grundsätzen (§ 5 EStG) müsse sie diesem Umstand durch Bildung einer ausreichenden Rückstellung Rechnung tragen.
Die Steuerpflichtige sieht einen weiteren Mangel der Vorentscheidung darin, daß das FG keine Berechnungen angestellt habe und auch nicht erkennen lasse, welche konkreten Anhaltspunkte es für seine Meinung habe, die bis zum 31. Dezember 1951 gebildete Rückstellung reiche aus.
Vorsorglich macht die Steuerpflichtige geltend, das FG habe den Grad der Wahrscheinlichkeit dafür, daß es zur Entfernung der Anlagen kommen werde, verkannt. Die technische Entwicklung auf dem Gebiet der Energieversorgung, insbesondere die Möglichkeit, daß eines Tages Kleinreaktoren zur Stromerzeugung hergestellt würden und daß Elektrizität drahtlos übertragen werde, zeige, daß mit einem Überflüssigwerden der zu entfernenden Stromversorgungsanlagen gerechnet werden müsse.
Die Steuerpflichtige vertritt schließlich den Standpunkt, das FA verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn es weitere Zuführungen zur Rückstellung für die Entfernungsverpflichtung nicht anerkenne. Denn das FA sei bisher ihrer Bilanzierungsweise gefolgt. An der Sach- und Rechtslage habe sich aber nichts geändert. Außerdem habe ihr das FA eine Umstellung der Rückstellung im Verhältnis 10: 1 in der DM-Eröffnungsbilanz mit der Begründung versagt, eine etwa notwendig werdende Änderung des Staatsvertrags sei bei der Bewertung der Rückstellung in der steuerlichen DM-Eröffnungsbilanz nicht zu berücksichtigen. Jetzt vertrete das FA die entgegengesetzte Meinung.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das Bayerische Staatsministerium der Finanzen ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 FGO beigetreten und beantragt ebenfalls, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das Bayerische Staatsministerium der Finanzen meint zunächst, die Entfernungsverpflichtung sei nicht als Rückstellung sondern als Wertberichtigung einzuordnen mit der Folge, daß sie nur zulässig wäre, wenn die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer der Anlagen der Steuerpflichtigen auf Staatsgrund länger wäre als die voraussichtliche restliche Laufzeit des Staatsvertrags. Diese Voraussetzung sei für die im Streitjahr 1952 vorhandenen Anlagen nicht erfüllt. Aber auch wenn die Entfernungsverpflichtung durch eine Rückstellung zu berücksichtigen wäre, dürften wegen der nahen Verwandtschaft zwischen Wertberichtigungen und Rückstellungen an die Rückstellung keine geringeren Anforderungen gestellt werden als an die Wertberichtigung.
Abgesehen von diesen Überlegungen setze die Bildung einer Rückstellung voraus, daß mit einiger Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Inanspruchnahme bestehe. Das gelte ohne Rücksicht darauf, ob es sich um eine dem Grunde nach oder nur der Höhe nach ungewisse Schuld handle. Im übrigen sei im Streitfall die Entfernungsverpflichtung schon dem Grunde nach ungewiß, weil sie eine Kündigung des Bayerischen Staats voraussetze, die aber unwahrscheinlich sei, weil sie mit dem Ziel des Staatsvertrags, die Bevölkerung eines bestimmten Gebietes bestmöglich mit Strom zu versorgen, schlechthin unvereinbar sei. Die Steuerpflichtige hätte außerdem die Möglichkeit, nach § 11 des Energiewirtschaftgesetzes auf dem Weg über eine Enteignung den Staat und die Gemeinden zu zwingen, die Anlagen fortbestehen zu lassen. Die Entfernungsverpflichtung müsse geradezu als eine nicht ernsthaft gewollte und damit nicht rückstellungsfähige Verbindlichkeit gewertet werden. Das alles gelte jedenfalls, soweit die Anlagen bei Ablauf des Staatsvertrags noch für die Stromversorgung benötigt würden.
Zur Höhe der Rückstellung fordert das Bayerische Staatsministerium der Finanzen, daß die Zuführung zur Rückstellung um einen anteiligen Betrag für den bei Entfernung der Anlagen vorhandenen Materialwert gekürzt werde. Außerdem sei mangels eines bestimmbaren Anschaffungswertes der Verbindlichkeit, die der Rückstellung zugrunde liege, der Teilwert maßgebend. Dieser sei gleich dem Bar- oder Zeitwert der Verbindlichkeit. Demgemäß sei die Rückstellung für die Entfernungsverpflichtung höchstens mit dem auf den 1. Januar 1988 abgezinsten Betrag anzusetzen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet. Die Steuerpflichtige darf die begehrte Zuführung zur Rückstellung für die Entfernungsverpflichtung gegenüber dem Bayerischen Staat und gegenüber den Gemeinden bilden.
Der RFH hat in der Körperschaftsteuersache 1937 der Steuerpflichtigen durch (nicht veröffentlichtes) Urteil I 435/40 vom 29. April 1941 entschieden, daß die Steuerpflichtige für ihre Verpflichtung, im Jahre 1988 ihre Anlagen auf Staatsgrund und auf Gemeindegebiet zu entfernen und den früheren Zustand wiederherzustellen, eine „entsprechende” Rückstellung bilden darf, d. h., nach näherer Erläuterung des Urteils, eine Rückstellung, durch die im Laufe der Jahre ein Betrag für die spätere Rückzahlung des Gesellschaftskapitals angesammelt wird. Diese Ansammlung stellt nach ausdrücklicher Feststellung des Urteils keine Rücklage, sondern eine steuerlich abzugsfähige Zuführung zu einer Rückstellung dar, da sie keine Vermehrung des Gesellschaftskapitals, sondern nur dessen Erhaltung für den Zeitpunkt des Heimfalls bezwecke. Auf Grund dieses Urteils hat die Steuerpflichtige Jahr für Jahr der „Rückstellung für Entfernungslast” Beträge zugeführt, deren Höhe sie im Einvernehmen mit dem FA berechnet hat.
Der Senat hält an der Entscheidung des RFH fest.
1. Der streitige Posten ist keine Wertberichtigung, sondern eine Rückstellung. Denn ihm liegt die Verpflichtung der Steuerpflichtigen gegenüber dem Staat und gegenüber den Gemeinden zugrunde, nach Ablauf des Vertrags ihre Anlagen auf Staatsgrund und auf Gemeindegebiet zu entfernen und die Straßen, Gebäude usw. ordentlich instand zu setzen. Damit erweist sich der Posten als ein Fall der „Rückstellungen für ungewisse Schulden”, die nach Handelsrecht und damit auch nach Steuerrecht geboten und von den Wertberichtigungen zu unterscheiden sind (§ 131 Abs. 1 B IV des Aktiengesetzes – AktG – 1937, § 5 EStG, § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG; BFH-Urteil I 324/62 S vom 27. April 1965, BFH 82, 445, BStBl III 1965, 409).
2. Die Entfernungsverpflichtung ist nach dem Staatsvertrag und nach den Verträgen mit den Gemeinden dem Grunde nach wahrscheinlich genug, um eine Rückstellung zu rechtfertigen.
a) Sie ist keine aufschiebend bedingte Verpflichtung, bedingt etwa durch die Kündigung des Staatsvertrags durch den Bayerischen Staat oder dadurch, daß nach Ablauf des Staatsvertrags keine Einigung über die Belassung der Anlagen zustande kommt. Wenn es im Staatsvertrag heißt, der Vertrag laufe nach Ablauf der 75 Jahre stillschweigend weiter, könne jedoch immer auf fünf Jahre, erstmals am 1. Januar 1983 auf den 1. Januar 1988 gekündigt werden, so handelt es sich dabei um keine „Kündigung” im Rechtssinne, sondern lediglich um die Erklärung, die Fortsetzung des Vertrags werde abgelehnt. Das Ende des Vertrags tritt dann durch den Ablauf der im Staatsvertrag bestimmten Zeit und nicht durch die „Kündigung” ein (Urteil des Reichsgerichts V 216/23 vom 1. Dezember 1923, RGZ 107, 300). Die Erklärung, eine Fortsetzung des Vertrags werde abgelehnt, ist sachlich nichts anderes als die Erklärung, die Rechte aus dem Vertrag – hier der Anspruch auf Entfernung der Anlagen – würden geltend gemacht werden. Das Geltendmachen eines Anspruchs ist aber rechtlich keine Bedingung des Anspruchs nach § 158 BGB. Die Entfernungsverpflichtung ist auch nicht deshalb eine aufschiebend bedingte Verbindlichkeit, weil sie nach dem Staatsvertrag und nach den Verträgen mit den Gemeinden eintritt, wenn nach Ablauf des Vertrags eine Einigung über die Belassung der Anlagen auf Staats- oder Gemeindeeigentum nicht zustande kommt. Denn dabei handelt es sich, wie bereits der OFH in der Einheitswertsache der Steuerpflichtigen durch Urteil III 58/49 vom 31. Mai 1950 (Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Reichsfinanzhofs und des Obersten Finanzgerichtshofs Bd. 54 S. 490) entschieden hat, um keine echte Bedingung, sondern lediglich um eine Rechtsbedingung, da der Vorbehalt, daß eine Einigung nicht zustande komme, nur die bestehende Rechtslage wiedergibt, die eine Änderung schuldrechtlicher Verpflichtungen auch ohne entsprechenden Vorhalt erlaubt (§ 305 BGB).
b) Auch die rechtlichen Bedenken, die gegen die Gültigkeit und Durchsetzbarkeit der nach dem Staatsvertrag und nach den Verträgen mit den Gemeinden bestehenden Entfernungsverpflichtung vorgebracht werden, erscheinen dem Senat nicht begründet. Zunächst besteht kein Grund zu der Annahme, die Vereinbarung über die Entfernungsverpflichtung sei nur zum Schein getroffen worden oder nicht ernstlich gemeint gewesen und daher nichtig (§§ 117, 118 BGB). Nicht ersichtlich ist auch, inwiefern die Vereinbarung gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen sollte (§§ 134, 138 BGB). Insbesondere ist die Entfernungsverpflichtung gegenüber den Gemeinden nicht durch § 6 der Konzessionsabgabenanordnung-Energie (KAE) vom 4. März 1941 (Reichsanzeiger – RAnz. – Nr. 57 vom 8. März 1941) und Abschn. 60 der Durchführungsverordnung vom 27. Februar 1943 (RAnz. Nr. 75 vom 31. März 1943) beseitigt worden. Nach diesen Vorschriften fielen Heimfallverpflichtungen auf Übertragung von Anlagen eines Versorgungsunternehmens ohne Entschädigung oder gegen Zahlung einer Teilentschädigung mit dem 1. April 1941 weg. Nach Wortlaut, Sinn und Zweck dieser Vorschriften werden damit nur echte Heimfallverpflichtungen, nicht aber Entfernungsverpflichtungen der hier vorliegenden Art erfaßt. Der Senat folgt damit der Auffassung des für das Preisrecht zuständigen Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr im Schreiben an die Steuerpflichtige vom 15. Juli 1968, auf das Bezug genommen wird.
Der Senat hält es auch nicht für möglich, daß die Steuerpflichtige einem Verlangen auf Entfernung der Anlagen erfolgreich mit dem Antrag auf Enteignung nach § 11 des Energiewirtschaftsgesetzes werde begegnen können. Denn die Enteignung (Entziehung oder Beschränkung des Grundeigentums) würde voraussetzen, daß sie für die Zwecke der öffentlichen Energieversorgung erforderlich wäre. Da das ausschließliche Recht der Steuerpflichtigen, in einem bestimmten Gebiet Staatseigentum für Starkstromleitungen mit Zubehör zu benutzen, nach § 2 des Staatsvertrags auf die Dauer von 25 Jahren begrenzt war und daher nach den unbestrittenen Erklärungen der Steuerpflichtigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr besteht, kann die Versorgung der Bevölkerung mit Strom in dem der Steuerpflichtigen zugewiesenen Gebiet auch durch andere Unternehmen sichergestellt werden. Eine Enteignung zugunsten der Steuerpflichtigen wäre dann zur Stromversorgung nicht mehr erforderlich. Der Senat sieht sich in seinen Zweifeln bestärkt durch das Rechtsgutachten des Ministerialdirigenten R. vom 28. Februar 1963, das die Steuerpflichtige dem FG vorgelegt hat. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, die Entfernungsverpflichtung der Steuerpflichtigen nach dem Staatsvertrag werde sich – gerade auch, weil sie vertraglich übernommen worden sei – durch § 11 des Energiewirtschaftsgesetzes nicht beseitigen lassen.
3. Ist aber eine Verbindlichkeit dem Grunde nach gewiß oder bestehen doch wenigstens – wie im Streitfall – keine ernstlichen Zweifel daran, daß die Verbindlichkeit dem Grunde nach besteht, so darf im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß die Geltendmachung des Anspruchs durch den Gläubiger auch wahrscheinlich ist. Von seltenen Ausnahmen, etwa von den Fällen einer nicht ernsthaft gewollten Verbindlichkeit abgesehen, darf sich der Kaufmann nicht darauf verlassen, daß sein Gläubiger von den ihm zustehenden Rechten keinen Gebrauch machen werde. Das gilt im Streitfall um so mehr, als das FA dem FG auf Anfrage mitgeteilt hat, der Bayerische Staat als Vertragspartner der Steuerpflichtigen gebe eine verbindliche Erklärung, daß er zur gegebenen Zeit die Beseitigungsbefugnis nach dem Staatsvertrag nicht ausüben werde, nicht ab.
4. Auch die Höhe der von der Steuerpflichtigen begehrten Zuführung zur Rückstellung für die Entfernungsverpflichtung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Nachdem der RFH durch Urteil I 435/40 vom 29. April 1941 die Rückstellung dem Grunde nach anerkannt hatte, prüften die Beteiligten verschiedene Arten der Berechnung der Rückstellung und einigten sich schließlich auf die folgende Methode:
Jährliche Zuführung zur Rückstellung = (Anschaffungswert der von der Entfernungsverpflichtung betroffenen Anlagen minus bisherige AfA minus bisherige Rückstellung für die Entfernungsverpflichtung minus nicht vollständig entwertete Anlagen) geteilt durch Zahl der Jahre der restlichen Vertragsdauer. Nach dieser Formel hat die Steuerpflichtige auch im Streitjahr die Zuführung zur Rückstellung berechnet. Die Formel entspricht der Sache nach den Ausführungen des RFH im Urteil I A 79, 80/30 vom 16. September 1930 (RStBl 1930, 717), die ebenfalls auf eine gleichmäßige Verteilung des voraussichtlichen Buchwerts der zu entfernenden Anlagen bei Ablauf des Vertrags auf die Vertragsdauer hinauslaufen und die sich mit einer groben Schätzung des voraussichtlichen Buchwerts begnügen. Da es bei Entfernungsverpflichtungen der hier zu beurteilenden Art ähnlich wie bei echten Heimfallverpflichtungen darum geht, den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung entsprechend den voraussichtlichen Endwert der betroffenen Anlagen auf die Laufzeit des Vertrags zu verteilen und eine Schätzung dieses Wertes unvermeidlich ist, erscheint dem Senat die von den Beteiligten angewandte Formel als eine brauchbare und rechtlich zulässige Methode der Berechnung der Rückstellung. Was die in die Formel einzusetzenden Werte betrifft, besteht nach Ansicht des Senats kein Anlaß zu weiteren Untersuchungen durch das FG, zumal nach dem Tatbestand des Urteils des FG über die Berechnungsweise kein Streit zwischen den Beteiligten bestand. Da die Steuerpflichtige die Entfernungskosten in die Rückstellung nicht einbezogen hat, braucht auch nicht geprüft zu werden, ob und in welchem Umfang eine Rückstellung für die Entfernungskosten zulässig wäre.
b) Der Senat kann dem FG nicht darin zustimmen, daß ein Abschlag von der Rückstellung, wie sie sich nach der bisher angewandten Formel ergeben würde, deshalb geboten sei, weil es unwahrscheinlich sei, daß der Bayerische Staat seinen Anspruch auf Beseitigung der Anlagen im Jahre 1988 geltend machen werde. Die Rechtsprechung hat zwar wiederholt den Satz aufgestellt, eine Rückstellung setze voraus, daß die Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen wenigstens mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Die bloße Möglichkeit der Inanspruchnahme genüge nicht (RFH-Urteil VI 382/41 vom 14. Januar 1942, RStBl 1942, 183 mit Hinweis auf das RFH-Urteil VI A 1413/32 vom 12. Juli 1933, RFH Bd. 34 S. 13). Diese Überlegung betrifft aber den Grund und nicht die Höhe der Verbindlichkeit. Für sie ist daher nur Raum bei der Prüfung der Frage, ob eine dem Grunde nach ungewisse Verbindlichkeit, für die eine Rückstellung gebildet werden soll, besteht. Die Wahrscheinlichkeitserwägung gilt dagegen nicht für die Höhe der Rückstellung, es sei denn, daß es nicht (oder nicht nur) zweifelhaft ist, ob der Schuldner überhaupt in Anspruch genommen werden wird, sondern (auch), in welcher Höhe dies voraussichtlich geschehen werde. Im Streitfall befassen sich die Überlegungen des FG nur mit der Frage, ob die Steuerpflichtige überhaupt damit rechnen muß, daß sie ihre Anlagen im Jahre 1988 entfernen muß, nicht dagegen mit der Frage, in welchem Umfang sie die Anlagen zu entfernen haben wird. Das Ergebnis der vom FG angestellten Untersuchung kann daher nur sein, daß die Rückstellung im ganzen unzulässig oder aber in der begehrten Höhe zulässig ist.
c) Eine Abzinsung des Wertes der Entfernungsverpflichtung kann nicht verlangt werden. Die Tatsache, daß die Entfernungsverpflichtung erst in einem weit in der Zukunft liegenden Zeitpunkt zu erfüllen sein wird, ist bereits dadurch berücksichtigt, daß der Wert der Entfernungsverpflichtung nicht mit dem Endbetrag, sondern mit einem geringeren, jährlich steigenden Betrag angesetzt wird. Für die Berechnung dieses Betrags ist die Abzinsung nach der Rentenformel nicht das geeignete Mittel. Eine Abzinsung kann allenfalls bei einer unverzinslichen betagten Geldschuld in Betracht kommen (BFH-Urteil IV 456/61 U vom 12. März 1964, BFH 80, 138, BStBl III 1964, 524). Auf Verpflichtungen anderer Art, jedenfalls auf die Verpflichtung, bestimmte Anlagen zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt zu entfernen, treffen die Erwägungen, die für die Abzinsung einer unverzinslichen Geldschuld angeführt werden, nicht zu. Für Verpflichtungen dieser Art erscheint dem Senat nicht eine Verteilung des Endwertes der Verpflichtung auf die Laufzeit des Vertrags nach der Rentenformel, sondern eine gleichmäßige Verteilung als das richtige Mittel, um die Last der Verpflichtung den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung entsprechend auf die Jahre zu verteilen, in denen sie wirtschaftlich verursacht wird. Soweit das Bayerische Staatsministerium der Finanzen die Abzinsung unter dem Gesichtspunkt des niedrigeren Teilwerts fordert, ist dem entgegenzuhalten, daß die sinngemäße Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG auf Verbindlichkeiten, die durch § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG vorgeschrieben ist, nicht zum Ansatz eines niedrigeren, sondern zum Ansatz eines höheren Teilwerts führt (BFH-Urteil IV 456/61 U, a. a. O.). Der abgezinste Betrag liegt aber im Streitfall unter dem Betrag, der sich bei Anwendung der von den Beteiligten gewählten Formel ergibt und der unter Berücksichtigung der Besonderheiten der hier zu beurteilenden Entfernungsverpflichtung an die Stelle der in § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 erwähnten „Anschaffungs- oder Herstellungskosten” tritt.
Fundstellen
Haufe-Index 557399 |
BStBl II 1969, 247 |
BFHE 1969, 383 |