Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Unterschriftserfordernis bei Setzung einer Ausschlußfrist zur Vollmachtsvorlage
Leitsatz (NV)
1. Die Anordnung einer Ausschlußfrist nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG zur Vorlage der Vollmacht muß vom zuständigen Richter unterschrieben werden.
2. Wird an Stelle der Urschrift der Verfügung eine Abschrift zugestellt, so muß diese lediglich mit dem Beglaubigungsvermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle versehen sein.
3. Der zuständige Richter kann auch ohne vorherige formlose Mahnung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen.
Normenkette
FGO §§ 53, 56, 62 Abs. 3; VGFGEntlG Art. 3 § 1; VwZG § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt ein gewerbliches Unternehmen. Am 16. Januar 1984 erhob er beim Finanzgericht (FG) Klage mit dem Antrag, die auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhenden Einkommensteuerbescheide 1980 und 1981 und den ebenfalls auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhenden Umsatzsteuerbescheid 1981 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. November 1983 aufzuheben und die Steuern nach Maßgabe der im Klageverfahren eingereichten Steuererklärungen festzusetzen und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Klage wurde ,,namens und im Auftrag" des Klägers von einer Steuerbevollmächtigten erhoben. Der Vorsitzende des zuständigen Senats des FG setzte ihr durch Verfügung vom 19. Januar 1984 unter Hinweis auf Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (BGBl I 1978, 446) i. d. F. des Gesetzes vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1983, 1515) - VGFGEntlG - eine Ausschlußfrist zur Vorlage der Prozeßvollmacht bis zum 16. Februar 1984. Die Verfügung ist von dem Vorsitzenden mit seinem Namen unterschrieben. Die Verfügung ist der Steuerbevollmächtigten in beglaubigter Abschrift durch die Post mittels einfachem Brief am 25. Januar 1984 bekanntgegeben und mit Zustellungsurkunde am 2. Februar 1984 zugestellt worden. Dem Schriftsatz der Steuerbevollmächtigten vom 22. Februar 1984, der am 24. Februar 1984 beim FG einging, lag die Einkommensteuererklärung 1980 des Klägers und die auf den 17. Februar 1984 datierte, vom Kläger unterschriebene Vollmacht zugunsten der Steuerbevollmächtigten bei. Dem Schriftsatz der Steuerbevollmächtigten vom 21. Februar 1984, der ebenfalls am 24. Februar 1984 beim FG einging, lagen der Jahresabschluß 1981, die Einkommen- und Umsatzsteuererklärung 1981 bei.
Die Steuerbevollmächtigte wurde in der Ladung vom 29. Februar 1984 zur mündlichen Verhandlung am 22. März 1984 auf die fehlende Vollmacht hingewiesen. Am 5. März 1984 stellte ihr die Post die Ladung mit Zustellungsurkunde zu. Im Schriftsatz vom 7. März 1984, der am gleichen Tag beim FG einging, führte sie aus, daß das Mandatsverhältnis mit dem Kläger bereits seit dem 1. Februar 1977 bestehe. Damals sei dem Finanzamt (FA) eine umfassende Vollmacht überreicht worden. Wegen der verspäteten Vorlage der angeforderten Prozeßvollmacht beantragte sie vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Am 22. März 1984 erklärte sie in der mündlichen Verhandlung, ihre Sekretärin habe aufgrund der am 2. Februar 1984 mit Postzustellungsurkunde zugestellten gerichtlichen Verfügung eine Frist zum 2. März 1984 notiert. Die Mitarbeiterin hätte ihren Arbeitsvertrag bereits vor dem 2. Februar 1984 zum 31. März 1984 gekündigt.
Das FG wies die Klage im Anschluß an die mündliche Verhandlung auf Kosten des Klägers als unzulässig ab. Es führte aus, die nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG gesetzte Frist sei versäumt.
Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung von § 53 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 2 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), Art. 3 § 1 VGFGEntlG und Verweigerung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig.
Soweit der Kläger allerdings die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) geltend macht, hat er den Verfahrensfehler nicht in schlüssiger Weise gerügt (§ 120 Abs. 2 FGO).
Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nur dann schlüssig, wenn der Prozeßbeteiligte vorträgt, daß er die Rechtsverletzung in der Vorinstanz gerügt habe. Da es sich um eine verzichtbare Rüge handelt (§ 295 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i. V. m. § 155 FGO), kommt es darauf an, daß der Kläger auf den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verzichtet hat. Ein solcher Verzicht wird unterstellt, wenn der Berechtigte trotz Kenntnis die Verkürzung seines Rechts nicht schon in der Instanz rügt, in der sie stattgefunden haben soll (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Januar 1977 I R 163/74, BFHE 121, 286, BStBl II 1977, 348; Klein / Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Rdnr. 90).
Ein solcher Verzicht liegt im Streitfall vor. Der Vorentscheidung ist - übereinstimmend mit dem Inhalt der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem FG - zu entnehmen, daß die frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung Tatsachen für den Wiedereinsetzungsantrag vorgebracht hat. In diesem Verhalten kann aber nicht die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch eine zu kurz bemessene Ausschlußfrist zur Vorlage der Prozeßvollmacht nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG erblickt werden. Dafür wäre es erforderlich gewesen, bereits vor dem FG geltend zu machen, daß die 14tägige Ausschlußfrist nicht ausgereicht habe, die Vollmacht des Klägers vorzulegen. Das aber ist nicht geschehen.
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das FG hat Art. 3 § 1 VGFGEntlG und § 56 FGO fehlerfrei angewendet.
1. Läßt sich ein Beteiligter vor einem Gericht der Finanzgerichtsbarkeit durch einen Bevollmächtigten vertreten, so hat er eine schriftliche Prozeßvollmacht zu erteilen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO). Nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG kann der Vorsitzende oder der von ihm nach § 79 FGO bestimmte Richter, also in der Regel der Berichterstatter, für das Einreichen der Vollmacht (§ 62 Abs. 3 Satz 2 FGO) eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen. Wird die Vollmacht innerhalb der gesetzten richterlichen Ausschlußfrist nicht eingereicht, so ist die Klage wegen Fehlens einer Prozeßvoraussetzung durch Prozeßurteil als unzulässig abzuweisen. Dieser Mangel kann nicht durch Nachreichung der Vollmacht geheilt werden, sofern nicht Wiedereinsetzungsgründe vorliegen (Art. 3 § 1 Satz 2 VGFGEntlG; BFH-Urteile vom 30. März 1988 I R 140 /87, BFHE 153, 388, BStBl II 1988, 836; vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731, m. w. N.; vom 11. Januar 1980 VI R 11/79, BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229).
a) Im Streitfall ist die auf den 17. Februar 1984 datierte Prozeßvollmacht des Klägers erst am 24. Februar 1984, das heißt nach Ablauf der am 16. Februar 1984 endenden Ausschlußfrist nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG, beim FG eingegangen. Die in den Steuerakten befindliche Vollmacht vom 5. Januar 1977 wahrt nicht die Ausschlußfrist. Das FG ist nicht gehalten, eine in den Steuerakten des Klägers befindliche Originalvollmacht selbst ausfindig zu machen. Erforderlich ist vielmehr der Nachweis der Bevollmächtigung durch Vorlage der Originalvollmacht bei Gericht (BFH-Beschluß vom 9. Februar 1988 VII B 159/87, BFH / NV 1988, 648, m. w. N.).
b) Wegen der weitreichenden Folgen muß die richterliche Verfügung, die eine Ausschlußfrist zur Vorlage der Prozeßvollmacht setzt, bestimmte Mindesterfordernisse erfüllen. Die Verfügung muß von dem Richter unterschrieben sein (BFH-Urteil vom 26. August 1982 IV R 31/82, BFHE 136, 351, BStBl II 1983, 23), und sie muß den Text der Fristsetzung enthalten (BFH-Urteil vom 14. April 1983 V R 4/80, BFHE 138, 21, BStBl II 1983, 421). Die Verfügung muß darüber hinaus auch inhaltlich richtig sein und insbesondere die Wirkung einer Fristversäumnis unzweideutig mitteilen, andernfalls kommt der Fristsetzung wegen inhaltlicher Unbestimmtheit der Verfügung keine ausschließende Wirkung zu (Urteil in BFHE 153, 388, BStBl II 1988, 836).
Diesen Anforderungen genügt die Verfügung vom 19. Januar 1984. Die Urschrift enthält im Briefkopf die Angaben über denjenigen, der die Verfügung erlassen hat - des Vorsitzenden des für die Entscheidung zuständigen Senats des FG - sowie unter dem Text der Verfügung die vollausgeschriebene Unterschrift dieses Richters. Die sodann der früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers bekanntgegebene beglaubigte Abschrift weist auf den Urheber der Verfügung hin und läßt erkennen, daß sie unterschrieben worden ist. Eine Abschrift ist von dem anordnenden Richter nicht zu unterschreiben. Sie muß lediglich den Beglaubigungsvermerk durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle enthalten, durch den die Übereinstimmung mit der - unterschriebenen - Urschrift bestätigt wird (BFH-Urteil vom 11. November 1987 I R 15/84, BFH / NV 1989, 41; BFH-Beschluß vom 9. April 1987 V B 102/86, BFH / NV 1987, 594). Dadurch, daß die Verfügung darauf hinweist, daß es sich bei der Frist für die Vorlage der Prozeßvollmacht um eine Ausschlußfrist nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG handelt, ist sie auch inhaltlich richtig und vollständig. Es ist demgegenüber unschädlich, daß über die weiteren Wirkungen der Vollmachtsvorlage für die Kostenentscheidung (Urteil in BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229) und über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Belehrung erteilt worden ist (Urteil in BFHE 153, 388, BStBl II 1988, 836).
c) Der Vorsitzende des zuständigen Senats des FG handelte nicht rechtswidrig, als er bereits drei Tage nach Erhebung der Klage eine Frist mit ausschließender Wirkung zur Einreichung der Vollmacht setzte. Es mag zwar vielfach zweckmäßig sein, die Vollmacht zunächst nur durch die Geschäftsstelle anzumahnen. Dadurch wird aber nicht ausgeschlossen, daß der Richter im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens sofort eine Frist mit ausschließender Wirkung setzt (BFH-Urteil vom 18. Februar 1987 II R 213/84, BFHE 149, 19, BStBl II 1987, 392).
d) Im finanzgerichtlichen Verfahren werden gerichtliche Willensäußerungen nach den Vorschriften des VwZG zugestellt (§ 53 Abs. 2 FGO). Die Zustellung besteht im Regelfall in der Übergabe eines Schriftstücks in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift oder in dem Vorlegen der Urschrift (§ 2 Abs. 1 Satz 1 VwZG). Zugestellt wird durch die Post oder die Behörde (§ 2 Abs. 1 Satz 2 VwZG).
Im Streitfall ist die Ausschlußfrist nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG mit der Zustellung am 2. Februar 1984 wirksam geworden (Urteil in BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731; BFH-Urteil vom 14. Juni 1984 I R 152/81, BFHE 141, 455, BStBl II 1984, 841). An diesem Tag ist die Fristsetzung zur Vorlage der Prozeßvollmacht der früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers in beglaubigter Abschrift durch die Post zugestellt worden. Das ergibt sich aus dem der früheren Prozeßbevollmächtigten zugestellten Exemplar, das der jetzige Prozeßbevollmächtigte in Fotokopie zusammen mit seiner Revisionsschrift vorgelegt hat, und aus der Zustellungsurkunde vom 2. Februar 1984. Da als Zustellungsarten durch die Post nur die Zustellung mit Zustellungsurkunde (§ 3 VwZG) und mittels eingeschriebenen Briefes (§ 4 VwZG) in Betracht kommen, setzte die durch einfachen Brief der früheren Prozeßbevollmächtigten am 25. Januar 1984 bekanntgegebene Verfügung vom 19. Januar 1984 keine Ausschlußfrist zur Vorlage der Prozeßvollmacht in Gang. Diese Fristsetzung ist wirkungslos geblieben, weil die Anordnung nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist.
2. Das FG hat es zu Recht abgelehnt, wegen Versäumung der gesetzten Ausschlußfrist zur Vorlage der Prozeßvollmacht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in entsprechender Anwendung des § 56 FGO zu gewähren (Art. 3 § 1 Satz 2 VGFGEntlG). Die Wiedereinsetzung setzt voraus, daß der Prozeßbeteiligte ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist verhindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Sie verlangt weiter (§ 56 Abs. 2 FGO), daß der Beteiligte binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses einen Wiedereinsetzungsantrag stellt. Die Tatsachen, die für die Versäumung der Frist ursächlich waren, und der Sachverhalt, der die unverschuldete Verhinderung belegen soll, sind innerhalb dieser Frist anzugeben (§ 155 FGO i. V. m. § 236 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz ZPO; BFH-Urteil vom 29. Juli 1987 II R 32/85, BFH / NV 1988, 784, m. w. N.; BFH-Beschluß vom 21. April 1987 IV R 75/86, BFH / NV 1988, 712, m. w. N.) und glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
Zwar sind binnen der Zweiwochenfrist der Wiedereinsetzungsantrag am 7. März 1984 gestellt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) und die versäumte Rechtshandlung, die Vorlage der Vollmacht, am 24. Februar 1984 nachgeholt worden (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO). Aber innerhalb dieser Frist sind die den Antrag auf Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen nicht angegeben worden. Die frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat erst in der mündlichen Verhandlung vom 22. März 1984 Wiedereinsetzungsgründe angegeben. Die Zweiwochenfrist war aber bereits am 19. März 1984 abgelaufen (§ 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 ZPO und § 187 Abs. 1 i. V. m. § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches), weil die frühere Prozeßbevollmächtigte bereits durch den Hinweis des FG in der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 29. Februar 1984 am 5. März 1984 Kenntnis von der Versäumung der Ausschlußfrist nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG erhalten hatte.
Fundstellen
Haufe-Index 416307 |
BFH/NV 1989, 716 |