Leitsatz (amtlich)
§ 4 Abs. 1 BewV-Pensionsrückstellungen vom 15. August 1961 (BGBl I 1961, 1295) ist rechtsgültig. Deshalb ist bei der Bemessung der Rückstellungen für Pensionsanwartschaften zu den Stichtagen 1. Januar 1960 und 1. Januar 1961 ein Abschlag von dem Barwert der Pensionsverpflichtung zu machen. Der Abschlag beträgt in der Regel 75 v. H. Nur dann, wenn die Pensionszusage keine Vorbehalte enthält, ist der Abschlag mit 50 v. H. zu bemessen.
Normenkette
BewG (i. d. F. vor dem BewG 1965) § 62 Abs. 2; BewG (i. d. F. vor dem BewG 1965) § 62a; BewV-Pensionsrückstellungen § 4
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der Rückstellung für Pensionsanwartschaften von Arbeitnehmern der Steuerpflichtigen (Revisionsbeklagten) bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1957, 1. Januar 1958, 1. Januar 1960 und 1. Januar 1961.
Die Steuerpflichtige, eine AG, sicherte ihren Arbeitnehmern Alters-, Invaliden- und Witwenversorgung zu. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung erkannte das FA - Revisionskläger - für die genannten Stichtage eine Rückstellung wegen der Pensionsanwartschaften dem Grunde nach an. Es nahm jedoch einen Abschlag vom jeweiligen unstreitigen Ausgangswert in Höhe von 75 v. H. vor. Mit dem Einspruch gegen alle Bescheide begehrte die Steuerpflichtige, statt des Abschlags von 75 v. H. nur einen solchen von 50 v. H. vorzunehmen. In dem Gesamtabschlag von 75 v. H. sei ein Abschlag von 25 v. H. für Pensionsvorbehalte enthalten. Ihre Pensionszusagen enthielten jedoch nur Vorbehalte, die sich auf das künftige Verhalten der Arbeitnehmer bezögen. Es hänge also nicht von ihr ab, ob der Vorbehalt Auswirkungen haben werde. Deshalb sei ein Abschlag wegen Vorbehalte nicht zulässig.
Das FA wies den Einspruch zurück. Der Vorbehalt, daß sich die Arbeitnehmer und ihre Ehefrauen nicht entsprechend dem Aufgabengebiet der AG betätigen dürften, sei zwar für die Ertragsteuern unschädlich. Es handele sich aber um einen Vorbehalt, der unter bestimmten Voraussetzungen eine Änderung der zugesagten Leistungspflicht zulasse. Dieser Vorbehalt beseitige zwar nicht die Last, er mindere jedoch ihr Gewicht.
Die Berufung hatte Erfolg. Das FG führte insbesondere aus, der durch das StändG 1961 eingeführte § 62a BewG a. F., der für Stichtage vom 1. Januar 1962 an gelte, kenne überhaupt keinen Abschlag wegen Pensionsvorbehalte. Wenn dennoch für frühere Stichtage ein Abschlag für Vorbehalte gerechtfertigt sein sollte, dann nur für Fälle, in denen diese Vorbehalte ein großes Gewicht hätten. Die Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Pensionszahlung müsse durch den Vorbehalt der Höhe nach erheblich verringert sein. Der von der Steuerpflichtigen gemachte Vorbehalt besage jedoch etwas nahezu Selbstverständliches. Durch diesen Vorbehalt halbiere sich nicht nochmals die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Pensionsleistungen, die ohnehin nur mit 50 v. H. angesetzt würden. In dem Abschlag von 50 v. H. sei bereits ausreichend das Wettbewerbsverbot berücksichtigt.
Mit der Rechtsbeschwerde, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist, rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt ferner, das Verfahren im Hinblick auf das beim Senat anhängige Verfahren III 256/64 - über die gleiche Rechtsfrage - gemäß § 259 Abs. 2 AO a. F. zurückzustellen.
Die Steuerpflichtige trägt vor, der BFH habe mit dem Urteil III 125/61 S vom 8. September 1961 (BFH 74, 42, BStBl III 1962, 19) durch die Aufgabe des Gedankens von dem Gesetz der großen Zahl und durch die Bezugnahme auf § 62 Abs. 2 BewG a. F. an der Forderung eines Globalabschlags von 75 v. H. nicht mehr festgehalten. Für eine Zurückstellung der Entscheidung bestehe kein Grund.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Berufung (Klage) als unbegründet zurückgewiesen.
1. Soweit das FA eine Zurückstellung der Sache im Hinblick auf das Verfahren III 256/64 beantragt, dürfte darunter das Begehren zu Verstehen sein, im Streitfall erst nach Bekanntgabe des Urteils III 256/64 zu entscheiden. Das FA will sich offenbar die Möglichkeit erhalten, sein Rechtsmittel zurückzunehmen, falls in dem Rechtsstreit III 256/64 zugunsten des revisionsbeklagten Steuerpflichtigen entschieden wird. Der Antrag des FA ist unbegründet. § 259 Abs. 2 AO a. F. trifft schon seinem eindeutigen Wortlaut nach nicht zu; denn die gleiche Streitfrage ist nicht in einer höheren Rechtsstufe, sondern in gleicher Rechtsstufe, nämlich beim BFH, anhängig. Eine Aussetzung des Rechtsstreits nach § 74 FGO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Klärung einer Rechtsfrage in einem Musterprozeß ist keine Entscheidung über das "Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses".
Auch die Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach § 155 FGO, § 251 ZPO ist ausgeschlossen. Diese Anordnung setzt einen Antrag bzw. Zustimmung der Beteiligten voraus. Die Steuerpflichtige wandte sich jedoch gegen eine Zurückstellung.
2. Streitig ist hier nicht die Zulässigkeit von Rückstellungen für Pensionsanwartschaften bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens dem Grunde nach. Das FA fordert nicht, daß die von ihm selbst anerkannte Rückstellung in Höhe von 25 v. H. des versicherungsmathematisch ermittelten Ausgangswerts nunmehr gestrichen werde. Der Senat kann deshalb nach §§ 121, 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht darüber entscheiden, ob die bereits vom FA anerkannte Rückstellung unrichtig ist; denn auch in Fällen, die, wie hier, vor dem Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 beim BFH anhängig wurden, richtet sich "das weitere Verfahren" nach den Vorschriften der FGO (§ 184 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 FGO).
3. Beurteilung für die Stichtage 1. Januar 1957 und 1. Januar 1958
a) Das Urteil III 125/61 S (a. a. O.) hat den Abzug von Pensionsanwartschaften bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auch ohne Anwendung des sogenannten Gesetzes der großen Zahl anerkannt. Es kam zu diesem Ergebnis durch einen Analogieschluß zu § 62 Abs. 2 BewG a. F., den es insbesondere wegen des durch das StÄndG 1961 geschaffenen § 62a BewG a. F. für gerechtfertigt hielt. Zur Höhe des Abzugs hat sich der Senat damals nicht geäußert. Er gab die Streitsache vielmehr zur Berechnung der "Höhe des gegebenenfalls versicherungsmathematisch und steuerlich gerechtfertigten Abzugs" an das FA zurück. Daraus, daß der BFH das sogenannte Gesetz der großen Zahl nicht mehr anwandte, kann nicht gefolgert werden, daß er auch an der Notwendigkeit eines Globalabschlags, wie er ihn in den Entscheidungen III 161/54 S vom 26. Juli 1957 (BFH 65, 206, BStBl III 1957, 314) und III 255/56 S vom 24. Januar 1958 (BFH 66, 376, BStBl III 1958, 146) forderte, nicht mehr festhalte. Wäre das der Fall, hätte sich der Senat im Urteil III 125/61 S mit den Ausführungen in den früheren S-Entscheidungen ausdrücklich auseinandergesetzt. Im übrigen ist der Globalabschlag von 75 v. H. nicht deshalb berücksichtigt worden, weil eine Belastung erst bei mehr als 100 Pensionsanwartschaften anerkannt wurde, sondern deshalb, weil die dem Grunde nach anzuerkennende Last in jedem Fall durch verschiedene, zum größten Teil nicht genau meßbare Umstände gemindert werden kann. Da das unabhängig davon der Fall ist, ob mehr als 100 oder - wie im Streitfall - an allen Stichtagen jeweils weniger als 100 Pensionsanwartschaften bestehen, ist auch jetzt noch ein Abschlag vorzunehmen, obwohl das sogenannte Gesetz der großen Zahl nicht mehr zur Begründung einer abziehbaren Last für Pensionsanwartschaften herangezogen wird.
Soweit die Steuerpflichtige vorträgt, durch die Bezugnahme auf § 62 Abs. 2 BewG a. F. habe der Senat im Urteil III 125/61 S zu erkennen gegeben, daß er an einem Globalabschlag nicht mehr festhalte, ist ihr ebensowenig zu folgen. § 62 Abs. 2 BewG a. F. hat der Senat seinerzeit nur herangezogen, um eine Last dem Grunde nach bejahen zu können. An die Stelle des sogenannten Gesetzes der großen Zahl ist der Analogieschluß zu § 62 Abs. 2 BewG getreten. Die Bezugnahme auf diese Vorschrift sollte also nichts über die Höhe der Rückstellung besagen. Auch nach dem Ergehen des Urteils III 125/61 S ist daher grundsätzlich ein Abschlag vom Ausgangswert vorzunehmen. Dieser Abschlag ist für die übergangszeit bis zum Inkrafttreten der Verordnung über den Abzug von Rückstellungen für Pensionsanwartschaften bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens vom 15. August 1961 - BewV-Pensionsrückstellungen - (BGBl I 1961, 1295) auch regelmäßig weiter auf 75 v. H. zu bemessen, wie der Senat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil III 209/65 vom 28. Juni 1968 entschieden hat.
b) Enthielte allerdings die Pensionszusage im Streitfall keinen Vorbehalt, so könnte der regelmäßige Abschlag von 75 v. H. nicht zum Zuge kommen. Der Senat hält die Vereinbarung der Steuerpflichtigen mit ihren Arbeitnehmern, daß die Pensionszusage entfällt, wenn sich die Arbeitnehmer oder ihre Ehefrauen im Aufgabengebiet der AG betätigen, entgegen der Vorinstanz für einen Vorbehalt. Ob dieser Vorbehalt ertragsteuerlich unschädlich ist, braucht nicht entschieden zu werden (vgl. Urteil III 255/56 S). Entscheidend ist vielmehr, daß die Verknüpfung von Wettbewerbsverbot und Pensionsvorbehalt im Streitfall den Arbeitnehmern auch nach Dienstende an den Betrieb der Steuerpflichtigen Bindungen auferlegt und daß diese Verknüpfung der Steuerpflichtigen das gesetzlich nicht vorgesehene Recht einräumt, die vereinbarte Pension nicht auszuzahlen, falls die Anwartschaftsberechtigten oder ihre Ehefrauen während oder nach der Dienstzeit sich in oder an einem Konkurrenzunternehmen betätigen oder beteiligen. Diese Vereinbarung wird möglicherweise nicht wirksam. Diese Möglichkeit kann aber nicht von vornherein völlig ausgeschlossen werden. Damit besteht aber genau die Rechtslage, die für Pensionsvorbehalte charakteristisch ist, nämlich die Ungewißheit des Eintritts. Die Ungewißheit, daß die Steuerpflichtige wegen eines möglichen Verstoßes ihrer Arbeitnehmer oder deren Ehefrauen gegen das Wettbewerbsverbot von der Pensionszahlung freikommt, muß ihren Ausdruck in einem Abschlag finden. Dieser Abschlag ist, wie der Senat im Urteil III 255/56 S ausgeführt hat, hinsichtlich seiner Höhe unabhängig von dem Gewicht des Vorbehalts. Deshalb kann auch im Streitfall der Globalabschlag von 75 v. H. nicht wegen der behaupteten großen Unwahrscheinlichkeit des Eintritts des Vorbehalts gemindert werden.
4. Beurteilung für die Stichtage 1. Januar 1960 und 1. Januar 1961
An den Stichtagen 1. Januar 1960 und 1. Januar 1961 galt die auf Grund des Art. 9 StÄndG 1961 vom 13. Juli 1961 (BGBl I 1961, 981) und auf Grund des § 35 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b des Erbschaftsteuergesetzes i. d. F. vom 1. April 1959 (BGBl I 1959, 187) ergangene BewV-Pensionsrückstellungen vom 15. August 1961 (a. a. O.). Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung ist von dem Barwert der Pensionsverpflichtung (Ausgangswert) noch ein Abschlag von 75 v. H. zu machen. Der Abschlag beträgt 50 v. H., wenn die Pensionszusage keine Vorbehalte enthält (§ 4 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung). Diese Bestimmungen der Verordnung sind auch für die FGe bindend; denn sie beruhen auf der im Sinne des Art. 80 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ausreichenden Ermächtigung des Art. 9 StÄndG 1961. Zweifelhaft könnte allenfalls sein, ob der Inhalt der erteilten Ermächtigung in Art. 9 StÄndG 1961 genügend bestimmt ist. Es heißt dort, es könne durch Verordnung geregelt werden, daß auf die Feststellungszeitpunkte 1. Januar 1960 und 1. Januar 1961 Rückstellungen für Pensionsanwartschaften auch bei gewerblichen Betrieben mit weniger als 100 rechtsverbindlichen Pensionszusagen in gleicher Weise zugelassen werden, wie das nach dem für diese Stichtage "maßgebenden Rechtszustand" bei gewerblichen Betrieben mit mindestens 100 rechtsverbindlichen Pensionszusagen zulässig ist. Der "maßgebende Rechtszustand" ist am Tage der Verkündung des StÄndG 1961 (13. Juli 1961) die damals vorhandene Rechtsprechung (Urteile III 161/54 S und III 255/56 S; das Urteil III 125/61 S war noch nicht ergangen) gewesen. Wenn auch diese Rechtsprechung hinsichtlich der Höhe des Abschlags umstritten war, so kann der Gesetzgeber des StÄndG 1961 mit "maßgebenden Rechtszustand" doch nur die damals vorhandene Rechtsprechung gemeint haben.
Der Abschlag von 75 v. H. ist also im Streitfall auch für die Stichtage 1. Januar 1960 und 1. Januar 1961 gerechtfertigt, falls die Pensionzusage einen Vorbehalt enthält. Das ist wie unter 3b ausgeführt, der Fall.
Nach allem war die Vorentscheidung für alle Stichtage aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Das FA hat die Höhe der Rückstellung für die Pensionsanwartschaften zutreffend berechnet. Deshalb ist auf die Revision des FA die Berufung (Klage) der Steuerpflichtigen zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 68153 |
BStBl II 1968, 706 |
BFHE 1968, 167 |