Entscheidungsstichwort (Thema)
Anteilsbewertung bei nach dem Bewertungsstichtag aufgedeckten verdeckten Gewinnausschüttungen
Leitsatz (NV)
Bei der Schätzung des gemeinen Werts der Anteile an einer GmbH ist ein unter Berücksichtigung der Steuermehrbelastungen aus verdeckten Gewinnausschüttungen ermittelter (negativer) Vermögenswert auch dann anzusetzen, wenn die verdeckten Gewinnausschüttungen erst nach dem maßgeblichen Stichtag durch eine Steuerfahndung aufgedeckt werden. Denn auch zum Stichtag noch nicht aufgedeckte Steuerschulden sind objektiv Bestandteil des der Schätzung des gemeinen Werts der Anteile zugrunde zu legenden Vermögens der GmbH.
Normenkette
BewG a.F. § 11 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH i. L. Eine im März 1986 bei der Klägerin und ihrem Gesellschafter- Geschäftsführer, dem Beigeladenen zu 1, durchgeführte Fahndungsprüfung ergab bisher steuerlich nicht erfaßte verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) in Höhe von ... DM im Jahr 1984, die im wesentlichen dem Beigeladenen zu 1 zugeflossen waren. Im Bericht über eine Betriebsprüfung in den Jahren 1985 und 1986 bei der Klägerin, die sich u. a. auch auf die Anteilsbewertung zum 31. Dezember 1984 erstreckte und in dem die Ergebnisse der Fahndungsprüfung verwertet wurden, berechnete der Prüfer dem Stuttgarter Verfahren (Abschn. 77 der Vermögensteuer-Richtlinien -- VStR -- 1983) folgend, den gemeinen Wert der Anteile auf den 31. Dezember 1984 mit 2 803 v. H. des Stammkapitals. Er setzte dabei den Vermögenswert ohne nähere Berechnung mit 0 DM an und ermittelte den Ertragshundertsatz mit 862,48 v. H. Dabei wurde für das Jahr 1984 von einem um die vGA und die daraus resultierende Körperschaftsteuer entsprechend erhöhten Einkommen der Klägerin von insgesamt ... DM ausgegangen.
Dem folgend setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) mit Feststellungsbescheid vom 14. Dezember 1987 den gemeinen Wert der Anteile für je 100 DM zum 31. Dezember 1984 auf 2 803 DM fest.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin, den gemeinen Wert ihrer Anteile zum 31. Dezember 1984 auf 740 v. H. je 100 DM Stammkapital festzustellen. Die Klägerin machte dazu geltend, das FA habe den infolge der Steuerbelastungen aus den festgestellten vGA negativen Wert des Betriebsvermögens bei seiner Anteilsbewertung unberücksichtigt gelassen und lediglich den Ertragswert angesetzt. Ein Erwerber der Anteile hätte jedoch den Ertragswert um den negativen Vermögenswert gekürzt.
Das Finanzgericht (FG) hat unter Änderung des Feststellungsbescheids vom 14. Dezember 1987 den gemeinen Wert der Anteile für je 100 DM des Stammkapitals zum 31. Dezember 1984 auf 778 DM festgestellt und die Klage im übrigen abgewiesen. Der Anteilsbewertung auf den 31. Dezember 1984 sei entgegen der Auffassung des FA auch ein durch die Steuerbelastung aufgrund vGA negativer Vermögenswert zugrunde zu legen. Für die Ermittlung des Vermögenswerts sei dabei von dem bestandskräftig festgestellten Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1985 in Höhe von ./. ... DM auszugehen. Das für die Anteilsbewertung geltende Stichtagsprinzip stehe dem Ansatz betrieblicher Steuerschulden nicht entgegen, soweit diese aus vGA herrührten, welche durch eine erst nach dem Stichtag durchgeführte Fahndungsprüfung aufgedeckt worden seien. Die vGA hätten vor dem 31. Dezember 1984 und damit vor dem Stichtag stattgefunden. Somit sei zum Stichtag die aus den vGA resultierende Steuerbelastung für einen objektiven Betrachter feststellbar gewesen. Ein gedachter Erwerber hätte die daraus resultierende Steuermehrbelastung in seine Kaufüberlegungen mit einbezogen. Zutreffend habe das FA bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes dem Einkommen der Klägerin für die Jahre 1982 bis 1984 die in diesen Jahren getätigten vGA unter Berücksichtigung der hieraus bei der Klägerin resultierenden Steuern zugerechnet. Es sei widersprüchlich, einerseits bei Ermittlung des Ertragshundertsatzes für das Jahr 1984 von einem um die vGA und die daraus folgenden Körperschaftsteuerbeträge erhöhten Einkommen der Klägerin auszugehen, andererseits aber beim Vermögenswert die aus den vGA resultierenden Steuermehrbelastungen der Klägerin nicht zu berücksichtigen.
Mit der Revision macht das FA die Verletzung von § 11 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der für den streitigen Feststellungszeitpunkt geltenden Fassung geltend.
Entgegen der Ansicht des FG sei ein durch die Steuerbelastungen aus vGA entstandener negativer Vermögenswert bei der Anteilsbewertung dann nicht anzusetzen, wenn die vGA erst nach dem Stichtag durch eine Steuerfahndung aufgedeckt worden seien.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
Zu Recht hat das FG der Bewertung der Anteile der Klägerin auf den 31. Dezember 1984 einen unter Berücksichtigung der Steuermehrbelastungen aufgrund nachträglich aufgedeckter vGA ermittelten Vermögenswert zugrunde gelegt.
1. a) Die Anteile an der Klägerin, für die, da diese eine GmbH ist, kein Kurswert i. S. von § 11 Abs. 1 BewG besteht, sind nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Liegen -- wie im Streitfall -- zeitnahe Verkäufe, aus denen der gemeine Wert abgeleitet werden könnte, nicht vor, so ist dieser unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Diese Schätzung erfolgt im Interesse einer möglichst gleichmäßigen und praktikablen Wertermittlung nach dem vormals in Abschn. 76 ff. VStR -- hier VStR 1983 -- geregelten Stuttgarter Verfahren. Nach dieser Bewertungsmethode ist maßgebende Größe der Vermögenswert (Abschn. 77 VStR 1983), der aufgrund der Ertragsaussichten (Abschn. 78 VStR 1983) korrigiert wird. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in ständiger Rechtsprechung das Stuttgarter Verfahren (vgl. Abschn. 76 ff. bis einschließlich VStR 1989) als ein geeignetes Schätzungsverfahren anerkannt, von dem mit Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nur abgewichen werden könne, wenn es im Ausnahmefall zu offensichtlich unrichtigen Ergebnissen führt (s. Senatsurteil vom 13. April 1994 II R 57/90, BFHE 174, 177, BStBl II 1994, 505, m. w. N.).
b) Ausgangspunkt des der Ermittlung des gemeinen Werts zugrunde zu legenden Vermögenswerts ist nach den Regeln und der Systematik des Stuttgarter Verfahrens aus Praktikabilitätsgründen der Einheitswert des Betriebsvermögens (Abschn. 77 Abs. 1 Satz 2 VStR 1983). Der Feststellungsbescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens ist jedoch (auf der Grundlage des für den streitigen Feststellungszeitpunkt geltenden BewG) kein Grundlagenbescheid für die Anteilsbewertung. Der Einheitswert des Betriebsvermögens ist deshalb nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten insoweit zu korrigieren, als die Wertansätze einzelner Wirtschaftsgüter in der Vermögensaufstellung in erheblichem Umfang von den tatsächlichen Werten dieser Wirtschaftsgüter abweichen (BFH in BFHE 174, 177, BStBl II 1994, 505). Diese Korrektur darf jedoch nicht dazu führen, daß am streitigen Stichtag noch nicht vorhandenes, erst künftig entstehendes (Aktiv- oder Passiv-)Vermögen bei der Vermögenswertermittlung berücksichtigt wird.
Die Schätzung des gemeinen Werts der Anteile dient dem Zweck, einen Steuerwert zu ermitteln. Dies gebietet, bei der Vermögenswertermittlung die Grundsätze des Bewertungsrechts und damit insbesondere das Stichtagsprinzip zu beachten (Senatsurteil vom 13. August 1986 II R 213/82, BFHE 147, 531, BStBl II 1987, 48, m. w. N.). Hiernach dürfen sich bei der Ermittlung des Vermögenswerts nur solche Verhältnisse und Gegebenheiten auswirken, die im Bewertungszeitpunkt so hinreichend konkretisiert sind, daß mit ihnen als Tatsache zu rechnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1981 III R 27/77, BFHE 134, 167, BStBl II 1982, 8). Hierunter fallen nicht schon lediglich latente, etwa auf vorhandenen stillen Reserven lastende Steuern (vgl. BFH in BFHE 134, 167, BStBl II 1982, 8). Denn insoweit läßt sich zum Bewertungsstichtag noch nicht absehen, ob, wann und in welcher Höhe es zu einer tatsächlichen steuerlichen Belastung kommen wird. Indes sind bei der Ermittlung des Vermögenswerts die am Stichtag bereits entstandenen Steuerschulden, die auf dem Unternehmen lasten, zu berücksichtigen. Voraussetzung dafür ist nicht, daß die den Steuertatbestand auslösenden Besteuerungsgrundlagen der Finanzbehörde oder einem gedachten Erwerber der Anteile zum Bewertungsstichtag bereits bekannt sind oder bekannt sein müßten. Denn im Unterschied zu den sich erst möglicherweise in der Zukunft realisierenden latenten Steuerschulden sind entstandene, wenn auch gegebenenfalls noch nicht aufgedeckte Steuerschulden objektiv Bestandteil des der Schätzung des gemeinen Werts zugrunde zu legenden Vermögens der Gesellschaft.
2. Nach dem Vorgesagten sind im Streitfall die betrieblichen Steuern (Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer), auch soweit sie auf den durch die Steuerfahndung festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen im Jahr 1984 in Höhe von ... DM beruhen, bei der Ermittlung des Vermögenswerts auf den 31. Dezember 1984 vermögensmindernd zu berücksichtigen. Denn zu diesem Zeitpunkt waren sie bereits entstanden.
Der Senat hat hier nicht zu prüfen, ob diese auf den verdeckten Gewinnausschüttungen beruhenden Mehrsteuern im Hinblick auf das Stichtagsprinzip auch bei der Ermittlung des -- bestandskräftig festgestellten -- Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1985 abgezogen werden durften (vgl. BFH-Urteil vom 8. Dezember 1993 II R 118/89, BFHE 173, 82, BStBl II 1994, 216). Denn unabhängig davon sind die Auswirkungen der verdeckten Gewinnausschüttungen bei der Ermittlung des Vermögenswerts für die Anteilsbewertung zu beachten.
Die betrieblichen Mehrbelastungen an Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer für das Jahr 1984, die auf den von der Steuerfahndung erst im Jahr 1986 ermittelten verdeckten Gewinnausschüttungen beruhen, stellten zum maßgeblichen Anteilsbewertungsstichtag 31. Dezember 1984 objektiv einen den Preis beeinflussenden Umstand (vgl. § 9 Abs. 2 BewG) dar, der bei der Schätzung des gemeinen Werts der Anteile der Klägerin zu beachten ist. Ohne Bedeutung ist, daß zum Feststellungsstichtag mit einer Inanspruchnahme der Klägerin für die entstandenen Mehrsteuern aus den von der Fahndung aufgedeckten verdeckten Gewinnausschüttungen noch nicht zu rechnen war, da das FA zu diesem Stichtag von den verdeckten Gewinnausschüttungen noch keine Kenntnis hatte. Denn für das Bestehen der den gemeinen Wert der Anteile der Klägerin bestimmenden Umstände kommt es auf die Kenntnis des FA oder eines gedachten Erwerbers nicht an.
3. Unter Berücksichtigung dieses Ergebnisses und im Hinblick auf die gestellten Anträge braucht der Senat nicht zu prüfen, ob das FG den vom FA nach Abschn. 78 VStR 1983 und unter Einbeziehung des im Vergleich zu den Vorjahren im Jahr 1984 wesentlich höheren Ertrags ermittelten Ertragshundertsatz der Anteilsbewertung zugrunde legen durfte.
Fundstellen
Haufe-Index 420823 |
BFH/NV 1996, 106 |