Leitsatz (amtlich)
Hat das FG die durch einen Bevollmächtigten eingelegte Klage als unzulässig verworfen, weil die Prozeßvollmacht nicht nachgewiesen wurde (vgl. BFH-Beschluß V R 46/66 vom 10. November 1966, BFH 87, 1, BStBl III 1967, 5) so ist - abgesehen von den Fällen der Prozeßverschleppungsabsicht und des groben Verschuldens - auf die Revision des Stpfl. das Prozeßurteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, wenn der Stpfl. im Revisionsverfahren die Klage genehmigt oder wenn die Vollmacht des Vertreters für das Verfahren vor dem FG nachgewiesen wird. Die Kosten des bisherigen Verfahrens sind unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits dem Stpfl. aufzuerlegen.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 2, 62, §§ 137, 155; ZPO § 88 Abs. 2, 89, § 278 Abs. 2, 279, § 529
Tatbestand
Das FG verwarf unter Bezugnahme auf den Beschluß des erkennenden Senats vom 10. November 1966 V R 46/66 (BFH 87, 1, BStBl III 1967, 5) in zwei Urteilen vom gleichen Tage die Klagen gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1963 und 1964 sowie gegen die Bescheide über die Gewerbesteuermeßbeträge 1962, 1963 und 1964 als unzulässig. Die Verfahrenskosten wurden den Prozeßbevollmächtigten des Stpfl. auferlegt. Die Begründung ist in beiden Urteilen darauf gestützt, daß die Bevollmächtigten, die die Klagen eingelegt hatten, auch nach entsprechender Aufforderung unter Fristsetzung dem FG keine Prozeßvollmacht vorlegten.
Vor der mündlichen Verhandlung, auf die die angefochtenen Urteile erlassen wurden, zeigten die Bevollmächtigten dem FG die Niederlegung der Prozeßvertretung an. Das FG stellte darauf dem Stpfl. persönlich eine Ladung zum Verhandlungstermin zu und fügte eine Abschrift der Niederlegungsanzeige bei. Der Stpfl. äußerte sich darauf nicht; in der mündlichen Verhandlung war er weder anwesend noch vertreten.
Mit den Revisionen beantragt der Stpfl., die Urteile des FG aufzuheben und die Sachen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Er macht geltend, das FG habe die Bedeutung der Entscheidung des BFH V R 46/66, a. a. O., verkannt und rügt die Verletzung der richterlichen Aufklärungsund Unterweisungspflicht. Er wird in der Revisionsinstanz von den Anwälten vertreten, die auch vor dem FG aufgetreten sind. Diese haben nunmehr eine ordnungsmäßige Prozeßvollmacht sowohl für die Zeit vor der Mandatsniederlegung in der ersten Instanz als auch für die Revisionsverfahren vorgelegt. Die Prozeßbevollmächtigten haben die Kostenentscheidungen des FG auch im eigenen Namen angefochten. Sie rügen dazu die Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil sie das FG auf die Möglichkeit einer sie selbst treffenden Kostenverurteilung nicht hingewiesen hat.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revisionen sind begründet.
Der Senat erachtet es für zweckmäßig, sämtliche Rechtsmittel zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden (§§ 121, 73 Abs. 1 FGO).
Das FG hat zwar zutreffend in Anlehnung an die Entscheidung des erkennenden Senats V R 46/66, a. a. O., ausgeführt, daß eine Anfechtungsklage als unzulässig verworfen werden muß, wenn der als Bevollmächtigter Auftretende, der die Klage unterzeichnet hat, trotz Fristsetzung die Vollmacht bis zum Erlaß des die Instanz beendigenden Urteils nicht nachbringt. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus den §§ 40 Abs. 2, 62 Abs. 3 FGO, §§ 88 Abs. 2, 89 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 155 FGO. Denn die Anfechtungsklage kann nur von der Person zulässig eingelegt werden, die behauptet, durch den Verwaltungsakt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Kläger). Wird sie von einer anderen für den Kläger eingelegt, so ist dieser Prozeßbegründungsakt schwebend unwirksam, solange dem Gericht die Vollmacht oder die Genehmigung des Klägers nicht vorliegt. Wird die Vollmacht oder die Genehmigung auch dann nicht beigebracht, wenn das Gericht dem als Bevollmächtigten Auftretenden zur Vorlegung eine Frist bestimmt hat, so muß das Gericht die Klage als unzulässig verwerfen. Denn es steht dann für das erkennende Gericht fest, daß die Handlungen des vollmachtlosen Vertreters nicht für oder gegen den Kläger wirksam geworden sind (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl., § 51, III, 3 in Verbindung mit II, 2; Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., Anmerkung III, 2 zu § 88).
Nach § 89 Abs. 2 ZPO muß aber die Partei die Prozeßführung durch einen vollmachtlosen Vertreter (für und) gegen sich gelten lassen, "wenn sie auch nur mündlich Vollmacht erteilt oder wenn sie die Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat". Dieser Grundsatz findet gemäß § 155 FGO auch für das finanzgerichtliche Verfahren Anwendung. Diese Vollmacht oder Genehmigung ist nach der mit der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwGE 14, 209/212) übereinstimmenden Auffassung des Senats vom Gericht auch dann zu beachten, wenn sie - wie hier - erst nach Verwerfung der Klage als unzulässig in der Rechtsmittelinstanz nachgewiesen wird. Der abweichenden Auffassung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 18. Dezember 1964 5 AZR 109/64 (NJW 1965, 1041) kann der Senat nicht beitreten. Das Bundesarbeitsgericht hält es prozeßrechtlich nicht für vertretbar, daß die hinsichtlich des Nachweises der Vollmacht säumige Partei durch spätere Genehmigung der Prozeßführung eines vollmachtlosen Vertreters jeder negativen Entscheidung des Gerichts nach § 89 Abs. 1 ZPO den Boden entziehen könnte. Dieser Auffassung ist aber entgegenzuhalten, daß die Aufhebung eines Urteils auf Grund neuer, erst in der Rechtsmittelinstanz bekanntgewordener Tatsachen prozeßrechtlichen Grundsätzen nicht widerspricht (vgl. § 128 VwGO, § 529 i. V. m. §§ 278 Abs. 2, 279, 283 Abs. 2 ZPO). Allerdings beziehen sich diese Regelungen nur auf das den materiellen Anspruch betreffende neue Vorbringen. Sie lassen aber doch erkennen, daß für den Bereich der prozessualen Tatsachen nicht notwendig ein neues entscheidungserhebliches Vorbringen in der Rechtsmittelinstanz ausgeschlossen ist. Da § 89 Abs. 2 ZPO nicht auf die Prozeßführung in der jeweiligen Instanz begrenzt ist, kann die durch Hinausweisung eines vollmachtlosen Vertreters aus dem Verfahren bedingte Verwerfung der Klage nicht irreparabel sein. Vielmehr muß die bei der Verwerfung der Klage dem Gericht nicht bekannte Tatsache der Bevollmächtigung vom Rechtsmittelgericht auf den entsprechenden Nachweis hin beachtet werden. Dies gilt auch für das grundsätzlich an die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil gebundene Revisionsgericht (§ 118 Abs. 2 FGO), da die die Zulässigkeit der Klage begründenden Tatsachen in der Revision von Amts wegen neu zu prüfen sind (vgl. Baumbach-Lauterbach, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Anmerkung 3 B zu § 561 ZPO).
Dieser Grundsatz unterliegt nach Auffassung des Senats allerdings einer Einschränkung. In analoger Anwendung der für das Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 529 Abs. 2 und 3, 279, 283 Abs. 2 ZPO) muß nämlich auch der verspätete Nachweis der Vertretungsbefugnis zurückgewiesen werden können, wenn dessen Berücksichtigung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und nach der freien Überzeugung des Gerichts die Partei in der Absicht, den Prozeß zu verschleppen oder aus grober Nachlässigkeit den Nachweis nicht früher vorgebracht hat. Durch die Berücksichtigung wird hier zwar die Erledigung der Rechtsstreitigkeiten verzögert, doch beruht die verspätete Vorlegung der Prozeßvollmacht offensichtlich nicht auf Prozeßverschleppungsabsicht wie auch nicht auf grober Nachlässigkeit. Es muß zwar den Bevollmächtigten und damit auch dem Stpfl. (§ 232 Abs. 2 ZPO!) zum Vorwurf gemacht werden, daß sie die Prozeßvollmacht vom 11. Oktober 1966 weder innerhalb der zur Vorlegung gesetzten Frist bis 11. November 1966 noch alsbald auf die Anmahnung des FG vom 7. Dezember 1966 vorgelegt haben. Diese Nachlässigkeit kann nicht durch die inhaltsleere Berufung auf "ein Kanzleiversehen" entschuldigt werden. Für die Berücksichtigung der Vollmacht sprechen aber folgende Umstände: Solange das FA den Mangel der Vollmacht nicht rügte, konnten die Anwälte damit rechnen, daß sie einstweilen zur Prozeßführung zugelassen blieben und daß sie spätestens in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit hätten, die Vollmacht noch vorzulegen. Sie sahen sich aber nach Terminsladung zur Niederlegung des Mandats veranlaßt, weil der Stpfl. die erforderliche Information verabsäumte. Nunmehr lag es für die Bevollmächtigten nahe, die Aufforderung des FG zur Vorlegung der Vollmacht für gegestandslos zu halten. Es kann jedenfalls nicht als ein grobes Verschulden angesehen werden, daß sie, nachdem ihr Mandant seine Informationspflicht versäumte, die eingehende rechtliche Prüfung unterließen, die erforderlich gewesen wäre, um den Irrtum in ihrem Handeln zu erkennen. Auch das Verhalten des Stpfl. gegenüber den Anwälten kann der Senat nicht als grobes Verschulden werten, weil der Stpfl. die hier in Frage stehende Folge seiner Nachlässigkeit nicht voraussehen konnte.
Nach diesen rechtlichen Erwägungen steht fest, daß die Klagen nunmehr endgültig als zulässig zu beurteilen sind. Die diese Klagen verwerfenden Prozeßurteile des FG müssen daher aufgehoben und die Rechtsstreitigkeiten zur sachlichen Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden (§ 126 Abs. 3 Nr. 3 FGO).
Von der Aufhebung der Urteile auf Grund der Revision des Stpfl. werden auch die Kostenentscheidungen erfaßt, da diese von Amts wegen zu treffen sind (§ 143 Abs. 1 FGO). Der Umstand, daß der Revisionsführer durch diesen Teil der Entscheidungen nicht beschwert ist, ist dabei ohne Belang.
Unabhängig vom Ausgang der Rechtsstreitigkeiten müssen die Kosten der bisherigen Verfahren dem Stpfl. auferlegt werden. Eine (prozessuale) Kostenpflicht der Prozeßbevollmächtigten kann nicht mehr in Frage kommen, da nunmehr geklärt ist, daß die Prozesse nicht von den Anwälten, sondern vom Stpfl. veranlaßt wurden und der Stpfl. die Prozeßführung nach § 89 Abs. 2 ZPO gegen sich gelten lassen muß, weil nachgewiesen ist, daß er Vollmacht erteilt hat. Da infolge der verspäteten Vollmachtsvorlegung in dem bisherigen Verfahren die Sachentscheidungen nicht gefördert werden konnten, müssen die Kosten dieser beiden Verfahrensabschnitte nach § 137 FGO den Stpfl. auch dann treffen, wenn er im endgültigen Ergebnis der Verfahren obsiegt. Die Kostenpflicht des Stpfl. war daher insoweit durch das Revisionsurteil festzusetzen. Über die Kosten des Vorverfahrens hat das FG nach Maßgabe der Hauptsacheentscheidung zu befinden (§ 139 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 3, § 135 Abs. 1 FGO).
Mit der Entscheidung über die Revision des Stpfl. sind die von den Bevollmächtigten im eigenen Namen eingelegten Rechtsmittel gegen die Kostenentscheidungen in den angefochtenen Urteilen gegenstandslos geworden. Eines besonderen Ausspruchs hierüber bedarf es nicht. Der Senat beurteilt dieses Rechtsmittel in Anlehnung an die Entscheidung des Reichsgerichts II 475/22 vom 5. Juni 1923 (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 107 S. 56/58) als Beschwerde nach §§ 128 ff. FGO, da die Kostenentscheidung, die sich gegen einen am Hauptsacheverfahren nicht Beteiligten richtet, Beschlußcharakter hat. Die Kostenentscheidung ist in analoger Anwendung des § 138 FGO nach billigem Ermessen zu treffen. Da die Beschwerden zulässig waren - die Einlegungsfrist von zwei Wochen konnte gemäß § 55 FGO überschritten werden - und da die Anwälte mit ihren Beschwerden durchgedrungen wären, weil sie mit Recht die Versagung des rechtlichen Gehörs gerügt haben (§ 96 Abs. 2 FGO) und bei den neuerlichen Entscheidungen über die Kostenpflicht mit Rücksicht auf die vorgelegte Vollmacht ihre Verurteilung gegen Kosten nicht mehr in Frage kommen kann, müssen sie aus der prozessualen Kostenhaftung ausscheiden. Da ferner das beklagte FA an den Beschwerdeverfahren unbeteiligt ist, können die Kosten dieser Verfahren nur den Stpfl. als den Veranlasser der Rechtsstreitigkeiten treffen.
Fundstellen
Haufe-Index 412784 |
BStBl II 1968, 63 |