Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfreiheit des auf Tätigkeiten innerhalb der (ehemaligen) DDR entfallenden Arbeitslohns aus einer öffentlichen Kasse
Leitsatz (NV)
Der anteilig auf die Tätigkeit im Gebiet der (ehemaligen) DDR entfallende Arbeitslohn eines Kraftfahrers, der Müll von Berlin (West) zu einer in der (ehemaligen) DDR gelegenen Deponie beförderte, ist auch dann gemäß § 3 Nr. 63 EStG 1987 steuerfrei, wenn er aus einer öffentlichen Kasse gezahlt wurde.
Normenkette
EStG 1987 § 3 Nr. 63, § 49 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1987 als Kraftfahrer bei der Berliner Stadtreinigung beschäftigt. In der Zeit vom . . . bis . . . war er für Fahrten von . . . zur Mülldeponie . . . in der DDR eingesetzt. In der Einkommensteuererklärung 1987 begehrte der Kläger, den in dem genannten Zeitraum bezogenen Bruttoarbeitslohn insoweit gemäß § 3 Nr. 63 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1987 steuerfrei zu belassen, als er auf die Fahrt- und Arbeitszeiten im Gebiet der DDR entfalle. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte dies - auch im Einspruchsverfahren - ab, weil der Kläger seinen Arbeitslohn aus einer ,,öffentlichen Kasse" bezogen habe.
Das FG gab der Klage . . . statt. Es führte in seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 16 veröffentlichten Urteil im wesentlichen aus:
Dem FA sei zwar darin zu folgen, daß der Kläger seine Arbeitseinkünfte aus einer öffentlichen Kasse bezogen habe. Zu Unrecht gehe es jedoch davon aus, daß nach dem sog. Kassenstaatsprinzip die aus einer öffentlichen Kasse gezahlten Bezüge nicht zu den Einkünften der in § 49 EStG bezeichneten Art gehörten. Es gebe im zwischenstaatlichen Recht keine feste Regel, wonach von vornherein und ohne vertragliche Abmachung nach dem ,,Kassenstaatsprinzip" zu verfahren sei. Zwar sehe das OECD-Musterabkommen aus 1977 (OECD-MustAbk) in seinem Art. 19 eine entsprechende Regelung vor. Dessen Gültigkeit hänge aber von einem entsprechenden Vertragsschluß zwischen den beteiligten Staaten ab (vgl. Art. 1 OECD-MustAbk). Eine solche vertragliche Abrede könne in die §§ 3 Nr. 63 EStG 1987, 49 EStG nicht hineininterpretiert werden. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut gehörten die Einkünfte des Klägers, die er für eine nichtselbständige Arbeit in der DDR bezogen habe, zu der in § 49 EStG bezeichneten Art. Die in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG für Zahlungen aus öffentlichen Kassen getroffene Regelung begründe eine (beschränkte) Steuerpflicht für solche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten. Sie berühre den vorliegenden Streitfall nicht, da der Kläger unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sei.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 3 Nr. 63 EStG 1987.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, . . . und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß der auf die Tätigkeit des Klägers in der DDR entfallende Arbeitslohn nach § 3 Nr. 63 EStG 1987 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG steuerfrei ist. Nach § 3 Nr. 63 EStG 1987 sind Einkünfte der in § 49 EStG bezeichneten Art steuerfrei, wenn sie in der DDR oder in Berlin (Ost) bezogen worden sind. Dabei ist ohne Belang, wo der Arbeitslohn ausbezahlt wurde, ob die Tätigkeit in der DDR bzw. in Berlin (Ost) eine gewisse Mindestzeit gedauert hat und ob die auf diese Tätigkeit entfallenden Einkünfte vom dortigen Fiskus tatsächlich der Besteuerung unterworfen worden sind (vgl. insbesondere das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. August 1985 VI R 12/82, BFHE 144, 556, BStBl II 1986, 64, und die dort erwähnte Rechtsprechung). Maßgebend ist vielmehr allein, ob die Arbeit in der DDR bzw. in Berlin (Ost) ,,ausgeübt oder verwertet" wurde (vgl. die freilich private Dienstverhältnisse betreffenden Senatsurteile vom 27. März 1981 VI R 207/78, BFHE 133, 64, BStBl II 1981, 530; vom 21. Januar 1983 VI R 87/79, BFHE 137, 352, BStBl II 1983, 224; in BFHE 144, 556, BStBl II 1986, 64).
Entgegen der von der Verwaltung und einem Teil der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. den Erlaß des Senators für Finanzen in Berlin vom 19. Mai 1988, StZBl.Bln. 1988, 1051; Schreiben des Bundesminsters der Finanzen - BMF - vom 25. April 1989, Steuererlasse in Karteiform - StEK -, Einkommensteuergesetz, § 3 Nr. 440; Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, Einkommensteuergesetz, § 3 Anm. 266; Hartz / Meeßen / Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, ,,DDR") hat das FG zutreffend angenommen, daß § 3 Nr. 63 EStG 1987 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG auch auf solche in der DDR oder in Berlin (Ost) ausgeübten Tätigkeiten Anwendung findet, die - wie hier - aus einer öffentlichen Kasse entlohnt wurden.
Mit § 3 Nr. 63 EStG 1987 beabsichtigte der Gesetzgeber, eine - bereits virtuelle - doppelte Besteuerung auszuschließen und ein DBA zu ersetzen (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks 7/1470, S. 243; Urteile in BFHE 133, 64, BStBl II 1981, 530; in BFHE 137, 352, BStBl II 1983, 224, und in BFHE 144, 556, BStBl II 1986, 64; v. Bornhaupt, Betriebs-Berater - BB -, Beilage 16/85 zu Heft 35/36/1985, S. 7). Dieser Zweck gebietet eine Steuerbefreiung der in der DDR bzw. in Berlin (Ost) erzielten Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit auch dann, wenn diese aus einer inländischen öffentlichen Kasse gezahlt wurden. Nach - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung kommt es für die Anwendung des § 3 Nr. 63 EStG 1987 darauf an, ob die betreffenden Einkünfte dann, wenn sie in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) erzielt worden wären, bei einem hier beschränkt Steuerpflichtigen zu den inländischen Einkünften i. S. des § 49 EStG gehören würden (vgl. z. B. die Senatsurteile in BFHE 133, 64, BStBl II 1981, 530; in BFHE 137, 352, BStBl II 1983, 224; in BFHE 144, 556, BStBl II 1986, 64; vgl. auch die Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks 7/1470, S. 243). Dies wäre im vorliegenden Streitfall zu bejahen.
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG unterliegen der beschränkten Steuerpflicht diejenigen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, ,,die im Inland ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist, und Einkünfte, die aus inländischen öffentlichen Kassen . . . gewährt werden." Nach dem eindeutigen und daher einer einengenden Auslegung nicht zugänglichen Wortlaut dieser Bestimmung genügt es für deren Anwendung, daß einer der dort genannten - selbständigen - Tatbestände, nämlich
1. Ausübung der nichtselbständigen Arbeit im Inland (sog. Ausübungstatbestand),
2. Verwertung der nichtselbständigen Arbeit im Inland (sog. Verwertungstatbestand),
3. Bezug der Arbeitseinkünfte aus einer inländischen öffentlichen Kasse,
erfüllt ist. Wäre der Kläger in der Bundesrepublik beschränkt steuerpflichtig gewesen und hätte er die in Rede stehenden Fahrten in der Bundesrepublik ausgeführt, so fielen seine daraus erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit unter den ,,Ausübungstatbestand" des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG, wobei es unerheblich wäre, aus welcher Kasse (private oder öffentliche, inländische oder nichtinländische Kasse) die Bezüge stammten.
Ein anderes würde nur dann gelten, wenn die Bezüge aus einer nichtinländischen öffentlichen Kasse stammten und die Bundesrepublik in einem DBA mit dem ,,Kassenstaat" auf ihr in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG sanktioniertes Besteuerungsrecht verzichtet hätte (vgl. § 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Dies hätte dadurch geschehen können, daß in diesem DBA - entsprechend der Empfehlung des Art. 19 OECD-MustAbk - das sog. Kassenstaatsprinzip vereinbart worden wäre.
Im Streitfall kommt eine solche Ausnahme von dem in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG statuierten Besteuerungsrecht schon deswegen nicht in Betracht, weil zwischen der Bundesrepublik und der DDR kein DBA geschlossen wurde. Entgegen der vom FA vertretenen Auffassung kann ein solches Abkommen mit dem typisierten Inhalt des OECD-MustAbk (insbesondere mit dessen Art. 19) auch nicht zum Zwecke der Einschränkung des in § 3 Nr. 63 EStG 1987 enthaltenen Steuerbefreiungstatbestands fingiert werden. Zu Recht hat das FG in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß eine solche - zu Lasten der Steuerpflichtigen wirkende - Einengung des in Rede stehenden Steuerbefreiungstatbestandes im Gesetzeswortlaut keinen Anhalt findet. § 3 Nr. 63 EStG 1987 verweist auf § 49 EStG ohne jede Einschränkung, so daß eine einengende Anwendung dieser Bestimmungen i. S. der Verwaltungsauffassung eine unzulässige - steuerbegründende bzw. steuererhöhende - Analogie bedeuten würde. Auch sind Anhaltspunkte für die vom FA angenommene ,,plan- und prinzipwidrige Gesetzeslücke" nicht erkennbar.
Zu Unrecht beruft sich das FA für seine gegenteilige Ansicht auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der § 3 Nr. 63 EStG a. F. nach den für DBA geltenden Regeln auszulegen ist (vgl. Urteile in BFHE 133, 64, BStBl II 1981, 530; in BFHE 137, 352, BStBl II 1983, 224; in BFHE 144, 556, BStBl II 1986, 64). Die Ansicht des Senats zielt darauf ab, daß der Begriff der ,,Ausübung" der nichtselbständigen Arbeit i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG in gleicher Weise wie das im DBA-Recht geltende ,,Arbeitsortprinzip" zu definieren ist. Sie darf nicht dahin mißverstanden werden, daß angesichts des Fehlens eines DBA mit der DDR ein solches - etwa mit dem typischen Inhalt des OECD-MustAbk - zu unterstellen sei. Hätte der Senat mit einer derartigen Unterstellung arbeiten wollen, so hätte er nicht mehrfach entscheiden können, daß es für die Anwendung des § 3 Nr. 63 EStG a. F. auf die Dauer der in der DDR ausgeübten Tätigkeit nicht ankomme (vgl. z. B. Urteil in BFHE 144, 556, BStBl II 1986, 64, m. w. N.). Denn zum typischen Inhalt eines DBA gehört bei den Einkünften aus unselbständiger Arbeit auch die sog. 183-Tage-Klausel (vgl. Art. 15 Abs. 2 OECD-MustAbk).
Ebensowenig wie durch die Fiktion eines ,,typischen" DBA mit Kassenstaatsprinzip läßt sich die von der Verwaltung befürwortete Einengung des § 3 Nr. 63 EStG 1987 durch eine unmittelbare Anwendung der in Art. 19 OECD-MustAbk enthaltenen Grundsätze erreichen; denn diese Grundsätze erhalten ihre Rechtsverbindlichkeit erst durch die Übernahme in ein DBA.
2. . . .
3. Das FG hat die vom Kläger geltend gemachten Werbungskosten in vollem Umfang zum Abzug zugelassen. Es hat Feststellungen darüber, ob und inwieweit die Werbungskosten mit dem gemäß § 3 Nr. 63 EStG 1987 steuerfreien Arbeitslohn in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang standen (§ 3 c EStG), nicht getroffen. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Das FG wird die entsprechenden Feststellungen nachzuholen haben, um den nach § 3 c EStG vom Abzug ausgeschlossenen Teil der Werbungskosten zu ermitteln.
Fundstellen
Haufe-Index 417369 |
BFH/NV 1991, 513 |