Entscheidungsstichwort (Thema)
Außenprüfung bei einem Kleinstbetrieb /Voraussetzungen einer Außenprüfung aus besonderem Anlaß
Leitsatz (NV)
1. Auch bei einem Kleinstbetrieb i. S. d. § 3 BpO (St) kann jederzeit eine routinemäßige Außenprüfung angeordnet werden.
2. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muß die Behörde von einer Außenprüfung aus besonderem Anlaß Abstand nehmen, wenn die erforderliche Aufklärung auch mit Maßnahmen erreicht werden kann, die den Steuerpflichtigen weniger belasten.
3. Ein Aufklärungsbedürfnis i. S. von § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 wird bereits mit dem Hinweis hinreichend dargetan, es lägen Anhaltspunkte für eine nicht vollständige oder unrichtige Steuererklärung vor.
Normenkette
AO 1977 § 126 Abs. 1 Nr. 2, § 193 Abs. 1, 2 Nr. 2; BpO (St) § 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer gegen die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) ergangenen Prüfungsanordnung.Die Kläger sind Ehegatten, die für den Prüfungszeitraum (1979 bis 1981) die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer beantragt und sich entsprechend einer in den Einkommensteuererklärungsvordrucken der Streitjahre aufgenommenen Erklärung zur gegenseitigen Empfangnahme des Steuerbescheids und von Änderungsbescheiden bevollmächtigt haben. Der Kläger war im Prüfungszeitraum gewerblich tätig. Er betrieb daneben ab 1. Februar 1979 die bis dahin von der Klägerin als Einzelunternehmerin ausgeübte . . . beratung. Ab Februar 1981 übernahm er zusätzlich von der Klägerin, die ihr Gewerbe gleichzeitig abmeldete, ein . . .büro. Im Jahre 1981 waren beide Ehegatten außerdem als Angestellte einer GmbH tätig, deren Gründungsmitgesellschafter der Kläger ist. Die Klägerin bezog im Prüfungszeitraum ferner als Angestellte ihres Ehemannes Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sämtliche Betriebe der Ehegatten waren in den Streitjahren in die Größenklasse Kleinstbetrieb gemäß § 3 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO (St) - vom 27. April 1978 (BStBl I 1978, 195) eingeordnet.
Während einer noch laufenden Außenprüfung bei der GmbH ordnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) bei den Klägern gemäß § 193 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Außenprüfung an, die die Einkommen-, Gewerbe-, Umsatz- und Vermögensteuer sowie die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens umfassen sollte. Die an beide Ehegatten adressierte Prüfungsanordnung wurde den Klägern nur in einer Ausfertigung mit einfachem Brief bekanntgegeben.
Mit ihrer Beschwerde machten die Kläger geltend, daß die Voraussetzungen einer Betriebsprüfung bei zusammenhängenden Unternehmen nach § 18 BpO (St) im Streitfall nicht erfüllt seien und die Prüfungsanordnung gegen das Übermaßverbot verstoße, da eine Aufklärung der für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse auch an Amts Stelle erfolgen könne.
Die Außenprüfung ist im Hinblick auf das anhängige Rechtsbehelfsverfahren noch nicht begonnen worden.
Mit Beschwerdeentscheidung vom 19. August 1983, die dem gemeinsamen Bevollmächtigten der Kläger zugestellt wurde, wies die Oberfinanzdirektion (OFD) die Beschwerde als unbegründet zurück. Sie führte hierzu aus, daß beim Kläger die Voraussetzungen des § 193 Abs. 1 AO 1977 während des gesamten Prüfungszeitraums vorgelegen hätten und im übrigen die steuerlichen Verhältnisse unklar und prüfungsbedürftig seien. Hinsichtlich der Klägerin beruhe die Anordnung für die Zeiträume, in denen sie keinen Gewerbebetrieb unterhalten habe, auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977. Eine Prüfungsbedürftigkeit bestehe schon deshalb, weil die Klägerin ihre Gewerbebetriebe dem Ehemann übergeben und teilweise rückwirkend wieder abgemeldet habe. Aufgrund der unklaren steuerlichen Verhältnisse könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Steuererklärungen unvollständig oder unrichtig seien. Da zur Aufklärung die Prüfung umfangreicher Unterlagen erforderlich sei, sei eine Ermittlung an Amts stelle unzweckmäßig.
Auf die Klage hin hob das Finanzgericht (FG) die angefochtene Prüfungsanordnung aus verfahrensrechtlichen Gründen auf.
Mit seiner wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung der §§ 122 Abs. 1, 155 Abs. 3, 196 und 197 Abs. 1 Satz 1 AO 1977.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 120 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Prüfungsanordnung, gegen deren Wirksamkeit keine verfahrensrechtlichen Bedenken bestehen, ist auch im übrigen rechtmäßig.
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3. Die Prüfungsanordnung in Gestalt der Beschwerdeentscheidung, deren Zulässigkeit getrennt nach den Verhältnissen des jeweils betroffenen Ehegatten zu beurteilen ist (vgl. Senatsurteil in BFHE 149, 399, BStBl II 1987, 664), ist auch frei von materiellen Rechts- und Ermessensfehlern.
a) Die Rechtmäßigkeit der gegen den Kläger angeordneten Außenprüfung hängt nicht davon ab, ob das FA bei ihm lediglich eine Routineprüfung oder, wie der Kläger behauptet, eine Prüfung aus besonderem Anlaß durchführen will.
aa) Das FA konnte gegen den Kläger, der während des gesamten Prüfungszeitraums gewerblich tätig war, jederzeit eine routinemäßige Außenprüfung anordnen, für die nach ständiger Rechtsprechung der Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift als ausreichende Begründung anzusehen ist (vgl. BFHE 149, 399, BStBl II 1987, 644, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Denn § 193 Abs. 1 AO 1977 geht davon aus, daß die Heranziehung der dort genannten Steuerpflichtigen zu einer routinemäßigen Außenprüfung regelmäßig ermessensgerecht ist. Auch die BpO (St), mit der die Finanzbehörde das ihr insoweit zustehende Ermessen selbst eingeschränkt hat, sieht für Kleinstbetriebe keine abweichende Behandlung gegenüber den Betrieben anderer Größenklassen nach § 3 BpO (St) vor.
bb) Sollte beim Kläger dagegen aus besonderem Anlaß außerhalb des allgemeinen Prüfungsrhythmus eine Außenprüfung stattfinden, was nach den Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung zumindest nicht auszuschließen ist, so genügen die dort dargelegten Gründe, die zulässigerweise nachgeholt werden konnten (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977), den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 24. Januar 1985 IV R 232/82, BFHE 143, 210, BStBl II 1985, 568, und vom 16. Dezember 1987 I R 238/83, BFHE 152, 32, BStBl II 1988, 233).
(1) Ob eine Außenprüfung angezeigt ist, entscheidet die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen; sie muß hierbei Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts berücksichtigen und zusätzlich beachten, daß die Außenprüfung für den Steuerpflichtigen eine erhebliche Belastung bedeutet. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muß die Behörde von einer Außenprüfung Abstand nehmen, wenn die erforderliche Aufklärung auch mit Maßnahmen erreicht werden kann, die den Kläger weniger belasten (BFH-Urteile vom 7. November 1985 IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435, und in BFHE 143, 210, BStBl II 1985, 568). Die Gerichte können diese Entscheidung nur daraufhin prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO; vgl. zur gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen: BFH-Urteil vom 24. September 1976 I R 41/75, BFHE 120, 212, BStBl II 1977, 127).
(2) Die von der Beschwerdebehörde angestellten Ermessenserwägungen lassen weder eine Ermessensüberschreitung noch Ermessensfehlgebrauch erkennen.
Die Beschwerdeentscheidung enthält insbesondere ausreichende Erwägungen zu der Frage, ob sich die im einzelnen aufgeführten klärungsbedürftigen Verhältnisse (insbesondere Übertragung der Gewerbebetriebe auf den Kläger und Zusammenhang zwischen den getätigten Grundstücksgeschäften und dem Immobilienunternehmen) sachgerechter im Wege einer Außenprüfung als durch die Veranlagungsstelle ermitteln lassen.
Es kann dahinstehen, ob die erforderlichen Feststellungen nicht auch an Amts Stelle getroffen werden könnten. Denn die Ermessensgrenzen sind im Streitfall nicht derart eingeengt, daß nur eine bestimmte Entscheidung möglich wäre (vgl. zur sog. Ermessensreduzierung auf Null die Nachweise bei Tipke/Kruse, a. a. O., § 102 FGO Tz. 1).
cc) Schließlich kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 18 BpO (St) erfüllt sind. Denn die Finanzbehörden, die die angefochtene Verfügung ohnehin nicht auf diese Vorschrift gestützt haben, konnten beim Kläger eine Außenprüfung ohne Rücksicht auf die bei der GmbH stattfindende Prüfung anordnen.
b) Die Anordnung der Außenprüfung bei der Klägerin läßt ebenfalls keine Ermessensfehler erkennen.
Allerdings kommt bei ihr für die Zeiträume, in denen sie keine Gewinneinkünfte erzielt hat, als Rechtsgrundlage der Prüfungsanordnung lediglich § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 in Betracht. Wird eine Prüfungsanordnung auf diese Vorschrift gestützt, so muß sie erkennen lassen, welche steuererheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und warum eine Prüfung an Amts Stelle nicht zweckmäßig ist (Urteile in BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435, und vom 16. Dezember 1986 VIII R 123/86, BFHE 148, 426, BStBl II 1987, 248).
Die Beschwerdebehörde hat ein Aufklärungsbedürfnis i. S. von § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 bereits mit dem Hinweis hinreichend dargetan, es lägen aufgrund der im einzelnen aufgeführten Unklarheiten Anhaltspunkte dafür vor, daß die Klägerin ihre Steuererklärungen nicht vollständig oder mit unrichtigem Inhalt abgegeben hat (vgl. hierzu Urteile in BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208, und in BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435). Bezüglich der Frage der Zweckmäßigkeit einer Außenprüfung entspricht die für die Anordnung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 erforderliche Begründung weitgehend den Ermessenserwägungen, die bei einer Außenprüfung aus besonderem Anlaß nach § 193 Abs. 1 AO 1977 anzustellen sind und die, wie vorstehend unter 3 a bb (2) dargelegt wurde, in der Beschwerdeentscheidung rechtsfehlerfrei getroffen worden sind.Hinweis: Teil 1 und 2 der Entscheidungsgründe ist in BFHE 155, 238, BStBl II 1989, 257 veröffentlicht.
Fundstellen
Haufe-Index 62378 |
BFH/NV 1990, 4 |