Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bestimmung des Ausmaßes der Rechtskraft eines Urteils; Verjährung von Ausfuhrerstattungsansprüchen
Leitsatz (NV)
1. Das Ausmaß der Rechtskraft eines FG-Urteils wird durch die Entscheidungsformel bestimmt, wobei für deren Auslegung Tatbestand und Entscheidungsgründe heranzuziehen sind.
2. Zur Verjährung von Ausfuhrerstattungsansprüchen nach §§ 143 ff. RAO a.F.
Normenkette
AO §§ 144, 145 Abs. 1, § 146a Abs. 1; AbG § 2; FGO § 110
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt) gewährte der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) 1965 nach der Erstattungsverordnung Getreide und Reis vom 24. November 1964 (BGBl I 1964, 917, Bundeszollblatt - BZBl - 1965, 2) Erstattungen für die Ausfuhr von Sorghumflocken in Form der Genehmigung der abschöpfungsfreien Einfuhr von Sorghum (180 kg Sorghum für die Ausfuhr von 100 kg Flocken). Mit Bescheid vom 8. Dezember 1966 widerrief die EVSt die Erstattungen (Einfuhrgenehmigungen) in vollem Umfang. Mit Bescheid vom 18. August 1972 änderte sie den Widerrufsbescheid; sie gewährte für die Ausfuhren eine Erstattung nach dem Umrechnungssatz von 100:102 und erhielt den Erstattungswiderruf nur noch für die Differenzmengen aufrecht. Die Klage der Klägerin hatte im Ergebnis keinen Erfolg; das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 10. Dezember 1985 im zweiten Rechtsgang wurde rechtskräftig, nachdem die Klägerin ihre dagegen eingelegte Revision im Juni 1986 zurückgenommen hatte.
In diesem Zusammenhang gewährte die EVSt der Klägerin mit Einfuhrgenehmigungen Nr. 8392 und Nr. 8434 vom 29. und 30. November 1965 Erstattung in der Form der abschöpfungsfreien Einfuhr von höchstens 490 086 bzw. 492 732 kg Sorghum. Am 8. Dezember 1965 beantragte die Klägerin unter Vorlage dieser Einfuhrgenehmigungen beim Zollamt (ZA) H - das dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt - HZA -) untersteht - die Abfertigung von 100 260 kg Sorghum zum freien Verkehr. Das ZA folgte diesem Antrag, schrieb eine Teilmenge von 90 086 kg auf der Einfuhrgenehmigung Nr. 8392 und die restliche Teilmenge von 10 174 kg auf der Einfuhrgenehmigung Nr. 8434 ab und setzte mit Bescheid vom 14. Dezember 1965 . . ./160 lediglich 328,30 DM Umsatzausgleichsteuer und keine Abschöpfung fest. Am gleichen Tag ließ die Klägerin auf der Einfuhrgenehmigung Nr. 8434 199 740 kg einer anderen Partie Sorghum abschreiben (Zollbescheid . . ./158).
Nach dem vollen Widerruf der Erstattung durch die EVSt mit Bescheid vom 8. Dezember 1966 forderte das ZA H durch zwei Berichtigungsbescheide vom 19. und 20. Dezember 1966, von denen sich jeder nur auf einen Teil der Gesamtmenge von 100 260 kg des Bescheids vom 14. Dezember 1965 . .../160 bezog, Abschöpfungen und (anteilige) Umsatzausgleichsteuer nach (Bescheid vom 19. Dezember 1966 für die auf die Einfuhrgenehmigung Nr. 8392 abgeschriebene Menge von 90 086 kg, Nachforderungsbetrag insgesamt 17 135,40 DM; Bescheid vom 20. Dezember 1966 für die auf der Einfuhrgenehmigung Nr. 8434 abgeschriebene Menge von 10 174 kg, Nacherhebungsbetrag 1 968,50 DM). Nachdem die EVSt durch Änderungsbescheid vom 18. August 1972 die Abschöpfungsfreiheit zum Teil wiederhergestellt hatte, nahm das ZA H den Berichtigungsbescheid vom 19. Dezember 1966 zurück und erhielt den Berichtigungsbescheid vom 20. Dezember 1966 aufrecht. Daraufhin erledigte sich der Rechtsstreit beim FG IV 1423/ 67 Z über den Berichtigungsbescheid vom 19. Dezember 1966. Den Bescheid vom 20. Dezember 1966 hob das FG durch Urteil vom 16. Januar 1975 IV 1426/67 Z (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1975, 503) mit der Begründung auf, daß es verfahrensrechtlich unzulässig gewesen sei, den Abgabenfall aufzuspalten und die Abgabenfestsetzung auf eine gedachte Teilmenge der einheitlich abgefertigten Waren zu beschränken. Das Urteil wurde rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 7. März 1975 an das ZA H äußerte die EVSt: Bei den Mengen, für die die Abschöpfungsfreiheit hinsichtlich der Einfuhrgenehmigung Nr. 8392 wiederhergestellt worden sei, handle es sich um die 90 086 kg, die vom ZA H, und um 187 629 kg, die vom ZA G in der Zeit vom 13. bis 16. Dezember 1965 zum freien Verkehr abgefertigt worden seien. Hinsichtlich der Einfuhrgenehmigung Nr. 8434 handle es sich um einen Teil der Menge von 282 818 kg, die das ZA E am 11. Dezember 1965 abgefertigt habe; der Widerruf der Erstattung für die auf Antrag der Klägerin vom 8. Dezember 1965 von dem ZA H abgefertigten Mengen von insgesamt 209 914 kg sei aufrechterhalten worden. Durch Änderungsbescheid vom 24. Juli 1975 zum Bescheid vom 14. Dezember 1965 . . ./160 erhob das ZA für die Gesamtmenge von 100 260 kg 1 906,60 DM Abschöpfung und 28,50 DM (anteilige) Umsatzausgleichsteuer (insgesamt 1 935,10 DM) nach.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG hob den Änderungsbescheid vom 24. Juli 1975 auf. Zur Begründung führte es aus:
Es könne unentschieden bleiben, ob das Urteil des FG vom 16. Januar 1975 IV 1426/67 Z dem Erlaß des angefochtenen Bescheids entgegenstehe und ob die geltend gemachten Abgabenansprüche ganz oder teilweise durch Verjährung erloschen seien. Die Nachforderung sei schon deshalb rechtswidrig, weil die Einfuhr, auf die sie sich beziehe, abschöpfungsfrei gewesen sei. Die Begründung des FG insoweit entspricht im wesentlichen der Begründung seines Urteils vom 26. März 1975 IV 1424/67 Z (Az. des BFH: VII R 76/75 (BFH/NV 1986, 189). Die Einfuhr . . ./160 sei in vollem Umfang abschöpfungsfrei, da die in Anspruch genommene Erstattung aufgrund der Einfuhrgenehmigung Nr. 8392 vorher noch nicht in Anspruch genommen gewesen sei und in ihrem wiederhergestellten Umfang für die fragliche Menge ausgereicht habe. Das gleiche gelte für die Einfuhrgenehmigung Nr. 8434, die zum genannten Zeitpunkt nur bis zu einer Gesamtmenge von 209 914 kg in Anspruch genommen gewesen sei (Zollbescheide . . ./158 und . . ./160); diese Menge halte sich im Rahmen der Höchstmenge von 279 215 kg, für die die Abschöpfungsfreiheit wiederhergestellt worden sei. Das FG ließ die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zu.
Das HZA begründet seine Revision in gleicher Weise wie im Verfahren VII R 76/75 (BFH/NV 1986, 189). Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zur Begründung führt sie aus: Der Widerruf der Abschöpfungsfreiheit habe rückwirkende Kraft. Werde die gewährte Abschöpfungsfreiheit für eine Teilmenge aus einer in der Einfuhrgenehmigung festgesetzten Gesamtmenge widerrufen, so seien die Folgen so anzusehen, als ob von vornherein die Abschöpfungsfreiheit in der Einfuhrlizenz für die geringere Menge gewährt worden wäre. Die chronologischen Abschreibungen auf die Einfuhrlizenz seien daher durch die festgesetzte Abschöpfungsfreiheit insoweit gedeckt, als sie die verbleibende Menge nicht überschritten. Ungedeckt seien dagegen die zeitlich späteren Abschreibungen, denen in der Einfuhrgenehmigung selbst eine abschöpfungsfreie Menge nicht mehr gegenüberstehe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Zwar hat das HZA die Abweisung der Klage im Revisionsverfahren nicht ausdrücklich beantragt, sondern die Zurückverweisung der Sache an das FG. Seiner Revisionsbegründung ist jedoch zu entnehmen, daß es die Klage für unbegründet hält, so daß davon auszugehen ist, daß es sinngemäß einen entsprechenden Antrag gestellt hat.
Der angefochtene Änderungsbescheid vom 24. Juli 1975 ist rechtmäßig. Das HZA hat mit ihm zu Recht Abschöpfungen und (anteilige) Umsatzausgleichsteuer nacherhoben, da der Klägerin insoweit kein Anspruch auf Freistellung der eingeführten Waren von der Abschöpfung zu Gebote stand. Auch der Wiederherstellungsbescheid der EVSt vom 18. August 1972 vermittelte ihr keinen solchen Anspruch. Zur Begründung verweist der Senat auf die Gründe seines heutigen Urteils im Verfahren VII R 76/75 (BFH/NV 1986, 189) zwischen den gleichen Beteiligten.
Die vom FG - von seinem Standpunkt aus zu Recht - unentschieden gelassene Frage, ob die Rechtskraft seines Urteils vom 16. Januar 1975 IV 1426/67 Z (EFG 1975, 503) dem Erlaß des angefochtenen Bescheids entgegensteht, ist zu verneinen. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten so weit, als über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Wie weit die Rechtskraft reicht, wird dabei durch die Entscheidungsformel bestimmt, wobei für ihre Auslegung Tatbestand und Entscheidungsgründe heranzuziehen sind (BFH-Beschluß vom 14. September 1967 V S 9/67, BFHE 89, 332, 333, BStBl III 1967, 615, m.w.N.). Aus den Entscheidungsgründen des genannten Urteils ergibt sich, daß das FG lediglich die Frage entschieden hat, ob der damals angefochtene Steuerbescheid vom 20. Dezember 1966 in formeller Hinsicht den Anforderungen entsprach; es hat diesen Bescheid allein deswegen aufgehoben, weil es der Meinung war, es sei verfahrensrechtlich unzulässig, einen einheitlichen Abgabenfall aufzuspalten und die Abgabenfestsetzung auf eine gedachte Teilmenge der einheitlich abgefertigten Ware zu beschränken. Diese Entscheidung kann die materiellen Rechtsfragen nicht präjudizieren (vgl. auch BFH-Urteil vom 17. Februar 1982 II R 176/80, BFHE 135, 234, 236, BStBl II 1982, 524). Das HZA war daher durch § 110 FGO und das genannte Urteil des FG nicht gehindert, einen neuen Bescheid zu erlassen, der, wie das der Fall ist, die vom FG für rechtswidrig gehaltene Aufspaltung eines einheitlichen Abgabenfalls vermied.
Zu Unrecht hat sich die Klägerin demgegenüber vor dem FG auf das BFH-Urteil vom 21. April 1972 III R 83/70 (BFHE 106, 173, BStBl II 1972, 740) berufen. Diese Entscheidung ist zu einem nicht vergleichbaren Sachverhalt ergangen. Dort stand die Rechtskraft der im vorangegangenen Berichtigungsverfahren erlassenen gerichtlichen Entscheidung einer erneuten Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) entgegen, weil mit dieser Entscheidung ,,auch die Feststellung bzw. Nichtfeststellung des materiell-rechtlichen Fehlergehalts des ursprünglichen Abgabenbescheides konsumiert" war (BFHE 106, 173, 177, BStBl II 1972, 740, 742). Im vorliegenden Fall hat sich die fragliche gerichtliche Entscheidung mit materiell-rechtlichen Fragen der Nachforderung der Abschöpfungen gerade nicht befaßt.
Ebenfalls nicht entschieden hat das FG die Frage, ob dem angefochtenen Änderungsbescheid vom 24. Juli 1975 Verjährung entgegengehalten werden kann. Diese Frage ist aber zu verneinen.
Die Frage der Verjährung entscheidet sich im vorliegenden Fall nach den §§ 143 ff. AO i.d.F. des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 - AOÄG - (BGBl I 1965, 1356); denn nach Art. 5 Abs. 3 AOÄG gelten diese Bestimmungen seit Inkrafttreten des Gesetzes, d. h. seit dem 1. Januar 1966, auch für Abgabenansprüche, die früher entstanden sind (vgl. auch Urteil des Senats vom 26. November 1974 VII R 45/72, BFHE 114, 522, 524, BStBl II 1975, 460).
Nach § 2 des Abschöpfungserhebungsgesetzes (AbG) i.V.m. § 144 AO beträgt die Verjährungsfrist bei Abschöpfungen ein Jahr. Die Verjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, d. h. in dem der Erstattungswiderruf wirksam geworden ist (§ 145 Abs. 1 AO; Urteil des Senats vom 20. April 1971 VII B 133/69, BFHE 101, 489, 492). Da der Erstattungswiderruf der EVSt im vorliegenden Fall im Dezember 1966 wirksam geworden ist, begann die Verjährungsfrist für eine etwaige Nachforderung am 1. Januar 1967 zu laufen. Durch die Anfechtung des Bescheids vom 20. Dezember 1966 durch die Klägerin wurde der Ablauf der Verjährungsfrist gehemmt (§ 146a Abs. 1 AO). Dies hatte zur Folge, daß die Verjährung für die streitigen Ansprüche nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens eintreten konnte, d. h. im vorliegenden Fall nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Ergehen des Urteils des FG vom 16. Januar 1975. Die Abgabenfestsetzung durch den Bescheid vom 20. Dezember 1966 ist also frühestens sechs Monate nach dem Zeitpunkt unanfechtbar geworden, zu dem das genannte Urteil mit Revision nicht mehr angefochten werden konnte. Es fehlen Feststellungen, aus denen der genaue Zeitpunkt des Eintritts dieser Unanfechtbarkeit entnommen werden könnte. Dessen bedarf es aber nicht. Denn jedenfalls kann im Zeitpunkt des Ergehens des angefochtenen Nachforderungsbescheids vom 24. Juli 1975 die Sechs-Monats-Frist des § 146 a Abs. 1 AO noch nicht abgelaufen gewesen sein. Die Ansprüche auf Abschöpfungen nach dem AbG, die das HZA mit dem genannten Bescheid geltend gemacht hat, waren also nicht verjährt.
Der angefochtene Bescheid ist danach rechtmäßig. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage war in vollem Umfang abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 414672 |
BFH/NV 1987, 193 |