Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Entstehung eines neuen Verkehrsguts, wenn der Lieferungsgegenstand dem menschlichen Zugriff in einer Weise entzogen ist, daß es nur mit besonderen Mitteln der Technik möglich ist, ihn für die menschliche Verwendung nutzbar zu machen.
Normenkette
UStG § 7 Abs. 3; UStDB 1951 § 12
Tatbestand
Streitig ist die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 7 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) auf Lieferungen von Hochofenschlacke im Großhandel. Die Steuerpflichtige (Stpfl.) steht mit einem Hüttenwerk in vertraglichen Beziehungen, wonach sie monatlich die von ihr benötigte Menge Schlacke der Hütte aufgibt. Auf Grund dieser monatlichen Bestellung wird die Schlacke sodann laufend von der Stpfl. abgeholt. Die Schlacke, die bei der Verhüttung von Erz und Schrott im Hochofen anfällt, wird vom Hüttenwerk auf eine Halde gekippt und erkaltet dort allmählich. Die in jüngster Zeit auf die Halde verbrachte Schlacke ist baggerfähig und kann von einem Bagger mittlerer Größe von 130 PS Leistung und einem Baggerlöffel von 1,5 cbm Fassungsvermögen durch die Stpfl. nach deren Angabe ohne weiteres gebaggert und zum Transport auf Wagen verladen werden. Die Stpfl. muß jedoch zur Abkühlung dieser zuletzt angefallenen Schlacke und zur Schonung des Baggers die Schlackenhalde laufend mit Wasser berieseln. Bei der bereits erkalteten Schlacke nimmt die Stpfl., da der Einsatz noch größerer Bagger unrentabel wäre, vor dem Baggern Kammersprengungen mittels Dynamitladungen vor. Die Schlacke wird sodann auf einer Brückenwaage des Hüttenwerks gewogen und durch die Stpfl. an ihre Abnehmer unter der Bezeichnung "unsortierte Hochofenschlacke" geliefert.
Das Finanzamt hat in den geschilderten Maßnahmen der Stpfl. eine nach § 12 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) steuerlich schädliche Bearbeitung des Lieferungsgegenstandes erblickt und den ermäßigten Steuersatz versagt. Im Berufungsverfahren hatte die Stpfl. Erfolg. Das Finanzgericht ist der Auffassung, daß die Stpfl. die Schlacke nicht erzeugt, sondern erworben habe; es verneint auch eine steuerlich schädliche Bearbeitung; die Maßnahmen der Stpfl. dienten vielmehr nur dem Umschlagprozeß und dem Abtransport der Ware oder seien als ein Vorgang bloßen Umfüllens aufzufassen.
Entscheidungsgründe
Die gegen die Zubilligung des ermäßigten Steuersatzes gerichtete Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Für die steuerliche Beurteilung der streitigen Frage kann es dahingestellt bleiben, ob die Stpfl. die Schlacke auf Grund eines Kaufvertrages erworben hat, oder ob der Vertrag zwischen dem Hüttenwerk und der Stpfl. als Abbau- oder Abraum-Vertrag zu beurteilen wäre, so daß die Stpfl. die Schlacke nicht erworben, sondern gewonnen oder erzeugt hätte. Denn die Prüfung des unstreitigen Sachverhalts ergibt, daß durch die Maßnahmen der Stpfl. in jedem Falle ein anderes Verkehrsgut entstanden ist. Das Finanzgericht hat, um seine Ablehnung eines Abbauvertrages zu begründen, unter anderem ausgeführt, eine Gewinnung von Bodenbestandteilen liege vor z. B. bei Kies, Sand, Stein, Kohle, Erz usw.; von einer solchen Gewinnung könne aber da keine Rede sein, wo men schliches Tunerst das Produkt schaffe. So aber liegt es im Streitfalle. Die Schlacke ist für ein Hüttenwerk zunächst nur ein lästiges Abfallprodukt, worauf die Stpfl. selbst hingewiesen hat. Auf den Schlackenhalden wird sie mit dem allmählichen Erkalten zu einer kompakten bergehohen Masse, und es kann allenfalls noch die Außenschicht manuell gebrochen werden. In den tieferen Schichten ist dies aber nur noch mit maschinellem Einsatz, entweder durch Großbagger oder durch Sprengungen möglich. Zudem befinden sich, wie auch die örtliche Besichtigung durch die Vorinstanz ergeben hat, in der Schlackenmasse nicht bagger- und transportfähige große Blöcke, die ausgesondert und gesprengt werden müssen. Es hieße aber die Bedeutung dieser tatsächlichen Gegebenheiten verkennen, wollte man, wie das Finanzgericht tut, einen solchen Tatbestand gleichstellen mit dem bloßen Abtransport eines Haufens von Baumstämmen, von Trägern, von Getreide oder dergleichen, und die Maßnahmen der Stpfl., das heißt der Berieselung der Halde, den Einsatz von Baggern oder gar die Kammersprengungen bei den älteren Schlackenbeständen als lediglich auf den Umschlag und den Transport von Gütern gerichtet und daher als steuerlich unschädlich würdigen. Es liegt hierin nicht, wie die Stpfl. meint, eine Verkennung des technischen Fortschritts. Man kann von einem Stapel Träger oder von einem "Berg" von Getreide mit den modernsten technischen Mitteln, Kränen oder Absaugevorrichtungen die für die jeweilige Lieferung benötigten Mengen abtransportieren, ohne daß deshalb eine steuerliche Schädlichkeit angenommen werden könnte. Etwas anderes ist es, wenn durch den Einsatz technischer Mittel erst ein selbständiges Handelsgut entsteht. Denn das erkaltete Schlackenmaterial, daß sich auf der Halde allmählich zu festen Bergen auftürmt, wird man schlechterdings nicht als verkehrsfähiges Handelsgut ansehen können. Die Schlacke wird dazu erst durch den Einsatz umfangreicher technischer Mittel. Richtig ist die Auffasung der Vorinstanz, daß ein Wirtschaftsgut durch Beförderungsmaßnahmen allein -- zu denen auch das Herausheben von Gegenständen aus einem bisherigen Standort in ein Beförderungsmittel und das Verbingen an eine andere Stelle gehört -- nicht ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit wird. Auch geförderte Kohlen bleiben nach der Verkehrsauffassung, die allein entscheidend ist, Kohlen, mögen sie sich auf der Zeche, beim Lieferer oder in weiter Entfernung hiervon beim Abnehmer befinden. Sind dagegen Gegenstände dem menschlichen Zugriff in einer Weise entzogen, daß es nur mit besonderen Mitteln der Technik möglich ist, sie für die menschliche Verwendung nutzbar zu machen, so muß man in den Gegenständen vor und nach der Lösung dieser Verstrickung Gegenstände verschiedenartiger Marktgängigkeit erblicken. Insofern kann der Tatbestand eher etwa mit der Übertageförderung von Braunkohlen verglichen werden. Auch wenn man, wie offen bleiben kann, die Schlacke als erworben ansieht, so muß die auf der Halde anstehende Schlacke als ein anderes Verkehrsgut angesehen werden als die Schlacke, die durch die Maßnahmen der Stpfl. erst nutzbar gemacht worden ist, nicht anders, als im Berg anstehende Kohle ein anderes Verkehrsgut ist als die geförderte Kohle.
Mit Recht hat sich die Rb. für ihre Auffassung auch auf den erheblichen Unterschied zwischen dem Preise, den die Stpfl. an die Hütte zahlt und dem Preise, der von den Abnehmern gefordert wird, berufen. Dieser Unterschied rechtfertigt sich durch den Einsatz erheblicher technischer Mittel und durch den Lohnaufwand. Der Stpfl. ist zuzugeben, daß die Preisgestaltung als solche nicht die Beschaffenheit eines Wirtschaftsguts ändert. Aber der höhere Preis ist von der Rechtsprechung stets als eines der wichtigsten Beweisanzeichen für die Änderung der Marktgängigkeit gewertet worden. Wenn die Vorentscheidung demgegenüber ausführt, es könne, da durch das Abbaggern keine Behandlung der Hochofenschlacke vorgenommen werde, der erhöhte Preis kein Beweisanzeichen für eine Bearbeitung sein, so verkennt sie die tatsächlichen Verhältnisse. Nach den Feststellungen der Vorinstanz liegt die Schlacke kompakt auf der Halde. Daß ein normaler Bagger allein nicht ausreicht, um ein transportfähiges Wirtschaftsgut zu erzeugen, hat die Vorinstanz gleichfalls festgestellt. Es treten das Berieseln und die Sprengungen hinzu. Alle diese Maßnahmen wirken unmittelbar auf die Schlacke ein, ähnlich, wie wenn Kohle, Kies oder Sand gefördert wird (vgl. auch Urteil des Reichsfinanzhofs V A 22/29 vom 30. August 1929, Reichssteuerblatt 1929 S. 576). Hieraus waren die rechtlichen Folgerungen zu ziehen. Diese tatsächlichen Gegebenheiten verbieten es aber auch, den Vorgang als bloßes Umfüllen zu betrachten. Die Anwendbarkeit des Urteils V 25/51 U vom 13. November 1952 (Slg. Bd. 57 S. 63, Bundessteuerblatt 1953 III S. 23), auf das sich die Vorinstanz beruft, entfällt mithin schon aus diesem Grunde. Dem Umstand, daß durch Maßnahmen der Stpfl. hier ein neues Verkehrsgut entsteht, kommt im Streitfalle vielmehr entscheidende Bedeutung zu.
Diese Rechtslage hat die Vorinstanz verkannt. Die Sache ist, da andere Streitpunkte nicht bestehen, spruchreif. Unter Aufhebung der Vorentscheidung war die Sprungberufung der Stpfl. gegen den Umsatzsteuerbescheid des Finanzamts als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 307 der Reichsabgabenordnung.
Fundstellen
Haufe-Index 408344 |
BStBl III 1956, 55 |
BFHE 1956, 147 |