Leitsatz (amtlich)
Der Zollwert eingeführter, nach dem Rechnungspreis zu bewertender Waren, die verglichen mit der vertraglich vorausgesetzten eine mindere Beschaffenheit aufweisen, ist in der Regel festzustellen auf der Grundlage des Rechnungspreises abzüglich des vom Verkäufer gewährten Betrags des Ausgleichs für den Minderwert.
Normenkette
ZWVO 1968 Art. 9
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führt laufend Geräte der Rundfunk- und Phonoindustrie aus Ostasien in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ein. Nach den von der Klägerin mit den Lieferanten abgeschlossenen Verträgen ist eine Endkontrolle der Geräte durch den Lieferanten vorgesehen. Die Klägerin prüft den Wareneingang stichprobenweise. Werden Mängel festgestellt, so wird die gesamte Sendung dem Lieferanten zur Verfügung gestellt, sofern er nicht mit einer Nachbesserung im Inland einverstanden ist. Ist letzteres der Fall, so werden sämtliche Geräte der Sendung überprüft und die als funktionsunfähig angesehenen Geräte repariert. Die Kosten für diese sog. 100 %-Prüfung und die Reparaturkosten werden vom Lieferanten übernommen.
Nachdem der Klägerin die auf diese Kosten entfallenden und zunächst entrichteten Zölle erstattet worden waren, forderte mit Änderungsbescheid vom 25. März 1977 ein dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt – HZA –) unterstehendes Zollamt (ZA) von der Klägerin 8 220,52 DM Zoll mit der Begründung zurück, daß die Kosten der 100 %-Prüfung nicht zollwertmindernd berücksichtigt werden könnten. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob den Bescheid vom 25. März 1977 mit folgender Begründung ersatzlos auf:
Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EWG) Nr. 803/68 des Rates vom 27 Juni 1968 über den Zollwert der Waren – ZWVO 1968 – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – L 148/6 vom 28 Juni 1968) könne der zu zahlende Preis als Zollwert anerkannt werden, wenn er falls erforderlich, berichtigt worden sei, um die Umstände zu berücksichtigen, die sich bei dem Kaufgeschäft von denjenigen unterschieden, die dem Normalpreis zugrunde lägen. Beschädigte Waren seien unter Berücksichtigung ihrer Beschaffenheit zu bewerten. Seien solche Waren Gegenstand des Verkaufs, so könne der ursprünglich zu zahlende Preis, falls dieser als Bewertungsgrundlage hätte dienen können, nach Abzug des Betrages des wirtschaftlichen Ausgleichs, der dem Käufer ggf. für die infolge des Schadens eingetretene Wertminderung gewährt werde, als Grundlage für die Bewertung der beschädigten Ware verwendet werden (vgl. Avis XI des Brüsseler Zollwertausschusses abgedruckt bei Zepf/Krockauer, Wertverzollung. 3. Aufl., Teil IV S. 11) Die Avis des Brüsseler Zollwertausschusses stellten für die Auslegung maßgebliche Erkenntnismittel dar (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – EuGH – vom 8. Dezember 1970 Rs. 14/70, EuGHE 1970, 1001).
Das Fehlen oder die mangelhafte Durchführung der sog. Endkontrolle durch die Lieferfirmen sei als Mangel der Ware i. S. der Normalpreisdefinition anzusehen. Zu unterscheiden sei zwischen der Endkontrolle und der stichprobenweisen Prüfung. Die Endkontrolle sei hier unstreitig Gegenstand der mit den ausländischen Herstellern abgeschlossenen Lieferverträge. Die stichprobenweise Prüfung nach der Einfuhr diene dagegen u. a. der Feststellung, ob die gelieferte Ware Mängel habe, aus denen sich ergebe, daß keine Endkontrolle durchgeführt worden sei. Sie sei nicht Teil des Leistungsumfangs der Hersteller, und dafür entstehende Kosten der Klägerin seien auch von ihr nicht zollwertmindernd geltend gemacht worden. Fehle die Endkontrolle, so liege eine mangelhafte Lieferung vor, weil der zur Vertragsgrundlage gemachte Verwendungszweck durch den Fehler beeinträchtigt werde.
Die Klägerin habe unwidersprochen vorgetragen, daß Einfuhren im Rahmen sog. „Resale-Geschäfte” erfolgt seien. Die Geräte und die Verpackung seien für die Endverbraucher aufgemacht gewesen. Auf dem Weg zum Verbraucher hätten keine Qualitäts- und Funktionskontrollen mehr durchgeführt werden sollen. Gerade dieser Umstand wirke sich auf den von einem unabhängigen Käufer erzielbaren Preis aus. Es sei daher der von der Klägerin mit den Herstellern vereinbarte Kaufpreis auf den Normalpreis der mangelhaft eingeführten Waren zu berichtigen. Mangels anderer Anhaltspunkte sei davon auszugehen, daß die Abweichung den Beträgen entspreche, die die Klägerin den Herstellern für die ersatzweise vorgenommene Endkontrolle in Rechnung gestellt habe.
Das HZA macht mit seiner Revision folgendes geltend:
Die Auffassung des FG sei unrichtig. Es sei allein der Umfang der Wertminderung der beschädigten Ware im maßgebenden Zeitpunkt zu berücksichtigen. Der Zollwert der Ware sei nach dem Zustand zu bemessen, in dem sie im Bewertungszeitpunkt gewesen sei, d. h. es sei die mit einem Mangel behaftete Ware zu bewerten. Unter „Ware” müsse das für den Endverbrauch verpackte Einzelstück verstanden werden, nicht die gesamte Warensendung. Der Zollwert für die beschädigte Ware könne nur durch Berücksichtigung des auf diese Ware entfallenden wirtschaftlichen Ausgleichs ermittelt werden. Dazu gehörten nicht die Kosten der 100 %-Prüfung, soweit sie mit ca. 90 % auf die reine Prüfung entfielen (10 % entfielen auf die Behebung von Kleindefekten und Reparaturen).
Folgte man der Argumentation des FG, so wäre der Zollwert auch um den Teil des wirtschaftlichen Ausgleichs zu berichtigen, der durch die 100 %-Prüfung auf den erheblichen Teil an unbeschädigten Geräten entfalle. Dies widerspreche dem Grundsatz des Art. 1 ZWVO 1968. Das Avis XI stelle ausdrücklich klar, daß es grundsätzlich nicht darum gehe, den eingetretenen Schaden zu bewerten, sondern darum, den Wert der Ware im beschädigten Zustand zu ermitteln. Es könne also lediglich der Kostenanteil der 100 %-Prüfung (ca. 10 %) zollwertmindernd anerkannt werden, der für die Instandsetzung der beschädigten Geräte im Verlauf der Prüfung anfalle. Erstatte also der Lieferant der Klägerin die gesamten Kosten der 100 %-Prüfung, so sei dies zwar ein wirtschaftlicher Ausgleich für den eingetretenen Schaden, könne aber nicht bei der Zollwertermittlung für die beschädigten Geräte vollends Berücksichtigung finden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Beteiligten sind im vorliegenden Fall bei der Bemessung des Zollwerts übereinstimmend vom gezahlten oder zu zahlenden Preis (Rechnungspreis) ausgegangen. Art. 9 ZWVO 1968 sieht diese Möglichkeit der Bewertung vor (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 22. Oktober 1974 VII R 21/72, BFHE 114, 126). Die Beteiligten haben in Übereinstimmung mit dem FG offensichtlich den zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Preis grundsätzlich als einen solchen angesehen, der bei einem Kaufgeschäft unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs zwischen einem Käufer und einem Verkäufer, die voneinander unabhängig sind, zustande gekommen ist (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b ZWVO 1968).
Das ist nicht zu beanstanden, obwohl sich der Preis nicht aus einem Kauf-, sondern aus einem Werklieferungsvertrag ergab. Der Werklieferungsvertrag – der auch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) einem Kaufvertrag sehr nahe kommt (vgl. § 651 BGB) – ist jedoch dem Kaufgeschäft i. S. der Art. 1 Abs. 1, 9 Abs. 1 ZWVO 1968 gleichzustellen. Das ergibt sich mittelbar aus Art. 10 Abs. 4 ZWVO 1968 (zeitliche Toleranz für Waren, die „auf besondere Bestellung hergestellt” werden). Diese Bestimmung wäre sinnlos, wenn Preise aus Werklieferungsverträgen nicht als Bewertungsgrundlage ebenso wie Preise aus Kaufverträgen anerkannt werden könnten (vgl. auch Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, Stand 1. April 1978, Art. 1 ZWVO 1968 Anm. 13; Zepf/Recker/Krockauer, Wertverzollung, 3. Aufl., Art. 9 ZWVO 1968 Anm. 2.2). Davon ist das FG – ohne weitere Begründung – zu Recht in Übereinstimmung mit den Beteiligten ausgegangen.
Der für die eingeführten Waren gezahlte oder zu zahlende Preis (Rechnungspreis) kann nur dann ohne weiteres der Zollwertbemessung zugrunde gelegt werden, wenn die Beschaffenheit der eingeführten Waren der Beschaffenheit entspricht, von denen die Rechnungspreise ausgehen. Diese gehen von einer bestimmten Beschaffenheit der Ware aus, nämlich jener, die in den Kaufverträgen (Werklieferungsverträgen) vorausgesetzt ist Entsprechen die eingeführten Waren nicht den Qualitätsnormen dieses Vertrages, sondern sind sie minderer Qualität, so kann der Rechnungspreis nicht – jedenfalls nicht unberichtigt – als Zollwert zugrunde gelegt werden. Maßgebend ist dann vielmehr der Preis, der in einem dem Normalpreisbegriff entsprechenden Kaufgeschäft für solche wertgeminderten Waren erzielbar ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 10. April 1979 VII R 18/76, BFHE 128, 275). Das bestätigt das Avis XI des Brüsseler Zollwertausschusses. Danach kann bei der Bewertung beschädigter Waren, wenn der Rechnungspreis im übrigen den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 Buchst. b ZWVO 1968 entspricht, der Rechnungspreis als Grundlage für die Bewertung verwendet werden, nachdem von ihm der Beitrag des wirtschaftlichen Ausgleichs abgezogen worden ist, der dem Käufer für die infolge des Schadens eingetretene Wertminderung gewährt wird (vgl. auch BFHE 128, 275, 277). Der so berichtigte Rechnungspreis ist also der Bewertung zugrunde zu legen. Voraussetzung ist allerdings, wie sich aus dem Avis XI ergibt, daß der Preisnachlaß dem Ausgleich der Wertminderung dienen soll, die durch die nicht vertragsgemäße Lieferung eingetreten ist.
Dem FG ist darin zu folgen, daß auch in bezug auf die Geräte, die der 100 %-Prüfung unterlagen und sich als voll funktionsfähig erwiesen, eine mangelhafte Lieferung vorlag. Nach den obigen Ausführungen mit dem Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats in BFHE 128, 275 liegt eine mangelhafte Lieferung dann vor, wenn die Beschaffenheit der eingeführten Ware (im maßgebenden Zeitpunkt) mit der nach dem Vertrag vorausgesetzten Beschaffenheit (Normbeschaffenheit) nicht übereinstimmt Dabei fallen unter den Begriff Beschaffenheit in diesem Sinne nicht nur, wie das HZA in seiner Revisionsbegründung annimmt, die körperlichen (physischen) Eigenschaften der Waren. Da es sich um die Bewertung handelt, sind alle die Waren betreffenden Umstände zu berücksichtigen, die ihre Eignung zu dem vertraglich vorausgesetzten Gebrauch mindern und sich wertmäßig niederschlagen.
Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 20. März 1979 VII R 17/76 (BFHE 127, 464) zum Ausdruck gebracht, daß bei der Bewertung einer eingeführten Ware auch Umstände zu berücksichtigen sind, die mit den physischen Eigenschaften der Ware nichts zu tun haben. Er hat dort ausgeführt, daß durchaus unterschiedliche Preise erzielt werden können, je nachdem, ob eine Ware mit Gewährleistungsansprüchen oder ohne solche erworben wird. Im Kommentar des Ausschusses der Europäischen Gemeinschaften für den Zollwert zu der Verordnung (EWG) Nr. 1581/14 (Bundeszollblatt 1974, 823) heißt es, daß z. B. „Rabatte für das Risiko von Fehlern, Verlust, Bruch und Mindermengen” zollwertmindernd berücksichtigt werden können; nicht erst die Fehler selbst können also den Zollwert mindern, sondern bereits das Risiko, daß solche Fehler möglicherweise vorliegen (vgl. auch Krockauer in Recht der internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters 1975, 519, Fall 34).
Es besteht kein Anlaß anzunehmen, es müsse im Rahmen der Anwendung der Vorschriften der ZWVO 1968 von einem anderen Begriff des Mangels einer Kaufsache ausgegangen werden. Im Gegenteil: Da es sich hier allein um die Bewertung für die Feststellung des Zollwerts handelt, ist es in erhöhtem Maße erforderlich, ohne Beschränkung auf den physischen Zustand einer Ware alle jene Umstände für relevant zu halten, die auf die merkantile Bewertung einen Einfluß haben.
Von dieser Auffassung ist auch das FG ausgegangen. Die eingeführten Waren litten an einem Sachmangel. Dieser hatte sich herausgestellt, nachdem die Klägerin bei der stichprobenweisen Kontrolle festgestellt hatte, daß die eingeführten Waren nicht dem Standard entsprachen, den sie nach ordnungsmäßiger Durchführung der vertraglich vereinbarten Endkontrolle durch den Lieferer hätten haben müssen. Dieser Sachmangel betraf sämtliche eingeführten Waren unabhängig davon, ob sie funktionsfähig waren oder nicht. Denn ihr Wert für den vertragsmäßig vorgesehenen Gebrauch, den Weiterverkauf ohne weitere Funktionskontrolle und Verpackung, war für die Klägerin deswegen gemindert, weil sie nun nicht mehr ohne weiteres – d. h. ohne weitere Prüfungen – den notwendigen Grad der Sicherheit dafür hatte, daß in die Hand des Verbrauchers nur funktionsfähige Waren gelangten. Es liegt auf der Hand, daß Waren, bei denen sich der den Wiederverkauf betreibende Käufer nur in geringerem als vertraglich vereinbartem Maße darauf verlassen kann, nicht mit Sachmängelrügen seiner Abnehmer überzogen zu werden, für ihn einen merkantilen Minderwert gegenüber dem vereinbarten Preis haben, der nach dem Kaufvertrag für Waren gilt, bei dem ein solches Risiko geringer war oder nicht bestand.
Es ist nicht zu beanstanden, diesen Minderwert den Kosten gleichzusetzen, die der Klägerin aus der 100 %-Prüfung erwachsen sind (vgl. auch BFHE 128, 275, 277). Denn diese Prüfung wurde gerade zu dem Zweck vorgenommen, das den Wiederverkauf beeinträchtigende erhöhte Risiko von Sachmängeln an den einzelnen Geräten wieder zu beseitigen. Diese waren nach der 100 %-Prüfung von dem ihnen anhaftenden Sachmangel befreit, entsprachen also wieder dem vertraglichen Standard. Der Preis für diese Waren, der durch den Rechnungspreis abzüglich der von den Lieferern ersetzten Kosten für die 100 %-Prüfung zustande gekommen ist, ist also ohne weitere Berichtigung als gezahlter oder zu zahlender Preis i. S. des Art. 9 Abs. 1 ZWVO 1968 anzusehen.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Klägerin habe mit der 100 %-Prüfung eine Funktion übernommen, die wegen der Besonderheiten der Waren und ihres Vertriebs grundsätzlich dem Verkäufer obliege und deren wirtschaftlicher Gegenwert daher zum normalen Preis dieser Ware unabhängig davon gehöre, wer die Funktion ausübt (vgl. BFHE 127, 464, 466). Denn es war vertraglich gerade vereinbart, daß der Lieferer eine Endkontrolle selbst durchführt. Die 100 %-Prüfung ist also nicht etwa als die Übernahme dieser Funktion durch die Klägerin zu werten. Eine solche war offensichtlich nicht vereinbart. Die Prüfung diente vielmehr der Beseitigung eines Sachmangels, der in der nicht vertragsmäßigen Lieferung der Ware lag.
Für den erkennenden Senat ergeben sich keine Zweifel bei der Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen; er ist daher nicht gehalten, den EuGH nach Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anzurufen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 22. Oktober 1975 VII R 105/73, BFHE 117, 313).
Fundstellen
Haufe-Index 510442 |
BFHE 1983, 1 |