Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmer-Sammelbeförderung steuerpflichtig
Leitsatz (NV)
1. Die kostenlose Beförderung von Arbeitnehmern von deren Wohnungen zu den Arbeitsstellen unterliegt beim Arbeitgeber auch dann der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG 1980 (BFH-Urteil vom 11. März 1988 V R 30/84, BFHE 153, 155, BStBl II 1988, 643), wenn es für die Arbeitnehmer aus zeitlichen und örtlichen Gründen besonders beschwerlich war, zu den Arbeitsstätten zu gelangen und die Beförderung der Arbeitnehmer durch den Einsatz an Orten bedingt war, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar waren (vgl. BFH-Urteil vom 11. März 1988 V R 114/83, BFHE 153, 162, BStBl II 1988, 651).
2. Bemessungsgrundlage für den Umsatz nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG 1980 sind die bei der Ausführung des Umsatzes entstandenen Kosten.
3. Befördert der Arbeitgeber die Arbeitnehmer von deren Wohnungen oder von zwischen der Wohnung und der Arbeitsstelle liegenden anderen Ausgangspunkten mit eigenen Fahrzeugen zu wechselnden Arbeitsstellen, so betreibt der Arbeitgeber einen dem genehmigten Linienverkehr i. S. des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 1988 gleichzustellenden genehmigungsfreien Linienverkehr, auf den unter den weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift der ermäßigte Steuersatz anzuwenden ist.
Normenkette
UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b; PBefG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4, § 43 Abs. 1 Nr. 1; Freistellungs-Verordnung zum PBefG (FrStllgV) § 1 Nr. 4 Buchst. a
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt ein Glas- und Gebäudereinigungsunternehmen. Im Streitjahr 1980 beschäftigte er rund 180 Arbeitnehmer. An jedem Arbeitstag beförderte er etwa sechs bis zwölf dieser Arbeitnehmer (Reinigungskräfte) von ihrer Wohnung zur Einsatzstelle und teilweise auch nach Arbeitsende von der Einsatzstelle zurück zur Wohnung. Die Beförderung von der Wohnung zu der jeweiligen Arbeitsstätte führte der Kläger ausschließlich in den Fällen durch, in denen der Arbeitsbeginn so früh lag (4.00 Uhr bzw. 5.00 Uhr morgens) und die Einsatzstelle so abgelegen war, daß der Arbeitsort weder zu Fuß noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln in zumutbarer Weise erreichbar war; eine Beförderung der Arbeitnehmer nach Arbeitsende zurück nach Hause erfolgte lediglich in den Fällen, in denen auch zum Zeitpunkt des Arbeitsendes keine Fahrmöglichkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestanden. Die Beförderung der Reinigungskräfte war untrennbar verknüpft mit ihrem Einsatz an anders nicht erreichbaren Einsatzorten; sobald ein bisher zu seiner Einsatzstelle beförderter Arbeitnehmer die Einsatzstelle wechselte und die neue Einsatzstelle zu Fuß bzw. mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar war, setzte der Kläger die Arbeitnehmerbeförderung nicht weiter fort.
Im Anschluß an eine Außenprüfung stellte sich der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) auf den Standpunkt, daß die vom Kläger durchgeführten Arbeitnehmersammelbeförderungen steuerpflichtige Leistungen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG 1980) seien. Die Bemessungsgrundlage von 5 625 DM ermittelte das FA wie folgt: 10 Arbeitnehmer x 1,5 Fahrten täglich x 250 Tage x 1,50 DM (entsprechend den Kosten nach dem Tarif eines vergleichbaren öffentlichen Verkehrsmittels). Die Umsatzsteuer berechnete das FA hieraus unter Anwendung eines Vomhundertsatzes von 11,5 mit 646,88 DM.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid 1980 vom 15. Oktober 1982 hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam zu dem Ergebnis, daß die vom Kläger durchgeführten Sammelbeförderungen nichtsteuerbar seien, weil insoweit kein Leistungsaustausch im Sinn des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. Mai 1981 V R 47/76 (BFHE 133, 133, BStBl II 1981, 495) vorliege. Die Beförderungsleistungen des Klägers seien zwar durch das Arbeitsverhältnis und die Arbeitnehmereigenschaft der beförderten Personen veranlaßt worden. Sie seien aber nicht im Austausch für die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer gewährt worden, denn der Kläger habe die Arbeitnehmer vielmehr aus eigenen unternehmerischen Erwägungen befördert; er hätte nämlich ohne die Durchführung der Sammelbeförderung die ihm übertragenen Arbeiten nicht durchführen können, da die betreffenden Einsatzstellen in den frühen Morgenstunden anders als mit Hilfe einer Sammelbeförderung für die Arbeitnehmer praktisch nicht erreichbar gewesen seien. Das eigenbetriebliche Interesse des Klägers werde nach Auffassung des FG insbesondere daran deutlich, daß die Teilnahme an der Arbeitnehmersammelbeförderung untrennbar mit der Tätigkeit des betreffenden Arbeitnehmers an einer anders nicht erreichbaren Einsatzstelle verbunden gewesen sei. Sämtliche Arbeitnehmer des Klägers, deren Einsatzstellen anders erreichbar waren, seien in die Sammelbeförderung nicht einbezogen gewesen; sobald ein Arbeitnehmer, der bisher an der Sammelbeförderung teilgenommen habe, an eine andere, zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbare Einsatzstelle versetzt worden sei, habe er an der Sammelbeförderung nicht mehr teilgenommen. Sofern für die von der Sammelbeförderung erfaßten Arbeitnehmer ein persönlicher Vorteil darin zu sehen sei, daß sie von ihrer Wohnung abgeholt und zur Einsatzstelle gefahren wurden, handele es sich dabei lediglich um eine unvermeidliche Folge der vom Kläger aus unternehmerischen Erwägungen durchgeführten Sammelbeförderung. Diese Folgewirkung sei jedoch für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung ohne eigenständige Bedeutung.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG 1980. Es führt aus, das FG habe verkannt, daß die genannte Vorschrift einen Leistungsaustausch nicht voraussetze, sondern eine eigene Rechtsgrundlage für die Besteuerung von unentgeltlichen Lieferungen und sonstigen Leistungen an Arbeitnehmer darstelle. Dies ergebe sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Der Gesetzgeber sei bei der Fassung des UStG 1980 davon ausgegangen, daß die Sachzuwendungen an Arbeitnehmer, soweit sie keine Aufmerksamkeiten seien, umsatzsteuerbar sein sollten. Daß er zu der im UStG 1967/1973 allein in Satz 2 genannten Alternative - jetzt Buchst. a - lediglich die Alternative b hinzugefügt und § 1 Abs. 1 UStG 1980 nicht völlig umformuliert habe, ändere nichts an der Entscheidung des Gesetzgebers, da diese Formulierung an die damals geltende Rechtsprechung angeknüpft habe (BFH-Urteil vom 6. Februar 1975 V R 103/72, BFHE 115, 75, BStBl II 1975, 255). Für diese Auslegung spreche auch, daß der Gesetzgeber an die 6. EG-Richtlinie gebunden gewesen sei und damit zwangsläufig alle unentgeltlichen Dienstleistungen für den (privaten) Bedarf für steuerbar habe erklären müssen. Zu prüfen seien allerdings noch die Höhe der Bemessungsgrundlage und die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Entgegen der Auffassung des FG ist die Besteuerung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b UStG 1980 nicht deshalb ausgeschlossen, weil den Leistungen des Klägers kein Entgelt der Arbeitnehmer als Leistungsempfänger gegenübersteht. Wie der Senat in dem Urteil vom 11. März 1988 V R 30/84 (BFHE 153, 155, BStBl II 1988, 643) ausgeführt hat, setzt die genannte Vorschrift keinen Leistungsaustausch voraus; es genügt vielmehr, daß die Leistungen an die Arbeitnehmer aufgrund des Dienstverhältnisses - aus betrieblichen Gründen - ausgeführt werden.
Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt; der Senat verweist hierzu auf seine Ausführungen in dem Urteil V R 30/84. Die dort unter 2. e) der Entscheidungsgründe dargestellte Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG 1980 auf Leistungen, die nicht im überwiegenden betrieblichen Interesse des Arbeitgebers liegen, trifft auch im Streitfall nicht zu. Die vom Kläger durchgeführten Fahrten zu den wechselnden Arbeitsstätten sind nicht deshalb überwiegend betrieblich veranlaßte Maßnahmen des Arbeitgebers, weil es aus zeitlichen und örtlichen Gründen für die Arbeitnehmer besonders beschwerlich war, zu den Arbeitsstätten zu gelangen und die Beförderung der Arbeitnehmer durch ihren Einsatz an Orten bedingt war, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar waren. Die Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück sind - auch wenn sie bei den Arbeitnehmern teils beruflich und teils privat veranlaßt sind - grundsätzlich Sache der Arbeitnehmer (vgl. auch BFH-Urteil vom 20. Dezember 1982 VI R 64/81, BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306 unter 2. b) bb); sie betreffen nicht die dem Arbeitgeber obliegende Gestaltung der Dienstausübung selbst.
2. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil das FG - nach seiner Auffassung zu Recht - die Höhe der festgesetzten Steuer nicht geprüft hat. Insoweit beruht der Steuerbescheid auf rechtlich unzutreffenden Erwägungen.
a) Nach § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1980 wird der Umsatz in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG 1980 nach den bei der Ausführung dieses Umsatzes entstandenen Kosten bemessen. Anzusetzen sind die dem Unternehmer entstandenen Kosten, ggf. in geschätzter Höhe.
Im Widerspruch hierzu hat das FA fiktive, von den Arbeitnehmern ersparte Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel als Bemessungsgrundlage herangezogen.
b) Darüber hinaus wird das FG zu prüfen haben, ob der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 1980 anzuwenden ist.
Der Kläger hat seine Arbeitnehmer mit eigenen Fahrzeugen zu und von wechselnden Arbeitsstellen befördert; er hat damit Linienverkehr in Form des Berufsverkehrs (§ 2 Abs. 1 Nr. 3, § 43 Abs. 1 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes - PBefG -) betrieben, der jedoch nach § 1 Nr. 4 Buchst. a der Verordnung über die Befreiung bestimmter Beförderungsfälle von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes (Freistellungs-Verordnung) vom 30. August 1962 (BGBl I 1962, 601), geändert durch die Verordnung zur Änderung der Freistellungs-Verordnung vom 16. Juni 1967 (BGBl I 1967, 602), genehmigungsfrei ist. Unter diese Vorschrift fallen Beförderungen von Berufstätigen mit Kraftfahrzeugen zu und von ihrer Eigenart nach wechselnden Arbeitsstellen, insbesondere Baustellen, sofern nicht ein solcher Verkehr zwischen gleichbleibenden Ausgangs- und Endpunkten länger als ein Jahr betrieben wird.
Die Vorschrift findet, wie sich aus der Gegenüberstellung zu § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 4 PBefG ergibt - wonach die Beförderung zwischen Arbeitsstätten mit Kraftfahrzeugen des Arbeitgebers zu betrieblichen Zwecken nicht genehmigungspflichtig ist -, auf Fahrten zwischen Wohnung und (wechselnden) Arbeitsstellen Anwendung; dabei können an die Stelle der Wohnung auch zwischen der Wohnung und der Arbeitsstelle gelegene Ausgangs- oder Endpunkte der Fahrten, z. B. Bahnhöfe, Haltestellen des allgemeinen Linienverkehrs, treten (Fielitz/Meier/Montigel/Müller, Personenbeförderungsgesetz, Kommentar, Freistellungs-Verordnung, § 1 Nr. 4). Genehmigungspflichtig ist dagegen der Berufsverkehr zu festen Arbeitsstellen (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 PBefG). Wird die Genehmigung erteilt, so liegt genehmigter Linienverkehr i. S. des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 1980 vor. Befördert der Arbeitgeber im genehmigten Linienverkehr mit eigenen Fahrzeugen, so ist - unter den weiteren Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 1980 - der ermäßigte Steuersatz anzuwenden.
Abgesehen von der Unentgeltlichkeit der Beförderung und der Begrenzung auf ein Jahr in § 1 Nr. 4 Buchst. a Freistellungs-Verordnung besteht der Unterschied zu § 43 Abs. 1 Nr. 1 PBefG nur im Charakter der angefahrenen Arbeitsstellen. Durch § 1 Nr. 4 Buchst. a Freistellungs-Verordnung sollen lediglich die Schwierigkeiten ausgeräumt werden, die sich bei häufig wechselnden Arbeitsstellen, insbesondere bei Bauunternehmern, aus der Notwendigkeit ergeben würden, für jede Arbeitsstelle das Verfahren für eine Linienverkehrsgenehmigung durchzuführen. § 43 Abs. 1 Nr. 1 PBefG wie auch § 1 Nr. 4 Buchst. a der Freistellungs-Verordnung erfassen aber die Beförderungen von und zu Arbeitsstellen, also vergleichbare Tatbestände. Dies rechtfertigt es, auf diese Sonderform des ,,genehmigungsfreien" Linienverkehrs ebenfalls den ermäßigten Steuersatz anzuwenden, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 1980 - Beförderung innerhalb einer Gemeinde oder Beförderungsstrecke von nicht mehr als fünfzig Kilometern - erfüllt sind; insoweit ist das UStG 1980 ,,planwidrig" unvollständig (im Ergebnis ebenso Abschn. 175 Abs. 6 der Umsatzsteuer-Richtlinien 1988).
Fundstellen
Haufe-Index 415870 |
BFH/NV 1989, 267 |