Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperschaftsteuerliche Organschaft: Zivilrechtliche Wirksamkeitserfordernisse von Ergebnisabführungsverträgen, belastende Wirkung von Billigkeitserlassen der Finanzverwaltung, Treu und Glauben
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Ergebnisabführungsvertrag i.S. von § 17 KStG muß, um steuerrechtlich anerkannt werden zu können, zivilrechtlich wirksam sein. Dafür bedarf es nach dem Beschluß des BGH vom 24. Oktober 1988 II ZB 7/88 (BGHZ 105, 324, DB 1988, 2623) der notariell beurkundeten Zustimmung der Gesellschafterversammlung sowie der Eintragung in das Handelsregister.
2. Dies gilt grundsätzlich auch für sog. Altverträge, die vor dem BGH-Beschluß vom 24. Oktober 1988 geschlossen worden sind. Der Umstand, daß die Vertragsparteien den Vertrag als wirksam behandelt und durchgeführt haben, ändert daran nichts. § 41 Abs.1 Satz 1 AO 1977 ist insoweit ebensowenig anwendbar wie die gesellschaftsrechtlichen Grundsätze über die "fehlerhafte Gesellschaft".
3. Wird das Fehlen der vorgenannten Wirksamkeitsvoraussetzungen von der Finanzverwaltung für eine Übergangszeit aus Gründen sachlicher Billigkeit nicht beanstandet, so findet diese Übergangsregelung keine Anwendung, wenn sich einer der an der fehlgeschlagenen Organschaft Beteiligten (hier die Organgesellschaft) auf die Unwirksamkeit des Ergebnisabführungsvertrages beruft. Dabei bleibt es auch, wenn der andere Beteiligte, dem die Übergangsregelung günstig ist (hier der Organträger), an dieser festhalten will.
Orientierungssatz
Nach dem auch im Steuerrecht anzuwendenden Grundsatz von Treu und Glauben hat jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessene Rücksicht zu nehmen und darf sich mit seinem früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzen. Gleichwohl dürfen sich gegen den Steuerpflichtigen keine Steuerrechtsfolgen ergeben, ohne daß der Sachverhalt vorliegt, an den das Gesetz diese Rechtsfolgen knüpft. Der Grundsatz von Treu und Glauben bringt keine Steueransprüche zum Erstehen oder zum Erlöschen, er kann allenfalls verhindern, daß eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht werden kann. Das frühere Verhalten des Steuerpflichtigen kann nicht dazu führen, solche Steuerrechtsfolgen zu begründen oder zu verneinen, die materiell-rechtlich nicht bestehen (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
AktG § 293 Abs. 2; AO 1977 §§ 163, 41 Abs. 1 S. 1; BGB § 242; GmbHG §§ 53-54; KStG 1984 §§ 14, 17 Abs. 1; KStG 1991 § 17 Abs. 1; KStR 1985 Abschn. 64 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist der Betrieb einer Druckerei. Sämtliche Anteile an der Klägerin hielt die --zwischenzeitlich in Liquidation befindliche-- Beigeladene. Dieser gehörten auch die Anteile an der GmbH, die einen Buch- und Zeitschriftenverlag betreibt. Am 28. November 1988 schloß die Beigeladene rückwirkend auf den 1. Januar 1988 mit der GmbH sowie der Klägerin gleichlautende Ergebnisabführungsverträge (EAV). Danach unterwarfen sich die Klägerin und die GmbH als Organgesellschaften der umfassenden Leitungsmacht der Beigeladenen als Organträgerin. Ferner verpflichteten sich die Klägerin und die GmbH, ihren Gewinn an die Beigeladene abzuführen. Diese wiederum verpflichtete sich, Verluste der Klägerin und der GmbH auszugleichen. Dem EAV stimmte die Gesellschafterin der Klägerin mit Beschluß vom 28. November 1988 zu. Der Beschluß wurde allerdings nicht notariell beurkundet. Ebensowenig wurde das Bestehen des EAV in das Handelsregister eingetragen. Nachdem die Beigeladene ihre Anteile an der Klägerin und der GmbH veräußert hatte, wurden auch die EAV "mit Wirkung vom 31. Dezember 1990, Tagesende" aufgehoben.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) vertrat die Auffassung, daß die Klägerin sowohl in finanzieller als auch in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht in das Unternehmen der Beigeladenen eingegliedert gewesen sei. Die wirtschaftliche Eingliederung ergebe sich aus der Ausübung einer einheitlichen Konzernleitung sowohl gegenüber der Klägerin als auch der GmbH, die sich in äußerlich erkennbarer Form vollzogen habe. Zwar seien mangels notarieller Beurkundung des Gesellschafter-Beschlusses über die Zustimmung zum EAV und auch wegen der fehlenden Eintragung des Bestehens dieses Vertrags ins Handelsregister die in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs --BGH-- (Beschluß vom 24. Oktober 1988 II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, Der Betrieb --DB-- 1988, 2623) aufgestellten Anforderungen an die zivilrechtliche Wirksamkeit des EAV nicht erfüllt. Nach dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 31. Oktober 1989 IV B 7 -S 2770- 31/89 (BStBl I 1989, 430) seien jedoch derartige Formmängel für Wirtschaftsjahre bis 31. Dezember 1992 steuerrechtlich nicht zu beanstanden. Auf dieser Grundlage behandelte das FA die Klägerin als Organgesellschaft und rechnete ihr Einkommen, das er für das Jahr 1988 mit 34 252 DM, für 1989 mit ./. 445 110 DM und für 1990 mit 19 352 DM ermittelt hatte, der Beigeladenen zu.
Einsprüche und Klage blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 631 abgedruckt.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von §§ 14 bis 17 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG).
Sie beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die angefochtenen Bescheide ohne Annahme eines Organschaftsverhältnisses zu ändern.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat keine eigenen Anträge gestellt, sich der Sache nach aber dem FA angeschlossen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klagestattgabe.
1. Unter den Beteiligten besteht Einvernehmen darüber, daß das Vorliegen eines Organschaftsverhältnisses gemäß §§ 14 bis 17 KStG zwischen der Beigeladenen als Organträgerin und der Klägerin als Organgesellschaft den Abschluß eines zivilrechtlich wirksamen EAV voraussetzt. Es besteht auch Einvernehmen darüber, daß es im Streitfall daran fehlt. Wie der BGH durch seinen Beschluß in BGHZ 105, 324, DB 1988, 2623 entschieden hat, bedarf es dafür der notariell beurkundeten Zustimmung der Gesellschafterversammlung der beherrschten Gesellschaft (vgl. § 293 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 des Aktiengesetzes --AktG--) sowie der Eintragung des Vertrages in das Handelsregister (vgl. §§ 53, 54 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung --GmbHG--). Beide Voraussetzungen sind im Hinblick auf den EAV, der am 28. November 1988 zwischen der Klägerin und der Beigeladenen geschlossen worden ist, nicht erfüllt. Der Vertrag ist handelsrechtlich unwirksam. Damit scheitert auch seine steuerrechtliche Anerkennung; nach § 17 Satz 1 i.V.m. § 14 KStG kann ein Organschaftsverhältnis zu einer GmbH allein durch die rechtswirksame Verpflichtung zur Gewinnabführung herbeigeführt werden. Seit der Novellierung von § 17 Abs. 1 KStG durch das Steueränderungsgesetz 1992 folgt dies ausdrücklich aus dem Gesetz, es entsprach aber auch bereits zuvor --und damit für das Streitjahr-- einhelliger Meinung (vgl. z.B. Frotscher, Körperschaftsteuergesetz, § 17 Rz. 3 und 9; Blumers/Schmidt, GmbH-Rundschau --GmbHR-- 1989, 261; Ulmer, Betriebs-Berater --BB-- 1989, 10, 18; Ebenroth/Müller, BB 1991, 358, 362, jeweils m.w.N. zur alten Gesetzeslage).
2. Allerdings hatte die Finanzverwaltung auf die vom BGH geforderten Wirksamkeitserfordernisse bis zum Ergehen des Beschlusses in BGHZ 105, 324, DB 1988, 2623 ausdrücklich verzichtet (Abschn. 64 Abs. 1 Satz 1 der Körperschaftsteuer-Richtlinien 1985). Im Hinblick darauf, daß die Rechtsprechung des BGH mit dieser bisherigen Verwaltungspraxis nicht vereinbar war, ist aus Gründen sachlicher Billigkeit (§ 163 der Abgabenordnung --AO 1977--) eine Übergangsregelung ergangen, wonach für Wirtschaftsjahre, die bis zum 31. Dezember 1992 enden, bestehende oder neu abgeschlossene EAV steuerrechtlich nicht zu beanstanden sind, wenn sie zwar nicht die nach dem erwähnten BGH-Beschluß gebotenen Wirksamkeitserfordernisse erfüllen, im übrigen aber entsprechend § 17 KStG abgeschlossen und durchgeführt worden sind (BMF-Schreiben in BStBl I 1989, 430). Auf diese Übergangsregelung hat sich die Beigeladene bei ihrer Besteuerung berufen, die Klägerin jedoch nicht. Letzterem ist für die Besteuerung der Klägerin Rechnung zu tragen. Wenn die Finanzverwaltung zivilrechtlich unwirksame EAV für eine Übergangszeit nicht beanstandet, so bedeutet dies nicht, daß solche Verträge gleichwohl rechtlich bindend sind. Die Parteien der Verträge haben es vielmehr in der Hand, sich auf die Unwirksamkeit zu berufen und deren Wirkungen und damit die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft nicht eintreten zu lassen (vgl. auch Frotscher, a.a.O., § 17 Rz. 12). Ausschlaggebend für die belastenden Wirkungen der Besteuerung sind nicht durch Verwaltung geschaffene Gesetzesabweichungen aus Billigkeitsgründen, sondern allein die Gesetze (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes). Eine Abweichung läßt sich auch dann nicht rechtfertigen, wenn die Verwaltungsregelung --wie im Streitfall die Übergangsregelung-- zweischneidig, nämlich gleichzeitig zu Lasten eines Steuerpflichtigen (hier der Klägerin) und zugunsten eines anderen Steuerpflichtigen (hier der Beigeladenen) wirkt, und wenn der begünstigte Steuerpflichtige von dem angebotenen Billigkeitserweis Gebrauch machen will. Auch dann bleibt es dabei, daß es sich bei den beteiligten Steuerpflichtigen um voneinander unabhängige und selbständige Besteuerungssubjekte handelt. Die Besteuerung des durch die Billigkeitsregelung belasteten Steuerpflichtigen ist deshalb nicht durch die Entscheidung des hierdurch begünstigten Steuerpflichtigen präjudiziert; sie richtet sich vielmehr nach wie vor allein nach den Maßgaben des gesetzten Rechts. Durch den gegenüber dem einen Steuerpflichtigen ergangenen Steuerbescheid kann diese Rechtslage nicht zum Nachteil des anderen Steuerpflichtigen verändert werden.
3. Der Umstand, daß die Klägerin sich (ebenso wie die Beigeladene) seinerzeit auf den Abschluß des --wie sich dann herausgestellt hat: zivilrechtlich unwirksamen-- EAV eingelassen hat, ändert daran nichts. Zwar ist die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts für die Besteuerung unerheblich, soweit und solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten lassen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Dies gilt jedoch nicht, soweit sich aus den Steuergesetzen --wie vorliegend-- etwas anderes ergibt (§ 41 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Aus letztlich gleichem Grund führen deshalb auch die (gesellschaftsrechtlichen) Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft (vgl. dazu BGH-Beschluß in BGHZ 105, 324, DB 1988, 2623) für das Steuerrecht nicht weiter (Schmidt/Müller/Stöcker, Die Organschaft, 4. Aufl., Tz. 209; Blumers/Schmidt, GmbHR 1989, 261, 262; BMF-Schreiben in BStBl I 1989, 430; a.A. Ulmer, BB 1989, 10, 19; s. auch Heckschen, DB 1988, 1685, 1686).
Das FA beruft sich schließlich zu Unrecht auf den auch im Steuerrecht anzuwendenden Grundsatz von Treu und Glauben, wonach jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessene Rücksicht zu nehmen hat und sich mit seinem früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzen darf (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. November 1975 VII R 28/72, BFHE 117, 317; vom 8. Februar 1996 V R 54/94, BFH/NV 1996, 733 unter 2. a). Gleichwohl dürfen sich gegen die Klägerin keine Steuerrechtsfolgen ergeben, ohne daß der Sachverhalt vorliegt, an den das Gesetz diese Rechtsfolgen knüpft (BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 733, m.w.N.). Der Grundsatz von Treu und Glauben bringt keine Steueransprüche zum Erstehen oder zum Erlöschen, er kann allenfalls verhindern, daß eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht werden kann (BFH in BFH/NV 1996, 733). Der Klägerin kann es daher auf Grund ihres früheren Verhaltens verwehrt sein, ihr zustehende Einwendungen und Einreden gegen Ansprüche des FA zu erheben. Dieses Verhalten kann aber nicht dazu führen, solche Steuerrechtsfolgen zu begründen oder zu verneinen, die materiell-rechtlich nicht bestehen. Die Klägerin darf deshalb nicht lediglich wegen eines früheren Verhaltens als Organgesellschaft der Beigeladenen behandelt werden, ebensowenig, wie umgekehrt diese nicht an ihrem früheren Verhalten festgehalten werden kann. Aus gleichen Erwägungen kann es im Ergebnis aber auch keine Rolle spielen, daß die Beigeladene sich auf die ihr günstige Übergangsregelung in BStBl I 1989, 430 bei ihrer Besteuerung berufen hat. Allein schon weil das Organschaftsverhältnis wegen der fehlenden zivilrechtlichen Wirksamkeit des EAV steuerrechtlich nicht anzuerkennen ist, können Entscheidungen der Organträgerin über ihr steuerlich eingeräumte Wahlrechte nicht auf die verhinderte Organgesellschaft durchschlagen.
4. Darüber, ob und ggf. welche Auswirkungen sich aus dieser Rechtslage für die Besteuerung der Beigeladenen ergeben, braucht der Senat in diesem Verfahren nicht zu befinden.
5. Die Vorinstanz hat eine von der des erkennenden Senats abweichende Rechtsauffassung vertreten. Ihr Urteil war aufzuheben. Der Senat kann durcherkennen und der Klage stattgeben. Die angefochtenen Steuerbescheide sind zu ändern; die Steuern und Feststellungen sind ohne Bestehen eines körperschaftsteuerrechtlichen Organschaftsverhältnisses festzusetzen und zu treffen. Die Errechnung der Beträge wird dem FA aufgegeben (§ 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Fundstellen
Haufe-Index 66253 |
BFH/NV 1998, 409 |
BFH/NV 1998, 409-410 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 33 |
BFHE 184, 88 |
BFHE 1998, 88 |
BB 1998, 84 |
BB 1998, 84-85 (Leitsatz und Gründe) |
DStR 1997, 2020-2021 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1997, 1006-1007 (Leitsatz) |
DStZ 1998, 260 (Leitsatz) |
HFR 1998, 211 |
StE 1997, 806 (Leitsatz) |