Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldberechtigung von Ausländern; Umqualifizierung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 2 oder Abs. 4 AuslG 1990
Leitsatz (NV)
1. Eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 2 oder Abs. 4 AuslG 1990 entspricht einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 oder Abs. 5 AufenthG und begründet deshalb nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG den Kindergeldanspruch eines nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländers.
2. Bezieher von Sozialhilfe sind nicht nach Art. 28 Abs. 1 SozSichAbk YUG kindergeldberechtigt.
3. Soll zu Unrecht gewährtes Kindergeld zurückgefordert werden, so kann ein Billigkeitserlass nach § 227 AO gerechtfertigt sein, wenn das Kindergeld bei der Berechnung der Höhe von Sozialhilfeleistungen als Einkommen angesetzt worden ist und eine nachträgliche Korrektur der Leistungen nicht möglich ist.
Normenkette
AO § 227; AufenthG §§ 25, 101; AuslG 1990 §§ 5, 30; EStG § 52 Abs. 61a S. 2, § 62 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1; SozSichAbk YUG Art. 28 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) reiste im Jahr 1992 in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ein. Nach einem erfolglosen Asylverfahren war sie ausländerrechtlich geduldet. Im Juli 2000 erhielt sie eine befristete, mehrfach verlängerte Aufenthaltsbefugnis nach § 30 des Ausländergesetzes (AuslG 1990), außerdem wurde ihr eine Arbeitsgenehmigung erteilt. In der Folgezeit ging die Klägerin zeitweise einer Beschäftigung nach. In den Zeiten der Erwerbslosigkeit bezog sie Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Die Klägerin erhielt Kindergeld für vier Kinder. Ende 2003 überprüfte die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Voraussetzungen für die weitere Kindergeldzahlung und stellte dabei fest, dass die Klägerin nicht durchgängig sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen war. Die Familienkasse war der Ansicht, der Klägerin stehe kein Kindergeld für die Zeiten zu, in denen sie nicht beruflich tätig war. Sie hob durch Bescheid vom 23. Januar 2004 die Festsetzung des Kindergeldes für die Monate Dezember 2001 bis Juni 2002, November 2002 bis Juli 2003 und Oktober 2003 bis Dezember 2003 auf und forderte einen Betrag von 11.184,93 € zurück. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht wies die Klage durch Urteil vom 20. März 2007 10 K 1510/04 Kg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1530) ab. Es führte u.a. aus, auch nach dem neu gefassten § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG n.F.) ergebe sich für die Klägerin kein Anspruch auf Kindergeld. Die Aufenthaltsbefugnis der Klägerin habe ihre Rechtsgrundlage in § 30 Abs. 3 oder Abs. 4 AuslG 1990 gehabt. Es habe sich somit um einen Aufenthaltstitel gehandelt, der einen Anspruch auf Kindergeld nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG n.F. begründe. Die Klägerin sei in den umstrittenen Zeiträumen jedoch weder erwerbstätig gewesen, noch habe sie Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) erhalten, noch habe sie Elternzeit in Anspruch genommen. Vielmehr habe sie ihren Lebensunterhalt aus Mitteln bestritten, die ihr nach dem BSHG zur Verfügung gestellt worden seien. Auch aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, 1438) i.d.F. des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 390) --SozSichAbk YUG-- ergebe sich für die Klägerin kein Anspruch für solche Zeiten, in denen sie nicht beschäftigt gewesen sei.
Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin vor, die Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG n.F. genüge nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114).
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Aufhebungsbescheid vom 23. Januar 2004 sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 2. März 2004 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Klägerin hat für die streitigen Zeiträume keinen Anspruch auf Kindergeld.
Die Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG n.F. ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen --wie im Streitfall-- das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006, BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62). Die Gesetzesänderung war eine Reaktion auf den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114, in dem dieses den nahezu wortgleichen § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes als insoweit unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ansah, als die Gewährung von Kindergeld allein von der Art der ausländerrechtlichen Genehmigung nach dem AuslG 1990 abhing. Der Senat hat mit Urteilen vom 15. März 2007 III R 93/03 (BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234) sowie vom 22. November 2007 III R 54/02 (BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457) entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung der der Kindergeldberechtigung in § 62 Abs. 2 EStG n.F. im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er die Kindergeldberechtigung von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) abhängig machte und bei einzelnen Titeln, die einen schwächeren aufenthaltsrechtlichen Status vermitteln, darüber hinaus von einem mindestens dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie von einer berechtigten Erwerbstätigkeit, vom Bezug laufender Geldleistungen nach dem SGB III oder von der Inanspruchnahme von Elternzeit (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 EStG n.F.). An den Grundsätzen dieser Urteile hält der Senat fest.
2. Im Streitfall war die Klägerin nicht im Besitz einer ausländerrechtlichen Aufenthaltsgenehmigung, die einem der in § 62 Abs. 2 EStG n.F. genannten Aufenthaltstitel entspricht und ihr einen Anspruch auf Kindergeld einräumt.
a) Betrifft der Sachverhalt --wie hier-- einen Zeitraum vor 2005, in denen noch das AuslG 1990 galt, sind Aufenthaltsgenehmigungen i.S. des § 5 AuslG 1990 entsprechend den Fortgeltungsregelungen in § 101 AufenthG in Aufenthaltstitel im Sinne des AufenthG umzuqualifizieren (Senatsurteile in BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234, sowie in BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457).
b) Die Klägerin besaß seit Juli 2000 eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 oder Abs. 4 AuslG 1990, da sie zuvor erfolglos ein Asylverfahren betrieben hatte (§ 30 Abs. 5 AuslG 1990).
Die Regelung des § 30 Abs. 3 AuslG 1990 betraf unanfechtbar ausreisepflichtige Ausländer, bei denen die Voraussetzungen für eine Duldung vorlagen, weil ihrer freiwilligen Ausreise und Abschiebung Hindernisse entgegenstanden, die sie nicht zu vertreten hatten; nach § 30 Abs. 4 AuslG 1990 konnte einem seit zwei Jahren unanfechtbar ausreisepflichtigen Ausländer, der eine Duldung besaß, eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden, es sei denn, er weigerte sich, zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu erfüllen. Eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 oder Abs. 4 AuslG 1990 entspricht weitgehend einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG (Senatsurteil in BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457, zu § 30 Abs. 3 AuslG 1990; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 4. September 2007 1 C 43/06, BVerwGE 129, 226, zu § 30 Abs. 4 AuslG 1990; Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, § 101 Rz 17; a.A. Albrecht in Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, ZuwG, § 101 AufenthG Rz 24: § 25 Abs. 3 AufenthG).
c) Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 oder Abs. 5 AufenthG begründet jedoch nur dann einen Anspruch auf Kindergeld, wenn sich ein Ausländer seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem SGB III bezieht oder Elterngeld in Anspruch nimmt (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 EStG n.F.). Diese Voraussetzungen lagen in den Zeiträumen, für die die Klägerin Kindergeld begehrt und in denen sie von Sozialhilfe lebte, nicht vor.
3. Auch nach dem SozSichAbk YUG hat die Klägerin keinen Anspruch auf Kindergeld. Nach Art. 28 Abs. 1 dieses Abkommens können Personen Kindergeld beanspruchen, die in der Bundesrepublik beschäftigt sind und den in der Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften unterliegen oder nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Geldleistungen der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung beziehen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Beschäftigte Personen im Sinne dieses Abkommens sind nur Arbeitnehmer (Senatsurteile in BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234, sowie vom 15. März 2007 III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298). Die Klägerin war in den fraglichen Zeiträumen jedoch nicht beschäftigt, auch bezog sie keine Leistungen aus der Kranken- oder Arbeitslosenversicherung, sondern Sozialhilfe.
4. Der Senat weist darauf hin, dass im Streitfall ein Billigkeitserlass nach § 227 der Abgabenordnung gerechtfertigt sein könnte, weil das Kindergeld nach klägerischem Vortrag, auch soweit es später zurückgefordert wurde, bei der Berechnung der Höhe der Sozialhilfeleistungen als Einkommen der Klägerin angesetzt wurde und eine nachträgliche Korrektur der Leistungen zu ihren Gunsten nicht möglich ist (Urteil des BVerwG vom 13. November 2003 5 C 26/02, Die öffentliche Verwaltung 2004, 793, m.w.N.; s. auch Senatsurteile in BFH/NV 2007, 1298, sowie vom 19. November 2008 III R 108/06, BFH/NV 2009, 357).
Fundstellen
Haufe-Index 2241943 |
BFH/NV 2009, 1983 |
HFR 2010, 63 |