Orientierungssatz
1. Auch in den Fällen der sogenannten Verdachtskündigung, die vor dem rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens erfolgt, greift die Ausschlußfrist des BGB § 626 Abs 2 ein und beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigende soviel von dem Sachverhalt mit Sicherheit kennt, daß er sich ein eigenes Urteil über den Verdacht und seine Tragweite bilden kann (So auch BAG, 1972-01-27, 2 AZR 157/71, NJW 1972, 1486).
2. Den Kündigenden trifft die Beweislast für die Einhaltung der Ausschlußfrist und dafür, daß er erst innerhalb der Frist Kenntnis von dem Kündigungssachverhalt erlangt hat (Vergleiche BAG, 1972-07-06, 2 AZR 386/71, DB 1972, 2119).
Tatbestand
Der Kläger war Geschäftsführer der D G V Deutsche Getreideverwertung und Rh Kraftfutter GmbH, über deren Vermögen am 26. Februar 1982 das Konkursverfahren eröffnet worden ist. Der Beklagte ist zum Konkursverwalter ernannt worden. Der Kläger und ein weiterer Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin, Dr. L., befanden sich seit dem 2. November 1981 in Untersuchungshaft. Es wurde ihnen zur Last gelegt, daß die Gemeinschuldnerin unter ihrer Beteiligung jahrelang Maisgries mit einem falschen Fettgehalt deklariert und auf diese Weise 20 Mio DM an Subventionen von der Europäischen Gemeinschaft erlangt habe.
Der Beklagte hatte bereits am 9. und 11. Februar 1982 in Gesprächen mit dem damaligen Interimsgeschäftsführer der Gemeinschuldnerin von der Inhaftierung des Klägers und den gegen ihn laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erfahren. Nachdem der Geschäftsführer Dr. L. am 17. März 1982 aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, führte der Beklagte am folgenden Tage auch mit ihm ein Gespräch über das Ermittlungsverfahren und die Rückforderungsbescheide, die die Zollverwaltung gegen die Gemeinschuldnerin wegen der zu Unrecht gezahlten Subventionen erlassen hatte.
Mit Schreiben vom 24. März 1982, das dem Kläger am 26. März 1982 zugegangen ist, kündigte der Beklagte das Dienstverhältnis des Klägers fristlos unter Bezugnahme auf das gegen den Kläger laufende Ermittlungsverfahren.
Der Kläger hält die fristlose Kündigung für unwirksam, weil der Beklagte die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt habe. Mit der Klage beantragt er die Feststellung, daß sein Dienstverhältnis durch die fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden sei.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die vom Beklagten erklärte fristlose Kündigung des Dienstverhältnisses des Klägers ist unwirksam, weil der Beklagte die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht gewahrt hat. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts beruht auf einer rechtsfehlerhaften Beurteilung.
1. Grund der Kündigung war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, daß gegen den Kläger der dringende Verdacht bestand, der Gemeinschuldnerin Subventionen in Höhe von etwa 20 Mio DM betrügerisch verschafft zu haben oder an derartigen Straftaten beteiligt gewesen zu sein. Im Einklang mit den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß auch in den Fällen der sogenannten Verdachtskündigung, die vor dem rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens erfolgt, die Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingreift und mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Kündigende soviel von dem Sachverhalt mit Sicherheit kennt, daß er sich ein eigenes Urteil über den Verdacht und seine Tragweite bilden kann (BAG 24, 99 = NJW 1972, 1486).
Diese Kenntnis hat das Berufungsgericht in der Person des Beklagten bereits bei dessen Ernennung zum Konkursverwalter am 26. Februar 1982 für gegeben erachtet. Es hat aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt, daß der Beklagte schon bei seinen Gesprächen vom 9. und 11. Februar 1982 mit dem damaligen Interimsgeschäftsführer der späteren Gemeinschuldnerin eine sichere und vollständige Kenntnis von den Vorfällen erlangt habe, die zum Ausspruch der fristlosen Kündigung führten. Wesentliche neue Erkenntnisse habe der Beklagte insoweit bis zum Ausspruch der Kündigung nicht mehr gewonnen. Jedenfalls habe er den Nachweis nicht geführt, daß er erst später, insbesondere erst bei dem Gespräch am 18. März 1982 mit dem aus der Untersuchungshaft entlassenen Geschäftsführer Dr. L. von den für die Kündigung maßgebenden Vorfällen erfahren habe.
In diesem Punkt ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Es geht zutreffend davon aus, daß den Kündigenden die Beweislast für die Einhaltung der Ausschlußfrist und damit auch dafür trifft, daß er erst innerhalb der Frist Kenntnis von dem Kündigungssachverhalt erlangt hat (BAGE 24, 341 = DB 1972, 2119). Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ist im Revisionsverfahren nicht angreifbar und auch nicht angegriffen worden (§ 561 Abs. 2 ZPO).
2. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß trotz der schon früher erlangten Kenntnis des Beklagten von dem Kündigungssachverhalt die Ausschlußfrist nicht vor dem 13. März 1982 zu laufen begonnen habe. Dem Beklagten habe zunächst eine Zeitspanne von einer Woche für die Einarbeitung in seine Stellung als Konkursverwalter zugebilligt werden müssen, während der er vordringlich Maßnahmen zur Erfassung und Sicherung der Unternehmenswerte habe ergreifen dürfen. Sodann habe dem Beklagten für die Anhörung des Klägers zu den erhobenen Vorwürfen noch eine Frist zur Verfügung gestanden, die wegen des umfangreichen Tatkomplexes und des Umstands, daß sich der Kläger in Untersuchungshaft befunden habe, mehr als eine Woche betrage. Daß der Beklagte den Kläger tatsächlich nicht angehört habe, sei unerheblich.
Diese Auffassung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Nach den in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Grundsätzen kann es allerdings – insbesondere bei Verdachtskündigungen seitens des Arbeitgebers – Fälle geben, in denen der Arbeitgeber trotz Kenntnis der objektiven Verdachtsgründe eine Anhörung des Arbeitnehmers hierzu vor dem Ausspruch der Kündigung für veranlaßt halten kann. Führt er in einem solchen Fall die Anhörung mit der gebotenen Eile durch, so ist dies in der Regel geeignet, den Lauf der Ausschlußfrist zu hemmen (Sen. Urt. v. 24. 11. 1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77, 78; BAGE 24, 341 = DB 1972, 2119). Voraussetzung dafür ist aber, daß der Kündigende eine solche Anhörung tatsächlich durchführt (BAGE aaO S. 347 = DB aaO S. 2120). Der sachliche Grund für die Hemmung der Ausschlußfrist liegt darin, daß der Kündigende die Zeit bis zur Anhörung des Kündigungsgegners noch nicht für seine abschließende Willensbildung nutzen kann, wenn er das Ergebnis der Anhörung mit zur Grundlage seiner Entscheidung machen will. Macht er von der Anhörungsmöglichkeit keinen Gebrauch, entfällt dieser Grund, da ihm die Ausschlußfrist dann von ihrem Beginn an uneingeschränkt als Überlegungsfrist zur Verfügung steht.
Im vorliegenden Fall hat der Beklagte den Kläger vor der Kündigung weder angehört, noch sich um eine Anhörung bemüht. Der Ablauf der Ausschlußfrist wurde daher nicht um die für eine Anhörung erforderliche Zeitspanne hinausgeschoben. Damit war die dem Kläger am 26. März 1982 zugegangene Kündigung verspätet, selbst wenn die Ausschlußfrist für den (von dem Kündigungssachverhalt informierten) Beklagten nicht schon mit der Erlangung der Kündigungsbefugnis durch seine Ernennung zum Konkursverwalter begonnen hätte, sondern – wie das Berufungsgericht angenommen hat – erst nach einer Einarbeitungszeit von einer Woche. Ob dem Berufungsgericht insoweit gefolgt werden könnte, erscheint zweifelhaft, bedarf aber keiner Entscheidung. Ebenso kommt es nicht auf die von der Revision angesprochene Frage an, ob die Gesellschafter der Gemeinschuldnerin schon vor der Eröffnung des Konkursverfahrens Kenntnis von dem Kündigungssachverhalt hatten und dadurch die Ausschlußfrist in Lauf gesetzt wurde (vgl. dazu Sen. Urt. v. 17. 3. 1980 – II ZR 178/79, LM GmbHG § 38 Nr. 7 = WM 1980, 957).
Fundstellen
Haufe-Index 648004 |
ZIP 1984, 1113 |