In allen drei Bereichen ist man bemüht, ein bestimmtes Level zu halten, in dem man sich gut fühlt. Positive Signale aus den drei Bedürfnissen heben das Level an, negative senken es ab. Die Art und Weise der Befriedigung ist individuell erlernt. Was jemand als Machtsignal versteht, was ihm Sicherheit gibt bzw. was in der jeweiligen sozialen Gruppe anerkannt wird, ist individuell unterschiedlich. Ein erfolgreicher Projektabschluss bspw. stellt für den Projektleiter ein solch positives Ereignis dar. Er hat seine Idee im Team durchsetzen können und sogar geschafft, den sonst so kritischen Unternehmenseigentümer zu überzeugen. Das spricht von hoher empfundener Wirksamkeit.
Die Crux ist, dass solche Erfolge nicht ewig vorhalten. Über die Zeit hinweg verstreicht die Wirkung, bei dem einen schneller, bei dem anderen langsamer. Dies bedeutet, dass man sich neue Bereiche suchen muss, in denen man erneut solch positive Signale erlangen kann. Dieser Prozess, man spricht dabei genauer gesagt von einem "regulativen Prozess", da man versucht innere Prozesse auf einem angenehmen Niveau einzupendeln, geschieht meist von selbst. Menschen wissen meist gut, was zu tun ist, damit es ihnen nach Misserfolgen wieder besser geht. Dabei ist man nicht auf einen Bereich festgelegt: Misserfolg im beruflichen Kontext kann zu einem gewissen Grad durch persönliche Erfolge, z. B. im Sport, kompensiert werden. Dieser Prozess ist für sich gesehen sinnvoll und zentral für das psychische Wohlbefinden.
Kritisch wird es jedoch dann, wenn Menschen in komplexen Situationen entscheiden müssen. Diese Situationen können für unsere Bedürfnisse und grob gesprochen für unser Selbst, schnell bedrohlich werden. Es ist nicht klar, was zu tun ist, oft steht viel (Geld, Ansehen usw.) auf dem Spiel und das eigene Team oder gar die ganze Firma verlässt sich darauf, dass man den richtigen Weg einschlägt. Die Situation an sich muss noch gar nicht akut bedrohlich sein, rein die Antizipation der Bedrohlichkeit auf den verschiedenen Ebenen reicht aus und stößt einen Prozess der Regulierung an.
Abb. 3: Zielwechsel aufgrund von bedürfnisregulativen Prozessen
Der Zusammenhang zwischen psychischen Bedürfnissen und kognitiven Verzerrungen
Was hat das mit den Entscheidungen bzw. den Verzerrungen zu tun? Wir haben davon gesprochen, dass Entscheidungen immer mehrere Ziele haben. Wie in Abb. 3 ersichtlich, steht das Sachziel zentral in der Mitte. In der Abbildung rechts daneben hat nun ein Wechsel stattgefunden. Das ursprünglich am Rande stehende Bedürfnisziel ist ins Zentrum gerückt. Die Komplexität der Situation hat in einem oder mehreren Bedürfnissen dazu geführt, dass ein regulativer Prozess einsetzt: die Suche nach Möglichkeiten, schnell positive Signale der Kompetenz, der Bestimmtheit oder der Affiliation zu bekommen. Dadurch rückt das Bedürfnisziel ins Zentrum, das Handeln und Entscheiden richtet sich unbemerkt danach aus. Die Folge ist, dass Optionen ausgewählt werden, die primär dem Bedürfnisziel dienen und nicht dem eigentlichen Sachziel (siehe Abb. 4).
Abb. 4: Der Mechanismus des unbewussten Zielwechsels bei Entscheidungen
Wo bleiben die kognitiven Verzerrungen in diesem Prozess? Eingangs haben wir davon gesprochen, dass die kognitiven Verzerrungen als Symptom eines tieferliegenden Mechanismus anzusehen sind. Dieser Mechanismus ist der unbemerkte Zielwechsel, angestoßen durch die Komplexität der Entscheidungssituation. Die Verzerrungen sind die Art und Weise, wie reguliert wird. Deutlich wird dies, wenn wir uns die bereits beschriebenen Verzerrungen nochmals aus der Sicht der Bedürfnisse ansehen. Verkürzte Zitate von Unternehmern aus einer Studie zu unternehmerischen Fehlentscheidungen von Domeier (2020) ergänzen die Erläuterungen:
Confirmation Bias
Ignoriert man bei der Informationssuche jene Informationen, die der eigenen Meinung widersprechen, fragt man keine "Kritiker". So erhält man kurzfristig das Bild, richtig zu handeln, was sowohl im Bereich der Bestimmtheit als auch der Kompetenz enorm wichtig ist.
Unternehmer zu seinem gescheiterten Marketingprojekt: "Wir haben natürlich mit unserem Umfeld geredet, Unternehmer und Steuerberater und Kreativleute und Freundinnen, Freunde usw. Das Problem ist, die werden dir ganz selten die kritische Wahrheit sagen. Wir haben zu oft gehört , ‚Super‘, ‚Ma lässig‘ – da war nicht einer dabei, der gesagt hat ‚joa und, wer soll euch das abkaufen?‘. Das ist der Nachteil, wenn man mit dem Umfeld spricht, weil die Höflichkeit verlangt, dass man motivierend antwortet."
Sunk Cost Effect
Zu akzeptieren, dass man vielleicht viel Arbeit, Zeit und Geld umsonst in ein Projekt gesteckt hat, ist ein massiv negatives Signal für die eigene Kompetenz. Hat man ein Team unter sich, dem man dies erklären müsste, zeigt zusätzlich der heikle soziale Aspekt auf. Bei der Option zu bleiben, in die man bereits investiert hat, hat also kurzfristig den Vorteil, die genannten negativen Aspekte aufzuschieben. Man gewinnt zwar ni...