Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Geschäftsverteilungsplan. Pflicht zur Vorlage an den Großen Senat
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Geschäftsverteilungsplan genügt nur dann den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn er die zur Entscheidung berufenen Richter so eindeutig wie möglich bestimmt. Mit Zuständigkeitsregelungen, die einer Auslegung bedürfen, werden Elemente der Unsicherheit in die Bestimmung des gesetzlichen Richters eingeführt, ohne daß darin allein schon ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gesehen werden kann.
2. Der Umfang der Geschäftslast eines Gerichts wie der des BFH kann es erforderlich machen, die Zuständigkeit etwa für einheitliche oder gesonderte Gewinnfeststellungen bei Personengesellschaften nicht bei einem Senat zu belassen, sondern auf zwei Senate aufzuteilen. Dies ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Wenn dabei abweichend von der allgemeinen Zuständigkeitsregelung die ausschließliche Zuständigkeit eines Senats für Spezialfragen angeordnet wird, so liegt dies nicht zuletzt im Interesse des Rechtsuchenden.
3. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ist auch dann verletzt, wenn ein Senat eines obersten Bundesgerichts die vor einer Abweichung von einer Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats gesetzlich geforderte Vorlage an den Großen Senat willkürlich unterläßt.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; FGO § 11 Abs. 3; GVG § 21e
Verfahrensgang
Gründe
Mit der Beschwerdeführerin ist davon auszugehen, daß ein Geschäftsverteilungsplan nur dann den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügt, wenn er die zur Entscheidung berufenen Richter so eindeutig wie möglich bestimmt (BVerfGE 17, 294 ≪299≫). Es ist auch unverkennbar, daß mit Zuständigkeitsregelungen, die einer Auslegung bedürfen, Elemente der Unsicherheit in die Bestimmung des gesetzlichen Richters eingeführt werden (vgl. BVerfGE 22, 254 ≪259≫), ohne daß darin allein schon ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gesehen werden kann. Hier muß das gleiche wie für eine gesetzliche Regelung gelten (vgl. zur Auslegung einer Norm bei der Bestimmung des gesetzlichen Richters BVerfGE 48, 246 ≪262 f.≫).
Der Umfang der Geschäftslast eines Gerichts wie der des Bundesfinanzhofs kann es erforderlich machen, die Zuständigkeit etwa für einheitliche oder gesonderte Gewinnfeststellungen bei Personengesellschaften nicht bei einem Senat zu belassen, sondern auf zwei Senate aufzuteilen. Dies ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Wenn dabei abweichend von der allgemeinen Zuständigkeitsregelung die ausschließliche Zuständigkeit eines Senats für Spezialfragen angeordnet wird, so liegt dies nicht zuletzt im Interesse des Rechtsuchenden. Das bestreitet auch die Beschwerdeführerin offensichtlich nicht, denn ihr Hauptantrag geht dahin, unter Aufhebung des angegriffenen Urteils die Sache an den I. Senat (den Spezialsenat) des Bundesfinanzhofs zu verweisen. Sie strebt also selbst nicht eine einheitliche nach Buchstaben geordnete Zuständigkeitsregelung an, die zu einer von ihr nicht gewünschten, aber beanstandungsfreien Zuständigkeit des IV. Senats geführt hätte.
Der Beschwerdeführerin kann im übrigen nicht gefolgt werden, daß die Regelung in Teil A Abschnitt I. Ziff. 3 des Geschäftsverteilungsplans 1983 für den Bundesfinanzhof nicht den Anforderungen genügt, die an die Bestimmbarkeit des gesetzlichen Richters zu stellen sind. Auch insoweit ist der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht widerspruchsfrei; denn sie gelangt im Wege der Auslegung zu dem Ergebnis, das sie für eindeutig hält, der I. Senat des Bundesfinanzhofs sei für ihren Fall zuständig gewesen.
Der Vorwurf, der IV. Senat habe seine Zuständigkeit objektiv willkürlich angenommen, muß schon deshalb fehlgehen, weil in der angegriffenen Entscheidung zum Ausdruck kommt (S. 6 des Urteils), daß der I. Senat bei der Zuständigkeitsentscheidung mitgewirkt hat. Auf eine entsprechende Anfrage habe er bestätigt, daß er sich nicht für zuständig erachte.
Allerdings ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch dann verletzt, wenn ein Senat eines obersten Bundesgerichts die vor einer Abweichung von einer Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats gesetzlich (vgl. § 11 Abs. 3 FGO) geforderte Vorlage an den Großen Senat dieses Gerichts willkürlich unterläßt (BVerfGE 31, 145 ≪171 f.≫). Das angegriffene Urteil weicht jedenfalls von den von der Beschwerdeführerin bezeichneten Entscheidungen des I. Senats des Bundesfinanzhofs keinesfalls in einer solchen Weise ab, daß die Pflicht, den Großen Senat anzurufen, klar auf der Hand lag und die Unterlassung der Vorlage als willkürlich bezeichnet werden müßte.
Der Sachverhalt, der Grundlage für die Entscheidung des I. Senats vom 29. Oktober 1982 – I R 89/80 – (BStBl II 1982, 150) war, unterschied sich hinsichtlich des Inlandsbezugs von dem, über den der IV. Senat mit der angegriffenen Entscheidung befunden hat. Wenn sich der IV. Senat auch nicht auf das Urteil des I. Senats berufen konnte, um die Anwendung der Rechtsmißbrauchsbestimmungen zu begründen (vgl. Mössner, IWB Fach 3, Gruppe 1, S. 917 ≪918≫), so stellt es aber noch keine Willkür dar, wenn er sich frei in der Prüfung und Entscheidung darüber hielt, ob bei der Beschwerdeführerin der Tatbestand des § 6 StAnpG (= § 42 AO 1977) erfüllt war. Der I. Senat hatte jedenfalls in seinem Urteil (a.a.O., S. 154) den Finanzbehörden und damit bei einer für den Steuerpflichtigen ungünstigen Entscheidung den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit die Prüfung „zugestanden”, ob in Fällen – vergleichbar der Monaco-Entscheidung – die Merkmale des Rechtsmißbrauchs gegeben seien.
Die willkürliche Unterlassung einer Vorlage kann ebenfalls nicht hinsichtlich der „Quintett”-Urteile des I. Senats angenommen werden.
Die Frage des Rechtsmißbrauchs wird in den Entscheidungen des I. Senats vom 13. September 1972 – I R 130/70 – (BStBl II 1973, 57) und vom 19. Februar 1975 – I R 26/73 – (BStBl II 1975, 584) zwar angesprochen, aber letztlich unter Bezugnahme auf das Urteil vom 29. November 1966 – 1 216/64 – (BStBl III 1967, 392) allgemein in dem Sinne beantwortet, daß die Beteiligten grundsätzlich ihre Verhältnisse so gestalten könnten, wie sie ihnen steuerrechtlich am günstigsten erschienen, einschließlich ihrer Auslandsbeziehungen. Schon das „grundsätzlich” schließt eine Anwendung des § 6 StAnpG im konkreten Fall wegen des gegebenen Sachverhalts nicht aus. Der IV. Senat ist im übrigen in der angegriffenen Entscheidung (S. 13) auf die Einschlägigkeit der Quintett-Urteile eingegangen und führt aus, daß es sich bei den vom I. Senat entschiedenen Fällen um keine reinen Domizilgesellschaften ohne eigene wirtschaftliche Funktion gehandelt habe. Es könne daher dahinstehen, ob er – der IV. Senat – in vergleichbaren Fällen ebenso entscheiden würde, wie der I. Senat seinerzeit entschieden habe.
Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung betont, daß es nicht dazu berufen ist, Entscheidungen anderer Gerichte einer allgemeinen inhaltlichen Nachprüfung zu unterziehen. Auch unter dem von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Gesichtspunkt des Willkürverbots kommt ein verfassungsgerichtliches Eingreifen nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht und nicht schon dann, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten. Vielmehr muß hinzukommen, daß die fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfGE 62, 189 ≪192≫ m.w.N.).
Dies ist bei der angegriffenen Entscheidung nicht der Fall. Das gilt auch insoweit, als der IV. Senat des Bundesfinanzhofs die Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG und damit den Begriff des Sonderbetriebsvermögens im Rahmen der hypothetischen Untersuchung der Rechtslage bei Übergang der stillen Beteiligung auf die Brüder E. in den Bereich des Doppelbesteuerungsabkommens übertragen hat. Im übrigen entsprach dies der Entscheidung des I. Senats des Bundesfinanzhofs vom 18. Mai 1983 – I R 5/82 – (BStBl II 1983, 771).
Da die Verweisung in Nr. 9 des Schlußprotokolls zum DBA-Niederlande den Art. 13 Abs. 5 des Doppelbesteuerungsabkommens nicht ausnimmt, erscheint es nicht offensichtlich fehlerhaft, wenn die angegriffene Entscheidung den Betriebsstättenvorbehalt für anwendbar gehalten hat. Die von der Beschwerdeführerin zitierte Untersuchung von Krabbe (Finanz-Rundschau 1981, S. 393) und insbesondere die bei Vogel (Komm. zur Doppelbesteuerung, 1983, Einleitung – Rdnrn. 51 bis 61 –) aufgezeigten Wege belegen, wie problematisch die Lösung von Qualifikationsfragen ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen