Entscheidungsstichwort (Thema)
Heranziehung zur Kirchensteuer nach Kirchenaustritt
Leitsatz (amtlich)
1. Eine gesetzliche Frist („Überlegungsfrist”), auf Grund deren ein Kirchenaustritt erst einen Monat nach Eingang der Austrittserklärung bei der zuständigen Behörde rechtlich wirksam wird, ist mit dem Grundgesetz unvereinbar.
2. Ebenso ist es mit dem Grundgesetz unvereinbar, einen aus der Kirche Ausgetretenen noch bis zum Ende des laufenden Steuerjahres zur Kirchensteuer heranzuziehen („Nachbesteuerung”).
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1-2, Art. 140; KiAustrG PR
Tatbestand
A.
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden richten sich dagegen, daß die aus der Kirche ausgetretenen Beschwerdeführer über den Zeitpunkt ihres Austritts hinaus bis zum Ende des laufenden Kalenderjahres zur Kirchenlohn- oder Kircheneinkommensteuer herangezogen worden sind.
I.
1. Nach § 1 Abs. 2 des preußischen Gesetzes, betreffend den Austritt aus den Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts, vom 30. November 1920 (GS 1921 S. 119) – im folgenden: preußisches Kirchenaustrittsgesetz (pr. KiAG) – treten die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung einen Monat nach ihrem Eingang bei dem Amtsgericht ein („Überlegungsfrist”); nach § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG wird der Ausgetretene von allen Leistungen, die auf seiner persönlichen Zugehörigkeit zu der Religionsgesellschaft beruhen, mit dem Ende des laufenden Steuerjahres, jedoch nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Abgabe der Erklärung befreit („Nachbesteuerung”).
Die Vorschriften lauten:
§ 1
(1) …
(2) Die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung treten einen Monat nach dem Eingange der Erklärung bei dem Amtsgericht ein; bis dahin kann die Erklärung in der im Abs. 1 vorgeschriebenen Form zurückgenommen werden.
(3) …
§ 2
(1) Die Austrittserklärung bewirkt die dauernde Befreiung des Ausgetretenen von allen Leistungen, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zu der Religionsgesellschaft beruhen. Die Befreiung tritt ein, mit dem Ende des laufenden Steuerjahres, jedoch nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Abgabe der Erklärung.
(2) …
2. Im Lande Schleswig-Holstein gilt für den Austritt aus der Kirche das preußische Kirchenaustrittsgesetz als Landesrecht weiter (GS Schl.-H. II, Gl.-Nr. 2220-1 i.V.m. § 4 des Zweiten Gesetzes über die Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts vom 5. April 1971 [GVOBl S. 182]). Nach den auf Grund von § 12 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Lande Schleswig-Holstein vom 15. März 1968 (GVOBl S. 81) ergangenen Vorschriften des § 4 (Kircheneinkommensteuer) und des § 9 (Kirchenlohnsteuer) der Landesverordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Lande Schleswig-Holstein vom 3. April 1968 (GVOBl S. 100) zieht allerdings das Finanzamt die Kirchensteuer nur noch bis zum Ablauf des Kalenderjahres ein, in dem die Austrittserklärung abgegeben wird. Seit der Änderung des § 9 Abs. 2 dieser Verordnung durch die Landesverordnung vom 26. Juni 1975 (GVOBl S. 178) endet der Kirchensteuerabzug im Falle des Kirchenaustritts mit dem Ablauf des Monats, in dem die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung eintreten.
3. Im Saarland gilt für den Austritt aus der Kirche gemäß § 1 der Zweiten Verordnung über die Einführung preußischer staatsgesetzlicher Vorschriften über kirchliche Angelegenheiten im Saarland vom 29. März 1938 (RGBl. I S. 350) seit dem 1. April 1938 das preußische Kirchenaustrittsgesetz. Durch § 18 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 926 über die Erhebung von Kirchensteuern im Saarland (Saarländisches Kirchensteuergesetz – KiStG-Saar –) vom 25. November 1970 (ABl S. 950) wurde die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG geändert. Sie erhielt mit Wirkung vom 1. Januar 1970 folgende Fassung:
Die Befreiung tritt ein mit dem Ende des Monats, in dem die Austrittserklärung rechtlich wirksam wird.
II.
Die Beschwerdeführer zu 1) bis 3) erklärten in den Jahren 1966 bis 1970 in Schleswig-Holstein ihren Austritt aus der Kirche. Die Beschwerdeführer zu 4) und 5) traten 1965 und 1967 im Saarland aus ihrer Kirche aus. Die Beschwerdeführer wurden jeweils bis zum Ende des laufenden Kalenderjahres zur Kirchenlohn- oder Kircheneinkommensteuer herangezogen.
Nach erfolglosen Vorverfahren beantragten die Beschwerdeführer zu 1) und 2) vor dem Verwaltungsgericht die Aufhebung der Kirchensteuerbescheide, soweit Kirchensteuer noch nach Wirksamwerden der Austrittserklärung einbehalten worden war. Der Beschwerdeführer zu 3) wandte sich vor dem Verwaltungsgericht, die Beschwerdeführer zu 4) und 5) wandten sich vor dem Finanzgericht gegen die Heranziehung zur Kirchensteuer nach Erklärung des Austritts aus der Kirche.
1. Der Beschwerdeführer zu 1) hatte mit seiner Klage in der ersten Instanz Erfolg. Das Verwaltungsgericht hielt die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG für verfassungswidrig, weil sie einem nicht (mehr) der Kirche Angehörenden Leistungen für die Kirche auferlege. Auf die Berufung des beklagten Kirchengemeindeverbands wies das Oberverwaltungsgericht die Klage ab. Es bezog sich auf eine zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 35, 90), das § 2 Abs. 1 pr. KiAG als verfassungsmäßig angesehen hatte. Ferner führte es aus, daß nach § 3 StAnpG vom 16. Oktober 1934 (RGBl I S. 925) die Kirchensteuerschuld eines Kirchenangehörigen dann für das ganze Jahr entstehe, wenn er zu Jahresbeginn Mitglied der Religionsgemeinschaft gewesen sei und damit den Anknüpfungstatbestand der Kirchensteuer verwirklicht habe. Nach § 3 Abs. 5 Nr. 2 StAnpG (a. F.) entstehe die Steuerschuld auch bei der Vermögen- und Grundsteuer ohne Rücksicht auf spätere Veränderungen mit Beginn des Kalenderjahres, für das die Steuer erhoben werde. Daraus sei zu folgern, daß es sich bei der Weiterbesteuerung eines im Jahresverlauf aus der Kirche Ausgetretenen bis zum Jahresende nicht um die Besteuerung eines Nichtmitgliedes handele, sondern lediglich um die Frage, in welcher Höhe jemand Kirchensteuer zu zahlen habe, der zu Beginn eines Kalenderjahres Mitglied einer Kirche gewesen sei.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 27. Februar 1970 (BVerwGE 35, 90) zurückgewiesen. In dieser Entscheidung hatte es ausgeführt: § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG sei mit Art. 3 GG vereinbar. Die in der Vorschrift normierte Übergangsregelung stelle einen Kompromiß zwischen den widerstreitenden Interessen der Austretenden an einem sofortigen Erlöschen der Kirchensteuerpflicht und den Interessen der Religionsgesellschaften und ihrer Gemeinden am Eingang derjenigen Kirchensteuern dar, mit denen bei der Aufstellung der kirchlichen Haushaltspläne habe gerechnet werden dürfen. Mit dieser Regelung, die die beiderseitigen Interessen gegeneinander abwäge, halte sich der Gesetzgeber innerhalb der äußersten Grenzen seines Ermessensbereichs, der gerichtlicher Nachprüfung nicht zugänglich sei. Es handele sich auch nicht um eine Besteuerung von Nichtmitgliedern, sondern um die finanzielle Abwicklung bei Beendigung der Kirchenmitgliedschaft. Art. 4 GG sei bereits deshalb nicht verletzt, weil durch die Geldforderung „nicht – jedenfalls nicht ohne weiteres –” in die Religionsfreiheit eingegriffen werde (BVerwGE 21, 330 [333])).
2. Der Klage des Beschwerdeführers zu 5) wurde in der ersten Instanz teilweise stattgegeben. Das Finanzgericht ging davon aus, daß die Steuerpflicht zugleich mit dem Eintritt der rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung ende. § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 GG. Demgegenüber entspreche die Monatsfrist des § 1 Abs. 2 pr. KiAG für das Wirksamwerden der Austrittserklärung einer allgemeinen Übung beim Ausscheiden aus Gesellschaften und Verbänden; sie verletze deshalb keine Grundrechte des Beschwerdeführers.
Auf die Revision des Finanzamts hob der Bundesfinanzhof das Urteil des Finanzgerichts auf und wies die Klage ab. Er hielt die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG für verfassungsgemäß. Wie bereits das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 35, 90) entschieden habe, sei die Vorschrift die Ausprägung eines verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ausgleichs zwischen den widerstreitenden Interessen des Austretenden und der Kirche. Bei ihrer Anwendung werde keine Person besteuert, die einer Religionsgesellschaft nicht angehöre; denn die kurzfristige Weiterbesteuerung sei lediglich als „Auswirkung” der früheren Kirchenmitgliedschaft zu verstehen.
3. Die Rechtsmittel der Beschwerdeführer zu 2) bis 4) blieben in allen Instanzen ohne Erfolg. Die Entscheidungen der Gerichte nahmen jeweils Bezug auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 1970 (BVerwGE 35, 90).
III.
Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 GG.
1. Die Beschwerdeführer zu 1), 2) und 5) wenden sich lediglich gegen die in § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG vorgesehene Nachbesteuerung.
Durch die Heranziehung zur Kirchensteuer auf Grund dieser Vorschrift würden sie in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt. Die Bestimmung gehöre nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung, da sie die Besteuerung nach Wirksamwerden des Austritts aus der Kirche zulasse. Dies sei mit der Pflicht des Staates zur religiösen und konfessionellen Neutralität unvereinbar, die dem Staat eine Verleihung von Hoheitsbefugnissen an eine Religionsgesellschaft gegenüber Personen, die ihr nicht angehörten, verbiete. Mit dem Wirksamwerden des Austritts entfielen alle Rechte des Ausgetretenen gegenüber der Religionsgesellschaft. Es gehe nicht an, über diesen Zeitpunkt hinaus die Mitgliedschaft lediglich als „Zahlmitgliedschaft” länger aufrechtzuerhalten.
Mit dem Gleichheitssatz sei es nicht vereinbar, daß infolge der voneinander abweichenden gesetzlichen Vorschriften in den einzelnen Bundesländern die Kirchensteuerpflicht teils nur einen Monat, teils bis zu 11 Monaten nach Wirksamwerden des Kirchenaustritts nachwirke. Darüber hinaus widerspreche die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG in ihren je nach Art und Fälligkeit der Maßstabsteuer unterschiedlichen Auswirkungen dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit.
Die Heranziehung zur Kirchensteuer nach Wirksamwerden ihres Austritts verletze die Beschwerdeführer auch in ihrem Grundrecht der Religionsfreiheit. Sie würden dadurch genötigt, eine Religionsgesellschaft finanziell zu fördern, deren Bekenntnis sie nicht mehr teilten und deren religiöse und karitative Betätigung sie ablehnten. Zwar sei die Religionsfreiheit trotz fehlenden Gesetzesvorbehalts nicht schrankenlos gewährleistet; sie könne nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung zum Schutz anderer durch das Grundgesetz gewährleisteter Freiheiten und Rechte Einschränkungen erfahren. Die Interessen der vom Grundgesetz mit besonderen Rechten ausgestatteten Religionsgemeinschaften konnten jedoch die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG nicht rechtfertigen. Weder das Interesse der Kirchen an einer geordneten Haushaltsführung noch verwaltungspraktische Gesichtspunkte erforderten die durch § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG normierte Nachbesteuerung. Angesichts der verhältnismäßig geringen Zahl der Kirchenaustritte könnten die kirchlichen Haushalte nicht aus dem Gleichgewicht geraten, wenn die Kirchensteuerpflicht unmittelbar mit dem Wirksamwerden der Austrittserklärung entfalle; den Kirchen sei zuzumuten, bei ihrer Haushaltsplanung etwaige Austritte ebenso einzuberechnen wie die Verringerung des Kirchensteueraufkommens durch Tod 1 oder Ausscheiden von Mitgliedern aus dem Erwerbsleben überdies zeigten die Kirchensteuerregelungen anderer Bundesländer, nach denen die Kirchensteuerpflicht zugleich mit Wirksamwerden des Austritts ende, sowie Äußerungen berufener Vertreter der Kirchen, die die Abschaffung der Nachbesteuerung forderten, daß diese Regelung zum Schutz der Interessen der Kirchen nicht zwingend geboten sei. Auch den Zweck einer Ordnungsvorschrift könne § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG nicht erfüllen, da nach dieser Bestimmung die Kirchensteuerpflicht nicht stets zum Ende des laufenden Steuerjahres erlösche, sondern wegen der Mindestfrist von drei Monaten ggf. in das nächste Steuerjahr hineinrage. Ein rein fiskalisches Interesse der Kirchen vermöge die Beeinträchtigung der Religionsfreiheit der Ausgetretenen nicht zu rechtfertigen.
2. Die Beschwerdeführer zu 3) und 4) halten die Weiterbesteuerung ebenfalls für verfassungswidrig. Darüber hinaus sind sie der Auffassung, daß bereits die Hinauszögerung des Wirksamwerdens des Austritts um einen Monat nach § 1 Abs. 2 pr. KiAG gegen das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit verstoße. Art. 4 Abs. 1 GG gebiete, daß die Kirchensteuerpflicht unmittelbar nach Eingang der Austrittserklärung bei dem Amtsgericht erlösche.
IV.
Zu den Verfassungsbeschwerden haben sich der saarländische Minister der Finanzen und die betroffenen Kirchen und Gemeindeverbände geäußert.
1. Der saarländische Minister der Finanzen hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet.
Die sogenannte Nachbesteuerung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG sei verfassungsmäßig. Aus dem Grundsatz der Einheit der Verfassung ergebe sich, daß im Hinblick auf die grundsätzliche Gleichrangigkeit zwischen dem Grundrecht aus Art. 4 GG und den durch Art. 140 GG inkorporierten Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung im Wege der Güterabwägung ein gegenseitiger Einklang herzustellen sei. Die Fortdauer einer Kirchensteuerpflicht über den Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Austrittserklärung hinaus für einen kurzen Zeitraum sei Folge der bisherigen Mitgliedschaft und deren Abwicklung, die im Interesse einer geordneten Haushaltswirtschaft der Kirchen notwendig sei. Sie sei nicht als unzulässige Besteuerung von Nichtmitgliedern der Kirche zu verstehen, sondern als eine Übergangsregelung zwischen dem früheren Mitglied und der Kirche, mit der versucht werde, die widerstreitenden Interessen auszugleichen.
2. Auch der Evangelisch-Lutherische Kirchengemeindeverband Flensburg, die Evangelisch-Lutherischen Gemeindeverbände Kiel und Pinneberg, die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schleswig-Holsteins, die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands und die Evangelische Kirche in Deutschland halten die Verfassungsbeschwerden für unbegründet.
Zu Unrecht nähmen die Beschwerdeführer an, daß § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG die Besteuerung eines Nichtmitgliedes zulasse. Die Kirchenmitgliedschaft ende für den Bereich des staatlichen Rechts erst dann, wenn ihre letzte Wirkung – die Kirchensteuerpflicht – entfalle. Aber auch wenn man davon ausgehe, daß nach § 1 Abs. 2 pr. KiAG die Beendigung der Kirchenmitgliedschaft im staatlichen Bereich bereits einen Monat nach Eingang der Erklärung einträte, seien verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG nicht zu erheben. Ein Fortbestehen des Steueranspruchs nach Beendigung der Steuerpflicht sei dem Steuerrecht nicht fremd. Im übrigen sei es nur selbstverständlich, wenn § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG dem haushaltstechnischen Interesse der Kirchen Rechnung trage. Die Vorschrift suche einen vernünftigen Ausgleich herbeizuführen zwischen dem Interesse des Austretenden an einem sofortigen Erlöschen seiner Kirchensteuerpflicht und dem Interesse der Religionsgesellschaften und ihrer Gemeinden am Eingang derjenigen Kirchensteuern, mit denen bei der Aufstellung der kirchlichen Haushaltspläne habe gerechnet werden dürfen; damit habe der Gesetzgeber die äußersten Schranken seines Ermessens nicht überschritten.
3. Für die Deutsche Bischofskonferenz hat Professor Dr. Rüfner eine Stellungnahme abgegeben. Er hält die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG für mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Grundsatz, daß Kirchensteuern nur Kirchenmitgliedern auferlegt werden dürften, werde überspannt, wenn man aus ihm ableite, ein Kirchenmitglied müsse sich seiner sämtlichen kirchlichen Pflichten von einem Tag auf den anderen entledigen können. Nur wenn die Besteuerung nach Wirksamwerden des Austritts übermäßig lange andauere, sei sie der Besteuerung eines Nichtmitgliedes gleichzusetzen. Die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG sei als ein Abwicklungsverhältnis zu verstehen, das auch der übrigen Rechtsordnung nicht fremd sei. Für angemessene Übergangsfristen sprächen auch Gründe der Verwaltungspraktikabilität. Da die Maßstabsteuern auf Jahresbasis errechnet würden, sei eine voll befriedigende Abrechnung der Kirchensteuern ebenfalls nur auf Jahresbasis möglich. Im übrigen könne eine kurzfristige Weiterbesteuerung nach dem Kirchenaustritt nicht als eine ernsthafte Gewissensbelastung angesehen werden, hinter der die Interessen der Kirchen an einer geordneten Haushaltsführung und verwaltungstechnische Erwägungen zurückzustehen hätten.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG sind mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar.
I.
Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistet mit der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit einen von staatlicher Einflußnahme freien Rechtsraum, in dem jeder sich eine Lebensform geben kann, die seiner religiösen und weltanschaulichen Überzeugung entspricht (BVerfGE 12, 1 [3]). Jeder darf danach über sein Bekenntnis und seine Zugehörigkeit zu einer Kirche, die durch dieses Bekenntnis bestimmt ist, selbst und frei von staatlichem Zwang entscheiden (BVerfGE 30, 415 [423]). Das schließt die Freiheit, einer Kirche fernzubleiben, ebenso ein wie die Freiheit, sich jederzeit von der kirchlichen Mitgliedschaft mit Wirkung für das staatliche Recht durch Austritt zu befreien. Für Einzelverpflichtungen, die die Mitgliedschaft zur Voraussetzung haben, im besonderen eine an die Mitgliedschaft anknüpfende Pflicht zur Leistung öffentlicher Abgaben, kann nichts anderes gelten. Insoweit umfaßt Art. 4 Abs. 1 GG das Recht, nicht zu öffentlichen Abgaben herangezogen zu werden, die nur von Kirchenmitgliedern erhoben werden dürfen. Nur dies wird dem Sinn des Art. 4 GG gerecht, der jeden staatlichen Zwang in Glaubensangelegenheiten ausschließt (vgl. auch Art. 136 Abs. 4 WRV i.V.m. Art. 140 GG).
Die konkrete Tragweite der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ergibt sich allerdings erst aus dem Zusammenhang des Art. 4 Abs. 1 GG mit denjenigen Bestimmungen, die diese Freiheit begrenzen. Da Art. 4 Abs. 1 GG, anders als Art. 135 der Weimarer Reichsverfassung, keinen Gesetzesvorbehalt enthält, ist eine (konstitutive) Begrenzung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes unzulässig. Den in Abs. 1 und 2 des Art. 4 GG gewährleisteten Freiheiten können nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung (Vgl. BVerfGE 19, 206 [220] m. w. N ; 34, 165 [183]) allein durch andere Bestimmungen des Grundgesetzes Grenzen gezogen werden (BVerfGE 32, 98 [107 f.]; 33, 23 [29]). Gesetzliche Bestimmungen, die die in Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit einschränken, können vor dem Grundgesetz nur dann Bestand haben, wenn sie sich als Ausgestaltung einer Begrenzung durch die Verfassung selbst erweisen. Läßt das Grundgesetz eine solche Begrenzung nicht erkennen, so bedeutet es einen unzulässigen Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, wenn der Staat einen Austrittswilligen über den Zeitpunkt der Erklärung seines Kirchenaustritts hinaus mit Wirkung für das staatliche Recht an der Mitgliedschaft festhält. Das gleiche gilt, wenn der Staat zwar nicht die Mitgliedschaft als solche, wohl aber die Kirchensteuerpflicht aufrechterhält. Denn der Kirchensteuerpflicht dürfen nur diejenigen Personen unterworfen werden, die einer steuerberechtigten Kirche angehören (BVerfGE 19, 206 [216]; 19, 226 [235 ff.]; 19, 242 [247]; 30, 415 [421 f.]).
II.
§ 1 Abs. 2 pr.KiAG erfüllt diese Voraussetzungen einer verfassungsmäßigen Begrenzung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nicht.
1. a) Durch das preußische Kirchenaustrittsgesetz von 1920 wurden unter anderem die entgegenstehenden Bestimmungen des preußischen Gesetzes, betreffend den Austritt aus der Kirche, vom 14. Mai 1873 (GS S. 207) sowie des preußischen Gesetzes, betreffend die Erleichterung des Austritts aus der Kirche und aus den jüdischen Synagogengemeinden, vom 13. Dezember 1918 (GS S. 199) aufgehoben.
Nach dem preußischen Kirchenaustrittsgesetz von 1873 war die Austrittserklärung erst nach Ablauf von mindestens vier, höchstens sechs Wochen seit Eingang eines hierauf gerichteten Antrags zu gerichtlichem Protokoll zu nehmen (§ 1 Abs. 2). Das preußische Gesetz von 1918 hatte bestimmt, daß die Austrittserklärung bereits mit ihrem Eingang beim Amtsgericht wirksam wurde. Der Gesetzgeber von 1920 führte wiederum eine Überlegungsfrist ein (§ 1 Abs. 2 pr.KiAG). Zu dieser finden sich in den Gesetzesmaterialien folgende Erwägungen:
Der Austritt aus der Kirche sei ein besonders wichtiger, tief in das Leben des Austretenden eingreifender Akt, der reiflich bedacht werden müsse. Die Austrittserklärung werde vielfach im Affekt abgegeben. Deshalb sei eine gewisse Zeit zu ruhiger Überlegung des unternommenen Schrittes und seiner Folgen erforderlich. Eine Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit liege darin nicht. Wer in seinem Entschluß gefestigt sei, würde auch während der Überlegungsfrist fest bleiben und sich durch Einwirkungen von außen nicht beeinflussen lassen. Wer während der Überlegungsfrist die Austrittserklärung widerrufe, sei in seinem Entschluß, mit der Religionsgesellschaft zu brechen, nicht innerlich gefestigt gewesen und vor einem übereilten Entschluß bewahrt worden (Bericht des Rechtsausschusses, Sammlung der Drucksachen der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, Tagung 1919/21, 9. Band, Drs. Nr. 2822, S. 4672; vgl. auch Sitzungsberichte der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, Tagung 1919/21, 9. Band, Sp. 12121 ff.). Der Staat habe ein Interesse daran, Massenaustritten vorzubeugen. Da die betroffenen Kirchen durch die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gegenüber sonstigen Vereinigungen hervorgehoben seien, beweise der Staat sein Interesse an der Zugehörigkeit zu einer so ausgezeichneten Körperschaft dadurch, daß er den Austritt an eine Bedingung knüpfe, die schließlich niemand bedrücke. Die Kirche verletze ihre Pflicht, wenn sie nicht eine Einwirkung auf den Austrittswilligen versuche, erfahre aber nichts von dem Austritt, wenn die Überlegungsfrist nicht gegeben wäre (Bericht des Rechtsausschusses, a. a. 0., S. 4673).
b) Unter der Geltung des Grundgesetzes sind diese Erwägungen nicht mehr geeignet, die mit der Überlegungsfrist des § 1 Abs. 2 pr. KiAG verbundene Einschränkung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit verfassungsrechtlich tragfähig zu begründen. Der ihnen zugrunde liegende Gedanke einer Fürsorge des Staates in Glaubensangelegenheiten mit dem Zweck, übereilten Entschlüssen von unter Umständen großer Tragweite zu wehren, ist dem Grundgesetz fremd. Die Entscheidung in Glaubens-, Bekenntnis- und Gewissensfragen kommt nach Art. 4 Abs. 1 GG dem insoweit allein zuständigen Bürger zu; dieser hat daher das Risiko eines vielleicht übereilten Entschlusses selbst zu tragen. Ebensowenig kann es heute Aufgabe des Staates sein, durch eine Überlegungsfrist die Möglichkeit einer Rücknahme der Austrittserklärung zu eröffnen. Der Ausgetretene kann jederzeit wieder in die Kirche eintreten, ohne daß dies eine staatliche Mitwirkung erfordern würde; ob die Kirche ihn nach kirchlichem Recht wieder als Mitglied aufnimmt oder nicht, ist vom Staat her gesehen eine Angelegenheit ihres Selbstbestimmungsrechts und deshalb staatlichem Einfluß entzogen. Auch die Rechtsstellung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 137 Abs. 5 WRV i.V.m. Art. 140 GG rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn sie hat mit der Frage einer Überlegungsfrist nichts zu tun. Endlich kann es nicht Aufgabe des Staates sein, durch die Normierung einer Überlegungsfrist den Kirchen die Möglichkeit zur Rücksprache mit dem Austrittswilligen zu eröffnen mit dem Ziel, etwaige Mißverständnisse aufzuklären oder den Austrittswilligen seelsorgerisch zu betreuen. Zwar mag dies einem verständlichen und nicht von der Hand zu weisenden Interesse der Kirchen entsprechen. Aber die ältere Verbindung von Staat und Kirche, in der solche Fürsorge für die Kirchen ihre Grundlage hatte, entspricht nicht mehr der vom Grundgesetz konstituierten staatskirchenrechtlichen Ordnung, die auf der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates einerseits, der Unabhängigkeit der Kirchen andererseits beruht (vgl. BVerfGE 18 385 [386]).
2. Verfassungsrechtlich nicht tragfähig sind auch die Gesichtspunkte, die über diese Erwägungen des Gesetzgebers hinaus zur Rechtfertigung der Überlegungsfrist des § 1 Abs. 2 pr. KiAG angeführt werden (vgl. dazu Kammergericht, DVBl 1969, S. 47 [48]). Die Auffassung, daß die Bestimmung sich auf eine Regelung der rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung beschränke und deshalb nicht zu einem Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit führen könne, verkennt die Bedeutung des Art. 4 Abs. 1 GG, der nicht nur die innere Freiheit des Glaubens oder Nicht-Glaubens, sondern auch die Freiheit des Äußerns der inneren Einstellung zu Glaube und Bekenntnis und damit die Freiheit jederzeitigen Austritts aus einer Kirche umfaßt. Ebensowenig läßt sich darauf zurückgreifen, daß es einem allgemeinen Rechtsgedanken entspreche, wenn Dauerrechtsverhältnisse nur innerhalb angemessener Fristen gelöst werden könnten, wenn insbesondere die Beendigung einer Mitgliedschaft von der Einhaltung gewisser Fristen abhängig gemacht werden dürfe (vgl. etwa § 39 Abs. 2 BGB). Es kann hier dahinstehen, ob es einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dieses Inhalts gibt, ob es nicht eher auf die konkrete Falltypik oder gar die Umstände des Einzelfalles ankomme, die die sofortige Lösung einer Dauerrechtsbeziehung rechtfertigen können. Denn jedenfalls sind Gedanken der allgemeinen Rechtsordnung nicht geeignet, die Freiheiten des Art. 4 GG zu relativieren (BVerfGE 32, 98 [108]; 33, 23 [29]). Dafür, daß es sich um einen verfassungsrechtlichen Grundsatz handele, wie dies zu einer Einschränkung des Art. 4 Abs. 1 GG erforderlich wäre, gibt es aber keinen Anhaltspunkt.
Eine verfassungsrechtliche Grenze des Art. 4 Abs. 1 GG, welche die Überlegungsfrist des § 1 Abs. 2 pr. KiAG rechtfertigen könnte, enthält schließlich auch nicht Art. 137 Abs. 6 WRV i.V.m. Art. 140 GG, der den Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts das Recht der Steuererhebung gewährleistet. Zwar wirkt sich die Überlegungsfrist auf die Kirchensteuerpflicht der Sache nach ebenso aus wie eine Nachbesteuerungsfrist: solange beide Fristen laufen, hat derjenige, der seinen Austritt erklärt hat, weiterhin Kirchensteuern zu zahlen; der Unterschied besteht lediglich darin, daß es sich im ersten Falle (noch) um die Zahlungspflicht eines Mitglieds handelt, im zweiten dagegen um eine Nachwirkung der Mitgliedschaft. Dies kann jedoch nicht dazu führen, daß Art. 4 Abs. 1 GG, auch soweit es sich um die Überlegungsfrist bei einem Kirchenaustritt handelt, auf der gleichen Grundlage und in der gleichen Weise eingeschränkt wäre wie bei einer begrenzten Nachbesteuerung (vgl. dazu unten III 2 a). Denn Mitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht lassen sich nicht gleichsetzen. Die Wirkungen der Kirchenmitgliedschaft gehen vielmehr auch im staatlichen Bereich in mehrfacher Hinsicht über die Kirchensteuerpflicht hinaus (vgl. dazu Mikat, Grundfragen des staatlichen Kirchenaustrittsrechtes, in: ders., Religionsrechtliche Schriften, 1. Hbd., 1974, S. 483 [498 f.] m.w.N.). Dementsprechend beschränken sich die Wirkungen eines Austritts nicht auf die Befreiung von der Kirchensteuerpflicht; der Überlegungsfrist kann die Bedeutung einer Nachbesteuerungsfrist nicht zukommen.
3. Da sich mithin die Überlegungsfrist im Falle des Kirchenaustritts nicht auf eine Beschränkung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit durch das Grundgesetz selbst zurückführen läßt, ist § 1 Abs. 2 pr. KiAG mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar. Bei dieser Sachlage kommt es auf die Frage eines Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 oder Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr an.
III.
Auch § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG entspricht nicht den dargelegten Anforderungen an eine verfassungsrechtliche Begrenzung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit.
1. Die in dieser Bestimmung vorgesehene Weiterbesteuerung von Personen, die ihren Austritt aus der Kirche erklärt haben, stellt sich als Besteuerung von Nichtmitgliedern dar.
Die Wirkungen des Kirchenaustritts treten nicht etwa stufenweise ein, so daß die Kirchenmitgliedschaft für den staatlichen Bereich erst mit dem letzten Teilakt, der Beendigung der Kirchensteuerpflicht, erlischt. Eine solche Interpretation des § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG liefe darauf hinaus, die Wirkungen des Kirchenaustritts, sei es auch nur in einzelnen Beziehungen, hinauszuschieben; sie würde sich damit in Widerspruch zu Art. 4 Abs. 1 GG setzen, der von Verfassungs wegen die Möglichkeit gewährleistet, jederzeit aus der Kirche auszutreten.
An dem Tatbestand einer Besteuerung von Nichtmitgliedern kann es auch nichts ändern, wenn die Fortdauer der Kirchensteuerpflicht als Element einer Abwicklung des Mitgliedschaftsverhältnisses betrachtet und betont wird, es entspreche einem allgemeinen, der Beendigung von Dauerrechtsverhältnissen innewohnenden Rechtsgedanken, hierfür gewisse Fristen vorzusehen. Auf Erwägungen solcher Art kann es, wie gezeigt, für die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht ankommen.
Ebensowenig erlaubt es schließlich ein Rekurs auf das allgemeine Steuerrecht (§ 3 StAnpG), die verfassungsrechtliche Fragestellung dahin zu verändern, daß es bei der Weiterbesteuerung eines im Jahresverlauf Ausgetretenen nicht um die Besteuerung eines Nichtmitglieds, sondern lediglich um die Frage gehe, in welcher Höhe jemand Kirchensteuer zu zahlen habe, der zu Beginn eines Kalenderjahres Mitglied einer Kirche gewesen sei. Denn abgesehen von der Frage, ob diese Argumentation steuerrechtlich zu halten ist, wird auch hier der Vorrang der Verfassung übersehen; der verfassungsrechtlich für die Beendigung der Kirchensteuerpflicht maßgebliche Anknüpfungszeitpunkt darf nicht durch eine – einfachrechtliche – Bestimmung unterlaufen werden.
2. Eine Fortdauer der Kirchensteuerpflicht über den Zeitpunkt der Beendigung der Mitgliedschaft hinaus kann lediglich innerhalb derjenigen Grenzen Bestand haben, die Art. 137 Abs. 6 WRV i.V.m. Art. 140 GG der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit zieht. Dieser vermag jedoch eine Nachbesteuerungsfrist wie diejenige des § 2 Abs. 1 Satz 2 Pr. KiAG nicht zu rechtfertigen.
a) Die Bestimmung knüpft in Abkehr von der Regelung des preußischen Gesetzes von 1918 an die entsprechende Regelung des preußischen Kirchenaustrittsgesetzes von 1873 an, nach der die Befreiung von der Kirchensteuerpflicht erst mit dem Ende des auf die Austrittserklärung folgenden Kalenderjahres eintrat (§ 3 Abs. 2 Satz 1). Ebenso wie diese entspricht sie dem Bemühen, der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit durch die Ermöglichung des Kirchenaustritts Rechnung zu tragen; anderseits ist sie noch geprägt durch den aus der früheren Verbindung von Staat und Kirche herrührenden Gedanken der (finanziellen) Fürsorge des Staates für die Kirche. Einer solchen Fürsorge sollte die Verzögerung der Beendigung der Kirchensteuerpflicht nach Wirksamwerden des Kirchenaustritts dienen: es sei Pflicht des Staates, auf diesem Wege für die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Kirchengemeinden und ihrer Budgets, im besonderen auch für den Schutz vor einer Gefährdung durch Massenaustritte, Sorge zu tragen (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, a. a. 0., S. 4673; Sitzungsberichte, a.a.O., Sp. 12125, 12136, 12146 f.; zum Gesetz von 1873 vgl. Hinschius, Die Preußischen Kirchengesetze des Jahres 1873, 1873, S. 178; A. B. Schmidt, Der Austritt aus der Kirche, 1893, S. 295 f.). Die Regelungen von 1873 und 1920 waren damit Teil der damaligen umfassenden staatlichen Verantwortung für das Kirchenvermögen und das kirchliche Finanzwesen, die in einem System weitreichender Anordnungs-, Aufsichts- und Mitwirkungsbefugnisse Ausdruck fand und die auch über das Ende des Landeskirchentums im Jahre 1918 hinaus erhalten blieb. Diese führte zwar zu einer materiellen Sicherung der Kirchen, zugleich aber auch zur Abhängigkeit vom Staat, die bis hin zur staatlichen Bevormundung reichen konnte und die während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes zum Mittel der Unterdrückung und tiefer Eingriffe in das kirchliche Leben geworden ist.
Eine solche Verantwortung und das ihr zugrunde liegende Verständnis des Verhältnisses von Staat und Kirche entsprechen nicht mehr der vom Grundgesetz konstituierten staatskirchenrechtlichen Ordnung. Zwar schließen die staatskirchenrechtlichen Normen des Grundgesetzes eine – auch finanzielle – Förderung von Religion und Religionsgesellschaften nicht aus; aber ebensowenig wie die Gewährleistung der Staatsleistungen an die Kirchen (Art. 138 Abs. 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG) hat die staatliche Mitwirkung bei der Erhebung der Kirchensteuer noch etwas mit jener älteren Fürsorge zu tun, die Grundlage der hier in Frage stehenden Regelungen gewesen ist. Angesichts dieser Entwicklung läßt sich Art. 137 Abs. 6 WRV i.V.m. Art. 140 GG nicht dahin interpretieren, daß er noch heute jene ältere Verpflichtung des Staates zu materieller Sorge für eine ausreichende kirchliche Finanzausstattung zum Inhalt habe.
Die in Art. 137 Abs. 6 WRV i.V.m. Art. 140 GG gewährleistete Mitwirkung des Staates bei der Erhebung der Kirchensteuern kann sich hiernach nur darauf beziehen, daß der Staat den Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts das Besteuerungsrecht verleiht, daß er die Erhebung gesetzlich regelt („nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen”), sich in dem durch diese Regelungen bestimmten Umfang an deren Vollzug beteiligt und dabei auch den Verwaltungszwang zur Verfügung stellt (vgl. BVerfGE 19, 206 [217 f.]). Diese verfassungsmäßige Verpflichtung des Staates begründet zugleich die Pflicht, in Rechtsetzung und Vollzug die Möglichkeit geordneter Verwaltung der Kirchensteuern sicherzustellen; denn nur unter dieser Voraussetzung kann die Gewährleistung des Art. 137 Abs. 6 WRV ihre Wirkung voll entfalten. Soweit diese verfassungsrechtliche Verpflichtung es notwendig macht, kann sie zu einer Einschränkung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit führen, dies freilich nur, wenn die Beschränkung und ihre Auswirkungen auf den Vollzug der Besteuerung in angemessenem Verhältnis zueinander stehen.
Von hier aus ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, die Kirchensteuerpflicht bereits mit dem Zeitpunkt der Austrittserklärung enden zu lassen. Er kann den Zeitpunkt des Erlöschens dieser Pflicht generalisierend auf ein Monatsende hinausschieben und die Nachbesteuerungsfrist so bemessen, daß sich bei unverzüglicher Mitteilung des Austritts an die die Kirchensteuer einziehende Stelle Überzahlungen und daraus resultierende – die auf Kleinstbeträge lautende – Erstattungsansprüche vermeiden lassen. Eine nach diesen Maßstäben bestimmte Frist wird vielfach nicht als Beeinträchtigung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit empfunden werden; dies um so weniger, als sich im Regelfall der Zeitpunkt nicht auf Tag und Stunde angeben lassen wird, von dem an Mitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht als mit der persönlichen Glaubensüberzeugung unvereinbarer Zwang angesehen werden. Eine unverhältnismäßige Einschränkung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit kann darin nicht erblickt werden.
b) Mit der Normierung einer Mindestfrist von drei Monaten und einer Höchstfrist bis zum Ende des laufenden Steuerjahres geht § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG über das hiernach verfassungsrechtlich zulässige Maß einer Nachbesteuerung hinaus. Eine geordnete Verwaltung der Kirchensteuern macht die Länge dieser Fristen nicht notwendig. Dies zeigt sich bereits daran, daß die staatliche und die kirchliche Gesetzgebung sowohl in Ländern oder Landesteilen des ehemals preußischen Rechtsbereichs als auch in anderen Bundesländern die Fristen für eine Nachbesteuerung von sich aus wesentlich abgekürzt haben; auch in Schleswig-Holstein – hier freilich bei gleichzeitiger Fortgeltung der angegriffenen Vorschrift – und im Saarland ist dies inzwischen geschehen. Nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 des bayerischen Kirchensteuergesetzes dauert die Kirchensteuerpflicht sogar nur bis zum Ende des Monats, in dem die Austrittserklärung eingegangen ist. Demgegenüber können Fristen wie die des § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG nicht als Ausformung einer durch Art. 137 Abs. 6 WRV i.V.m. Art. 140 GG begründeten verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates betrachtet werden. § 2 Abs. 1 Satz 2 Pr. KiAG stellt sich daher als landesrechtliche Regelung dar, die das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit unzulässig einschränkt und die deshalb mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar ist.
3. Auf die Frage, ob § 2 Abs. 1 Satz 2 pr. KiAG mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, kommt es hiernach nicht mehr an.
Fundstellen
BStBl II 1977, 451 |
BVerfGE 44, 37 |