Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzlicher Richter bei verzögerter Neuwahl der Mitglieder des VerfGH des Saarlandes
Leitsatz (amtlich)
Antragsteller in einem abstrakten Normenkontrollverfahren nach Landesverfassungsrecht können eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) rügen.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; VGHG SL §§ 2-4, 7, 9, 50; VAbstG
Verfahrensgang
VGH des Saarlandes (Urteil vom 14.07.1987; Aktenzeichen Lv 4/86) |
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Besetzung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes in Streitigkeiten über ein Schulrechtsänderungsgesetz.
I.
1. Über die Zusammensetzung dieses Gerichts bestimmte das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof (VGHG) in der Bekanntmachung der Neufassung vom 19. November 1982 (Amtsblatt des Saarlandes S. 918) folgendes:
§ 2
Zusammensetzung
(1) Der Verfassungsgerichtshof besteht aus sieben vom Landtag gewählten Mitgliedern. Für jedes Mitglied ist ein Stellvertreter zu wählen. Die Amtsdauer der Mitglieder und Stellvertreter beträgt sechs Jahre.
(2) Im Falle der Verhinderung eines Mitgliedes tritt sein Stellvertreter an seine Stelle; ist auch der Stellvertreter verhindert, so tritt an seine Stelle für die Dauer der Verhinderung einer der übrigen Stellvertreter beginnend mit dem lebensältesten.
(3) Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und ihre Stellvertreter müssen das 35. Lebensjahr vollendet haben und die Befähigung zum Richteramt besitzen oder auf Grund der vorgeschriebenen Staatsprüfungen die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst erworben haben. …
(4) und (5) …
(6) Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes führen ihre Amtsgeschäfte bis zur Ernennung des Nachfolgers fort.
§ 3
Wahl der Mitglieder
(1) Die Mitglieder und ihre Stellvertreter werden in geheimer Wahl ohne Aussprache aus zwei getrennten, vom Präsidium des Landtages aufzustellenden Listen mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages gewählt.
(2) Die Mitglieder und ihre Stellvertreter sollen frühestens drei Monate und spätestens einen Monat vor Ablauf der Amtszeit ihrer Vorgänger gewählt werden. Wiederwahl ist zulässig.
(3) …
§ 4
Ernennung und Amtsenthebung
(1) Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes erhalten eine vom Ministerpräsidenten unterzeichnete Urkunde über Art und Dauer ihres Amtes. …
(2) Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes können nur nach den für Richter geltenden Vorschriften ihres Amtes enthoben werden. … (3) Scheidet ein Mitglied oder ein Stellvertreter vorzeitig aus, so findet eine Neuwahl für dieses Mitglied oder für diesen Stellvertreter statt. Diese soll innerhalb eines Monats erfolgen. Bis zur Neuwahl eines Mitglieds tritt sein Stellvertreter an seine Stelle. Scheidet auch der Stellvertreter aus, so tritt an seine Stelle bis zur Neuwahl einer der übrigen Stellvertreter beginnend mit dem lebensältesten.
2. Am 4. Juni 1986 beschloß der Landtag des Saarlandes das „Gesetz Nr. 1200 zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Schulrechts”, mit dem unter anderem die Gesamtschule als Regelschulform eingeführt wurde (Amtsblatt S. 477).
Für die Beibehaltung des bisherigen gegliederten Schulsystems hatte sich neben den Oppositionsfraktionen des Landtages, CDU und FDP, auch die Aktionsgemeinschaft „Rettet die Schulen” eingesetzt. Diese hatte beim Saarländischen Minister des Inneren die Zulassung eines Volksbegehrens beantragt, mit welchem den Änderungsplänen der Landesregierung entgegengewirkt und die Umwandlung des bisherigen Schulsystems verhindert werden sollte. Die Regierung des Saarlandes wies den Antrag als unzulässig zurück, woraufhin die Aktionsgemeinschaft, ihr Vertrauensmann und ihr stellvertretender Vertrauensmann (Beschwerdeführer zu I) diese Entscheidung vor dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes anfochten.
Fünfundzwanzig Abgeordnete der Oppositionsfraktionen des Saarländischen Landtages (Beschwerdeführer zu II) griffen ihrerseits das Gesetz Nr. 1200 mit einer Normenkontrollklage an.
3. a) Als die Ausgangsverfahren beim Verfassungsgerichtshof des Saarlandes anhängig wurden, war die Amtszeit mehrerer Mitglieder und Stellvertreter seit dem 30. Juni 1986 abgelaufen; eines dieser Mitglieder, Prof. Dr. G., starb am 25. April 1987. Nachfolger wurden während des Verfahrens nicht gewählt.
b) Durch Beschlüsse vom 19. Mai 1987 stellte der Verfassungsgerichtshof in beiden Ausgangsverfahren fest, daß diejenigen seiner Mitglieder, deren Amtszeit am 30. Juni 1986 abgelaufen war, an der weiteren Mitwirkung gehindert seien. Bereits diese Zwischenentscheidung über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts müsse ohne denjenigen Richter getroffen werden, dessen Berechtigung zur Mitwirkung zweifelhaft sei; andernfalls würde dieser in eigener Sache richten.
Richter, deren durch § 2 Abs. 1 Satz 3 VGHG auf sechs Jahre beschränkte Amtszeit abgelaufen sei, dürften nicht auf unbeschränkte Zeit weiterhin an Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs mitwirken. Zwar sehe § 2 Abs. 6 gesetzte Frist zur Neuwahl der Mitglieder und ihrer Stellvertreter – frühestens drei Monate und spätestens einen Monat vor Ablauf der Amtszeit ihrer Vorgänger – dürfe aber nicht in beliebiger Weise überschritten werden. Deshalb sei § 2 Abs. 6 VGHG dahin zu deuten, daß die Fortführung der Amtsgeschäfte auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen sei, bei dessen Bemessung die Notwendigkeit, eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Wahl des Nachfolgers zu finden, ebenso in Rechnung zu stellen sei wie sonstige einsichtige Gründe für die Erschwerung der Neuwahl.
Nach diesen Grundsätzen sei die Fortführung der Amtsgeschäfte durch diejenigen Verfassungsrichter, deren Amtszeit am 30. Juni 1986 abgelaufen sei, nicht mehr zulässig. Bis spätestens 31. Mai 1986 hätte die Neuwahl stattfinden müssen. Daß sie dennoch nahezu ein Jahr später immer noch nicht vorgenommen worden sei, könne mit Blick auf die dadurch eingetretene abstrakte Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit und den Verstoß gegen das Gesetzeskonzept zur Amtszeit der Verfassungsrichter nicht mehr hingenommen werden, zumal gute Gründe für das Ausbleiben einer Einigung der Landtagsfraktionen nicht ersichtlich seien. Wegen der Einzelheiten wird auf die in NJW 1987, S. 3247 abgedruckten Gründe verwiesen.
c) Beide Verfahren wurden durch die angegriffenen Urteile vom 14. Juli 1987 beendet, an denen anstelle des verstorbenen Richters G., seines Stellvertreters R. sowie zweier weiterer Stellvertreter, deren Amtszeit am 30. Juni 1986 abgelaufen war, der Richter D. mitwirkte. Dieser war der nächste dienstälteste und nicht wegen Befangenheit ausgeschlossene Stellvertreter. Zur Besetzung des Gerichts wiederholte der Verfassungsgerichtshof die Ausführungen seiner Beschlüsse vom 19. Mai 1987 und ergänzte sie dahin, daß die überfälligen Neuwahlen aus sachwidrigen Gründen unterblieben seien (vgl. die Gründe im einzelnen in NJW 1987, S. 3248).
d) Die Anträge der Aktionsgemeinschaft (Beschwerdeführerin zu I 1) und des stellvertretenden Vertrauensmannes (Beschwerdeführer zu I 3) wies der Verfassungsgerichtshof als unstatthaft zurück, weil die Entscheidung der Landesregierung über die Zulässigkeit des Volksbegehrens gemäß § 50 Abs. 1 VGHG nur von dem Vertrauensmann im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 4 des Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid – VAbstG angefochten werden könne. Diese Stellung habe aber nur die Beschwerdeführerin zu I 2. Deren Begehren sei allerdings unbegründet.
Das Normenkontrollverfahren der Beschwerdeführer zu II führte zu der Feststellung, daß das Gesetz Nr. 1200 formell und inhaltlich bis auf zwei Bestimmungen mit der Verfassung des Saarlandes vereinbar sei.
II.
1. 1 BvR 984/87
Die Beschwerdeführer zu I rügen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG.
Der Richter D. sei nicht ihr gesetzlicher Richter gewesen. Durch die Bestimmung des § 2 Abs. 6 VGHG über die Fortführung des Amtes bis zur Ernennung des Nachfolgers und des § 2 Abs. 2 VGHG, wonach im Falle der Verhinderung eines Richters in erster Linie der für ihn gewählte Stellvertreter amtiere, werde sichergestellt, daß das Gericht funktionsfähig bleibe, und zwar in der parteipolitischen Zusammensetzung, die ihm das Wahlorgan gegeben habe. Indem der Verfassungsgerichtshof abweichend hiervon gesetzlich berufene Richter von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen habe, habe er seine Kompetenz überschritten und in die Zuständigkeit seines Wahlorgans, des Landtages, eingegriffen. Außerdem hätte dieser Beschluß nur in voller Besetzung, also unter Beteiligung des von der Ausschließung betroffenen Richters, gefaßt werden dürfen. Dem Verfassungsgerichtshof stehe nicht das Recht zu, die „Nachdienzeit” eines Verfassungsrichters zu begrenzen. Insoweit weiche er willkürlich von § 2 Abs. 6 VGHG ab. Selbst in dem theoretisch denkbaren Fall, daß das Ausscheiden besonders vieler Richter seine Beschlußunfähigkeit zur Folge hätte, wachse ihm nicht die Kompetenz zu, eine Neubesetzung herbeizuführen. Es habe dann allenfalls die Befugnis, seine Beschlußunfähigkeit festzustellen.
Verfehlt sei die Entscheidung auch deswegen, weil sie bei fortbestehender Konfrontation im Landtag und weiterer Unmöglichkeit der Neuwahl von Verfassungsrichtern nach einer gewissen Zeit zwangsläufig zur Beschlußunfähigkeit des Verfassungsgerichtshofs führen müsse.
2. 1 BvR 985/87
Die Beschwerdeführer zu II rügen ebenfalls eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Als Antragsteller eines abstrakten Normenkontrollverfahrens seien sie berechtigt, eine Verletzung dieses Verfahrensgrundrechts zu rügen. Denn jenes Verfahren habe neben seiner objektiven auch eine subjektive Komponente. Für jeweils mindestens ein Drittel der Abgeordneten stelle es ein wichtiges rechtliches und politisches Instrument dar, um möglichen Verfassungsverstößen der Landtagsmehrheit entgegenzutreten, und zwar nicht nur durch die Antragstellung, sondern auch durch die Teilnahme am Verfahren.
Zu Unrecht gehe das angegriffene Urteil davon aus, die in § 2 Abs. 6 VGHG vorgesehene Amtsfortführung könne in bestimmten Fällen auch ohne die Ernennung eines Nachfolgers enden. Die Bestimmung sei ihrem Wortlaut nach eindeutig und lasse eine davon abweichende Auslegung nicht zu. Eine solche könne insbesondere nicht auf § 3 Abs. 2 VGHG gestützt werden. Selbst ein Verstoß des Landtages gegen eine zwingende Frist für die Neuwahl könne angesichts des § 2 Abs. 6 VGHG keine Auswirkungen darauf haben, daß die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs ihre Amtsgeschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers fortführen müßten. Solange es dazu noch nicht gekommen sei, amtiere der Richter in aller Regel unabhängig davon, was sich unterdessen im Landtag vollziehe. Daß sich über die Zusammensetzung der Verfassungsgerichte ein oft schwieriger Konsensprozeß in den Parlamenten entwickele, sei natürlich und gewollt; die von der Verfassung vorgeschriebene Zwei-Drittel-Mehrheit belege dies. Während des Auswahl- und Wahlprozesses möge es parlamentarische und vorparlamentarische Auseinandersetzungen der verschiedensten Art geben. Weshalb ein Parlament letztlich keine Wahl vornehme – sei es auch über einen längeren Zeitraum –, sei für das Ziel des Gesetzes, währenddessen ein funktionsfähiges Verfassungsgericht zu haben, nicht von Bedeutung. Der Gesetzgeber könne insoweit abhelfen. Hingegen sei ein sich selbst regulierender Verfassungsgerichtshof unter der Geltung des § 2 Abs. 6 VGHG ausgeschlossen.
Die vom Verfassungsgerichtshof vorgenommene erweiternde Gesetzesinterpretation löse Probleme aus, die weitaus größere Risiken für den Rechtsstaat mit sich brächten als eine längere Fortführung des Richteramtes nach Ablauf der Wahlzeit. Hebe man auf einen „überlangen Zeitablauf” ab, so stelle sich die unlösbare Frage, wann ein solcher gegeben sei.
Hinzu komme, daß das Gericht die Bearbeitungsdauer einer Sache erheblich beeinflussen könne. Wenn der Mehrheit eines Verfassungsgerichts ein kraft Gesetzes amtierender Richter nicht mehr genehm sei, könnte sie mit Hilfe des Vorsitzenden die Terminierung einer Sache so lange hinausschieben, bis nach ihrer Auffassung eine zeitliche Unverträglichkeitsgrenze überschritten wäre. Dann wäre der mißliebige Richter ausgeschlossen und eine Entscheidung in der Sache in anderer Zusammensetzung möglich.
Noch bedenklicher sei der Versuch des Verfassungsgerichtshofs, die Dauer der Interimsamtszeit einzelner seiner Mitglieder vom Wohlverhalten des Landtages, nämlich vom Vorliegen „sachgerechter und billigenswerter Gründe” für eine verspätete Richterwahl, abhängig zu machen. Diese vom Gericht selbst geprägten unbestimmten Rechtsbegriffe seien ein Einfallstor für Willkür. Es könne auch keine Rede davon sein, der Landtag und insbesondere sie selbst hätten sich eines Rechtsmißbrauchs schuldig gemacht. Das Gericht geißele einen geradezu klassischen Fall: Regierung und Opposition könnten sich über die Personen der künftigen Verfassungsrichter nicht einigen. Dem hätten aber von ihrer Seite plausible und respektable Gründe zugrunde gelegen.
Der Richter R. sei am 25. April 1987, als er an die Stelle des an diesem Tage gestorbenen Richters G. getreten sei, dessen Stellvertreter im Sinne des § 2 Abs. 2 VGHG gewesen. Für ihn sei § 2 Abs. 6 VGHG in vollem Umfange anwendbar. Deshalb hätte er an dem Urteil mitwirken müssen.
III.
Zu den Verfassungsbeschwerden hat sich der Minister der Justiz des Saarlandes geäußert und darüber hinaus ein seinen Standpunkt unterstützendes Gutachten von Prof. Dr. R. vorgelegt. Der Minister trägt vor:
1. Die Verfassungsbeschwerden seien unzulässig, weil die Beschwerdeführer kein eigenes Recht hätten, eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu rügen.
a) Die Beschwerdeführerin zu I 1 sei keine Partei im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG und des § 90 Abs. 1 BVerfGG. Sie könne als Vereinigung in Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof keine Justizgrundrechte in Anspruch nehmen, denn nach § 9 Nr. 9 und § 50 VGHG könne die Entscheidung der Landesregierung ausschließlich von dem Vertrauensmann angefochten werden. Das sei aber nur die Beschwerdeführerin zu I 2. Ihr stünden jedoch subjektiv-öffentliche Rechte nicht um ihrer eigenen Person willen zu, sondern nur als Mandatarin der Antragsteller des Volksbegehrens. In dieser Funktion habe sie nur abgeleitete Rechte. Ihr Mandat beginne mit dem Beginn des Verfahrens der Volksgesetzgebung und ende mit dessen Abschluß.
Der Beschwerdeführer zu I 3 sei schon im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes nicht parteifähig; damit sei ihm auch die Fähigkeit versagt, Verfassungsbeschwerde zu erheben.
b) Die Beschwerdeführer zu II könnten nicht geltend machen, in einem ihrer Rechte im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG verletzt zu sein. Das von ihnen angestrengte Verfahren der abstrakten Normenkontrolle hätten sie nicht als Träger subjektiver Rechte eingeleitet und geführt, sondern als Organe und damit als Träger von Kompetenzen. Zwar enthalte Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch einen objektiven Verfassungsgrundsatz, der als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips in jedem gerichtlichen Verfahren, also auch in dem der abstrakten Normenkontrolle, zu beachten sei. Die Verfassungsbeschwerde diene aber nicht der Durchsetzung objektiven Rechts, sondern dem Individualrechtsschutz, der Staatsorganen und ihren Teilen der Natur der Sache nach nicht verbürgt sein könne.
2. Die Verfassungsbeschwerden seien jedenfalls unbegründet.
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei durch die Urteile des Verfassungsgerichtshofs schon deshalb nicht verletzt, weil nach § 2 Abs. 6 VGHG nur die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs, nicht aber deren Stellvertreter ihre Amtsgeschäfte bis zur Ernennung des Nachfolgers fortführten. Denn in dieser Vorschrift seien allein erstere, nicht aber auch – wie in anderen Vorschriften – deren Stellvertreter genannt. Das entspreche der Systematik des § 2 Abs. 6 und des § 4 Abs. 3 VGHG, nämlich der Regelung der Amtsfortführung nach Ablauf der Amtszeit einerseits sowie der Substitution des vorzeitig ausgeschiedenen Mitglieds durch seinen amtierenden Stellvertreter andererseits, der damit Mitglied werde.
Selbst wenn man § 2 Abs. 6 VGHG über seinen Wortlaut hinaus auslege, scheide ein Verfassungsverstoß aus. Denn ein Verfassungsrichter, dessen Amtszeit abgelaufen sei und der von dem Wahlorgan weder wiedergewählt noch ersetzt werde, dürfe sein Amt nicht zeitlich unbefristet fortführen. Die dazu vom Verfassungsgerichtshof angestellten Erwägungen seien vertretbar, keineswegs jedoch willkürlich. Die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 6 VGHG, die ohnehin nur aufgrund eines Analogieschlusses herangezogen werden könnte, sei allgemeinen methodischen Grundsätzen gemäß restriktiv interpretiert worden. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit sei nicht eine frei gefundene Regelung konstruiert, sondern auf den vom Gesetz vorgesehenen Ersetzungsmodus zurückgegriffen worden.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.
I.
1 BvR 984/87
1. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I 1 und I 3 wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß diese im Ausgangsverfahren vor dem Saarländischen Verfassungsgerichtshof nicht parteifähig waren, weil die Entscheidung der Landesregierung nach § 9 Nr. 9 und § 50 VGHG nur von dem Vertrauensmann, also der Beschwerdeführerin zu I 2, angefochten werden kann. Maßgebend für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist – jedenfalls für den hier vorliegenden Fall –, daß die Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren als Partei aufgetreten sind. Sie waren insoweit Prozeßsubjekte, denen gegenüber eine Entscheidung, wenn auch nur ein Prozeßurteil, ergangen ist. Wenn sie meinen, dabei in einem Verfahrensgrundrecht verletzt worden zu sein, so können sie sich dagegen mit den rechtlich vorgesehenen Mitteln wehren (vgl. BVerfGE 6, 45 ≪49≫), also auch rügen, über ihre Berechtigung zur Anfechtung der Entscheidung der Landesregierung habe nicht der gesetzliche Richter entschieden.
Das gilt auch für die Beschwerdeführerin zu I 1, die weder juristische Person noch eine sonst nach bürgerlichem Recht rechtsfähige Vereinigung ist. Es kann offenbleiben, ob solche Personenmehrheiten immer beschwerdefähig sind, also auch dann, wenn von vorneherein eine Rechtsträgerschaft offenkundig undenkbar ist. Durch das saarländische Volksabstimmungsgesetz werden der Beschwerdeführerin insoweit Rechte zugeordnet, als sie ab einer Mindestzahl von Mitgliedern Antragstellerin eines Volksbegehrens sein kann. Das reicht hin, auch in einem Verfassungsrechtsstreit den Anspruch auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter geltend zu machen.
2. Ebenfalls zu Unrecht bezweifelt der Saarländische Justizminister die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, soweit sie von der Beschwerdeführerin zu I 2 erhoben worden ist.
Der Vertrauensmann ist gesetzlicher Prozeßstandschafter; er ist nicht nur Ansprechpartner für die Zulassungsbehörde des Volksbegehrens (vgl. § 2 Abs. 3, § 3 Abs. 2 und § 5 Abs. 2 VAbstG), vielmehr ist es allein ihm erlaubt, die Nichtzulassung des Volksbegehrens gerichtlich anzufechten (§ 50 Abs. 1 VGHG). Die Tatsache, daß er vor dem Landesverfassungsgericht im fremden Interesse streitet, nimmt ihm nicht die jedem Beteiligten eines Gerichtsverfahrens zustehenden Verfahrensgrundrechte. Mit ihm ist das Prozeßrechtsverhältnis begründet; er nimmt die jeder Prozeßpartei zustehenden Rechte wahr.
Damit kann die Beschwerdeführerin zu I 2 die Einhaltung der Verfahrensgrundrechte verlangen. Zwar mag ihr Mandat mit Abschluß des landesverfassungsrechtlichen Verfahrens geendet haben. Das beseitigt aber nicht ihren Anspruch auf Bescheidung ihrer Klage durch den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
3. Unzulässig ist allerdings die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde einer Prüfung in der Sache nicht zugänglich. Ihr läßt sich nicht entnehmen, inwiefern der Verfassungsgerichtshof in der beanstandeten Besetzung ein Ausnahmegericht sein soll (vgl. BVerfGE 3, 213 ≪223≫). Diese Rüge genügt nicht den Anforderungen von § 23 Abs. 1 und § 92 BVerfGG.
II.
1 BvR 985/87
1. Auch die Beschwerdeführer zu II können zulässigerweise rügen, in ihrem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt zu sein.
Dieses Verfahrensgrundrecht soll der Gefahr vorbeugen, daß die Rechtsprechung durch eine Manipulierung der Spruchkörper – sei es durch andere Staatsgewalten, sei es durch die Rechtsprechung selbst – sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird; es soll insbesondere verhindern, daß im Einzelfall durch eine gezielte Auswahl von Richtern das Ergebnis der Entscheidung beeinflußt wird (vgl. BVerfGE 17, 294 ≪299≫; 20, 336 ≪344≫; 48, 246 ≪254≫). Dieses Gebot gilt für alle gerichtlichen Verfahren, also auch für Prozesse vor Verfassungsgerichten. Streitigkeiten zwischen Staatsorganen sind davon nicht ausgenommen.
Mit diesem objektiv-rechtlichen Gebot korrespondiert ein subjektives Verfassungsrecht der Beschwerdeführer als Antragsteller des abstrakten Normenkontrollverfahrens. Auch wenn Gegenstand eines solchen Prozesses nicht ein materielles Recht des jeweiligen Antragstellers ist, sondern um die Verfassungsmäßigkeit von Normen gestritten wird, so setzt er doch durch seinen Antrag das Verfahren in Gang. Damit hat er Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Es ist ohne Belang, ob er eigene oder fremde Rechte verfolgt oder verteidigt, ob subjektive Rechte den Streitgegenstand bilden oder ob es um die Verletzung, Auslegung oder Qualifikation objektiven Rechts geht (vgl. Bettermann, Der gesetzliche Richter in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 94, S. 263 ≪276≫). Ausschlaggebend vom Zweck der Verfahrensgarantie her ist seine Beteiligung am Verfahren als Antragsteller.
2. Der Verfassungsbeschwerde fehlt es auch nicht am Rechtsschutzinteresse, obwohl der Landtag, dessen Mitglieder die Beschwerdeführer waren, nach der Neuwahl nicht mehr besteht. Der Ablauf der Legislaturperiode hat grundsätzlich keinen Einfluß auf das Fortbestehen wirksam vorgenommener Rechtshandlungen des Landtages oder eines seiner Mitglieder. War der Normenkontrollantrag ursprünglich zulässig, so bleibt er es weiterhin, selbst wenn die Antragsteller ihre Stellung als Landtagsmitglieder verlieren (vgl. BVerfGE 79, 311 ≪327≫). Abweichendes Landesrecht ist nicht ersichtlich. Würde auf die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer hin das angegriffene Urteil aufgehoben werden, so könnten sie das abstrakte Normenkontrollverfahren fortführen. Das begründet ihr Rechtsschutzinteresse an der Verfassungsbeschwerde.
C.
Die Verfassungsbeschwerden sind jedoch unbegründet; die angegriffenen Urteile verletzen nicht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
I.
In die verfassungsrechtliche Prüfung müßten die Beschlüsse vom 19. Mai 1987 selbständig einbezogen werden, wenn sie nach dem Verfahrensrecht des Verfassungsgerichtshofs für das weitere Verfahren die Besetzung des Gerichts bindend festlegten. Ob dies der Fall ist, kann offenbleiben, weil diese Entscheidungen jedenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wären. Hinsichtlich der Würdigung ihres Inhalts wird auf die Ausführungen zu den angegriffenen Urteilen (nachstehend II) verwiesen. Die Besetzung des Verfassungsgerichtshofs beim Erlaß der Beschlüsse ist ebenfalls verfassungsrechtlich unbedenklich. Daß an ihnen der Richter R., der Stellvertreter des verstorbenen Richters G. war und dessen Amtszeit ebenfalls am 30. Juni 1986 abgelaufen war, nicht mitgewirkt hat, ist nicht zu beanstanden. Jedes Gericht hat die ordnungsgemäße Besetzung seiner Richterbank von Amts wegen zu prüfen, soweit es Anlaß zu Zweifeln hat (vgl. BVerfGE 40, 356 ≪360 ff.≫; 65, 152 ≪154≫). Dabei ist ohne Mitwirkung des Richters zu entscheiden, dessen Berechtigung zweifelhaft ist (vgl. BVerfGE 46, 34 ≪35 f.≫). Das gilt auch bei Streit um die Kompetenz von Landtag und Verfassungsgericht für die Bestimmung des gesetzlichen Richters. Denn auch in einem solchen Fall würde der von der Mitwirkung möglicherweise ausgeschlossene Richter in eigener Sache befinden.
II.
1. Der rechtsstaatliche Grundsatz vom gesetzlichen Richter ist bereits im 19. Jahrhundert unter der Geltung des § 16 GVG dahin verstanden worden, daß er die willkürliche Auswahl des im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Richters untersagt (vgl. Kern, Der gesetzliche Richter, 1927, S. 185 ff.). „Willkürlich” meint hier also schon eine Zuständigkeitsbestimmung von Fall zu Fall im Gegensatz zu einer normativen, abstrakt-generellen Vorherbestimmung des Richters. Daran hat sich durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nichts geändert. Allerdings wird damit der Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht erschöpft. „Ungesetzlich” ist auch das Gericht, das nicht den Anforderungen des Grundgesetzes entspricht, sowie der Richter, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet erscheint (vgl. BVerfGE 10, 200 ≪213≫; 23, 321 ≪325≫; sowie Bettermann, a.a.O., S. 263 f.).
2. Die Verfahrensgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sichert nicht nur die Freiheit vor Eingriffen durch Organe der Legislative und Exekutive; ihre Schutzfunktion richtet sich auch nach „innen”, also darauf, daß niemand durch Maßnahmen der Gerichtsorganisation dem in seiner Sache gesetzlich berufenen Richter entzogen wird (vgl. BVerfGE 4, 412 ≪416≫).
Mag bei gezielten Einmischungen der Legislative oder der Exekutive eine Verletzung der Gewährleistung des gesetzlichen Richters auf der Hand liegen, so ist das bei Entscheidungen der rechtsprechenden Gewalt, in denen normative Zuständigkeitsregeln angewandt werden, nicht ohne weiteres der Fall. Nicht jede fehlerhafte Anwendung solcher Regeln durch die Gerichte ist zugleich eine Verfassungsverletzung; andernfalls würde die Anwendung einfachen Rechts auf die Ebene des Verfassungsrechts gehoben werden. Wo die Grenzen zu einem Verfassungsverstoß zu ziehen sind, hat das Bundesverfassungsgericht bislang nicht abschließend bestimmt. Es hat sie dann als überschritten angesehen, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm willkürlich (grundlegend BVerfGE 3, 359 ≪364 f.≫) oder offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 29, 45 ≪49≫; 58, 1 ≪45≫; ähnlich bereits BVerfGE 6, 45 ≪53≫). Dieser Prüfungsmaßstab ist, vergleichbar demjenigen zu Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 75, 302 ≪314 f.≫), dahin zu ergänzen, daß eine verfassungswidrige Entziehung des gesetzlichen Richters durch eine richterliche Zuständigkeitsentscheidung vorliegt, wenn diese Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat.
3. Nach diesem Prüfungsmaßstab ist der Ausschluß des Richters R. von der Urteilsfällung nicht zu beanstanden.
a) Der Wortlaut des § 2 Abs. 6 VGHG ist nicht eindeutig. Der Begriff „Mitglieder” kann sowohl im engeren als auch im weiteren, also die Stellvertreter einschließenden Sinne verstanden werden. Das verdeutlicht das Gesetz selbst. So wird der Begriff im engeren Sinne in § 2 Abs. 1, § 2 Abs. 2, § 2 Abs. 3, § 3 Abs. 1, § 3 Abs. 2, § 3 Abs. 3 Erster Halbsatz und § 4 Abs. 3 benutzt, im weiteren Sinne hingegen in der Überschrift zu § 3, in § 3 Abs. 3 Zweiter Halbsatz, § 4 Abs. 1, § 4 Abs. 2 und § 7. Schließlich verwendet das Gesetz das Wort „Mitglied” noch im Sinne von Zugehörigkeit zu dem aktuell zur Entscheidung berufenen Spruchkörper, vgl. §§ 13, 14 Abs. 3, 18 Satz 2 und 22 Abs. 1 Satz 1 VGHG.
Nach der Systematik des Gesetzes wird der engere Begriff im wesentlichen bei den die Wahl und die Zusammensetzung regelnden Vorschriften verwendet, der weitere dagegen bei dienst- und statusrechtlichen Bestimmungen. Ausnahmen bilden die Überschrift zu § 3 auf der einen sowie § 2 Abs. 3 auf der anderen Seite. Dennoch läßt sich nicht von der Hand weisen, daß die Systematik eher dafür spricht, den in § 2 Abs. 6 verwendeten Begriff im engeren Sinne zu verstehen. Zwingend ist dies jedoch nicht. Die Gesetzesgeschichte trägt nicht zu einer weiteren Klärung der Streitfrage bei. § 2 Abs. 7 in der Erstfassung der Vorschrift vom 17. Juni 1958 (Amtsblatt S. 735) war wortgleich mit dem heutigen § 2 Abs. 6.
Schließlich zwingt auch der Zweck des Gesetzes nicht zu einem bestimmten Begriffsverständnis. Einerseits genügt zwar regelmäßig die Amtsfortführung durch die Mitglieder im engeren Sinne, um die Funktionsfähigkeit des Gerichts sicherzustellen; andererseits ist aber zu berücksichtigen, daß jedem Mitglied grundsätzlich „sein” Stellvertreter zugeordnet ist und dieses Konzept gestört wird, wenn ein anderer Stellvertreter anstelle des Richters amtiert, dessen Amtszeit abgelaufen ist.
Beide Auffassungen – sowohl ein weites als auch ein enges Begriffsverständnis – sind danach vertretbar, weshalb das vom Verfassungsgerichtshof angenommene weite Begriffsverständnis jedenfalls nicht willkürlich ist.
b) Auch die Entscheidung, daß eine unbegrenzte Amtsfortführung bei fehlender Neuwahl nicht in Betracht komme, verletzt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht. Zwar äußert sich das Gesetz dazu präziser, als zu der Frage, wer Mitglied des Verfassungsgerichtshofs im Sinne des § 2 Abs. 6 VGHG ist: Das Amt ist bis zur Ernennung des Nachfolgers fortzuführen. Dennoch hat der Verfassungsgerichtshof durch die zeitliche Begrenzung der Amtsfortführung die Schranken richterlicher Rechtsfindung nicht überschritten. Er hat aus dem Umstand, daß die Richter für eine begrenzte Zeit zu wählen sind und die Neuwahl nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VGHG spätestens einen Monat vor Ablauf der Amtszeit stattfinden soll, den Schluß gezogen, daß eine Amtsfortführung bei fehlender Neuwahl nicht zeitlich unbegrenzt in Betracht kommt, sondern nur, solange sachgerechte und billigenswerte Gründe die Neuwahl verhindern. Dies ist plausibel, insbesondere im Hinblick auf die Gefahr, daß anderenfalls sogar eine Minderheit des Wahlorgans in der Lage wäre, die Amtszeit eines Richters auf unabsehbare Zeit zu verlängern. Ob diese einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 6 VGHG sogar von der Landesverfassung gefordert ist, wie der Verfassungsgerichtshof meint, kann offenbleiben. Denn die Normkorrektur ist nicht ausschließlich mit verfassungsrechtlichen Erfordernissen begründet worden, sondern auch mit der Notwendigkeit, den in anderen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers zu verwirklichen. Die Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich deshalb darauf, ob dieser Wille vertretbar ermittelt worden ist. Dies ist der Fall; die Gedankenführung des Verfassungsgerichtshofs ist nachvollziehbar, seine Argumente sind einsichtig. Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit seiner fehlerhaften Besetzung für den Fall in Erwägung gezogen, daß eine Ersatzwahl aus sachfremden – etwa parteipolitischen – Gründen ungebührlich verzögert oder bewußt unterlassen wird (vgl. BVerfGE 2, 1 ≪9≫).
Die einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 6 VGHG verstößt auch nicht gegen das Gebot der normativen Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters. Zwar trifft es zu, daß der Zeitpunkt, von dem an ein „geschäftsführender” Richter infolge einer sachwidrigen Verzögerung der Neuwahl von der weiteren Amtsausübung ausgeschlossen ist, nicht exakt vorhersehbar ist; denn dieser wird unter Anwendung der vom Verfassungsgerichtshof geprägten unbestimmten Rechtsbegriffe ermittelt. Damit wird den Richtern aber nicht der Weg zum beliebigen Zugriff auf die Besetzung des Gerichts eröffnet. Sie haben vielmehr den Sachverhalt unter die von ihnen entwickelten Tatbestandsmerkmale zu subsumieren, also zu entscheiden, ob sachgerechte und billigenswerte Gründe für die Verzögerung der Neuwahl vorliegen.
Damit ist der gesetzliche Richter in hinreichendem Maße vorausbestimmt; denn die Konkretisierung solcher unbestimmter Rechtsbegriffe ist eine herkömmliche richterliche Tätigkeit, die in jedem Rechtsbereich und somit auch bei der Anwendung richterlicher Zuständigkeitsregelungen unvermeidbar ist. Dem Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist genügt, wenn die gesetzlichen und richterrechtlich entwickelten Tatbestandsmerkmale den willkürlichen Zugriff auf die Richterbank ausschließen. Das ist der Fall.
c) Bei der weiteren Prüfung, ob Umstände vorlagen, die es rechtfertigten, eine sachwidrige Verzögerung der Neuwahl anzunehmen, sind der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht enge Grenzen gezogen. Das berücksichtigen die Beschwerdeführer nicht hinreichend. So sind nicht nur die tatsächlichen Feststellungen, aus denen der Verfassungsgerichtshof die Mißbräuchlichkeit der Verzögerung ableitet, bis zur Willkürgrenze der Nachprüfung entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫). Auch die Schlußfolgerung selbst, die Verzögerung sei mißbräuchlich, ist vorrangig einfachrechtlicher Natur. Sie ist vom Bundesverfassungsgericht hinzunehmen, solange nicht Bedeutung und Tragweite verfassungsrechtlicher Gewährleistungen verletzt wurden.
Der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, daß
- der Zeitpunkt der Neuwahl zu einem gesonderten Verhandlungsgegenstand zwischen den Fraktionen gemacht worden sei und
- die Weigerung, „schon” am 8. April 1987 die Neuwahl vorzunehmen, dadurch motiviert gewesen sei, daß eine sofortige Neuwahl die personelle Kontinuität der Richterbank stören würde und den Abschluß laufender Verfahren verzögern könnte.
Dieses Verhalten hat er als sachwidrig beurteilt, weil der Zeitpunkt der Wahl der Wahlkörperschaft nicht freistehe und es deshalb unzulässig sei, über ihn so zu verhandeln, als könne er nach Gutdünken verschoben werden.
Demgegenüber haben sich die Beschwerdeführer zu II darauf berufen, daß
- der Richter R. Berichterstatter des Verfahrens gewesen sei,
- der Präsident des Verfassungsgerichtshofs erklärt habe, daß eine Neuwahl von Richtern vor der für die zweite Maihälfte beabsichtigten mündlichen Verhandlung dazu führen werde, daß die bisherige Terminplanung nicht eingehalten werden könne, weil die neuen Mitglieder sich dann erst einarbeiten müßten, und
- ein Fraktionsvorsitzender, der angesichts dessen erklärt habe, er wolle diese Vorbereitungen nicht (durch eine Neuwahl) stören, nicht sachwidrig und willkürlich, sondern plausibel und respektabel gehandelt und sich innerhalb seines politischen Ermessensspielraums bewegt habe.
Aus diesen Einwänden ergibt sich weder, daß die Feststellungen des Verfassungsgerichtshofs willkürlich noch daß die aus ihnen gezogenen Schlußfolgerungen unvertretbar wären. Soweit es um die tatsächlichen Feststellungen des Verfassungsgerichtshofs geht, werden diese sogar durch den Vortrag der Beschwerdeführer untermauert. Hinsichtlich ihrer rechtlichen Würdigung werden keine Umstände aufgezeigt, welche die Einschätzung des Verfassungsgerichtshofs als nicht haltbar erscheinen ließen. Die Erwägung der Beschwerdeführer zu II, die Verzögerung der Wahl fördere ein entscheidungsreifes Verfahren, reicht hierzu nicht aus.
Auch die Einwände der Beschwerdeführer zu I wecken in dieser Hinsicht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Urteile. Sie halten die Kritik des Verfassungsgerichtshofs am Verhalten des Wahlorgans für fehlerhaft und die Entscheidungen für korrekturbedürftig, weil
- der Vorsitzende der SPD-Fraktion eine „faire und übliche” Kompromißlösung der beiden anderen Fraktionsvorsitzenden, wonach der siebte Richter zwar von der SPD hätte vorgeschlagen werden, jedoch kein Mitglied dieser Partei hätte sein dürfen, noch am Tage vor der mündlichen Verhandlung kommentarlos abgelehnt habe, und
- die Auswahl und Benennung von parteilosen Bundesverfassungsrichtern aufgrund von Vorschlagsrechten der beiden großen Parteien ein lang geübtes Verfahren bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts sei.
Es kommt nicht darauf an, welche Fraktionen innerhalb des Wahlorgans das Scheitern der Neuwahlen zu verantworten haben. Die Kritik des Verfassungsgerichtshofs richtet sich gegen das Wahlorgan insgesamt. Auch sind die Gründe, auf welche die Beschwerdeführer die Verzögerung der Wahl zurückführen, nicht Gegenstand der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs. Die Beschwerdeführer bewegen sich damit im Bereich der Tatsachenermittlung durch den Verfassungsgerichtshof, deren Kontrolle dem Bundesverfassungsgericht verwehrt ist (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫). Sie tun nicht dar, warum die Feststellungen des Verfassungsgerichtshofs willkürlich getroffen sein sollen.
d) Es ist schließlich nicht zu beanstanden, daß der Verfassungsgerichtshof anstelle des ausgeschlossenen Richters R. mit Hilfe analoger Anwendung von § 2 Abs. 2 Zweiter Halbsatz und § 4 Abs. 3 Satz 3 VGHG einen noch amtierenden Stellvertreter, nämlich den Richter D., herangezogen und in dieser Besetzung entschieden hat.
Die Auslegung des § 2 Abs. 6 VGHG führte zu einem Regelungsdefizit hinsichtlich der Nachfolge des ausgeschiedenen Richters. Das Schließen solcher Lücken im Wege der Analogie ist anerkannte richterliche Aufgabe (vgl. BVerfGE 13, 153 ≪164≫; st. Rspr.).
Die analoge Anwendung der erwähnten Vertretungsregelungen durch den Verfassungsgerichtshof läßt keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erkennen. Zwar meinen Wilms und Jäger (JuS 1988, S. 268 ≪273≫), das Gericht habe allenfalls seine Funktionsunfähigkeit feststellen dürfen, weil kein gesetzlicher Verhinderungsgrund vorgelegen habe; es habe nicht anstelle des Wahlorgans die Nachfolge regeln dürfen. Doehring steht auf dem Standpunkt, daß eine Lückenfüllung nicht zulässig sei, weil dadurch das Gericht eine Zusammensetzung bekomme, die nicht mehr dem Willen des Parlaments entspreche (NJW 1987, S. 3234). Dem kann nicht gefolgt werden.
Läge ein gesetzlich ausdrücklich normierter Hinderungsgrund für den „geschäftsführenden” Richter vor, wäre eine Lückenschließung durch Analogie nicht erforderlich, weil dann der Gesetzgeber sich des Problems angenommen hätte. Ein generelles Analogieverbot im Bereich richterlicher Zuständigkeitsregelungen gibt es aber nicht. Derartiges hat das Bundesverfassungsgericht auch nicht entschieden. Vielmehr ist nur klargestellt worden, daß das Recht, die Befangenheit eines Richters zu rügen, auf den gesetzlich bestimmten Personenkreis beschränkt ist und nicht auf andere Personen ausgedehnt werden darf (vgl. BVerfGE 46, 34 ≪40≫). Die – niemals auszuschließende – Lückenhaftigkeit solcher Bestimmungen darf im Gegenteil nicht zur Rechtsschutzverweigerung führen, solange die Lücken durch anerkannte Methoden richterlicher Rechtsfindung geschlossen werden können.
Dem läßt sich ferner nicht die fehlende richterliche Kompetenz zu einer solchen Nachfolgeregelung entgegenhalten, zu der nur das Parlament berechtigt sei. Einleuchtend wäre ein solches Argument nur, wenn es in der Tat um die Berufung in das Amt des Verfassungsrichters ginge, die vorzunehmen den Richtern nicht zusteht. Darum geht es jedoch nicht. Der Verfassungsgerichtshof hat keinen Richter ernannt. Er hat nur im Wege der Analogie bestimmt, daß ein Vertretungsfall eingetreten war mit der sich aus dem Gesetz ergebenden Konsequenz, daß der vom Parlament gewählte Vertreter heranzuziehen war. Es bleibt dem Landtag unbenommen, sein Wahlrecht auszuüben. Er ist dazu sogar nach wie vor verpflichtet, um gesetzmäßige Verhältnisse herzustellen.
Ob sich der Verfassungsgerichtshof möglicherweise auch darauf hätte beschränken dürfen, sich bis zur Neuwahl eines Mitglieds für nicht funktionsfähig zu erklären, kann offenbleiben. Verfassungsrechtlich verpflichtet war er dazu nicht, solange es verfügbare gewählte Vertreter gab. Insofern lag es sogar näher, die Normen über die Vertretung verhinderter Richter heranzuziehen, weil sie vergleichbare Fälle betreffen. Eine Rechtsschutzverweigerung wäre demgegenüber die rechtsstaatlich bedenklichere Lösung gewesen.
Fundstellen