Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagepflicht des BFH an den EuGH
Leitsatz (redaktionell)
1. Es verletzt nicht den Anspruch auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dass der BFH die Frage, ob Bier ein zum unmittelbaren Verzehr bestimmtes Getränk sein müsse, nicht dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt hat (umfangreiche Ausführungen zur Verletzung der Vorlagepflicht i. S. des Art. 234 Abs. 3 EG).
2. Das Urteil des Bundesfinanzhofs, dass ein im Brauverfahren hergestelltes Erzeugnis, das sich nach einer Ultrafiltration als klare, farblose, nach Ethylalkohol riechende, schwach bitter schmeckende Flüssigkeit darstellt und das unter der Bezeichnung „malt beer base” als Zwischenprodukt zur Herstellung eines alkoholhaltigen Mischgetränkes vertrieben wird, zolltariflich nicht als Bier der Pos. 2203 KN angesehen werden kann, sondern als Branntwein der Pos. 2208 KN einzureihen und gemäß § 144 Abs. 1 BranntwMonG als Branntwein zu versteuern ist, verletzt kein Verfassungsrecht.
Normenkette
EG Art. 234 Abs. 3; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 S. 2; BranntwMonG § 144 Abs. 1, § 130 Abs. 2; BierStG 1993 § 1 Abs. 2; ZK Art. 12 Abs. 2; KN Pos. 2203; KN Pos. 2208; EWGV 2913/92 Art. 12 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung von Herrn Prof. Dr. R. als Beistand wird abgelehnt.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein Urteil des Bundesfinanzhofs. Die Beschwerdeführerin beanstandet in erster Linie eine unterlassene Vorlage des Rechtsstreits an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH).
I.
1. Die Beschwerdeführerin ist eine Brauerei in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft. Zur Herstellung eines Mischgetränks mit der Bezeichnung „S.” bezieht sie von einem Unternehmen in den Niederlanden eine sogenannte „malt beer base”. Diese wird aus in den Niederlanden gebrautem Bier mit einem Alkoholgehalt von etwa 14 % gewonnen, welches geklärt und sodann einer Ultrafiltration unterzogen wird, durch welche Inhaltsstoffe wie Bitterstoffe und Proteine ausgedünnt werden. Die „malt beer base” weist ebenfalls einen Alkoholgehalt von 14 % auf. Es handelt sich dabei um eine farblose, klare, nach Ethylalkohol riechende, schwach bitter schmeckende Flüssigkeit.
2. Bei der Einfuhr der „malt beer base” in die Bundesrepublik Deutschland meldete deren Herstellerin sie als Bier im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Biersteuergesetzes 1993 (BierStG) in Verbindung mit Position 2203 00 10 – Bier aus Malz in Behältnissen mit einem Inhalt von mehr als 10 Litern – der Kombinierten Nomenklatur an. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 BierStG ist die Kombinierte Nomenklatur die Warennomenklatur nach Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 (ABlEG Nr. L 256 S. 1) in der Fassung des Anhangs zur Verordnung (EWG) Nr. 2587/91 der Kommission vom 26. Juli 1991 und die bis zum 19. Oktober 1992 zu seiner Durchführung erlassenen Rechtsvorschriften. Bei der Kombinierten Nomenklatur, die auf der Grundlage des Art. 26 EG im Rahmen der Festlegung des Gemeinsamen Zolltarifs der Gemeinschaft ergangen ist, handelt es sich um ein Warenverzeichnis mit mehr als 9000 Positionen sowie einführenden Vorschriften, zusätzlichen Anmerkungen und Fußnoten, die der Auslegung der Positionen und Unterpositionen dienen (Kamann, in: Streinz ≪Hrsg.≫, EUV/EGV, 2003, Art. 26 EGV Rn. 2, 14).
Aufgrund mehrerer Stellungnahmen der zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt Bielefeld kam der Beklagte des Ausgangsverfahrens, das Hauptzollamt Bielefeld, zu dem Schluss, dass es sich bei der „malt beer base” nicht um Bier, sondern um Branntwein im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über das Branntweinmonopol (BranntwMonG) in Verbindung mit Position 2208 9091 oder 2208 9099 – Ethylalkohol mit einem Alkoholgehalt von weniger als 80 % vol, unvergällt – der Kombinierten Nomenklatur handle, weil die Ware aufgrund ihrer für Bier untypischen Beschaffenheit nicht als Bier (Position 2203 der Kombinierten Nomenklatur) angesehen werden könne und auch nicht unter die Position 2206 der Kombinierten Nomenklatur falle. Der Beklagte setzte auf dieser Grundlage gegenüber der Klägerin mit elf Bescheiden insgesamt 500.689,07 Euro Branntweinsteuer fest.
3. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Das Finanzgericht Düsseldorf hob daraufhin die angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 21. Juli 2004 auf.
4. Auf die Revision des Hauptzollamts Bielefeld hob der Bundesfinanzhof mit dem angegriffenen Urteil vom 28. März 2006 das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf auf und wies die Klage ab. Die „malt beer base” sei entgegen der Auffassung des Finanzgerichts als Branntwein der Position 2208 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen und gemäß § 144 Abs. 1 BranntwMonG als Branntwein zu versteuern. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs sei das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen. Aufgrund des optischen Eindrucks, den das hier in Rede stehende Erzeugnis vermittle, und des Umstands, dass es im Unterschied zu dem eingesetzten Rohbier einen deutlich niedrigeren Bitterwert und einen milderen Geschmack aufweise, handle es sich um eine Alkohol-Wasser-Mischung, für die nur eine Einreihung in die Position 2208 der Kombinierten Nomenklatur in Betracht komme.
Einer Einreihung als Bier (Position 2203 der Kombinierten Nomenklatur) stehe insbesondere entgegen, dass es sich nicht um ein fertiges Getränk, sondern um ein Zwischenprodukt handle, das die Beschwerdeführerin zur weiteren Verarbeitung einsetze. Eine Definition des Begriffs „Bier” sei weder dem Biersteuergesetz 1993 noch dem Wortlaut der Position 2203 der Kombinierten Nomenklatur – abgesehen davon, dass sich aus dem Hinweis „aus Malz” die Notwendigkeit der Herstellung aus einem Getreideprodukt ergebe – zu entnehmen. Berücksichtige man die Erläuterungen zum Harmonisierten System (dem Warenverzeichnis der Weltzollorganisation, an dem sich die Kombinierte Nomenklatur auszurichten hat), so ergebe sich, dass es sich bei Bier um ein alkoholisches Getränk handeln müsse, das einen durch den Hopfen hervorgerufenen typischen Geschmack aufweise. Damit werde zugleich auf den Verwendungszweck des Erzeugnisses abgestellt, nämlich als Getränk genossen zu werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH seien als Getränke solche Flüssigkeiten anzusehen, die zum menschlichen Genuss geeignet und bestimmt seien. Zu fordern sei nicht nur die generelle Genießbarkeit, sondern auch die Bestimmung, als trinkfertiges Erzeugnis dem Verbraucher angeboten zu werden. Zwar sei diese Rechtsprechung zur Deutung des Begriffes „nichtalkoholische Getränke” des Gemeinsamen Zolltarifs ergangen, doch seien die vom EuGH entwickelten Grundsätze nach der Rechtsprechung des Senats auch bei der Beurteilung von anderen Getränken des Kapitels 22 der Kombinierten Nomenklatur anzuwenden. An einer entsprechenden Bestimmung, ohne vorherige weitere Verarbeitung dem Verbraucher angeboten zu werden und als Getränk zu dienen, fehle es im Falle der „malt beer base”. Es komme auch auf den Geschmack und den optischen Eindruck der jeweiligen Ware an, da die Erläuterungen zur Position 2203 der Kombinierten Nomenklatur den Versuch unternähmen, die von Verbraucherkreisen geprägte Verkehrsauffassung wiederzugeben, um das als Bier angesprochene Erzeugnis von anderen alkoholischen Getränken abzugrenzen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Beschwerdeführerin sieht sich durch das Urteil des Bundesfinanzhofs in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Das angegriffene Urteil habe sie ihrem gesetzlichen Richter entzogen, da der Bundesfinanzhof unter Verstoß gegen Art. 234 Abs. 3 EG dem EuGH nicht die Frage vorgelegt habe, ob „Bier” ein zum unmittelbaren Verzehr bestimmtes Getränk sein müsse. Der Bundesfinanzhof habe außer Acht gelassen, dass es bislang keine Rechtsprechung des EuGH zu dieser Frage gebe, und nicht in Erwägung gezogen, dass eine abweichende Rechtsauffassung des EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit erscheine. Auf die vom Bundesfinanzhof herangezogene Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der „nichtalkoholischen Getränke” komme es nicht an. Es gebe auch gute Gründe, die gegen die vom Bundesfinanzhof vorgenommene Auslegung des Begriffs des Getränks in den Erläuterungen zum Harmonisierten System sprächen. Bier könne ein Getränk sein, müsse es aber nicht. Entscheidend sei der Herstellungsprozess, während die äußeren Eigenschaften nicht maßgeblich seien.
Ferner habe der Bundesfinanzhof seine Vorlagepflicht grundsätzlich verkannt, da er trotz positiver Kenntnis von einer abweichenden Einreihung der „malt beer base” durch andere Mitgliedstaaten eine Vorlage nicht in Erwägung gezogen habe. Außerdem habe der Bundesfinanzhof trotz der von der
Beschwerdeführerin geltend gemachten Behinderung des freien Warenverkehrs einen Verstoß der hier in Rede stehenden Besteuerung gegen das steuerliche Diskriminierungs- und Protektionsverbot in Art. 90 EG nicht in Erwägung gezogen. Die angegriffene Entscheidung verletze die Beschwerdeführerin auch in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG, da das von ihr hergestellte Produkt „S.” steuerlich diskriminiert werde. Eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG ergebe sich daraus, dass die vom Bundesfinanzhof vorgenommene Einreihung ein unmittelbares Herstellungsverbot nach § 99b BranntwMonG für das Produkt „S.” zur Folge habe. Schließlich sei die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, da der Bundesfinanzhof die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung missachtet und die gesetzgeberische Grundentscheidung nicht respektiert habe.
2. Die Beschwerdeführerin beantragt ferner, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Prof. Dr. R. gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG als Beistand zuzulassen, da dies im Hinblick auf den steuerrechtlich komplexen Sachverhalt sachdienlich und geboten sei.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) sind nicht erfüllt. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Das angegriffene Urteil des Bundesfinanzhofs entzieht die Beschwerdeführerin nicht ihrem gesetzlichen Richter.
a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt einen subjektiven Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Durch diese grundrechtsähnliche Gewährleistung wird das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht zu einem Kontrollorgan, das jeden einem Gericht unterlaufenden, die Zuständigkeit des Gerichts berührenden Verfahrensfehler korrigieren müsste. Vielmehr beurteilt das Bundesverfassungsgericht die Zuständigkeitsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als Teil des rechtsstaatlichen Objektivitätsgebots, das auch die Beachtung der Kompetenzregeln fordert, die den oberen Fachgerichten die Kontrolle über die Befolgung der Zuständigkeitsordnung überträgt und auf den Instanzenzug begrenzt. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet deshalb die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (BVerfGE 82, 159 ≪194≫).
b) Der EuGH ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 73, 339 ≪366≫). Die Voraussetzungen, unter denen eine Vorlage eines Rechtsstreits an den EuGH in Betracht kommt, ergeben sich aus Art. 234 EG. Das Bundesverfassungsgericht überprüft aus den dargelegten Gründen, ob diese Zuständigkeitsregel in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt worden ist (BVerfGE 82, 159 ≪195≫).
Die Vorlagepflicht nach Art. 234 EG wird insbesondere in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der – seiner Auffassung nach bestehenden – Entscheidungserheblichkeit der gemeinschaftsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht). Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des EuGH noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (BVerfGE 82, 159 ≪195 f.≫).
c) Der Bundesfinanzhof hat – entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin – seinen Beurteilungsrahmen im Hinblick auf die Frage, ob Bier im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BierStG ein zum unmittelbaren Verzehr geeignetes und bestimmtes Getränk sein muss, nicht in unvertretbarer Weise überschritten. Die Beschwerdeführerin setzt lediglich ihre Auslegung der einschlägigen Vorschriften an die Stelle derjenigen des Bundesfinanzhofs. Es kann indessen keine Rede davon sein, dass die von der Beschwerdeführerin vertretene Rechtsauffassung derjenigen des Bundesfinanzhofs eindeutig vorzuziehen wäre.
aa) Der Bundesfinanzhof weist zur Auslegung des Begriffs „Bier” zunächst darauf hin, dass eine Definition dieses Begriffs weder dem Biersteuergesetz 1993 noch dem Wortlaut der Position 2203 der Kombinierten Nomenklatur zu entnehmen sei. Er greift sodann auf die Erläuterungen zum Harmonisierten System zum Begriff „Bier aus Malz” zurück, in denen Bier als „alkoholisches Getränk” einer bestimmten Geschmacksrichtung bezeichnet wird. Zur näheren Bestimmung des Begriffs „Getränk” zieht der Bundesfinanzhof eine Entscheidung des EuGH heran, in der es heißt, dass unter Getränken alle Flüssigkeiten zu verstehen seien, die zum menschlichen Genuss geeignet und bestimmt seien, ohne dass es auf die eingenommene Menge oder die besonderen Zwecke ankomme, denen die verschiedenen Arten genießbarer Flüssigkeiten dienen könnten (EuGH, Urteil vom 26. März 1981, Rs. 114/80 – Ritter, Slg. 1981, S. 895 Rn. 8). Diese zum Begriff des „nichtalkoholischen Getränks” ergangene Rechtsprechung ist nach Auffassung des Bundesfinanzhofs auf die hier zu entscheidende Frage entsprechend anwendbar. Insgesamt kommt es aus Sicht des Bundesfinanzhofs für die Abgrenzung zwischen Bier und anderen alkoholischen Getränken nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System entscheidend auf die von Verbraucherkreisen geprägte Verkehrsauffassung an.
bb) Diese Ausführungen sind aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Der Bundesfinanzhof hat damit seinen Beurteilungsrahmen nicht überschritten. Es begegnet namentlich keinen Bedenken, dass der Bundesfinanzhof als Bier im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BierStG nur Erzeugnisse ansieht, die Getränke darstellen. Zu diesem Verständnis gelangt der Bundesfinanzhof, indem er die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur und zum Harmonisierten System heranzieht. Diese Vorgehensweise und das Ergebnis der Auslegung sind auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin nicht als unvertretbar anzusehen. Die von der Beschwerdeführerin ins Feld geführten Gesichtspunkte mögen ein anderes Verständnis des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BierStG als denkbar erscheinen lassen, das jedoch der vom Bundesfinanzhof vertretenen Auffassung nicht eindeutig vorzuziehen ist.
Soweit die Beschwerdeführerin auf die Begründung des Biersteuergesetzes 1993 hinweist, in der es zwar ebenfalls heiße, dass Bier ein alkoholhaltiges Getränk sei, jedoch auch Bierkonzentrat – das kein Getränk darstelle – als Bier qualifiziert werde (BTDrucks 12/3432, S. 73), lässt sich Letzteres ohne weiteres als gesetzgeberische Fiktion verstehen. Damit soll der Rechtsbegriff „Bier”, der – wie die amtliche Begründung in inhaltlicher Übereinstimmung mit den Erläuterungen zum Harmonisierten System ausdrücklich hervorhebt – ein alkoholisches Getränk bezeichnet, in einem speziellen Fall um eine kein Getränk darstellende Ware erweitert werden. Dies legt den Schluss nahe, dass es zur Bestimmung des Begriffs „Bier” im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BierStG jedenfalls in aller Regel und auch im vorliegenden Fall auf die Qualifikation des fraglichen Erzeugnisses als Getränk ankommt. Dieses Verständnis entspricht nicht nur dem allgemeinen Sprachgebrauch, sondern liegt beispielsweise auch der von der Beschwerdeführerin in anderem Zusammenhang herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 9 Abs. 1 des Vorläufigen Biergesetzes zugrunde (BVerwGE 123, 82 ≪87≫). Dass grundsätzlich nur Getränke Bier im steuerlichen Sinne darstellen, ergibt sich ferner daraus, dass die Erläuterungen zum Harmonisierten System bestimmte, als Bier bezeichnete Getränke, die keinen oder nur einen geringen Alkoholanteil enthalten, vom Anwendungsbereich der Position 2203 ausdrücklich ausnehmen.
Der Bundesfinanzhof leitet aus der Qualifikation von Bier als Getränk die weitere Voraussetzung ab, dass es sich dabei um ein Erzeugnis handeln muss, das zum menschlichen Genuss bestimmt und geeignet ist, und stützt sich dabei auf die zum Begriff des nichtalkoholischen Getränks ergangene Rechtsprechung des EuGH. Deren Übertragung auf die Auslegung des Begriffs des alkoholischen Getränks begegnet keinen Bedenken, da es insoweit auf den Begriff „Getränk” selbst, nicht aber auf den Umstand ankommt, ob dieses Erzeugnis Alkohol enthält oder nicht. Da der Begriff des Getränks im Hinblick auf Bier in den Erläuterungen zum Harmonisierten System Verwendung findet, stellt seine Heranziehung zugleich die von der Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 18. April 1991, Rs. C-219/89 – Wesergold, Slg. 1991, S. I-1895 Rn. 9) vermisste Verknüpfung des Verwendungszwecks mit dem Wortlaut der jeweiligen Position der Kombinierten Nomenklatur oder der Erläuterungen hierzu dar.
cc) Eine Vorlagepflicht des Bundesfinanzhofs folgt auch nicht daraus, dass die „malt beer base”, wie die Beschwerdeführerin vorträgt, in anderen Mitgliedstaaten in Position 2203 der Kombinierten Nomenklatur eingereiht wurde. Zum einen findet sich der Hinweis auf diese Einreihung lediglich im Tatbestand des in dieser Sache ergangenen finanzgerichtlichen Urteils als Bestandteil des Vorbringens der Beschwerdeführerin und ist weder im finanzgerichtlichen Verfahren noch in der Begründung der Verfassungsbeschwerde substantiiert belegt worden. Zum anderen wäre selbst dann, wenn in anderen Mitgliedstaaten eine derartige abweichende Einreihung vorgenommen worden wäre, daraus noch nicht notwendigerweise zu folgern, dass diese Rechtsauffassung der vom Bundesfinanzhof vertretenen Ansicht eindeutig vorzuziehen wäre.
dd) Eine unhaltbare Handhabung der Zuständigkeitsregel des Art. 234 EG lässt sich auch nicht im Hinblick darauf feststellen, dass der Bundesfinanzhof den Rechtsstreit dem EuGH nicht wegen einer möglichen Verletzung von Art. 90 EG und von Art. 25 oder 28 EG vorgelegt hat. Die Beschwerdeführerin nimmt an, die Erhebung der Branntweinsteuer stehe in ihrem Fall mit den genannten Vorschriften des primären Gemeinschaftsrechts nicht im Einklang, weil sie zu einer diskriminierenden Besteuerung des aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Erzeugnisses führe. Dabei ist schon der rechtliche Ausgangspunkt der Beschwerdeführerin, dass auf gleichartige inländische Waren keine Branntweinsteuer erhoben werde, im Hinblick auf den Steuerentstehungstatbestand des § 136 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG in Verbindung mit § 130 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG jedenfalls in dieser Allgemeinheit unzutreffend. Vor allem aber berücksichtigt die Beschwerdeführerin nicht hinreichend den Umstand, dass die Branntweinsteuer nach der angegriffenen Entscheidung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BranntwMonG und damit auf der Grundlage eines Tatbestandes entstand und erhoben wurde, der seinerseits die Umsetzung eines gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakts darstellt. Werden – so sieht es § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BranntwMonG vor – Erzeugnisse aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates zu gewerblichen Zwecken bezogen, so entsteht die Steuer dadurch, dass der Bezieher die Erzeugnisse im Steuergebiet in Empfang nimmt. Ausweislich der amtlichen Begründung (BTDrucks 12/3432, S. 81) dient diese Vorschrift der Umsetzung von Art. 7 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABlEG 1992 Nr. L 76 S. 1). Diese Richtlinie ist auf der Grundlage von Art. 99 EWGV (jetzt Art. 93 EG) ergangen und folgt grundsätzlich dem Bestimmungslandprinzip, wonach in Fällen innergemeinschaftlichen Handels eine Ware unter Steueraussetzung vom Ursprungsland in das Bestimmungsland versendet und dort versteuert wird (Kamann, a.a.O., Art. 93 EGV Rn. 23). § 144 BranntwMonG lässt sich als Konkretisierung dieses Prinzips verstehen. Ziel des § 144 BranntwMonG ist es, die Steuer beim Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Ergebnis erst beim Warenempfänger im Steuergebiet entstehen zu lassen; mit dieser Regelung sollte eine Vorschrift abgelöst werden, die dem Binnenmarktprinzip in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht mehr entsprach (BTDrucks 12/3432, a.a.O.). Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die von der Beschwerdeführerin beanstandete Besteuerung der aus einem anderen Mitgliedstaat bezogenen „malt beer base” auf das genannte Prinzip zurückzuführen ist.
Diese gemeinschaftsrechtliche Grundlage des hier maßgeblichen Steuerentstehungstatbestandes spricht indessen gegen den von der Beschwerdeführerin angenommenen Verstoß der angegriffenen Entscheidung gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 90 EG; nichts anderes gilt für die von ihr geltend gemachte Verletzung von Art. 25 und 28 EG. Denn Ziel der Richtlinie 92/12/EWG ist nach ihren Erwägungsgründen gerade ein identischer Steueranspruch in allen Mitgliedstaaten, um die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen. Sie soll gewährleisten, dass der Verbrauchsteueranspruch in allen Mitgliedstaaten unter gleichen Umständen gegeben ist (EuGH, Urteil vom 2. April 1998, Rs. C-296/95 – EMU Tabac u.a., Slg. 1998, S. I-1605 Rn. 22). Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, dass auch unter Berücksichtigung dieser Richtlinie und ihres Zwecks ein Verstoß des Steuerentstehungstatbestandes gegen die als verletzt gerügten Normen des Gemeinschaftsrechts anzunehmen sein könnte, und setzt sich nicht mit den zu dieser Richtlinie ergangenen Entscheidungen des EuGH (Urteile vom 2. April 1998, a.a.O., und vom 5. April 2001, Rs. C-325/99 – van de Water, Slg. 2001, S. I-2729) auseinander. Angesichts des Umstands, dass der EuGH selbst keine Bedenken gegen eine Anwendung des durch § 144 BranntwMonG umgesetzten Art. 7 der Richtlinie 92/12/EWG äußert (Urteil vom 2. April 1998, a.a.O., Rn. 51 f.), ergibt sich von Verfassungs wegen keine Notwendigkeit, den Rechtsstreit unter diesem Gesichtspunkt dem EuGH vorzulegen, zumal die Beschwerdeführerin selbst einräumt, dass sie den von ihr angenommenen Verstoß gegen Art. 90 EG im finanzgerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht hat.
ee) Soweit die Beschwerdeführerin einen Verstoß der angegriffenen Entscheidung gegen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften daraus herleitet, dass das von ihr hergestellte und vertriebene Mischgetränk einer diskriminierenden Besteuerung unterworfen werde, folgt hieraus schon deswegen keine Pflicht zur Vorlage des Rechtsstreits an den EuGH, weil die Besteuerung dieses Mischgetränks nicht Gegenstand der angegriffenen Entscheidung ist.
2. Die angegriffene Entscheidung verletzt auch nicht den allgemeinen Gleichheitssatz. Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG befasst sich die Verfassungsbeschwerde ebenfalls ausschließlich mit der Besteuerung des von der Beschwerdeführerin hergestellten Mischgetränks. Ob diese mit den Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang steht, hatte der Bundesfinanzhof in der angegriffenen Entscheidung nicht zu prüfen.
3. Nichts anderes gilt für den von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Verstoß der angegriffenen Entscheidung gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Diese Rüge stützt die Beschwerdeführerin darauf, dass aus der Qualifikation der von ihr bezogenen „malt beer base” als Branntwein ein Produktionsverbot für das von ihr hergestellte Mischgetränk folge, welches sich aus § 99b Satz 1 BranntwMonG ergebe. Auch dies war jedoch nicht Gegenstand der angegriffenen Entscheidung und wäre daher zunächst in einem fachgerichtlichen Verfahren zu überprüfen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Soweit die angegriffene Entscheidung Ausführungen zu § 99b BranntwMonG enthält, betreffen diese die Frage, welche Folgerungen aus dieser Vorschrift für die Auslegung der hier entscheidungserheblichen Normen zu ziehen sind, ohne dass der Bundesfinanzhof sich zur Verfassungsmäßigkeit des § 99b BranntwMonG abschließend äußern würde.
4. Ebenso liegt kein Verstoß der angegriffenen Entscheidung gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vor. Im Hinblick auf diese Verfassungsnormen beanstandet die Beschwerdeführerin in der Sache lediglich die aus ihrer Sicht unzutreffende Auslegung der hier maßgeblichen Vorschriften des Steuerrechts durch den Bundesfinanzhof; eine Verletzung des Verfassungsrechts lässt sich diesem Vorbringen nicht entnehmen.
5. Eine Zulassung von Herrn Prof. Dr. R. als Beistand nach § 22 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG kommt nicht in Betracht. Zum einen erledigt sich dieser Antrag im Hinblick darauf, dass die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird. Zum anderen kommt eine Zulassung nach dieser Vorschrift, die in das pflichtgemäße Ermessen des Bundesverfassungsgerichts gestellt ist, nur in Betracht, wenn sie objektiv sachdienlich und subjektiv notwendig ist (BVerfGE 68, 360 ≪361≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 1. Februar 1994 – 1 BvR 105/94 –, NJW 1994, S. 1272; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Januar 2001 – 2 BvC 15/99 –, JURIS). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der bloße Hinweis auf den „steuerrechtlich komplexen Sachverhalt” stellt keine hinreichend substantiierte Begründung der Notwendigkeit der Zulassung dar.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
BFH/NV Beilage 2008, 156 |
HFR 2008, 629 |
ZfZ 2008, 81 |
AnwBl 2008, 214 |
BFH/NV-Beilage 2008, 156 |