Erfolglose Verfassungsbeschwerde wegen Lohndiskriminierung
Seit Jahren führt eine Fernsehjournalistin einen medial stark begleiteten Kampf gegen das ZDF um gleiche Entlohnung wie ihre männlichen Kollegen.
Entgelt-Transparenzgesetz gegen das „Gender-Pay-Gap“
Bereits im Jahr 2016 erhob die als Investigationsreporterin für ein Politikmagazin des ZDF tätige Journalistin Klage auf Auskunft über den Verdienst ihrer männlichen Kollegen in vergleichbarer Tätigkeit. Das ArbG wies die Klage in 1. Instanz ab (ArbG Berlin, Urteil v. 1.2.2017, 56 Ca 5356/15). Während des Berufungsverfahrens trat im Jahre 2017 das Entgelt-Transparenzgesetz (EntgTranspG) in Kraft. Seither haben Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Arbeitnehmern einen Anspruch auf Auskunft über die Bezahlung der Kollegen des anderen Geschlechts in vergleichbaren Positionen. Mithilfe dieses Auskunftsanspruchs wollte der Gesetzgeber einen Beitrag dazu leisten, das sogenannte „Gender-Pay-Gap“ endgültig schließen.
LAG verneint die Anwendbarkeit des EntgTranspG auf freie Mitarbeiter
Trotz geänderter Gesetzeslage scheiterte die Klägerin auch im Berufungsverfahren vor dem LAG. Ein Auskunftsanspruch nach § 10 EntgTranspG scheitert nach Ansicht des LAG daran, dass die Klägerin als freie Journalistin für das ZDF tätig war. Der Anwendungsbereich des EntgTranspG erfasse lediglich reguläre Arbeitnehmer. Arbeitnehmerähnliche Personen gehörten nicht dazu. Auch den in der 2. Stufe gestellten Antrag der Klägerin auf Zahlung des sich nach der geforderten Auskunft ergebenden Differenzentgelts wies das LAG ab. Hinsichtlich des Auskunftsantrags ließ das LAG die Revision zu, hinsichtlich der Abweisung des Zahlungsantrags nicht (LAG Berlin, Urteil v. 5.2.2019, 16 Sa 983/18).
EntgTranspG auf arbeitnehmerähnliche Personen anwendbar
Die gegen das Urteil eingelegte Revision der Journalistin hatte teilweise Erfolg. Das BAG stellte klar, dass der Arbeitnehmerbegriff des § 5 EntgTranspG unionsrechtskonform auszulegen ist und auf freie Mitarbeiter Anwendung finden kann, wenn diese - wie die Klägerin - im Rahmen eines unbefristeten Vertrags als „Redakteurin mit besonderer Verantwortung“ auf unbestimmte Zeit auf arbeitnehmerähnliche Weise beschäftigt ist.
Teilweise Verurteilung des ZDF zur Auskunft in 2. Instanz
Das BAG verurteilte das ZDF zur Erteilung der geforderten Auskunft über die Kriterien und das Verfahren der Entgeltfindung. Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs über das konkrete Vergleichsentgelt männlicher Kollegen verwies das BAG den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurück, da insoweit noch Sachaufklärung erforderlich sei. Die Nichtzulassungsbeschwerde betreffend die Zurückweisung des Zahlungsantrages verwarf das BAG als unzulässig (BAG, Urteil v. 25.6.2020, 8 AZR 145/19).
Männliche Vergleichsgruppe verdiente mehr
Die Auskunft hat die Beschwerdeführerin inzwischen vom ZDF erhalten mit dem Ergebnis, dass die Einkünfte in vergleichbaren männlichen Positionen im Jahr 2017 ca. 800 Euro monatlich höher lagen und auch die Zulagen waren für männliche Kollegen großzügiger bemessen.
Verfassungsbeschwerde u.a. wegen Nicht-Vorlage an den EuGH
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die Klägerin die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde sowie die Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Nach Auffassung der Klägerin hätte das BAG die für das Verfahren wichtige Frage der Auslegung und Tragweite des Grundrechts der Gleichheit von Frauen und Männern gemäß Art. 23 Abs. 1 der Charta der Europäischen Union dem EuGH zur Entscheidung vorlegen müssen.
Beschwerdeführerin hat den ordentlichen Rechtsweg nicht ausgeschöpft
Die Verfassungsrichter nahmen die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil die Beschwerdeführerin den Grundsatz der Subsidiarität des BVerfG gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht beachtet habe. Die Beschwerdeführerin habe ihre rechtlichen Möglichkeiten vor den Fachgerichten bisher nicht ausgeschöpft. Die Revision der Beschwerdeführerin habe vor dem BAG im wesentlichen Erfolg gehabt. Nach Erhalt der Auskunft über das männliche Vergleichsentgelt sei die Geltendmachung ihres Anspruchs auf Nachzahlung des Differenzentgeltes bei den Arbeitsgerichten nach dem derzeitigen Stand nicht ohne Aussicht auf Erfolg.
Beschwerdeführerin hat gute Erfolgsaussichten vor den Arbeitsgerichten
Das BAG habe in seine Revisionsentscheidung klargestellt, dass im Falle eines das Entgelt der Beschwerdeführerin übersteigenden Vergleichsentgelts eine rechtliche Vermutung für eine Entgeltbenachteiligung der Beschwerdeführerin streite. Hieraus folge eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, die dazu führe, dass das ZDF gegebenenfalls darlegen und beweisen müsse, aus welchen Gründen eine Abweichung vom Vergleichsentgelt im Falle der Beschwerdeführerin gerechtfertigt sei. Sollte dem ZDF diese Darlegung nicht gelingen, so habe die Beschwerdeführerin höchstwahrscheinlich einen Anspruch auf Nachzahlung des Differenzentgelts. Damit bestehe für die Beschwerdeführerin eine reale Aussicht auf Durchsetzung der von ihr geltend gemachten Rechtspositionen im Rahmen der Arbeitsgerichtsbarkeit. Solange sie diese Möglichkeiten der Rechtsverfolgung nicht ausgeschöpft habe, sei der Weg zum BVerfG nicht gegeben.
Verletzung von Verfassungsrechten auch nicht hinreichend begründet
Die unzulässige Verfassungsbeschwerde sei im übrigen auch im Hinblick auf eine mögliche Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die fehlende Vorlage an den EuGH nicht substantiiert begründet. Unter anderem habe die Beschwerdeführerin nicht hinreichend nachvollziehbar aufgezeigt, inwieweit sie eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts angesichts des derzeitigen für die Beschwerdeführerin nicht aussichtslosen Verfahrensstandes zu befürchten habe.
Die ablehnende BVerfG-Entscheidung hat Erfolgsaussichten nicht geschmälert
Wie inzwischen bekannt wurde, hat die Journalistin bereits am 1.12.2021 Klage auf Zahlung des Differenzentgeltes vor dem Berliner ArbG erhoben. Die Aussichten ihrer Zahlungsklage dürften sich mit der Entscheidung des BVerfG kaum verschlechtert haben. In diesem Sommer wechselt die bisherige ZDF-Journalistin übrigens zu RTL.
(BVerfG, Beschluss v. 1.6.2022, 1 BvR 75/20)
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