Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Verpflichtung der Gerichte zum Rechtsgespräch
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Anwendung allgemeiner Erfahrungsgrundsätze dient der Feststellung von Tatsachen, ist also Teil des richterlichen Subsumtionsvorganges und nicht selbst eine feststellungsbedürftige Tatsache. Die Gerichte sind deshalb nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu derartigen allgemeinen Erfahrungssätzen zu geben oder auf deren Anwendung vorher hinzuweisen.
2. Die Behauptung, die richterlichen Tatsachenfeststellungen seien falsch oder das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen, begründen ebensowenig einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG wie der Umstand, daß das Gericht zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Beteiligten vorgetragenen Tatsachen gekommen ist.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO §§ 76, 155; ZPO § 295 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
Soweit die Beschwerdeführerinnen die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG rügen, ist eine Grundrechtsverletzung nicht erkennbar. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu allen einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen vor deren Erlaß äußern zu können. Die Gerichte sind jedoch weder von Verfassungs wegen zu einem Rechtsgespräch (vgl. BVerfGE 31, 364 ≪370≫) noch zu Hinweisen auf eine mögliche spätere Beweiswürdigung verpflichtet (vgl. Nichtannahmebeschluß vom 17. Januar 1979 – 2 BvR 1055/78 –; HFR 1979, S. 160). Hinweis-, Erörterungs- und Aufklärungspflichten aus dem einfachen Recht unterliegen grundsätzlich nicht der Schutzwirkung des Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 67, 90 ≪96≫ m.w.N.).
Die Anwendung allgemeiner Erfahrungsgrundsätze dient der Feststellung von Tatsachen, ist also Teil des richterlichen Subsumtionsvorganges und nicht selbst eine feststellungsbedürftige Tatsache; (vgl. Tipke/Kruse, AO und FGO, 12. Aufl., § 96 FGO, Tz. 2; Rosenberg/Schwab, Lehrbuch zum Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., S. 703). Die Gerichte sind deshalb nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu derartigen allgemeinen Erfahrungssätzen zu geben oder auf deren Anwendung vorher hinzuweisen.
Soweit die Beschwerdeführerinnen vortragen, das Finanzgericht sei von nicht oder jedenfalls nicht so vorgetragenen Tatsachen ausgegangen, ist die Rüge unzulässig, weil sie es versäumt haben, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten gemäß §§ 107, 108 Abs. 1 FGO eine Korrektur des ihrer Ansicht nach unrichtigen Tatbestandes zu erreichen. Sofern die Beschwerdeführerinnen damit zugleich eine unzutreffende Tatsachenfeststellung durch das Finanzgericht rügen wollen, sind im Rahmen der Prüfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts keine verfassungsrechtlichen Verstöße erkennbar. Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sind allein Sache der Gerichte. Das Bundesverfassungsgericht kann erst bei einer Verletzung von Verfassungsrecht eingreifen (BVerfGE 70, 288 ≪294≫). Es ist nicht seine Aufgabe, Entscheidungen der Gerichte in jeder Hinsicht auf die Richtigkeit der getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu kontrollieren. Deshalb vermag die Behauptung, die richterlichen Tatsachenfeststellungen seien falsch oder das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen, ebensowenig einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu begründen wie der Umstand, daß das Gericht zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Beteiligten vorgetragenen Tatsachen gekommen ist (vgl. BVerfGE 22, 267 ≪273 f.≫).
Die Feststellung des Finanzgerichts hinsichtlich der Aufnahme von Anmeldungen der Patienten sind, wie der Bundesfinanzhof ebenfalls zutreffend festgestellt hat, jedenfalls aufgrund der Niederschrift über die Zeugenvernehmung vom 30. August 1983 möglich und nachvollziehbar. Sie lassen keinen Schluß auf sachfremde, willkürliche Erwägungen zu.
Der behauptete Verfahrensmangel wegen der kurzfristigen Übergabe des Beweisbeschlusses ist durch rügelose Einlassung in der im Anschluß an die Beweisaufnahme fortgesetzten mündlichen Verhandlung geheilt worden (§ 155 FGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO; BVerwG, NJW 1977, S. 314).
Im Rahmen der Beweiserhebung können das Gericht und die Beteiligten in Anbetracht des im Finanzgerichtsverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes (S 76 FGO) auch weitere Fragen an den Zeugen stellen. Wenn der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerinnen in der mündlichen Verhandlung auf Einzelheiten der tatsächlichen Benutzung der Eingangs-Diele für Praxiszwecke ohne weitere Erkundigungen bei den im Termin nicht anwesenden Beschwerdeführerinnen nicht sofort erwidern konnte, so hätte er gegebenenfalls eine Vertagung entsprechend § 227 Abs. 1 ZPO beantragen müssen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 34 Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen