Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordnungsgemäße Besetzung der Finanzgerichte in Hessen; Besoldung der Finanzrichter
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der ordnungsmäßigen Besetzung der Finanzgerichte
Ausf. Ges. zur FGO v. 17.12.1965
Normenkette
FGO § 2; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Hessisches FG (Vorlegungsbeschluss vom 29.04.1968; Aktenzeichen IV 2120/66) |
Hessisches FG (Vorlegungsbeschluss vom 26.04.1968; Aktenzeichen B I 114/67) |
Hessisches FG (Vorlegungsbeschluss vom 22.04.1968; Aktenzeichen B III 26/68) |
Tenor
Die Vorlagen sind unzulässig.
Tatbestand
I.
Der I., III. und IV. Senat des Hessischen Finanzgerichts in Kassel haben drei bei ihnen anhängige Verfahren, in denen nur noch eine Entscheidung aussteht, die ohne Beiziehung der ehrenamtlichen Finanzrichter ergehen kann, ausgesetzt und die von ihnen verneinte Frage, ob das Hessische Ausführungsgesetz zur Finanzgerichtsordnung und die hessische Besoldungsregelung für die Finanzrichter mit dem Bundesrecht vereinbar ist, gemäß Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Sie vertreten, die Auffassung, sie konnten in der Sache nicht entscheiden, weil das Hessische Finanzgericht entgegen der bundesgesetzlichen Regelung nicht als „oberes Landesgericht” ausgestaltet sei; es fehle an der einem oberen Landesgericht angemessenen besoldungsrechtlichen Einstufung seiner Richter; deshalb sei es nicht ordnungsgemäß, d.h. nicht mit dem „gesetzlichen Richter” besetzt (§ 119 Ziff. 1 FGO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
Entscheidungsgründe
II.
1. a) Nach § 2 der Finanzgerichtsordnung vom 6. Oktober 1965 (BGBl I S. 1477) – FGO – sind Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit erster Instanz „in den Ländern die Finanzgerichte als obere Landesgerichte”. Gericht zweiter Instanz ist der Bundesfinanzhof.
Die Finanzgerichte – bestehend „aus dem Präsidenten, den Senatspräsidenten und weiteren Richtern in der erforderlichen Anzahl” – entscheiden in Senaten, die besetzt sind mit drei Richtern und zwei ehrenamtlichen Finanzrichtern; letztere wirken bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung nicht mit (§ 4 FGO).
Nach §§ 35, 37 FGO entscheidet das Finanzgericht im ersten Rechtszug über alle Streitigkeiten, für die der Finanzrechtsweg offensteht, soweit nicht eine erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs gegeben ist
An dem zweistufigen Aufbau der Finanzgerichtsbarkeit hat also die Finanzgerichtsordnung nichts geändert.
b) Das Hessische Ausführungsgesetz zur Finanzgerichtsordnung vom 17. Dezember 1965 (GVBl S. 345) – HessAGFGO – hat sich darauf beschränkt, das bisherige Finanzgericht des Landes als Gericht im Sinne des § 2 FGO zu bestätigen (§ 1) und zu bestimmen, daß die Finanzgerichtsdirektoren künftig die Amtsbezeichnung Senatspräsident beim Finanzgericht führen (§ 8).
2. a) Besoldungsrechtlich waren die Richter am Hessischen Finanzgericht ebenso wie in den meisten anderen Ländern vor Inkrafttreten der Finanzgerichtsordnung wie die Richter an den anderen erstinstanzlichen Gerichten eingestuft; die Finanzgerichtsdirektoren wurden als Kammervorsitzende nach der Besoldungsgruppe A 15, die Finanzgerichtsräte (zuletzt) bis zur 8. Dienstaltersstufe nach der Besoldungsgruppe A 13 und ab der 9. Dienstaltersstufe nach der Besoldungsgruppe A 14 besoldet.
b) Das Bundesbesoldungsgesetz vom 27. Juli 1957 (BGBl I S. 993) in der Fassung des Ersten Besoldungsneuregelungsgesetzes vom 6. Juli 1967 (BGBl I S. 629) – 1. BesNG – hat in Kapitel III – den sogenannten Rahmenvorschriften – in § 53 in Verbindung mit § 5 für die Richter aller erstinstanzlichen Gerichte – Verwaltungsgerichtsrat, Amtsgerichtsrat, Arbeitsgerichtsrat, Finanzgerichtsrat, Landgerichtsrat, Sozialgerichtsrat – als Eingangsstufe die Besoldungsgruppe A 13 verbindlich gemacht, den Finanzgerichtsrat jedoch von der 13. Dienstaltersstufe dem Verwaltungsgerichtsdirektor, dem Landessozialgerichtsrat, Oberlandesgerichtsrat und Oberverwaltungsgerichtsrat gleichgestellt und in die Besoldungsgruppe A 15 eingestuft. Die in § 6 1. BesNG enthaltene Übergangsregelung gestattet den Ländern, vorübergehend eine günstigere Einstufung aufrechtzuerhalten.
c) Mit dem Ersten Gesetz zur Neuregelung des Hessischen Besoldungsrechts vom 18. Dezember 1967 (GVBl S. 209) – 1. HBesNG – hat das Land Hessen sein Besoldungsrecht den neuen Rahmenvorschriften des Bundes angepaßt. Ab 1. Januar 1968 werden nunmehr die Finanzgerichtsräte bis zur 7. Dienstaltersstufe nach der Besoldungsgruppe A 13, bis zur 12. Dienstaltersstufe nach der Besoldungsgruppe A 14 und ab der 13. Dienstaltersstufe, die im Regelfall mit dem 45. Lebensjahr erreicht wird, nach der Besoldungsgruppe A 15 besoldet. Für den auf Lebenszeit zum Vertreter des Finanzgerichtspräsidenten bestellten Senatspräsidenten ist eine Besoldung nach der Besoldungsgruppe B 2 vorgesehen und für die übrigen Senatspräsidenten beim Finanzgericht die Besoldungsgruppe A 16. Demgegenüber werden die Oberlandesgerichtsräte, die Oberverwaltungsgerichtsräte und die Landessozialgerichtsräte von ihrer Ernennung ab nach der Besoldungsgruppe A 15 besoldet, die Senatspräsidenten an diesen Gerichten nach der Besoldungsgruppe B 2.
III.
Die Vorlagen, die zur gemeinsamen Entscheidung verbunden wurden, sind unzulässig:
Die vorlegenden Senate gehen vom Prozeßrecht aus, das für das finanzgerichtliche Verfahren gilt, und prüfen von da her, ob die in den Ausgangsverfahren zur Entscheidung berufenen Spruchkörper des Finanzgerichts „ordnungsgemäß besetzt” sind. Diese allgemeine Frage hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden. Es ist nur zuständig unter zwei verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten:
1. Es ist zuständig, darüber zu befinden, ob die vorlegenden Spruchkörper der „gesetzliche Richter” im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sind. Eine solche Vorlage nach Art. 100 GG ist aber nur zulässig, wenn die Begründung der Vorlage ergibt, daß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts, sofern sie nicht unhaltbar ist, überhaupt verletzt sein kann.
a) Die Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann verletzt sein, wenn die Institution, innerhalb der der „Richter” zu entscheiden oder mitzuentscheiden berufen ist, kein Gericht ist (BVerfGE 10, 200 [213]). Derartiges ist nicht vorgetragen und kann nicht vorgetragen werden; das Hessische Finanzgericht ist nach seiner Verfassung zweifelsfrei ein echtes Gericht. Am „gesetzlichen Richter” kann es außerdem fehlen, wenn nicht durch Gesetz und Geschäftsverteilungsplan so genau wie möglich im voraus bestimmt ist, an welchen anhängig werdenden Verfahren die einzelnen Richter mitzuwirken berufen sind (BVerfGE 6, 45 [50 f]; 17, 294 [298 f.]; 20, 336 [344]). Behauptungen in dieser Richtung sind ebenfalls nicht aufgestellt worden; insoweit sind auch keinerlei Bedenken ersichtlich. Das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters kann schließlich dann verletzt sein, wenn es in der Person des Richters an der persönlichen oder sachlichen Unabhängigkeit fehlt (BVerfGE 4, 412 [416]; 21, 139 [146 f.]). Auch insoweit ist nichts vorgetragen und ersichtlich, was mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar sein könnte.
b) Vorgetragen, aber schlechthin unhaltbar ist die Auffassung der vorlegenden Senate, daß eine „unrichtige” besoldungsrechtliche Einstufung der Richter des Hessischen Finanzgerichts, sofern sie nicht deren richterliche Unabhängigkeit tangiert, den „gesetzlichen Richter” in Frage stellen und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen könnte. Daß die gegenwärtige Besoldungsregelung für die hessischen Finanzrichter unzureichend im Hinblick auf die ihnen garantierte richterliche Unabhängigkeit ist, kann ernstlich nicht behauptet werden.
Unhaltbar ist auch die Auffassung der vorlegenden Senate, daß eine „unrichtige” besoldungsrechtliche Einstufung der hessischen Finanzrichter den Rang des Finanzgerichts als eines oberen Landesgerichts und dadurch die Verfassungsgarantie des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen könnte.
c) Soweit die nicht ordnungsgemäße Besetzung des Finanzgerichts darin gesehen wird, daß die Finanzrichter nicht gesetzliche Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sind, weil sie besoldungsrechtlich nicht ebenso eingestuft sind wie die Richter der anderen oberen Landesgerichte, entbehrt demnach die Vorlage der in § 80 Abs. 2 BVerfGG geforderten Begründung.
2. Das Bundesverfassungsgericht ist auch zuständig, die Frage zu entscheiden, ob eine landesrechtliche Regelung mit einfachem Bundesrecht vereinbar ist, hier also, ob die gegenwärtige hessische Besoldungsregelung der Finanzrichter mit § 2 FGO und mit den Rahmenvorschriften des Bundesbesoldungsgesetzes vereinbar ist.
Diese Frage und ihre Beantwortung ist aber für die Entscheidung der vorlegenden Senate offensichtlich nicht entscheidungserheblich: Gleichgültig ob die Einstufung der hessischen Finanzrichter im hessischen Besoldungsrecht mit § 2 FGO und mit den Rahmenvorschriften des Bundesbesoldungsgesetzes vereinbar oder unvereinbar ist, die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung der Senate kann in keinem Fall berührt sein. Ist die landesrechtliche Besoldungsregelung mit den angegebenen bundesrechtlichen Vorschriften vereinbar, so kann daraus von vornherein kein Bedenken gegen die ordnungsgemäße Besetzung der Senate hergeleitet werden. Ist die landesrechtliche Besoldungsregelung mit den genannten bundesrechtlichen Vorschriften unvereinbar, so bleiben die Finanzrichter im Genuß ihrer bisherigen Bezüge bis zu einer (günstigeren) Regelung, die mit jenem Bundesrecht vereinbar ist. Ihre richterliche Unabhängigkeit würde also nicht berührt (vgl. oben zu 1. b) 1. Absatz). Dies vorausgesetzt, ist ein Gericht auch dann im Sinne der Prozeßordnung ordnungsgemäß besetzt, wenn die mitwirkenden Richter recht haben sollten mit ihrer Auffassung, daß die sie betreffende landesrechtliche Besoldungsregelung mit einer den Status ihres Gerichts oder den Besoldungsrahmen regelnden bundesrechtlichen Vorschrift unvereinbar ist. Die „unrichtige” besoldungsrechtliche Einstufung der Richter hat hier also nicht nur mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern auch mit der ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts nichts zu tun.
Fundstellen
BStBl II 1968, 467 |
BVerfGE 23, 321 |
BB 1968, 615 |
DB 1968, 931 |