Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinderfreibetrag für Vater eines nichtehelichen Kindes
Leitsatz (amtlich)
Bei verfassungskonformer Auslegung der Kinderfreibetragsregelung im Einkommensteuergesetz (§ 32 Abs. 2 Nr. 1 und 3) steht dem Vater eines nichtehelichen Kindes ein Kinderfreibetrag zu, wenn er mit Mutter und Kind im gemeinsamen Haushalt lebt und die Mutter kein zu versteuerndes Einkommen bezieht.
Normenkette
ErbStG § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. D; EStG § 32 Abs. 2 Nrn. 1, 3; GG Art. 3 Abs. 1
Tenor
§ 32 Absatz 2 Nummer 1 und 3 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1965 (EStG 1965) – Bundesgesetzbl. I S. 1901 – ist in der sich aus den Gründen ergebenden Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar.
Tatbestand
Die Vorlage betrifft die Verfassungsmäßigkeit der Kinderfreibetragsregelung im Einkommensteuergesetz 1965, nach der die Väter nichtehelicher Kinder für diese Kinder keinen Kinderfreibetrag erhalten.
A.
I.
Die finanzielle Belastung der Eltern für den Unterhalt von Kindern wird im Einkommensteuergesetz in der Fassung vom 10. Dezember 1965 (EStG 1965) – BGBl I S. 1901 – grundsätzlich durch den Abzug von Kinderfreibeträgen berücksichtigt. § 32 Abs. 2 enthält dazu folgende Bestimmung:
(2) Kinderfreibeträge
- Kinderfreibeträge stehen dem Steuerpflichten für Kinder zu, die im Veranlagungszeitraum mindestens vier Monate das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten.
- …
Kinder im Sinne der Ziffern 1 … sind
- eheliche Kinder,
- eheliche Stielkinder,
- für ehelich erklärte Kinder,
- Adoptivkinder,
- uneheliche Kinder (jedoch nur im Verhältnis zur leiblichen Mutter),
- Pflegekinder.
Als Kinderfreibeträge sind abzuziehen
für das erste Kind |
1 200 Deutsche Mark, |
für das zweite Kind |
1 680 Deutsche Mark, |
für jedes weitere Kind |
1 800 Deutsche Mark. |
Danach kann der Vater eines nichtehelichen Kindes für dieses keinen Kinderfreibetrag beanspruchen. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 32 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1965.
Die Mutter eines nichtehelichen Kindes kann neben dem Kinderfreibetrag einen Sonderfreibetrag von 1 200 DM erhalten (§ 32 Abs. 3 Nr. 1 b). Hingegen kann der Vater eines nichtehelichen Kindes nach § 33 a Abs. 1 für seine Unterhaltsleistungen nur einen Freibetrag für außergewöhnliche Belastungen bis zu 1 200 DM verlangen.
Diese Regelung ist auch in den späteren Fassungen des Einkommensteuergesetzes beibehalten worden.
II.
1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens beim FG ist verheiratet, lebt jedoch von seiner Ehefrau seit 1954 getrennt. Mit seinen beiden 1961 und 1964 geborenen nichtehelichen Kindern sowie mit deren Mutter führt er einen gemeinsamen Haushalt. Er bestreitet allein den Unterhalt seiner Kinder und deren Mutter, da diese keinerlei eigene Einkünfte hat. Die beabsichtigte Heirat des Klägers mit der Kindesmutter war bisher nicht möglich, da die Ehefrau des Klägers mit einer Scheidung nicht einverstanden ist. Auch eine Adoption der Kinder durch den Kläger scheiterte, da seine Ehefrau die Einwilligung verweigerte.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 1965 beantragte der Kläger des Ausgangsverfahrens, ihm für beide nichtehelichen Kinder Kinderfreibeträge in Höhe von insgesamt 2 880 DM (1 200 DM + 1 680 DM) einzuräumen. Das FA entsprach diesem Antrag nicht und zog lediglich Freibeträge nach § 33 a Abs. 1 in Höhe von insgesamt 2 400 DM ab. Es vertrat die Auffassung, nach § 32 Abs. 2 begünstigte Kindschaftsverhältnisse seien nicht gegeben. Die nichtehelichen Kinder seien auch nicht als Pflegekinder des Klägers anzusehen, da sie nicht aus der Obhut und Fürsorge der leiblichen Mutter ausgeschieden seien.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrt der Kläger weiterhin den Ansatz von Kinderfreibeträgen. Nach seiner Auffassung besteht zwischen ihm und jedem seiner nichtehelichen Kinder ein Pflegekindschaftsverhältnis, weil er allein für den Unterhalt der beiden Kinder aufkomme und auch sonst in jeder Hinsicht für sie sorge.
2. Das vorlegende Gericht sieht sich an der Gewährung eines Kinderfreibetrags durch die Vorschrift des § 32 Abs. 2 Nr. 3 e gehindert. Da es jedoch den generellen Ausschluß des Vaters eines nichtehelichen Kindes von der Vergünstigung des Kinderfreibetrags wegen einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG für verfassungswidrig hält, hat es dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt,
ob es mit dem Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu vereinbaren ist, daß dem Vater eines unehelichen Kindes, der mit dem unehelichen Kind und der Kindesmutter in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, selbst dann ein Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 2 EStG nicht zusteht, wenn die Kindesmutter keine eigenen Einkünfte hat.
Durch die mit der Einräumung eines Kinderfreibetrags verbundene steuerliche Entlastung solle dem Begünstigten der Unterhalt der Kinder, die durch besondere familiäre Bindung seiner Obhut anvertraut seien, erleichtert werden. Folgerichtig habe der Gesetzgeber neben dem ehelichen Kind weitere Kindschaftsverhältnisse in diese Regelung einbezogen. Da die nichtehelichen Kinder im allgemeinen ausschließlich der Obhut und Pflege ihrer Mutter überlassen seien und da deren Beanspruchung zumeist stärker sei als die des nichtehelichen Vaters, sei es zwar gerechtfertigt, daß der Freibetrag für ein nichteheliches Kind grundsätzlich der Mutter zugebilligt werde. Wenn jedoch, wie im vorliegenden Fall, der Vater mit der Mutter des nichtehelichen Kindes in eheähnlicher Gemeinschaft lebe und für den Unterhalt allein aufkomme, liege kein einleuchtender Grund vor, ihm nicht anstelle der Mutter, bei der sich ein Kinderfreibetrag mangels eigener Einkünfte nicht auswirke, den Kinderfreibetrag einzuräumen.
Im Anschluß an die Rechtsprechung des BFH (Entscheidung des Großen Senats vom 25. Januar 1971 – BStBl 1971 II S. 274 –) hält es das vorlegende Gericht für ausgeschlossen, bei dem im Ausgangsverfahren gegebenen Sachverhalt dem nichtehelichen Vater einen Freibetrag für das Kind als „Pflegekind” zuzubilligen, da das Kind nicht aus dem natürlich und rechtlich begründeten Obhuts- und Pflegeverhältnis zu seiner Mutter ausgeschieden sei. Bei Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses würde sowohl dem nichtehelichen Vater als auch der Mutter ein Kinderfreibetrag und möglicherweise der Sonderfreibetrag nach § 32 Abs. 3 Nr. 1 b zugebilligt werden, während nicht getrennt lebende Eheleute insgesamt nur einen Kinderfreibetrag erhielten.
3. Der BdF, der sich namens der Bundesregierung geäußert hat, hält die Regelung des Kinderfreibetrags für nichteheliche Kinder für verfassungsgemäß.
Art. 6 Abs. 5 GG werde nicht verletzt, da es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen diesem Verfassungsgebot und der Kinderfreibetragsregelung des Einkommensteuerrechts gebe. Diese betreffe ausschließlich den Steuerpflichtigen. Der Unterhaltsanspruch des nichtehelichen Kindes sei dagegen unabhängig von der dem Vater etwa zustehenden steuerlichen Ermäßigung. Zudem seien nach der geltenden Gesetzeslage die den Eltern eines nichtehelichen Kindes insgesamt zustehenden steuerlichen Vergünstigungen (Kinderfreibetrag und Sonderfreibetrag für nichteheliche Mutter; Anerkennung der Unterhaltsleistung als außergewöhnliche Belastung für den Vater) höher als die für Eltern eines ehelichen Kindes. Zwar wirke sich im Ausgangsverfahren der der nichtehelichen Mutter nach dem Gesetz zustehende Kinderfreibetrag nicht aus. Wenn demgegenüber in häuslicher Gemeinschaft lebende verheiratete Eltern die ihnen für ihre gemeinsamen Kinder eingeräumten Freibeträge ohne Rücksicht darauf geltend machen könnten, welcher Elternteil zu versteuernde Einkünfte beziehe, so beruhe diese Möglichkeit allein auf dem in Vollzug des Art. 6 Abs. 1 GG eingeführten Institut der Zusammenveranlagung, also nicht einer Bevorzugung ehelicher Kinder gegenüber nichtehelichen.
Durch § 32 Abs. 3 Nr. 3 e werde auch der Gleichheitssatz, insbesondere das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG nicht verletzte. Das Einkommensteuergesetz 1965 habe an die damals noch nicht durch Art. 6 Abs. 5 GG derogierte überkommene bürgerlich-rechtliche Regelung des Nichtehelichenrechts anknüpfen können, nach der familienrechtliche Bindungen nur zwischen der Mutter und dem nichtehelichen Kind beständen und die Beziehungen zu dem Vater sich auf eine schuldrechtliche Zahlungspflicht reduziert hätten. Bei der häufig mangelnden Zahlungsmoral des Vaters hätte auch der finanzielle Unterhalt in erster Linie von der Mutter aufgebracht werden müssen. Diesen Gegebenheiten habe § 32 Abs. 2 Rechnung getragen, während die tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen des Vaters als außergewöhnliche Belastungen steuerlich ausreichend berücksichtigt worden seien.
Entscheidungsgründe
B.
Die Vorlage ist zulässig.
Das vorlegende Gericht hat dargetan, daß es die Versagung des Kinderfreibetrags an den nichtehelichen Vater für verfassungswidrig hält. Seine auf die Rechtsprechung des BFH (vgl. die erwähnte Entscheidung des Großen Senats sowie die Entscheidung des VI. Senats vom 8. November 1972 – BStBl 1973 II S. 223 –) gestützte Ansicht, ein zur Einräumung eines Kinderfreibetrags berechtigendes Pflegeverhältnis zwischen dem nichtehelichen Vater und dem nichtehelichen Kind bestehe nicht, da das Kind aus dem Obhuts- und Pflegeverhältnis zu seiner Mutter nicht ausgeschieden sei, ist für die Prüfung der Zulässigkeit der Vorlage vertretbar. Von diesem Ausgangspunkt her hängt die Entscheidung von der Gültigkeit der Kinderfreibetragsregelung in § 32 Abs. 2 ab.
Das vorlegende Gericht hat zutreffend die ganze Bestimmung des § 32 Abs. 2 Nr. 3 zur verfassungsgerichtlichen Nachprüfung gestellt und diese nicht auf die Definition in § 32 Abs. 2 Nr. 3e beschränkt; es handelt sich bei der gesamten Kinderfreibetragsregelung in § 32 Abs. 2 Nr. 3 um eine einheitliche, zusammenhängende Norm. Andererseits war die Vorlage auf die Prüfung des § 32 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Nr. 3 zu beschränken. Es handelt sich im Ausgangsverfahren um Kinder unter 18 Jahren. Der Gesetzgeber unterscheidet hinsichtlich der Gewährung von Kinderfreibeträgen zwischen Kindern von unter und über 18 Jahren.
C.
I.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 32 Abs. 2 Nr. 3 e EStG 1965, nach dem „uneheliche Kinder (jedoch nur im Verhältnis zur leiblichen Mutter)” für die Kinderfreibetragsregelung als Kinder gelten, kann ein Steuerpflichtiger in seiner Eigenschaft als nichtehelicher Vater keinen Kinderfreibetrag erhalten. Rechtsprechung und Schrifttum gingen – letzteres zumindest für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl I S. 1243) – von der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung aus (v. Mangoldt-Klein, Grundgesetz, 2. Aufl., Anm. VI 2 zu Art. 6; Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., 1972, Anm. 3 e zu § 32; Hartmann-Böttcher-Grass, Großkommentar zur Einkommensteuer, Loseblattsammlung, Stand April 1973, Anm. 4e zu § 32; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 15. Aufl. 1972, Anm. 28 zu § 32).
Der Vater eines nichtehelichen Kindes ist somit gegenüber einem ehelichen Vater, den diesem nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 gleichgestellten Personen und auch gegenüber der nichtehelichen Mutter jedenfalls dann wegen der Höhe des Freibetrags benachteiligt, wenn das nichteheliche Kind nicht das einzige, zu einer Steuerermäßigung berechtigende Kind ist, da der für das zweite Kind in Höhe von 1 680 DM und für jedes weitere Kind in Höhe von 1 800 DM zu gewährende Kinderfreibetrag schon den für den nichtebelichen Vater als außergewöhnliche Belastung höchstens mit 1 200 DM erreichbaren Abzug vom Einkommen übersteigt. Die Benachteiligung kann unter anderem dadurch verschärft werden, daß die mit der Einräumung eines Kinderfreibetrags verbundenen sonstigen steuerlichen Erleichterungen wie die Erhöhung der beschränkt abzugsfähigen Sonderausgaben (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG) und die Gewährung eines Sonderfreibetrags (§ 32 Abs. 3 Nr. 1 b) die Einräumung eines Kinderfreibetrags voraussetzen.
II.
Ob diese verschiedene Behandlung in vollem Umfang mit dem Grundgesetz vereinbar ist, braucht nicht entschieden zu werden. Für den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt, bei dem der nichteheliche Vater nicht nur mit dem Kind, sondern auch mit der Mutter in einem gemeinsamen Haushalt lebt, beide unterhält und mit der Mutter gemeinsam die Obhut und Pflege der Kinder ausübt, widerspricht die Benachteiligung jedenfalls der in Art. 6 Abs. 5 GG enthaltenen Wertentscheidung, die der Gesetzgeber auch im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes zu beachten hat (BVerfGE 22, 163 [172 f.] mit weiteren Nachweisen).
1. Zwar ist Art. 6 Abs. 5 GG nur eine Schutznorm zugunsten der nichtehelichen Kinder, indem er gebietet, ihnen die gleichen Entwicklungsbedingungen zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Die fraglichen Steuerfreibeträge stehen dagegen nur den Eltern der verschiedenen Kinder zu. Zudem war der Unterhaltsanspruch des nichtehelichen Kindes nach den im Jahre 1965 gültigen familienrechtlichen Bestimmungen nicht vom Nettoeinkommen des Vaters und damit von dessen Belastung abhängig. Mittelbar berührt die zu prüfende Regelung jedoch auch die wirtschaftliche Stellung der Kinder. Die zu gewährenden Freibeträge stärken in der Regel die finanzielle Leistungsfähigkeit der Unterhaltspflichtigen und dienen bereits deshalb auch den Interessen des Unterhaltsberechtigten. Zudem wird der Verpflichtete, auch wenn der zu zahlende Unterhalt nicht von der Höhe seines Nettoeinkommens abhängt, sich moralisch stärker verpflichtet fühlen, wenn er dafür wenigstens einen gewissen finanziellen Ausgleich erhält (BVerfGE 17, 148 [153 f.]).
2. Allerdings ist die finanzielle Auswirkung der gesetzlichen Freibetragsregelung und damit auch ihre mittelbare Bedeutung für die nichtehelichen Kinder je nach den Einkommensverhältnissen der Eltern verschieden. Beziehen sowohl der Vater als auch die Mutter des nichtehelichen Kindes der Einkommensbesteuerung unterliegende Einkünfte, so kommt bereits der Mutter eines nichtehelichen Kindes die gleiche Vergünstigung zugute wie zusammenlebenden verheirateten Eltern. Der nichteheliche Vater erhält außerdem den Freibetrag nach § 33 a EStG. Dagegen wirkt sich der reguläre Kinderfreibetrag nicht aus, wenn die Mutter keine der Einkommensteuer unterliegende Einkünfte hat.
Die hier in Frage kommende Kinderfreibetragsregelung des § 32 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 setzt bei allen Begünstigten nach dem Wortlaut nicht voraus, daß der Kinderfreibetrag sich tatsächlich im Sinn einer Verminderung des zu versteuernden Einkommens auswirkt. Im Gegensatz zur früheren Gesetzeslage ist es auch nicht erforderlich, daß bei Kindern unter 18 Jahren den Kindern tatsächlich Unterhalt geleistet wird. Die Regelung beruht jedoch auf dem Gedanken, daß dem Steuerpflichtigen, der für den Unterhalt eines Kinder aufkommt, zur Erfleichterung der Unterhaltslast ein Kinderfreibetrag gewährt wird (Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., 1972, Anm. 3b zu § 32), wenn er ein zu versteuerndes Einkommen bezieht.
Eine Gesamtbetrachtung des § 32 Abs. 2 Nr. 3 ergibt, daß der Gesetzgeber alle denkbaren dem natürlichen Eltern-Kindverhältnis entsprechenden Beziehungen erfassen wollte, indem er außer für ein nichteheliches Kind im Verhältnis zu seiner Mutter für eheliche Stiefkinder, ehelich erklärte Kinder, Adoptivkinder und Pflegekinder einen Kinderfreibetrag einräumte; der nichteheliche Vater erhält danach in der Regel den Kinderfreibetrag z.B. auch dann, wenn er das Kind in seinen Haushalt aufnimmt und dieses dort durch seine Ehefrau oder eine angestellte Kraft betreut wird. Die Grundkonzeption geht also dahin, daß die Betreuung eines Kindes jedenfalls bei einem der in Betracht kommenden Steuerpflichtigen zur Gewährung eines Kinderfreibetrags führen soll. Damit ist es nicht vereinbar, wenn diese Vergünstigung nur deswegen gänzlich entfällt und das Kind mittelbar benachteiligt wird, weil bei der besonderen hier gegebenen Sachgestaltung das Kind beim Vater nicht von einer „fremden” Frau, sondern von der eigenen Mutter betreut und diese dadurch an einer Erwerbstätigkeit gehindert wird. Dabei handelt es sich, wie auch die wiederholte Befassung des Reichs- und Bundesfinanzhofs mit diesem Sachverhalt zeigt, nicht nur um zu vernachlässigende atypische Einzelfälle (vgl. RFH, RStBl 1936 S. 695; 1943 S. 274; BFH, BStBl 1963 III S. 124; 1971 II S. 274; DB 1961 S. 728 und 1570). Die Zielsetzung des Kinderfreibetrags, den Unterhalt und die Pflege des Kindes zu erleichtern, kann bei diesem Sachverhalt nur durch die Gewährung eines Kinderfreibetrags an den Vater verwirklicht werden. Es würde gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 5 GG verstoßen, wenn der nichteheliche Vater in diesem Falle nicht in den Genuß des vollen Kinderfreibetrags und der damit zusammenhängenden weiteren Vergünstigungen für ein von ihm unterhaltenes Kind kommen würde. Könnte § 32 Abs. 2 Nr. 3 – wie das vorlegende Gericht meint – nur so verstanden werden, so müßte diese Bestimmung für verfassungswidrig erklärt werden.
III.
Eine solche zu einer Verfassungswidrigkeit führende Auslegung des § 32 Abs. 2 Nr. 3 ist jedoch nicht die allein mögliche. Durch verfassungskonforme Auslegung des Begriffs „Kinder” in § 32 Abs. 2 Nr. 3 a bis f läßt sich für den hier zu beurteilenden Sachverhalt eine mit der Verfassung vereinbare Rechtslage herstellen. Zur Erreichung dieses Zieles bieten sich verschiedene Möglichkeiten an.
1. Zunächst muß betont werden, daß die vom vorlegenden Gericht im Anschluß an die Rechtsprechung des BFH (a.a.O.) zugrunde gelegte Auslegung des Begriffs „Pflegekind” nicht zwingend ist. Wie auch der Große Senat des BFH ausgeführt hat, könnte bei der Auslegung im Rahmen des Wortsinns ein Pflegekindschaftsverhältnis auch dann anerkannt werden, wenn die nichtehelichen Eltern einen gemeinsamen Haushalt führen und dem Kind in diesem Rahmen Obhut und Pflege in gleichem Umfang zuwenden, wie wenn sie miteinander verheiratet wären (vgl. auch RFH, RStBl 1936 S. 695; 1937 S. 167; 1943 S. 274). Da Pflegekinder den Abkömmlingen eines Steuerpflichtigen, den ehelichen Stiefkindern, den für ehelich erklärten Kindern, den Adoptivkindern und den nichtehelichen Kindern im Verhältnis zu ihrer Mutter in steuerlicher Hinsicht gleichgestellt werden, kann ein Pflegekindschaftsverhältnis auch dann angenommen werden, wenn die tatsächliche Stellung dieser Kinder und der übrigen Kindergruppen im wesentlichen gleich ist. Das ist der Fall, wenn sie von ihren Pflegeeltern dauernd wie leibliche Kinder betreut, in der Regel in der Familie aufgenommen und die Kosten ihres Unterhalts überwiegend getragen werden (Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 10. Aufl., 1972, § 32 Rdnr. 36). Wenn die leiblichen Eltern in eheähnlicher Gemeinschaft zusammenleben und der Vater für den Unterhalt des Kindes und der Mutter aufkommt, ist anzunehmen, daß er – mit der Mutter zusammen – ähnlich einem ehelichen Vater Obhut und Pflege des Kindes ausübt. Es ist durchaus denkbar, ja sogar wahrscheinlich, daß durch die Vereinigung der nichtehelichen Eltern mit ihrem Kind in einem Haushalt das familienähnliche Verhältnis zum Kind noch gefördert wird (vgl. BSG 20, 26). Eine Auslegung des Begriffs Pflegekind in diesem Sinn darf freilich nicht dazu führen, daß der nichteheliche Vater und die Mutter, wenn beide zur Einkommensteuer heranzuziehende Einkünfte beziehen, je einen Kinderfreibetrag erhalten und damit bessergestellt werden als verheiratete Eltern; die Zubilligung zweier Kinderfreibeträge in diesem Fall wäre mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Schutzes von Ehe und Familie unvereinbar.
2. Zu einem mit der Verfassung vereinbaren Ergebnis könnte man aber auch auf einem anderen Weg gelangen. Das oben geschilderte System, das dahingeht, daß für die Betreuung eines Kindes jedenfalls einem der in Frage kommenden Steuerpflichtigen ein Kinderfreibetrag zuzuwenden ist, war vom Gesetzgeber als abschließend gedacht. Der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt zeigt jedoch, daß es Fälle gibt, die sich bei wörtlicher Auslegung des Gesetzes unter keinen der enumerativ aufgezählten Tatbestände einreihen lassen, obwohl sie in tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht diesen gleichstehen. Die hier sichtbar werdende Lücke hätte der Gesetzgeber, wenn er sie erkannt hätte, unter dem Einfluß des verfassungsrechtlichen Auftrags auf Gleichstellung der nichtehelichen Kinder sicherlich in dem Sinn geschlossen, daß er die Regelung des § 32 Abs. 2 Nr. 3 auch auf sie erstreckt hätte. Diese Lücke kann der Richter im Wege der Analogie schließen.
Fundstellen
BStBl II 1974, 92 |
BVerfGE 36, 126 |
BVerfGE, 126 |
DB 1974, 72 |
NJW 1974, 268 |