Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßkostenhilfe bei Rechtsmittel des Gegners in einer höheren Instanz im Verwaltungsprozeß
Leitsatz (amtlich)
Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Anwendung der ZPO § 119 Satz 2.
Leitsatz (redaktionell)
Die Anwendung des Grundsatzes des § 119 Abs. 2 ZPO erscheint im Verwaltungsprozeß sachlich eher noch zwingender als im Zivilprozeß.
Normenkette
ZPO § 119 S. 2; GG Art. 3 Abs. 1; VwGO § 166; FGO § 142
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 14.06.1983; Aktenzeichen A 12 S 334/82) |
Gründe
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gewährung von Prozeßkostenhilfe im Verwaltungsstreitverfahren.
I.
1. Der Beschwerdeführer, ein srilankischer Staatsangehöriger hinduistischen Glaubens, beantragte mit Schriftsatz vom 9. Mai 1980 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Die für seinen Aufenthaltsort zuständige Ausländerbehörde, das Landratsamt Heilbronn, erteilte ihm daraufhin mit Verfügung vom 4. Juni 1980 eine – später mehrfach verlängerte – ausländerrechtliche Duldung seines Aufenthalts (vgl. § 17 AuslG), welcher unter anderem die Nebenbestimmung „Erwerbstätigkeit nicht gestattet” beigefügt war.
2. Wegen dieser Nebenbestimmung erhob der Beschwerdeführer nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart. Er begehrte, das beklagte Land Baden-Württemberg zu verpflichten, ihm ausländerrechtlich die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu gestatten. Zur Begründung machte er vor allem geltend, er sei rechtzeitig vor einem Erlaß der baden-württembergischen Landesregierung über die Untersagung der Erwerbstätigkeit von Asylbewerbern eingereist, so daß ihm die Erwerbstätigkeit auf seinen Asylantrag hin hätte gestattet werden müssen. Dies sei nunmehr ungeachtet der inzwischen ergangenen beschränkenden Regelungen nachzuholen.
3. Das Verwaltungsgericht Stuttgart gab der Klage des Beschwerdeführers durch Urteil vom 9. Dezember 1981 (VRS 7 K 138/81) im wesentlichen statt und verpflichtete das beklagte Land, über den Antrag des Beschwerdeführers auf Gestattung des Aufenthalts ohne die umstrittene Nebenbestimmung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht nahm einen Ermessensfehler der Behörde an; der Beschwerdeführer habe seinen Asylantrag noch gestellt, bevor die Landesregierung Baden-Württemberg am 9. Juli 1980 beschlossen habe, Asylbewerbern in Baden-Württemberg die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf Dauer zu untersagen. Der Beschwerdeführer sei daher so zu stellen, als wenn ihm zur Zeit des Ergehens der ausländerbehördlichen Verfügung eine Duldung ohne Verbot der Erwerbstätigkeit erteilt worden wäre. In einem solchen Fall hätte der Beschwerdeführer möglicherweise seinerzeit einen Arbeitsplatz gefunden, so daß ihm nach dem erwähnten Beschluß der Landesregierung Baden-Württemberg auch weiterhin die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gestattet werden müßte. Anders könne es nur dann liegen, wenn – was die Behörde bislang nicht geprüft habe – der Beschwerdeführer seinerzeit mit Sicherheit keine Arbeit gefunden oder aus zurechenbaren Gründen eine mögliche Arbeit nicht aufgenommen hätte.
4. Gegen dieses Urteil legte das beklagte Land Berufung ein, mit der es sein Ziel der Klageabweisung weiterverfolgte. Die Landesanwaltschaft beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg führte in ihrer Berufungsbegründung aus, zur Zeit der Aufnahme der Niederschrift über das Asylbegehren des Beschwerdeführers, am 4. Juni 1980, habe das Landratsamt den vertraulichen Erlaß des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 16. Mai 1980 beachten müssen, welcher dieser Behörde am 19. Mai 1980 zugegangen sei. In diesem Erlaß sei unter Hinweis auf eine anstehende „Umverteilung” von Asylbewerbern in andere Bundesländer verfügt worden, daß die für diese Verteilung vorgesehenen Asylbewerber jederzeit widerrufliche, längstens zwei Monate gültige und auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkte Duldungen erhielten, die mit einer jede Erwerbstätigkeit ausschließenden Auflage zu versehen gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe zu den Asylbewerbern gehört, die in andere Bundesländer „verteilt” werden sollten.
Auf die Aufforderung des Berichterstatters des Verwaltungsgerichtshofs, hierzu Unterlagen vorzulegen, reichte die Landesanwaltschaft ein wörtliches Zitat aus dem erwähnten vertraulichen Erlaß des Innenministeriums zu den Gerichtsakten.
Der Beschwerdeführer trat der Berufungsbegründung entgegen und verwies auf den Tag der Einreichung seines Asylbegehrens als den seiner Ansicht nach maßgeblichen Zeitpunkt. In einem am 27. Mai 1983 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz beantragte er, ihm für das Berufungsverfahren Prozeßkostenhilfe zu bewilligen und ihm seinen Verfahrensbevollmächtigten beizuordnen.
5. Durch Urteil vom 14. Juni 1983 (A 12 S 334/82), mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangen, änderte der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil und wies die Klage des Beschwerdeführers ab. In seiner – rechtskräftig gewordenen – Entscheidung führte der Verwaltungsgerichtshof aus: Die vom Beschwerdeführer beanstandete Nebenbestimmung sei eine sogenannte modifizierende Auflage zu der ihm erteilten Duldung oder Gestattung des Aufenthalts. Die gegen diese Nebenbestimmung gerichtete Klage sei daher nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs als Verpflichtungsklage auf eine Einräumung des Aufenthaltsrechts ohne die erwähnte Nebenbestimmung zu verstehen. Der Verwaltungsgerichtshof verwies hierzu auf eigene Entscheidungen zur Rechtslage vor und nach dem 1. August 1982, dem Tag des Inkrafttretens des Asylverfahrensgesetzes – AsylVfG – (vgl. § 45 Abs. 1 AsylVfG). Die Verpflichtungsklage des Beschwerdeführers sei aber nicht begründet. Maßgeblich für die Beurteilung dieser Klage sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Nachdem bis zum 1. August 1982 § 7 Abs. 3 Ausländergesetz (AuslG) Rechtsgrundlage für die beanstandete Nebenbestimmung gewesen sei, beurteile sich deren Rechtmäßigkeit nunmehr nach § 20 Abs. 2 AsylVfG. Danach sei das Arbeitsverbot rechtlich nicht zu beanstanden, da es dem Beschwerdeführer aus zulässigen einwanderungspolitischen Gründen auferlegt worden sei. Für die Rechtmäßigkeit derartiger Arbeitsverbote bezog sich der erkennende Senat gleichfalls auf eigene Entscheidungen zur Rechtslage vor und nach dem Inkrafttreten des Asylverfahrensgesetzes. Abschließend führte der Verwaltungsgerichtshof aus: Angesichts des für die Entscheidung über die Verpflichtungsklage allein maßgeblichen Jetztzeitpunkts komme es entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht darauf an, ob die Versagung der Erwerbstätigkeit durch die Verfügung vom 4. Juni 1980 seinerzeit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar gewesen sei. Denn selbst bei früherer Gestattung der Erwerbstätigkeit eines Asylbewerbers dürfe die Behörde nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung die anstehende Verlängerung der Duldung oder der Aufenthaltsgestattung zum Anlaß nehmen, nunmehr ein Arbeitsverbot auszusprechen, wenn der Asylbewerber im Zeitpunkt der Verlängerung keiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Da dies jetzt auf den Beschwerdeführer zutreffe, bestehe der mit der Verpflichtungsklage geltend gemachte Anspruch nicht. Soweit der Beschwerdeführer mit der Klage etwa Ausgleich für ein in der Vergangenheit vermeintlich erlittenes rechtswidriges Verwaltungshandeln suche, sei dies eine Frage der Folgenbeseitigung oder des Schadensersatzes, über die im Rahmen der vorliegenden Verpflichtungsklage nicht entschieden werden könne.
Dem Urteil war ein Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs vom selben Tage beigegeben, der folgenden Wortlaut trägt:
Der Antrag des Klägers vom 25. 5. 1983 auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. § 166 VwGO in Verb. mit § 114 S. 1 ZPO). Der Senat ist nicht gehindert, die Erfolgsaussichten nach § 114 S. 1 ZPO zu berücksichtigen, auch wenn der Kläger in erster Instanz im wesentlichen obsiegt hat. Dem steht § 119 S. 2 ZPO nicht entgegen (vgl. den Beschlußdes Senats vom 8. 3. 1983 – A 12 S 1073/82 –).
Urteil und Beschluß wurden dem Beschwerdeführer am 9. August 1983 zugestellt.
II.
Mit seiner am 7. September 1983 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Juni 1983 über die Versagung der Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren. Er hält Art. 3 Abs. 1 GG sowie das Rechtsstaatsprinzip für verletzt. Der Beschwerdeführer trägt hierzu vor: Nach § 119 Satz 2 ZPO sei in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Eben diese Prüfung habe der Verwaltungsgerichtshof aber vorgenommen und mit Rücksicht auf ihr Ergebnis dem Beschwerdeführer die beantragte Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren versagt. Diese Entscheidung könne nur als willkürlich und abwegig bezeichnet werden. Der Gerichtshof habe sich über den eindeutigen Wortlaut des § 119 Satz 2 ZPO hinweggesetzt, ohne eine Begründung hierfür zu geben. Er habe sich lediglich auf einen Beschluß desselben Senats des Gerichtshofs vom 8. März 1983 unter einem anderen Aktenzeichen berufen. Einen solchen Beschluß gebe es aber nicht, wie der Vorsitzende Richter des Senats auf die Bitte des Beschwerdeführers um Übersendung eines Beschlußabdrucks mitgeteilt habe. Im übrigen habe der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in zahlreichen Berufungsverfahren christlicher Asylbewerber wegen Anerkennung als Asylberechtigte den in erster Instanz siegreichen Asylbewerbern ohne Prüfung der Erfolgsaussichten Prozeßkostenhilfe für ihre Verteidigung gegen die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten bewilligt. Es gebe keinen Grund, beim Beschwerdeführer anders zu verfahren. Insbesondere könne es nicht auf die unterschiedliche Religion oder Hautfarbe des jeweils um Prozeßkostenhilfe Nachsuchenden ankommen.
III.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Justizministerium Baden-Württemberg und die Präsidenten der obersten Gerichtshöfe des Bundes Stellung genommen.
1. Das Justizministerium Baden-Württemberg legt den in dem angegriffenen Beschluß erwähnten Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 8. März 1983 – A 12 S 1073/82 – vor, der auf eine Gegenvorstellung des dortigen Klägers gegen einen Beschluß des Gerichtshofs vom 16. Dezember 1982 ergangen ist. Dieser Beschluß hat – soweit hier von Interesse – folgende Begründung:
Die – unstatthafte – „Beschwerde” des Klägers, die der Senat als Gegenvorstellung wertet, hat keinen Erfolg. Zwar hatte der Kläger in erster Instanz obsiegt. § 119 Satz 2 ZPO schließt aber eine Prüfung der Erfolgsaussichten nicht schlechthin aus (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 11. Aufl., § 119 Anm. 3).
Unter Bezugnahme auf diesen Beschluß führt das Justizministerium Baden-Württemberg zu der Verfassungsbeschwerde aus: Der angegriffene Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beschlußgründe nähmen Bezug auf einen früheren Beschluß des Gerichtshofs, welcher lediglich aus organisatorischen Gründen auf die Anfrage des Beschwerdeführers hin nicht habe aufgefunden werden können. In diesem Beschluß werde auf die Kommentarstelle von Thomas/ Putzo verwiesen, die mit der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum eine Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung des in erster Instanz siegreichen Klägers insbesondere dann ausnahmsweise zulasse, wenn sich die Rechtslage geändert habe. Eine solche Änderung sei hier gegeben gewesen. Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof hätten die vom Beschwerdeführer beanstandete Nebenbestimmung als sogenannte modifizierende Auflage gedeutet und die auf eine von dieser Nebenbestimmung freie Aufenthaltsgestattung gerichtete Klage des Beschwerdeführers als Verpflichtungsklage angesehen. Für die Entscheidung über eine solche Klage sei grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der jeweiligen Gerichtsentscheidung maßgeblich. Folglich habe das nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts erfolgte Inkrafttreten des Asylverfahrensgesetzes für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Bedeutung besessen. Seither sei nicht mehr § 7 Abs. 3 AuslG, wie noch vom Verwaltungsgericht herangezogen, sondern § 20 Abs. 2 AsylVfG Rechtsgrundlage für die Nebenbestimmung gewesen. Auf der Grundlage dieser Vorschrift sei der Verwaltungsgerichtshof zu dem Schluß gelangt, daß dem Beschwerdeführer selbst dann kein Anspruch auf eine Aufenthaltsgestattung ohne Arbeitsverbot (mehr) zustehe, falls ihm – wie das Verwaltungsgericht gemeint habe – eine solche Gestattung oder Duldung seinerzeit zu Unrecht versagt worden sein sollte. Unter diesen Umständen beruhe die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, die Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren wegen fehlender Erfolgsaussicht der Klage zu versagen, auf sachlichen Gründen. Sie könne daher nicht als willkürlich und als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG angesehen werden. Auch Art. 3 Abs. 3 GG sei nicht verletzt.
2. Die Präsidenten der obersten Gerichtshöfe des Bundes haben die Stellungnahmen der zuständigen Senate ihrer Gerichtshöfe zu deren Auslegung und Anwendung des § 119 Satz 2 ZPO vorgelegt.
a) Der I., II., IV., V. und IX. Senat des Bundesfinanzhofs haben mitgeteilt, daß sie mit der einschlägigen Rechtsfrage noch nicht befaßt gewesen sind.
b) Die Senate des Bundesarbeitsgerichts und des Bundessozialgerichts, soweit bereits mit der Anwendung des § 119 Satz 2 ZPO befaßt, der VI., VII. und VIII. Senat des Bundesfinanzhofs sowie der I., II., VI., IX. und der IVa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs haben den in der Vorinstanz siegreichen Rechtsmittelgegner zur Rechtsverteidigung bislang auf Antrag stets Prozeßkostenhilfe bewilligt. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hält „angesichts des strikten Wortlauts” des § 119 Satz 2 ZPO eine abweichende Entscheidung für unzulässig.
c) Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs, der III., V., VII., VIII., X. Zivilsenat, der IVb-Zivilsenat und der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs sowie die Revisionssenate des Bundesverwaltungsgerichts haben mitgeteilt, daß sie mit der Frage einer möglicherweise vom Wortlaut abweichenden Auslegung und Anwendung des § 119 Satz 2 ZPO bislang noch nicht befaßt gewesen sind. Zu § 119 Abs. 2 Satz 2 ZPO a. F. weist der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf seine Entscheidung in BGHZ 36, 280 hin, aus welcher sich jedoch keine Nachteile für den dortigen Rechtsmittelbeklagten ergeben hätten. Der IVa- Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hält allenfalls in Fallgestaltungen wie derjenigen, die dieser Entscheidung zugrunde lag, nicht aber in dem in Rechtsprechung und Schrifttum teilweise vertretenen weitergehenden Umfang eine vom Wortlaut des § 119 Satz 2 ZPO abweichende Entscheidung für zulässig.
d) Der 1., 3., 4., 5., 6., 7. und 8. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts haben ergänzend ausgeführt, daß nach ihrer Ansicht – beim 3. und 8. Revisionssenat jedoch jeweils nur nach Ansicht einer Minderheit – in den Fällen einer zwischen den Instanzen erfolgten wesentlichen oder offenkundigen Änderung der maßgeblichen Sach- oder Rechtslage eine gegen den Wortlaut des § 119 Satz 2 ZPO vorgenommene Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung des Rechtsmittelgegners zulässig wäre. Nach Ansicht des 1., 4., 5., 6., 7. und 8. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts würde eine solche Prüfung gegebenenfalls nicht gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot verstoßen. Der 4., 5. und 7. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts machen diese Einschätzung jedoch davon abhängig, daß dem Rechtsmittelgegner, der den Prozeßkostenhilfeantrag gestellt hat, zu der beabsichtigten nachteiligen Entscheidung zuvor ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden sei. Die für eine gegen den Wortlaut des § 119 Satz 2 ZPO erfolgende Entscheidung in jedem Fall erforderliche ausreichende Prüfung des Falles läßt der angegriffene Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs nach Ansicht des 6. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts nicht erkennen. An der notwendigen Gehörsgewährung für den Beschwerdeführer dürfte es nach Ansicht des IVa-Zivilsenats des Bundesgerichtshofs und des 7. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts im Ausgangsverfahren gefehlt haben. Der 7. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hält es daher für zweifelhaft, ob der Beschluß verfassungsrechtlich mit dem Argument gehalten werden könne, daß es immerhin Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des § 119 Satz 2 ZPO gebe. Eine Entscheidung, die ohne jede Begründung – der Hinweis auf einen nichtexistenten Beschluß (wenn er nicht nur falsch zitiert sei) reiche dafür wohl kaum aus – eine Vorschrift gegen ihren eindeutigen Wortlaut anwende, sei wohl als objektiv willkürlich und damit als rechtsstaatswidrig anzusehen.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist der Rechtsweg erschöpft (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs über die Versagung der Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; vgl. auch § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Er stellt gegenüber dem zugleich ergangenen klageabweisenden Berufungsurteil einen selbständigen Akt der öffentlichen Gewalt dar. Daher steht es der Annahme der Erschöpfung des Rechtsweges nicht entgegen, daß der Beschwerdeführer gegen dieses Urteil den statthaften Rechtsbehelf der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision (§ 132 Abs. 3 VwGO) nicht eingelegt hat.
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt Art. 3 Abs. 1 GG.
I.
1. Für den Verwaltungsprozeß ordnet § 166 VwGO die entsprechende Geltung der Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe an. Nach der Grundregel des § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. § 119 Satz 1 ZPO stellt klar, daß die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe für jeden Rechtszug besonders erfolgt. § 119 Satz 2 ZPO, um dessen Anwendung durch den Verwaltungsgerichtshof es im vorliegenden Fall geht, bestimmt auf dieser Grundlage, daß in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen ist, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat.
Die nur „entsprechende” Anwendung der zivilprozessualen Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe auf den Verwaltungsprozeß, wie sie sich aus § 166 VwGO ergibt, bewirkt keine Einengung des vorgefundenen Regelungsgehalts des § 119 Satz 2 ZPO. Hier wie dort ist tatbestandliche Voraussetzung für die in der Vorschrift angeordnete Beschränkung der Prüfung allein, daß der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Einen solchen Gegner gibt es ebenso im Verwaltungs – wie im Zivilprozeß, da auch der Verwaltungsprozeß ein kontradiktorisches Verfahren darstellt. Im Gegenteil erscheint die Anwendung des Grundsatzes des § 119 Satz 2 ZPO im Verwaltungsprozeß sachlich eher noch zwingender: Während im Zivilprozeß das Obsiegen des die Prozeßkostenhilfe Begehrenden unter Umständen lediglich die Folge eines bestimmten prozessualen Verhaltens des Gegners, insbesondere seines Nichtbestreitens entscheidungserheblicher Tatsachen, gewesen ist, ist dies im Verwaltungsprozeß wegen des diesem Verfahren eigenen Amtsermittlungsgrundsatzes weitgehend ausgeschlossen. Auch wenn der Gegner im verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren keinerlei Ausführungen gemacht haben sollte, wird das Vordergericht über die Klage im Grundsatz nur nach eigener, zu voller richterlicher Überzeugung führenden Prüfung auch aller maßgeblichen tatsächlichen Gegebenheiten entschieden haben. Der hinter § 119 Satz 2 ZPO stehende Gedanke, daß mit dem Obsiegen in der Vorinstanz eine gewisse Erfolgsaussicht auch für die nächste Instanz erwiesen ist, liegt daher im Verwaltungsprozeß eher noch näher.
2. Die Verfassungsbeschwerde zwingt nicht zu einer Auseinandersetzung mit der Frage, in welchen Grenzen entgegen dem für sich eindeutigen Wortlaut des § 119 Satz 2 ZPO möglicherweise eine Prüfung der Erfolgsaussichten oder des Mutwillens bei dem in der Vorinstanz siegreichen Verfahrensbeteiligten erlaubt oder gar geboten ist. Hierzu verweist das Justizministerium Baden-Württemberg in seiner Stellungnahme auf zahlreiche Gerichtsentscheidungen und Äußerungen im Schrifttum, nach denen eine solche Prüfung jedenfalls dann veranlaßt sei, wenn sich zwischen der letzten Sachentscheidung und der Entscheidung des Obergerichts über den Antrag auf Prozeßkostenhilfe die Sach- oder Rechtslage zuungunsten des betroffenen Beteiligten wesentlich geändert habe oder wenn die vorinstanzliche Sachentscheidung als „offensichtlich fehlerhaft” erscheine (vgl. zum Meinungsstand die Nachweise bei Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, 42. Aufl., 1984, § 119 Anm. 2 B; Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., § 119 Rdnr. 17; Thomas/Putzo, ZPO, 12. Aufl., 1982, § 119, Anm. 3; Schneider in: Zöller, ZPO, 13. Aufl., 1981, § 119 Anm. IV 2 a, b; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., 1981, S. 500).
Eine Erörterung dieser Problematik erübrigt sich für das Bundesverfassungsgericht schon deshalb, weil der angegriffene Beschluß keinen Grund nennt, aus dem sich das Übergehen des Wortlauts des § 119 Satz 2 ZPO rechtfertigen ließe.
a) Die – von dem Beschluß nicht gestützte – Ansicht des Justizministeriums Baden-Württemberg, das Inkrafttreten des Asylverfahrensgesetzes habe zuungunsten des Beschwerdeführers eine Änderung der maßgeblichen Rechtslage bewirkt, findet ihre Widerlegung in den Entscheidungsgründen des die Klage des Beschwerdeführers abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichtshofs.
aa) Wie das Justizministerium selbst hervorhebt, hat der Gerichtshof die Klage des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Duldung oder Aufenthaltsgestattung ohne Arbeitsverbot, ebenso wie schon das Verwaltungsgericht, als Verpflichtungsklage angesehen. Der Gerichtshof hat sich hierfür auch auf seine Rechtsprechung zu der früher maßgeblichen Rechtsgrundlage für die Nebenbestimmung „Arbeitsverbot” (§ 7 Abs. 3 AuslG) gestützt. Schon diese Zusammenhänge zeigen, daß für die Beurteilung der Klageart und des hieraus folgenden maßgeblichen Zeitpunkts die Änderung der in Betracht kommenden Rechtsgrundlage (nunmehr § 20 Abs. 2 AsylVfG) nach der eigenen Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs keinerlei Bedeutung besessen hat. Dies bestätigt im übrigen ein weiterer, bereits vor der angegriffenen Entscheidung ergangener, im Berufungsurteil erwähnter und inzwischen veröffentlichter Beschluß desselben Senats des Verwaltungsgerichtshofs (Beschluß vom 18. April 1983, A 12 S 1141/82, VBlBW 1984, S. 88). Schon in diesem Beschluß hatte der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich auch für das Asylverfahrensgesetz an seiner Einstufung des Arbeitsverbots als sogenannter „modifizierender” Auflage zur Aufenthaltsgestattung (früher: Duldung) festgehalten und mit Rücksicht hierauf entsprechende Klageanträge weiterhin als Verpflichtungsbegehren ausgelegt.
bb) Das Inkrafttreten des Asylverfahrensgesetzes, insbesondere seines § 20 Abs. 2, hat auch im übrigen nach der eigenen Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs nicht zu einer Veränderung der für die Sachentscheidung maßgeblichen Rechtslage geführt. Die Unbeachtlichkeit der Frage, ob der Beschwerdeführer zur Zeit des Ergehens der behördlichen Entscheidung Anspruch auf eine Duldung ohne Arbeitsverbot hatte, hat der Verwaltungsgerichtshof allein aus seiner – gleichgebliebenen und mit dem Verwaltungsgericht übereinstimmenden – Einstufung der Klage als Verpflichtungsklage hergeleitet. Daß er diese Frage ausschließlich dem – von ihm als nicht streitgegenständlich angesehenen – Bereich der Folgenbeseitigung oder des Schadensersatzes zugewiesen und damit die gegenteilige Ansicht des Verwaltungsgerichts mißbilligt hat, beruhte somit nicht auf der mittlerweile in Kraft getretenen Gesetzesänderung, sondern allein auf einer sachlichen Meinungsverschiedenheit mit dem Vordergericht.
b) Trotz dieser Meinungsverschiedenheit hat der Verwaltungsgerichtshof eine „offensichtliche Unrichtigkeit” der vorinstanzlichen Entscheidung selbst nicht aufgezeigt. Eine solche Unrichtigkeit lag auch nicht vor. Die abweichende Ansicht des Verwaltungsgerichts über den Erfolg der Verpflichtungsklage des Beschwerdeführers und die hierfür maßgebliche Begründung hielten sich jedenfalls im Rahmen vertretbarer Rechtsauslegung.
c) Die Auszüge aus dem vertraulichen ministeriellen Erlaß, welche das beklagte Land erst gegenüber dem Berufungsgericht vorgetragen hat, sind für das Sachurteil dieses Gerichts, wie dessen Begründung ergibt, ohne Bedeutung geblieben.
d) Aus den Gründen des Beschlusses und des in der Hauptsache ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichtshofs ergeben sich auch im übrigen keine Umstände, die die getroffene Entscheidung über die Prozeßkostenhilfe rechtfertigen könnten. Der bloße – mittelbare und zudem, da in einem unveröffentlichten Beschluß enthalten, dem Beschwerdeführer nicht ohne weiteres zugängliche – Hinweis des Verwaltungsgerichtshofs auf eine Kommentarstelle (Thomas/Putzo, ZPO, 11. Aufl., 1981, § 119 Anm. 3) zeigt allenfalls, daß der Verwaltungsgerichtshof in den dort umschriebenen – vorstehend erörterten – Fällen ein Abweichen von dem Wortlaut des § 119 Satz 2 ZPO als zulässig ansehen will. Dieser Hinweis, sofern er nach den Umständen des vorliegenden Falles überhaupt Berücksichtigung finden kann, enthob den Gerichtshof aber nicht der Notwendigkeit zu begründen, weshalb er einen dieser Umstände, für deren Vorliegen nichts sprach, hier als gegeben annehmen wollte. Eine solche Begründung enthält der angegriffene Beschluß nicht.
Insoweit kommt dem Verwaltungsgerichtshof auch nicht zugute, daß die verfassungsrechtliche Begründungspflicht für solche Gerichtsentscheidungen, die mit ordentlichen Rechtsbehelfen nicht mehr angreifbar sind, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weniger weit geht (vgl. BVerfGE 50, 287 (289 f.)). Denn hieraus folgt keine Lockerung des materiell-verfassungsrechtlichen Maßstabes des Willkürverbots, an dem sich auch jede Gerichtsentscheidung messen lassen muß (vgl. auch BVerfGE 50, 287 (289)). Dieser aus Art. 3 Abs. 1 GG gewonnene Maßstab (BVerfGE 58, 163 (167 f.)) verlangt mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) eine Begründung auch der letztinstanzlichen Entscheidung jedenfalls dann und insoweit, als von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen werden soll und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten oder für sie ohne weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt.
Vorliegend fehlte es an einem derartigen Grund für das Abweichen. Angesichts dieser Lage der Dinge ist die nicht mit einer aussagefähigen Begründung versehene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht nachvollziehbar und damit objektiv willkürlich. Ohne daß es auf subjektive Umstände oder auf ein Verschulden des Gerichtshofs ankäme, stellt eine derartige Entscheidung einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar (vgl. BVerfGE 58, 163 (168)).
II.
Da die Verfassungsbeschwerde schon wegen der Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG begründet ist, bedarf es nicht der Entscheidung, ob darüber hinaus – wie in verschiedenen Stellungnahmen von Präsidenten oberster Gerichtshöfe des Bundes angenommen – auch Art. 103 Abs. 1 GG verletzt ist.
III.
Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG war die angegriffene Entscheidung aufzuheben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
Das Land Baden-Württemberg hat gemäß § 34 Abs. 4 BVerfGG dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde.
Fundstellen