Prof. Dr. Andreas Seufert, Dr. Jörg Engelbergs
Neben der fehlenden Methodenkompetenz im Umgang mit Daten und Analytik zur Umsetzung der eigenen Digitalisierungsstrategie scheinen viele Unternehmen die Wucht der digitalen Veränderung immer noch massiv zu unterschätzen. Offensichtlich wird – auch im Kontext der digitalen Transformation – immer noch sehr analog gedacht.
Digitale Transformation umfasst für die überwiegende Mehrheit der Befragten die Digitalisierung bestehender Geschäftsprozesse, gefolgt von Entwicklung neuer Geschäftsmodelle für bestehende physische Produkte. Die potenzielle Konkurrenz durch vollständig digitale Unternehmen wird hingegen als nicht so stark eingeschätzt.
Abb. 8: Erscheinungsformen der digitalen Transformation
Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass die massive disruptive Wirkung der Digitalisierung gerade dadurch entsteht, dass neben Geschäftsprozessen insbesondere Produkte/Services in Verbindung mit Plattform-Geschäftsmodellen digitalisiert werden.
Diese Vernachlässigung der Wirkung von Digitalisierung auf Produkt/Serviceebene in Kombination mit Plattformansätzen kann daher dramatische Folgen haben. Möglicherweise werden Kundenbedürfnisse zukünftig nicht mehr durch ein physisches Produkt, sondern durch einen digitalen Service ersetzt, z. B. Navigations-App statt physischer Landkarte, Gesichtserkennung zur Türöffnung statt physischem Schlüssel oder Mobilitätsservice statt eigenem Auto. Eine reine Konzentration auf bestehende physische Produkte scheint daher dem Veränderungspotenzial der digitalen Transformation nicht gerecht zu werden. Drastisch formuliert könnte man sagen, es besteht die Gefahr, dass Unternehmen am Ende optimierte, digitale Geschäftsprozesse besitzen, für ein Produkt, das keiner mehr haben möchte.
Hinzu kommt, dass digitale Produkte/Services im Vergleich zu physischen Produkten erhebliches betriebswirtschaftliches Potenzial besitzen. An dieser Stelle seien nur einige beispielhaft skizziert:
- Digitale Produkte können zeitlich schneller verfügbar gemacht werden und weisen geringere Transaktionskosten auf (z. B. sinken die Grenzkosten des Vertriebs bei bestehender Infrastruktur dramatisch).
- Digitale Produkte bieten umfangreiche Vorteile bei der Produktgestaltung (z. B. in der Preisgestaltung, durch Veränderung einzelner Produkteigenschaften, durch Zuschnitt auf Zielgruppen oder durch Gestaltung des Nutzungsumfanges).
- Eigenschaften digitaler Produkte können problemlos auch nach dem Kauf verändert werden.
- Der Käufer digitaler Produkte erhält, technisch gesehen, lediglich Kopien (der Verkäufer ist nach dem Verkauf immer noch im Besitz der Information). Teilweise gehen die digitalen Produkte nicht einmal mehr in den Besitz des Nutzers über, sondern werden – wie z. B. bei Streaming-Diensten – lediglich zur Nutzung zur Verfügung gestellt.
- Digitale Produkte erlauben eine Vermessung der tatsächlichen Nutzung des Produktes durch den Kunden, ebenso wie ein Monitoring der direkten Reaktion auf Veränderungen des Produktes.
- Der Nutzungszweck digitaler Produkte ist nicht begrenzt. Informationen, die an einer Stelle anfallen (z. B. über die Nutzung eines digitalen Produktes) können beliebig mit anderen Informationen (z. B. sozio-demografischen Daten) kombiniert und weiterverwendet werden, um daraus neue Informationen beispielsweise für neue Produkte oder Dienstleistungen abzuleiten.
Trotz des eingangs geschilderten hohen "Unwohlseins" im Kontext der digitalen Transformation sowie der identifizierten Herausforderungen der Unternehmen in den Bereichen Technologie und Methodenkompetenz Daten/Analytik wird daher – nach Meinung der Autoren – das tatsächliche Ausmaß der Veränderungen dramatisch unterschätzt.
Dies scheint damit zusammenzuhängen, dass es Wissensdefizite darüber gibt, wie Information als strategische Ressource genutzt werden kann. Vor diesem Hintergrund erscheint der Aufbau einer entsprechenden digitalen betriebswirtschaftlichen Methodenkompetenz unerlässlich.