"Die digitale Transformation ist eine Bildungsfrage"
Personalmagazin: In Ihrem Vortrag auf der Copetri Convention haben Sie uns vor Augen geführt, wie wichtig Digitalisierung für Deutschland als Wirtschaftsstandort ist. Wie wichtig ist Digitalisierung für die einzelnen Unternehmen?
Sascha Lobo: Natürlich könnte ich jetzt sagen, die Digitalisierung ist essenziell für alle Unternehmen. Das wäre zwar technisch richtig, aber inhaltlich würde es etwas in die Irre führen. Was wir in sehr vielen Branchen eigentlich brauchen, ist eine digitale Transformation. Die Digitalisierung ist die Basis dafür: Man versucht, seine Geschäftsprozesse in vielen Dimensionen digitaler zu gestalten. Dann gilt es, sich genauer mit diesen Fragen zu beschäftigen: Wie verändern sich die Branche und die Märkte? Wie verändern sich die Geschäftsmodelle, die das Unternehmen bespielt? Und vor allem: Wie verändern sich die Bedürfnisse des Publikums? Das sind Bereiche, in denen nicht jedes Unternehmen gleich morgen transformatorisch tätig werden muss. Aber es sollten sehr viel mehr Unternehmen als bisher schauen, in welche Richtung die Entwicklung geht. Das gilt gerade in Bereichen, in denen man dachte, eine Transformation sei nicht so wichtig.
Personalmagazin: Können Sie ein Beispiel nennen?
Lobo: Ein Beispiel ist der Maschinenbau, der in Deutschland unglaublich wichtig und erfolgreich ist. Die Unternehmen haben eine bestimmte Digitalisierungsstufe, sie sind gar nicht schlecht in Sachen Automatisierung und Robotik aufgestellt. Da ist Deutschland mit führend. Aber mit Blick auf die digitale Transformation, die Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle, ist meiner Meinung nach noch nicht alles – vorsichtig gesagt – perfekt für die Zukunft aufgestellt.
Die Zahl der möglichen Mitarbeitenden sinkt
Personalmagazin: Sie haben die Bedürfnisse des Publikums angesprochen. Wie steht es in diesem Kontext um die Bedürfnisse der Mitarbeitenden?
Lobo: Diese Frage beantwortet sich fast von selber – in dem Moment, in dem man sich klar darüber ist, dass vergleichsweise viele Unternehmen um vergleichsweise wenige Fachkräfte buhlen. Ich spreche ausdrücklich nicht vom Fachkräftemangel, sondern davon, dass die Zahl der möglichen Mitarbeitenden geringer wird. Wir stehen vor einer demografischen Herausforderung. Fachkräftemangel hört sich an wie ein isoliertes Problem, das in manchen Branchen auftritt. Aber es geht tatsächlich darum, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter sich in Zukunft aussuchen kann, wann, wo und wie sie oder er arbeitet. Wir steuern auf eine Welt zu, in der es noch wichtiger ist als bisher, dass Unternehmen attraktiv sind für die Workforce der Zukunft.
"Ich spreche ausdrücklich nicht vom Fachkräftemangel. Es geht darum, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter sich in Zukunft aussuchen kann, wann, wo und wie sie oder er arbeitet." - Sascha Lobo
Personalmagazin: Das gilt aber vornehmlich für diejenigen Personen, die selbst digital gut aufgestellt sind?
Lobo: Der sogenannte Digital Divide ragt bis in die Beschäftigtenstruktur hinein. Die einen werden, so befürchte ich es, von der digitalen Transformation nicht bevorzugt. Sie werden Probleme bekommen. Die anderen werden von der digitalen Transformation und der Entwicklung dahinter dramatisch bevorzugt. Dieses beides gilt es miteinander zu vereinen. Das wird die zentrale Aufgabe der Personalerinnen und Personaler der Zukunft.
Bewerbungsprozesse müssen deutlich schneller werden
Personalmagazin: Ist "Sofortness" ein Kriterium für die künftigen Recruitingbemühungen der Unternehmen: Die Bewerbenden wollen schnell und unkompliziert zum neuen Job?
Lobo: "Sofortness" ist ein Begriff des Schriftstellers Peter Glaser, der sich schon früh mit digitalen Gesellschaftsphänomenen auseinandergesetzt hat. Ich übersetze ihn als "digitale Ungeduld". Tatsächlich lässt sich ganz gut nachweisen, dass die Generation Z selbst lebensverändernde Entscheidungen, wie "Wo bewerbe ich mich?", in einer Geschwindigkeit trifft, die man in anderen Generationen nicht für möglich gehalten hätte. Heute müssen die Unternehmen die Menschen dazu bringen, sich zu bewerben. Wenn das nicht innerhalb weniger Sekunden auf dem Smartphone möglich ist, bewirbt sich ein substantieller Teil dieser Menschen nicht bei dem Unternehmen, weil das Unternehmen das Gefühl vermittelt, dass es die Gegenwart nicht in den Griff bekommt. Wenn das alles nicht so stromlinienförmig ist, wie es diese Generation erwartet, dann können die Unternehmen ein Problem bekommen. Das ist im Moment noch klein, aber es wird größer.
40 Prozent der Beschäftigten müssen ihre Kernfähigkeiten neu erlernen
Personalmagazin: Es gibt auch noch die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Manche sind durchaus digital affin, andere nicht. Sie sagten schon, dass manche Beschäftigte von der digitalen Transformation nicht bevorzugt werden. Wie wichtig wird Weiterbildung?
Lobo: Die digitale Transformation in Deutschland ist eine Bildungs- und insbesondere eine Fort- und Weiterbildungsfrage. Wenn Fort- und Weiterbildung in Unternehmen nicht vernünftig stattfindet, können wir uns die digitale Transformation in die Haare schmieren. Und man muss mir glauben, dass ich diese Metapher nicht leichtfertig verwende. Das ist nicht meine exklusive Meinung. Es gibt ein Papier des World Economic Forum von 2020. Dieses geht davon aus, dass 40 Prozent der Mitarbeitenden in den nächsten fünf Jahren ihre Core Skills – ihre Kernfähigkeiten, die sie für ihre Arbeit brauchen – neu lernen müssen. Ich würde sogar sagen, dass es in einzelnen Branchen mehr als 40 Prozent sind.
Personalmagazin: Dabei spielt sicherlich nicht nur das Alter eine große Rolle, sondern auch Ängste und Vorbehalte der Mitarbeitenden.
Lobo: Die Altersfrage bleibt tatsächlich essenziell. Zwar ist Digitalisierung in erster Linie eine Frage der Haltung und keine des Alters. Aber wenn wir von Durchschnittswerten ausgehen, sind sowohl die Kenntnisse als auch ein gewisses Gespür für Vernetzungszusammenhänge bei jüngeren Menschen eher vorhanden als bei älteren. Die Frage ist: Wie bekomme ich die älteren und nicht überragend-sachkundigen Personen, die sich weiterentwickeln wollen, dazu, dass sie mitmachen können? Man muss leider sagen, dass es einen Anteil von Menschen gibt, die nicht auf das ständige Lernen als Muster des Arbeitsalltags im 21. Jahrhundert aufspringen wollen. Für diese Personen müssen wir verträgliche Lösungen finden. Das wird auch ein Teil der Aufgabe von HR sein. Ich weiß nicht, wie groß dieser Anteil ist. Das wird von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein. Noch wichtiger ist jedoch, mit denjenigen umzugehen, die zwar wollen, aber die noch nicht sehen, wie sie das bewältigen können. Dieses Mindset zu erlernen und ein Digital-Gespür zu bekommen erfordert massive Schulungen der Mitarbeitenden in den Unternehmen.
Zwar ist Digitalisierung in erster Linie eine Frage der Haltung und keine des Alters. Aber Jüngere haben ein besseres Gespür für Vernetzungszusammenhänge als Ältere. - Sascha Lobo
Personalmagazin: Eine große Investition, die sich lohnt?
Lobo: Ich glaube, dass sich das lohnen wird. Gerade deshalb, weil Menschen mit einer gewissen Erfahrung – wenn sie gegenüber diesen Veränderungen offen sind – einen eigenen und sehr besonderen Mehrwert liefern können.
Die Verantwortung von HR bei der digitalen Transformation
Personalmagazin: Wo sehen Sie die größte Verantwortung des Personalbereichs?
Lobo: Aus meiner Sicht ist das eindeutig die Bildung. Zum Glück liegt Bildung an sich nicht in Verantwortung der HRler. Zum Glück deshalb, weil Bildung in Deutschland bisher leider sehr "undigital" ist. Aber die Fort- und Weiterbildung ist häufig in den Händen der Personalverantwortlichen. Da können sie ihre Fähigkeiten voll ausspielen. Die Fähigkeiten sind die Vernetzung, die digitale Transformation auf Mitarbeiterlevel richtig zu verstehen und dann danach zu handeln. Das sagt sich leicht. Es ist superschwer, aber essenziell dafür, die digitale Transformation zu bewältigen.
Personalmagazin: Inwiefern muss sich hierfür die Rolle der Personalverantwortlichen in den Unternehmen verändern?
Lobo: Der digitale Wandel durch die Vernetzung macht nicht vor dem Aufgabengebiet von HR Halt. Wir haben seit vielen Jahren das Phänomen, dass Teile von dem, was früher das Personalmanagement gemacht hat, ins Marketing wandern – Stichwort Employer Branding. Jetzt sehen wir, dass sich auch die Rolle der HRler selbst wandelt, unter anderem weil es weniger wichtig wird, aus 150 Bewerberinnen und Bewerbern mittels Assessment Center, Workshops et cetera die absolut besten auszuwählen. Stattdessen wird es wichtiger, zum einen die schon vorhandenen Kräfte weiterzuentwickeln und zum anderen den wirklich guten einen Grund zu geben, im Unternehmen zu bleiben. Wir haben in vielen Unternehmen massive Probleme nicht nur neue Kräfte zu bekommen, sondern auch die vorhandenen Kräfte zu halten, weil sie extrem attraktive Angebote von anderen bekommen. Diese Verschiebung des Aufgabengebiets ist bei den meisten HRlern angekommen. Ob sie alle danach handeln, steht auf einem anderen Blatt.
Es wird wichtiger, die vorhandenen Kräfte weiterzuentwickeln und den wirklich guten einen Grund zu geben, im Unternehmen zu bleiben. - Sascha Lobo
Personalmagazin: Was läuft eigentlich gut in den deutschen Unternehmen?
Lobo: Dinge, die gut laufen, gibt es tatsächlich. Vielleicht digitalisieren die Unternehmen zu sachte, aber nach wie vor ist die deutsche Wirtschaft in vielen Bereichen unglaublich stark. Bei der Robotik ist Deutschland weit vorn, auch bei Automatisierungsmechanismen, in der Fertigung und bei der Forschung zur künstlichen Intelligenz. Bei der Umsetzung von künstlicher Intelligenz in konkrete Geschäftsmodelle ist Deutschland noch nicht so weit. Aber wir haben inzwischen eine einigermaßen florierende Start-up-Szene, die sich nicht verstecken muss. Es gibt einige verbesserungsbedürftige Punkte, aber es ist Potenzial da. Da läuft einiges in eine richtige Richtung.
Personalmagazin: Also nicht nur Defizite?
Lobo: Ich glaube, dass ein Defizit bei der digitalen Transformation besteht. In Sachen Digitalisierung haben wir aber in vielen Bereichen schon die Nase vorn. Wir sehen erste Früchte der Offensive für die sogenannten Mint-Fächer. Das ist etwas, das viele HRler merken: Diese Fächer sind attraktiver für junge Menschen geworden und sie können aus einem größeren Potenzial schöpfen. Das ist alles noch nicht da, wo es sein müsste. Aber es ist besser als vor zehn Jahren. Das sind Punkte, die optimistisch machen.
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