Erinnern Sie sich noch? Vor der Pandemie war die digitale Transformation DAS Thema, auch in der betrieblichen und beruflichen Weiterbildung. Das Ziel war, die Menschen in den Unternehmen fit zu machen für den digitalen Wandel und digitale Lerntechnologien zu nutzen, um Lernen in jeder Form und in jedem Format zu ermöglichen. Dann kam Corona. Im Homeoffice ans Unternehmen anzudocken und arbeitsfähig zu bleiben, war schon eine Herausforderung. Virtuelle Klassenräume und Meetings erlebten einen nie geahnten Aufschwung, virtuelles Coaching mit Chatbots schien der Renner und natürlich spielte inhaltlich das Thema Resilienz eine große Rolle. Allein das verschaffte vielen Anbietern von Lerntechnologie einen bemerkenswerten Umsatzzuwachs.
Renteneintritte verschärfen die Notwendigkeit für digitales Lernen
Und jetzt? Ist die digitale Transformation wieder ein Riesenthema. Anscheinend völlig überraschend gehen die Baby Boomer wirklich in Rente. Diejenigen, die noch da sind, müssen dringend weiter qualifiziert werden, um ihren Job machen zu können. Werden sie in die Arbeitslosigkeit entlassen, ohne dass auf dem Arbeitsmarkt genügend qualifizierte Personen zur Verfügung stehen, ist das Dilemma noch größer. Das digitale Zeitalter trifft nun wirklich Unternehmen jeder Größenordnung bei gleichzeitig immer weniger auf dem Markt zur Verfügung stehenden Fachkräften mit der passenden Ausbildung.
Bundesministerium warnt vor Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit
Anlass genug also für den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeitsschutz, uns an die wichtigen Dinge zu erinnern. In seinem Ende April veröffentlichten Gutachten "Die Zukunft der Arbeit in der digitalen Transformation" widmet das Gremium viele Seiten der beruflichen und betrieblichen Weiterbildung und der Nationalen Weiterbildungsstrategie, wie Sie hier nachlesen können. Das Gremium rechnet mit einem "Mismatch", einer Koexistenz von Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit in unterschiedlichen Segmenten des Arbeitsmarktes, und fordert daher eine umfassende Reform der betrieblichen Weiterbildung. Es sieht insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen mit Nachholbedarf und empfiehlt, ein an das duale Ausbildungssystem angelehntes Weiterbildungssystem für lebenslanges Lernen. Als Nachweis für die erbrachten Weiterbildungsleistungen könnten "signalstarke" (sic!) Zertifikate ausgegeben werden, die auch für Menschen im "höheren Alter" (gemeint sind Menschen ab 35 Jahre) interessant sind. Weiter wird ein einfacheres Fördersystem für die betriebsinterne Weiterbildung vorgeschlagen und die gesetzliche Verankerung eines Rechtsanspruchs auf Weiterbildung.
Deutschland ist Schlusslicht beim "lebenslangen Lernen"
Den Begriff "digtiales Lernen" oder "Lerntechnologie" vermeiden die Gutachter in ihrem Bericht. Möglicherweise, weil digitales Lernen und der Einsatz von digitalen Lerntechnologien selbstverständlich einbezogen sind und es nicht darauf ankommt, noch einmal extra zu betonen, dass Lernen auch digital stattfinden kann. Womöglich aber auch, weil sie die im März veröffentlichten Zahlen zur Digital Lifelong Learning Readiness in Deutschland kennen. Da liegen wir nämlich in Europa leider auf dem letzten Platz, knapp hinter Italien und ziemlich weit hinter den Spitzenreitern Estland, den Niederlanden, Luxemburg und Finnland. Die Zahlen passen zu einer Umfrage des Verbandes der Maschinen- und Anlagenbauer VDMA und Kienbaum, wonach die größten Herausforderungen in der mangelnden Bereitschaft bestehen, sich zu verändern, zu lernen und Innovationen systematisch zu forcieren. Die Zeit drängt, das sollte uns klar sein, denn die Herausforderungen werden nicht weniger angesichts der weltweiten Krisen und der Notwendigkeit, sich aus Abhängigkeiten zu lösen.
Digitale Transformation in Deutschland muss Top-Thema werden
Wie also schaffen wir es, Lernen und Lerntechnologie noch besser zu verbinden und nutzbar zu machen, attraktiv für jeden Menschen, der im Berufsleben steht, sich dafür fit machen oder fit halten möchte? Wie schaffen wir es, Zukunftsangst in Zukunftsfähigkeit umzuwandeln und deutlich zu machen, welchen Anteil (digitale) Bildung daran haben kann? Das sind Fragen, die von Unternehmen wie von den Anbietern von Lerntechnologien hierzulande dringend diskutiert und noch besser beantwortet werden sollten. Auch auf der Learntec, der deutschen Leitmesse für digitale Lerntechnologie, die vom 31. Mai bis 2. Juni in Karlsruhe stattfindet. Ich werde dort sein. Und Sie?
Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung" die Trends auf dem E-Learning-Markt.