KI und die Angst vor Kontrollverlust


KI und die Angst vor Kontrollverlust

Mit künstlicher Intelligenz gehen viele Chancen und oft noch vielmehr Ängste einher. Unser Kolumnist Boris Grundl mahnt zur Balance zwischen Panik und Enthusiasmus – und zu bewusster Reflexion, die nicht nur bei der Transformation durch KI weiterhilft.

Die Künstliche Intelligenz (KI) hält überall Einzug. Wir hören, was sie kann, was sie nicht kann, wo Chancen liegen und wo Gefahren lauern. Was sich alles verändern wird, was bleibt. Was das für Produkte, Märkte und Menschen bedeutet. Kürzlich las ich die bemerkenswerte Einordnung eines KI-Experten (wo kommen diese Expertinnen und Experten eigentlich plötzlich alle her?): Wenn künstliche Intelligenz ein Tsunami wäre, befinden wir uns derzeit in der Phase, in der sich das Meer gerade zurückzieht. Das klingt ja dramatisch.

KI: Phobie oder "-philie"?

Eine Phobie beschreibt eine übermäßige Angst – der Begriff ist den Meisten bekannt. Aber was ist eine "-philie"? Substantive mit der Endung "-philie" beschreiben das Gegenteil einer Phobie – eine besondere Vorliebe, eine große Neigung zu etwas. In beiden Fällen geht es darum, sich geistig in etwas zu verlieren. Und genau das beobachten wir bei großen Umwälzungen in der Welt immer wieder.

Was passiert bei großen Veränderungen?

Bei großen technischen Transformationen geht es immer darum, dass sich etwas Neues ankündigt, Raum einnimmt und etwas Altes verabschiedet wird. Ob es um ein neues Antriebssystem bei Fahrzeugen geht, um Energiegewinnung, die eigene Gesundheit oder den Verlust eines geliebten Menschen – immer kommt etwas Neues hinzu und etwas Altes geht. Ganz egal, ob die Veränderung nur einen Menschen betrifft, eine Gruppe von Menschen (wie in einem Unternehmen) oder weite Teile der Menschheit: Der Mechanismus bleibt immer derselbe.

Das Aufkommen der künstlichen Intelligenz bestätigt das beschriebene Prinzip der Transformation vom Werden und Vergehen. Tritt eine solch massive Veränderung ein, stellt sich eine wichtige Frage – für jeden Einzelnen, aber auch für uns als Unternehmen, als Gesellschaft, als Land: Was ist deine und unsere Daseinsberechtigung, wenn diese Umwälzung voll zum Tragen kommt? Wird deine jetzige Daseinsberechtigung durch die Veränderung ganz oder teilweise aufgelöst, oder bleibt sie unbeeinflusst? Diese Frage ängstigt uns, weil wir noch keine Antwort darauf haben. Es ist nicht die erzwungene Veränderung, die uns ängstigt. Sondern unser Kontrollverlust, der daraus entsteht. Übrigens taucht diese Frage auch auf, wenn ein unbekannter Virus plötzlich die Weltwirtschaft erschüttert.

Zurückgeworfen auf uns selbst

Jeder Mensch, jedes Unternehmen und die gesamte Menschheit werden in solchen Zeiten auf sich selbst zurückgeworfen. Nur diejenigen, die durch vergangene Erfahrungen oder bewusste Reflexion erkannt haben, dass dies ein unvermeidlicher Prozess ist, gehen anders mit großen Veränderungen um als jene, die das meist unbewusst erleben.

So ist es auch mit der künstlichen Intelligenz. Sie ist im Wesentlichen die Weiterentwicklung der digitalen Revolution. Deren Postulat lautete bereits, dass alles, was digitalisiert werden kann, irgendwann auch digitalisiert sein wird. Das Aufkommen der KI kann also keine Überraschung mehr sein. Die Frage aber bleibt: Was ist deine, was ist unsere Daseinsberechtigung in zehn Jahren, wenn wirklich alles, was digitalisiert werden kann, auch digitalisiert ist?

Die Zukunft wird spannend

Egal, ob du Steuerberater, Zahnärztin, Produktentwickler oder Unternehmerin im Bereich Weiterbildung bist – was bleibt übrig, wenn alles, was digitalisiert werden kann, digitalisiert ist? Was, wenn das gesamte Wissen der Menschheit im Bruchteil einer Sekunde zugänglich ist?

Während ich diese Zeilen schreibe, recherchiere ich gleichzeitig mit ChatGPT, um Impulse für den Artikel zu erhalten. Ich nutze also das Weltwissen, um meine Wissenslücken zu überbrücken. Wie ich das Wissen schließlich nutze, bleibt meine Entscheidung. Also der bewusste Einsatz des Wissens, mein persönliches Bewusstsein und vielleicht auch eine gewisse "Weisheit" liefern mir als Autor auch in Zukunft meine Daseinsberechtigung. Auch in unserem Institut gehen wir nach diesem Prinzip vor: Wir haben unsere Inhalte in 388 Lehrvideos verpackt, drei Praxishandbücher erstellt und 713 Übungen digitalisiert. Und dazu haben wir ein umfassendes Leadership-GPT entwickelt und programmiert, das keine Frage zum Thema Leadership offen lässt und direkt auf den passenden Videocontent verweist. Unser Umsatzwachstum? Von 2023 auf 2024 über 300 Prozent …

Die kluge Haltung für die Zukunft

Für uns als Menschen, für Unternehmen und für die ganze Menschheit gilt es nun, zu entscheiden: Werden wir, durch den bewussten Einsatz von Wissen, die KI für eine bessere Welt nutzen? Oder wird uns die KI durch ihr überragendes Wissen dominieren?

Reagiere also nicht mit übermäßiger Angst oder übermäßiger Freude. Sei wachsam, hinterfrage klug Prozessabläufe und überlege, was übrigbleibt, wenn alles digitalisiert worden ist. Diese Antwort wirst du brauchen, um die Zukunft zu gestalten. Beantwortest du sie richtig, wirst du zu den Gewinnern gehören. Wenn nicht, wirst du weiterhin vom Alltag überrannt und getrieben. Entscheide dich weise.


Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis.