Ein Weihnachtsmann sitzt gemütlich auf dem Sofa und blickt auf die Aktivitäten der SAP Training und Change Community im Jahr 2024 zurück. Thomas Jenewein hat das kleine Video als Weihnachtskarte mit Bewegtbild auf Linkedin gepostet und musste dafür weder einen Weihnachtsmann engagieren noch selbst in die Rolle schlüpfen. KI, Künstliche Intelligenz, hat es möglich gemacht. Und damit sind wir auch schon bei dem Thema, das dieses Jahr wohl alles beherrscht hat: Künstliche Intelligenz, genauer gesagt die Fortschritte der generativen KI in Form von ChatGPT, Claude, Copilot und vielen mehr, einschließlich der immer zahlreicher werdenden Bild- und Videogeneratoren.
Trotz enormer Beschleunigung entspannt bleiben?
Die Entwicklung schreitet so schnell voran, dass wir kaum noch hinterherkommen. Manchmal kommt es mir vor wie im Fernsehen, wenn die Räder eines Autos scheinbar stillstehen oder sich rückwärts drehen, obwohl es eindeutig vorwärts geht. Diesen Effekt nennt man Stroboskopeffekt. Er entsteht, so hat es die KI-Suchmaschine Perplexity.ai für mich zusammengefasst, durch die Art und Weise, wie Film- oder Fernsehkameras Bilder aufnehmen. Filme bestehen aus einer schnellen Abfolge von Einzelbildern (z.B. 24 oder 25 Bilder pro Sekunde). Dreht sich ein Rad so, dass die Kamera die Speichen immer in der gleichen Position aufnimmt, entsteht der Eindruck, das Rad stehe still. Dreht sich das Rad etwas langsamer, sieht es für das Auge so aus, als drehe es sich rückwärts. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Unfähigkeit des Gehirns, die Einzelbilder richtig zu interpretieren.
Eine Art Stroboskopeffekt war auch bei der 30. Ausgabe der OEB Anfang Dezember in Berlin zu spüren. Die Online Educa Berlin ist nicht nur einer der traditionsreichsten Kongresse für digitales Lernen in Deutschland, vielleicht sogar weltweit, sie ist auf jeden Fall der internationalste. Die meisten der rund 2000 Teilnehmenden und Referenten kommen nicht aus Deutschland. Das erweitert die Perspektive enorm und macht den besonderen Reiz aus. Und natürlich stand auch hier das Thema KI über allem. So beschrieb Lori Niles-Hoffmann im Pre-Conference Workshop SpeexxExchange zunächst die Gravitationskräfte der KI, während später Marc Zao-Sanders, Mitgründer der Lernplattform filtered und Buchautor, darüber sprach, wie man bei all der daraus resultierenden Beschleunigung überhaupt noch ein bewusstes Leben führen kann und welche Maßnahmen dafür notwendig sind. Passend dazu hat Zao-Sanders ein Buch veröffentlicht, dessen Titel das Dilemma deutlich macht: "In weniger Zeit mehr schaffen -...-ganz entspannt", heißt es in der deutschen Übersetzung.
KI in Unternehmen: Zwischen Zögern und Begeisterung
Der Zukunftsforscher Gerd Leonhard aus der Schweiz, Keynote-Speaker des Eröffnungspanels der OEB, ist selbst noch nicht sicher, ob die KI eine gute Entwicklung nehmen wird oder nicht. Einerseits glaube er, dass die Zukunft besser sei, als wir denken, sagte er. Andererseits warnte er davor, dass Firmen wie Open.ai über das Schicksal der Menschen entscheiden. Die Bildung der Zukunft müsse darauf abzielen, die menschlichen Fähigkeiten zu stärken und uns zu lehren, Empathie, Mitgefühl und Vorstellungskraft zu entwickeln. "Fakten und Informationen können Maschinen verarbeiten, aber Weisheit, Intuition und Kreativität bleiben menschliche Domänen", so der Zukunftsforscher. In vielen Workshops ging es dann um die Lernkultur vor dem Hintergrund der notwendigen Adaption von KI in den Unternehmen.
Da saßen dann auch Personalentwicklerinnen und Personalentwickler mit Führungsverantwortung und mussten zugeben, dass sie zwar intern Programme zum Verstehen und Anwenden von KI anbieten, aber viele Führungskräfte sich dem noch verweigern oder versuchen, es zu ignorieren. Vor allem dann, wenn es den Unternehmen noch gut geht und die Notwendigkeit nicht deutlich spürbar ist. Auf der anderen Seite war aber auch Begeisterung zu hören, etwa weil die Content-Erstellung mit generativer KI viel einfacher geworden ist und selbst Lernvideos mit entsprechenden KI-Tools so einfach und kostengünstig wie nie zuvor produziert werden können. Jeder macht etwas oder will etwas machen, aber die Content-Erstellung und digitale Lernbegleiter stehen stark im Vordergrund. Beispiele für Strategien zum Einsatz von KI in der Personalentwicklung scheinen dagegen noch die Ausnahme zu sein.
Ein Jahr des Wandels geht zu Ende
Auch in meinen Kolumnen in diesem Jahr hat KI eine wichtige Rolle gespielt, sei es in Bezug auf Blended Learning, E-Learning-Plattformen, selbstgesteuertes und adaptives Lernen oder die Branche im Allgemeinen. 2024 war ein Jahr des Wandels, und ich glaube, dass wir erst am Anfang stehen.
Abschließend möchte ich mich bei allen bedanken, die diese Kolumne lesen und ermöglichen. Es bleibt spannend und so werde ich auch im kommenden Jahr an dieser Stelle für Sie und euch die Entwicklungen des digitalen Lernens und der Branche kommentieren. Ich freue mich darauf und möchte mit einem Zitat schließen, das trotz aller unerfreulichen aktuellen Ereignisse durchaus zuversichtlich für die (digitale) Weiterbildungsbranche stimmt. Es stammt von einem der drei Nobelpreisträger für Ökonomie 2024, Daron Acemoglu: "Deutsche Unternehmen sind gut darin, Mitarbeiter auszubilden und weiterzuqualifizieren für gute Jobs, vor allem im Exportsektor. Darauf kann man aufbauen." (Quelle: FAZ, 10. Dezember 2024)
Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Zeitschrift "personalmagazin - neues lernen" die Trends auf dem E-Learning-Markt.