Leitsatz
1. Die Absicht zur Erzielung von Einkünften setzt das Streben des Steuerpflichtigen voraus, durch die Vermögensnutzung einen (Total-)Überschuss der steuerpflichtigen Einnahmen über die Erwerbsaufwendungen zu erzielen. Die Beantwortung der Frage, ob der Steuerpflichtige eine Überschusserzielungsabsicht besaß, hängt von einer unter Heranziehung aller objektiven Umstände zu treffenden (Wahrscheinlichkeits-)Prognose über die voraussichtliche Dauer der Vermögensnutzung, die in dieser Zeitspanne voraussichtlich erzielten steuerpflichtigen Erträge und die in diesem Zeitpunkt voraussichtlich anfallenden Erwerbsaufwendungen ab. Für diese Prognose können die Verhältnisse eines bereits abgelaufenen Zeitraums wichtige Anhaltspunkte liefern.
2. Die für das Vorhandensein oder Fehlen der Überschusserzielungsabsicht des Steuerpflichtigen zu treffenden Prognosen beruhen im Wesentlichen auf Schlussfolgerungen tatsächlicher Art, die zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. von § 118 Abs. 2 FGO gehören und deshalb das Revisionsgericht grundsätzlich binden.
3. Zur Prognose von längerfristigen Einnahmen in ausländischer Währung (Prognose des Devisenkurses; Anschluss an das BFH-Urteil vom 15. Dezember 1999 X R 23/95, BFHE 190, 460, BStBl II 2000, 267).
Normenkette
EStG § 2 Abs. 2 Nr. 2, , EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, , EStG § 20 Abs. 1 Nr. 6, , EStG § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a , FGO § 118 Abs. 2
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 09.05.2000, VIII R 77/97
Die Entscheidung befasst sich mit der Abziehbarkeit von Werbungskostenüberschüssen, die die Klägerin in den Streitjahre 1991 bis 1993 erzielt hatte. Die 1943 geborene Klägerin und ihr 1950 geborener, geschiedener Ehemann schlossen im Dezember 1991 mit einer in Großbritannien ansässigen Versicherungsgesellschaft einen Rentenversicherungsvertrag gegen einen Einmalbetrag von umgerechnet 430.659 DM. Rentenberechtigt sollten sowohl die Klägerin als auch ihr geschiedener Ehemann sein. Die jährliche – erstmals im Dezember 1992 zu zahlende – Rente beträgt 10.962,78 Pfund Sterling. Sie ist für einen Mindestzeitraum von 15 Jahren und darüber hinaus bis zum Tode des Letztversterbenden garantiert. Außerdem gewährte die Klägerin der Wohnungsbaukreditanstalt Berlin ein Darlehen nach § 17 BerlinFG in Höhe von 150.000 DM (Laufzeit: 25 Jahre, Zinssatz 6,5 v.H., halbjährliche Tilgung ab 1.5.1992: 1,5 v.H.). Zur Refinanzierung der Einmalzahlung nahm die Klägerin und ihr Ehemann einen Bankkredit von 480.000 DM auf. Der Zinssatz des Darlehens betrug bei einer Auszahlung von 90 v.H. 7,85 v.H. und war auf 10 Jahre festgeschrieben.
In ihren Einkommensteuererklärungen für 1991 bis 1993 machte die Klägerin Werbungskostenüberschüsse bei ihren Einkünften aus Kapitalvermögen (Berlin-Darlehen) sowie bei den sonstigen Einkünfte nach § 22 Nr. 1 EStG (Rentenversicherung) geltend. Das FA erkannte den Abzug der negativen Einkünfte nicht an, da es der Klägerin an einer Überschusserzielungsabsicht gefehlt habe. Der BFH teilt diese Auffassung hinsichtlich der Einkünfte aus der Rentenversicherung nicht. Er geht davon aus, dass die Erträge und Aufwendungen im Zusammenhang mit der Rentenversicherung dem Bereich der sonstigen Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 1 EStG zuzuordnen sind und dass die Klägerin die Absicht verfolgt habe, einen Überschuss der nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG steuerpflichtigen Leibrentenanteile über die damit in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden (Erwerbs-)Aufwendungen zu erzielen. Zu diesem Ergebnis kommt der BFH aufgrund einer eingehenden Wahrscheinlichkeitsprognose über die voraussichtlich zu erzielenden steuerpflichtigen Erträge und die voraussichtlich anfallenden Erwerbsaufwendungen. Hinsichtlich der Einkünfte aus dem Berlindarlehens kommt der BFH dagegen aufgrund einer entsprechenden Prognose zu dem Ergebnis, dass es der Klägerin insoweit an der Absicht gefehlt hat, einen (Total-)Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu erzielen.