Leitsatz
1. Wird das Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans aufgehoben, kann das FA Lohnsteuer, die es nicht zur Insolvenztabelle angemeldet hat, als Nachzügler im Wege eines Haftungs- und Nachforderungsbescheids innerhalb der Frist des § 259b InsO festsetzen.
2. Dem FA ist kein Verschulden an der Nichtanmeldung von Steuer- und Haftungsansprüchen zur Insolvenztabelle anzulasten, wenn es die Kenntnis vom Bestehen der Ansprüche erst nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans infolge einer Lohnsteuer-Außenprüfung erlangt.
3. Die (teilweise) Befreiung des Insolvenzschuldners von seinen Verbindlichkeiten durch den Insolvenzplan berührt nur die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, weshalb das FA bei deren Festsetzung nicht auf die Insolvenzquote beschränkt ist.
Normenkette
§ 37 Abs. 1, § 47, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 191 Abs. 1 Satz 1 AO, § 41, § 87, § 201 Abs. 1, § 217 Satz 1, § 227 Abs. 1, § 254 Abs. 1, § 254b, § 258 Abs. 1, § 259 Abs. 1, § 259b Abs. 1 und 2 InsO
Sachverhalt
Im November 2013 eröffnete das Amtsgericht (Insolvenzgericht) über das Vermögen der Klägerin auf deren Antrag das Insolvenzverfahren. Den von der Klägerin als Insolvenzschuldnerin vorgelegten Insolvenzplan bestätigte das Insolvenzgericht durch am 15.7.2014 rechtskräftig gewordenen Beschluss. Der Insolvenzplan enthielt eine (materielle) Ausschlussfrist zulasten sog. Nachzügler. Forderungen, die nicht innerhalb eines Monats nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans zur Insolvenztabelle angemeldet werden, erlöschen danach mit Fristablauf; es sei denn, der Gläubiger hat die Frist ohne sein Verschulden nicht eingehalten und seine Forderung innerhalb einer zweiwöchigen Nachfrist, beginnend mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 1 und 2 ZPO), gegenüber der Schuldnerin schriftlich geltend gemacht.
Am 1.10.2014 erließ das FA gegenüber der Klägerin einen LSt-Haftungs- und Nachforderungsbescheid für den Zeitraum Januar 2011 bis Dezember 2013. Dieser gründete auf einer LSt-Außenprüfung, die vom 10.3.2014 bis zum 27.8.2014 dauerte. Der Bericht des Prüfungs-FA datiert ebenfalls vom 1.10.2014 und ging am selben Tag beim FA ein.
Daraufhin erhob die Klägerin erfolgreich Klage. Das FG stellte die Nichtigkeit des Haftungs- und Nachforderungsbescheids fest, da das FA im Bekanntgabezeitpunkt keine rechtliche Befugnis mehr zu deren Erlass gehabt habe. Denn die dahin gehenden Ansprüche des FA seien erloschen, da es die im Insolvenzplan geregelte Ausschlussfrist schuldhaft versäumt habe (FG Köln, Urteil vom 25.6.2019, 1 K 2623/15, Haufe-Index 13757997, EFG 2020, 592).
Entscheidung
Auf die Revision des FA hat der BFH die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das FG habe den streitgegenständlichen Haftungs- und Nachforderungsbescheid zu Unrecht als nichtig angesehen.
Hinweis
1. Abweichend von den Vorschriften der InsO können die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie die Verfahrensabwicklung und die Haftung des Schuldners in einem Insolvenzplan geregelt werden (§ 217 Satz 1 InsO).
2. Während im Regelinsolvenzverfahren die Insolvenzgläubiger einschließlich der nicht am Verfahren beteiligten Gläubiger gemäß § 201 Abs. 1 InsO ihre verbleibenden Forderungen nach Verfahrensaufhebung uneingeschränkt gegen den Schuldner geltend machen können, wird der Schuldner im Insolvenzplanverfahren nach § 227 Abs. 1 InsO mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit, sofern im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt ist.
3. Die im gestaltenden Teil des Insolvenzplans geregelten Wirkungen treten gemäß § 254 Abs. 1 InsO mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans für und gegen alle Beteiligten ein; nach § 254b InsO auch für Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben (sog. Nachzügler). Diese Personen unterliegen mithin nicht nur den negativen, sondern auch den positiven Planwirkungen. Sie können damit die Planquote beanspruchen, die auf Forderungen ihrer Art im Insolvenzplan fest-geschrieben wurde.
4. Der Plan bildet fortan die allein maßgebliche Grundlage für die gesamte Vermögens- und Haftungsabwicklung und auch die betroffenen Abgabenforderungen unterliegen nur noch dessen Festlegungen.
5. Gewillkürte Präklusionsvorschriften im Insolvenzplan, durch die Insolvenzgläubiger, die sich am Insolvenzverfahren nicht beteiligt haben, mit ihren Forderungen auch i.H.d. im Plan auf Forderungen ihrer Art festgeschriebenen Quote ausgeschlossen sind (materielle Ausschlussklausel), sind nach der Rechtsprechung des BGH nicht zulässig, sondern unwirksam.
6. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Unrecht entschieden, dass das FA im Streitfall ausnahmsweise an einer Festsetzung der Haftungs- und Steuerschulden gehindert war. Insbesondere ist das FA – obwo...