Leitsatz
1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das ab 2007 geltende Abzugsverbot des § 9 Abs. 2 EStG betreffend Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verfassungsgemäß ist.
2. Ein Beitritt des Bundesministeriums der Finanzen zu einem vor dem BFH anhängigen Beschwerdeverfahren ist jedenfalls dann unzulässig, wenn es sich um eine Sache wegen Aussetzung der Vollziehung handelt.
Normenkette
§ 9 Abs. 2 EStG 2007, § 122 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Die Antragsteller sind Eheleute und an unterschiedlichen Orten nichtselbstständig tätig. Mit ihrem Antrag auf LSt-Ermäßigung für das Jahr 2007 beantragten sie, Aufwendungen des Ehemanns für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (Entfernungspauschale) als Freibetrag auf der LSt-Karte einzutragen, wobei sie die volle Entfernung von 61 km ansetzten. Das FA ermittelte den Freibetrag entsprechend der ab 2007 geänderten Gesetzeslage nach der um 20 km gekürzten Entfernung. Gegen den insoweit ablehnenden Bescheid über die LSt-Ermäßigung 2007 legten die Antragsteller erfolglos Einspruch ein. Ihren Antrag, im Weg der AdV den beantragten Freibetrag vorläufig in voller Höhe einzutragen, lehnte das FA ab.
Das FG gab dem bei ihm gestellten Antrag auf AdV statt und ließ die Beschwerde zu (EFG 2007, 773). Es bestünden ernstliche Zweifel, ob § 9 Abs. 2 EStG in der Fassung des StÄndG 2007 verfassungsgemäß sei, soweit die Vorschrift den steuerlichen Abzug der Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für die ersten 20 km ausschließe.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung nach Maßgabe der Ausführungen in den o.a. Hinweisen.
Hinweis
1. Nach der ab 2007 geltenden Fassung des § 9 Abs. 2 EStG sind Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte grundsätzlich keine Werbungskosten mehr und werden erst ab dem 21. Entfernungskilometer "wie Werbungskosten" behandelt. Die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung ist in der Fachliteratur umstritten und hat zu einander widersprechenden Entscheidungen der FG geführt. Das FG Niedersachsen und das FG Saarland haben die Frage, ob § 9 Abs. 2 EStG 2007 verfassungsgemäß ist, dem BVerfG vorgelegt. Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hatte das Niedersächsische FG die Eintragung eines LSt-Freibetrags, der die anfallenden Fahrtkosten ohne die Kürzung um 20 Kilometer erfasst, auf der LSt-Karte angeordnet.
2. Mit der vorliegenden, in der Fachwelt viel beachteten Entscheidung hat der BFH die vom FA eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Er bestätigte die Würdigung des FG, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts (Ablehnung der Eintragung eines höheren LSt-Freibetrags) bestehen, weil bei summarischer Prüfung die Verfassungsmäßigkeit des zugrunde liegenden § 9 Abs. 2 EStG 2007 ernstlich zweifelhaft sei. Der BFH stützte seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass im Schrifttum beachtliche Bedenken geäußert wurden, widersprüchliche FG-Entscheidungen vorliegen und die Streitfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist.
In der Sache gab der Senat nicht zu erkennen, welche Auffassung er in der Hauptsache vertreten wird. Allenfalls aus Äußerungen in anderem Zusammenhang könnten Rückschlüsse gezogen werden. Denn der VI. Senat führte auch aus, es sei offensichtlich, dass die Kosten der Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte .... jedenfalls nach bisherigem Verständnis für den Antragsteller beruflich veranlasst seien. Sie seien zur Erwerbssicherung unvermeidlich, denn "wenn der Erwerbende sich nicht zu seiner Arbeitsstelle begibt, so verdient er auch nichts" (vgl. auch Tipke, BB 2007, 1525, 1529).
3. Der BFH folgte auch nicht der Auffassung der Finanzverwaltung, dass wegen der (erheblichen) finanziellen Auswirkungen das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung höher zu bewerten sei als das individuelle Interesse der Antragsteller an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Der Anspruch der Antragsteller auf effektiven Rechtsschutz tritt hier nicht hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft zurück. Der VI. Senat folgte damit der Rechtsprechung der anderen Senate des BFH, derzufolge bei der Interessenabwägung die staatlichen Haushaltsinteressen in jüngerer Zeit weniger stark berücksichtigt werden.
4. In einer verfahrensrechtlichen Frage hat der BFH die Rechtslage präzisiert. Nach § 122 Abs. 2 FGO kann das BMF die Stellung eines am Revisionsverfahren Beteiligten dadurch erlangen, dass es diesem Verfahren beitritt. Ein Beitritt des BMF zu einem Beschwerdeverfahren in einer Aussetzungssache ist jedoch nach dem Wortlaut der Vorschrift und ihrer Stellung im Gesetz nicht vorgesehen.
Im Streitfall hat der BFH deshalb den Beitritt des BMF für unzulässig erklärt und ihn aus diesem Grund abgelehnt. Der VI. Senat sah sich an dieser Auffassung nicht daran gehindert, dass das BMF in der Vergangenheit in Beschwerdeverfahren seinen Beitritt erklärt hatte. Der BFH hatte das BMF in jenen Verfahren weder formell z...