Leitsatz
1. Ein vom Erblasser mangels positiver Einkünfte nicht ausgeglichener Verlust ist bei der Veranlagung des Erben für das Jahr des Erbfalls zu berücksichtigen (Bestätigung des Senatsurteils vom 17.5.1972, I R 126/70, BStBl II 1972, 621).
2. Der Verlustausgleich bei der Veranlagung des Erben findet auch dann statt, wenn es sich bei dem Erben um eine steuerbefreite Stiftung handelt.
Normenkette
§ 2 EStG , § 10d EStG , § 45 AO , § 1922 BGB
Sachverhalt
Klägerin war eine gemeinnützige Stiftung, die die Erblasserin, eine natürliche Person, als Erbin eingesetzt hatte. Zum Nachlass gehörten Kommanditanteile an einer gewerblich tätigen GmbH & Co. KG, aus der die Erbin einen Gewinn erzielte. Frage war, ob die Stiftung in diesem Zusammenhang einen von der Erblasserin nicht ausgenutzten Verlustvortrag steuermindernd geltend machen kann. Das FA hatte dies verneint.
Entscheidung
Der BFH entschied sich, der Rechtsprechungstradition treu zu bleiben: Verlustabzüge, die beim Erblasser nicht ausgenutzt werden konnten, bleiben beim Erben abzugsfähig. Das gilt auch für Erben in der Rechtsform einer gemeinnützigen Stiftung.
Hinweis
1. Seit rund 40 Jahren gibt es eine Rechtsprechung und eine damit einhergehende Verwaltungspraxis, wonach beim Erblasser nicht ausgeglichene Verluste beim Erben abgezogen werden dürfen. Ebenso lang wogt ein erbitterter Streit unter Steuerwissenschaftlern, ob das denn nun der hehren Dogmatik entspreche. Zwar gelte der steuerliche Grundsatz, dass der Erbe in die Position des Erblassers einrücke, aber eben nur in dessen Verfahrensposition, nicht in seine materielle Besteuerungsmerkmale, zu denen auch der Verlustabzug gehöre. Diese Merkmale ließen sich ohne beträchtliche Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips nicht "vererben". Vererbt werden könnten nur vermögenswerte Rechtspositionen. Ein "Überspringen" des einkommensteuerpflichtigen Subjekts – vom Erblasser auf den Erben – sei schlechterdings nicht möglich.
Nachdem der I. Senat des BFH Anfang letzten Jahres in einem viel beachteten (Anfrage-)Beschluss vom 29.3.2000, I R 76/99 (BStBl II 2000, 622) kundgetan hatte, er wolle auf diese Einwände reagieren und der Vererblichkeit des Verlustabzugs den Garaus machen, schien denn auch das letzte Stündlein der langjährigen Praxis geschlagen zu haben. Wie man hört, wurden unter Beratern bereits abwehrende Gestaltungsmodelle entworfen und gehandelt.
Solche Bemühungen waren ersichtlich verfrüht: Mit dem Urteilsfall ist vorerst volle Entwarnung zu geben; es bleibt alles beim Alten (jedenfalls so lange, bis die Frage nicht von einem der anderen Ertragsteuersenate des BFH über kurz oder lang erneut auf den Prüfstand gestellt wird, s. dazu nachfolgend unter 2.).
2. Der BFH hat sich dabei entgegen seiner ursprünglichen Intention von den Vorzügen der Rechtsprechungskontinuität überzeugen lassen. Zwar gab es gute Argumente gegen die besagte Vererblichkeit, aber eben auch solche dafür. Und in Anbetracht dessen rückte der I. Senat wieder von jener Haltung ab, die er in dem Beschluss aus dem letzten Jahr geäußert hatte. "Frustriert" werden darüber weniger die Steuerpflichtigen sein, als u. U. diejenigen Senate des BFH (der IV., VIII. und der IX.), bei denen wegen der beabsichtigten Rechtsprechungsänderung um Zustimmung angefragt worden war, und das mit Erfolg. Es kann sonach nicht ganz ausgeschlossen werden, dass der eine oder der andere dieser Senate denn doch noch den Großen Senat anrufen wird.
Insgesamt sollte aber einmal mehr positiv vermerkt werden, dass der BFH es sich nicht leicht macht, zu "richtigen" Erkenntnissen zu gelangen, und dass er bereit ist, von einmal eingenommenen Positionen wieder abzurücken, wenn er meint, bessere Argumente zu haben.
3. Vor diesem Hintergrund gilt:
- Der Gesamtrechtsnachfolger kann einen Verlust des Rechtsvorgängers steuerlich geltend machen, dies allerdings nur dann, wenn er ihn auch tatsächlich wirtschaftlich trägt. An der wirtschaftlichen Belastung fehlt es aber wohl nur, wenn der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten entweder gar nicht oder nur beschränkt haftet. Im Urteilsfall war überdies zu Recht geltend gemacht worden, dass die Buchwerte des Erblassers fortgeführt werden mussten und dass sich deshalb aus vor dem Erbfall erfolgten degressiven Abschreibungen für den Erben ein überhöhter Gewinnausweis ergebe.
- Das gilt im Grundsatz gleichermaßen für den Normalfall eines Erben in Gestalt einer natürlicher Person wie für den Fall, dass der Erbe eine juristische Person und speziell eine gemeinnützige Stiftung ist: Auch die juristische Person kann Gesamtrechtsnachfolger sein. Dass ihr Einkommen nach Maßgabe des KStG und nicht des EStG zu ermitteln ist, ändert daran – entgegen der Meinung der Finanzverwaltung – nichts. (Allerdings bleiben hier naturgemäß die Regelungen über den Mantelkauf in § 8 Abs. 4 KStG zu berücksichtigen!) Es ist ebenso unbeachtlich, wenn es sich um eine gemeinnützige juristische Person handelt, bei der die "vererbte Einkunftsquelle" steuerfrei ist und die deswegen die Ve...