Entscheidungsstichwort (Thema)
Quellensteuer, Befreiung von Gewinnausschüttungen an die Muttergesellschaft im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft, Mutter-Tochter-Richtlinie, Kapitalertragsteuererstattung, Begriff der Gesellschaft eines Mitgliedstaats
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ist in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs dahin auszulegen, dass eine französische Gesellschaft in der Rechtsform einer „société par actions simplifiée“ nicht als „Gesellschaft eines Mitgliedstaats“ im Sinne der Richtlinie angesehen werden kann, bevor diese durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 geändert wurde.
2. Die Prüfung der zweiten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs und mit Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie beeinträchtigen könnte.
Normenkette
EWGRL 435/90 Art. 2 Buchst. a
Beteiligte
Gaz de France - Berliner Investissement |
Gaz de France Berliner Investissement SA |
Bundeszentralamt für Steuern |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Freier Kapitalverkehr ‐ Befreiung von der Quellensteuer auf Gewinnausschüttungen an die Muttergesellschaft im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft ‐ Begriff ‘Gesellschaft eines Mitgliedstaats’ ‐ “Société par actions simplifiée‘ des französischen Rechts”
In der Rechtssache C-247/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Finanzgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 23. Mai 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juni 2008, in dem Verfahren
Gaz de France ‐ Berliner Investissement SA
gegen
Bundeszentralamt für Steuern,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter M. Ilešič, A. Tizzano, E. Levits (Berichterstatter) und J.-J. Kasel,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Gaz de France ‐ Berliner Investissement SA, vertreten durch die Rechtsanwälte T. Hackemann und H. von Cölln im Beistand von Wirtschaftsprüfer U. Witt,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. Bruni als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigte im Beistand von K. Beal, Barrister,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni 2009
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6) in Verbindung mit Buchst. f ihres Anhangs sowie die Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit den Art. 43 EG, 48 EG, 56 EG und 58 EG.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gaz de France ‐ Berliner Investissement SA, einer Gesellschaft mit Sitz in Frankreich, die bis zum Jahr 2002 die Rechtsform einer „société par actions simplifiée“ (SAS) hatte, und dem Bundeszentralamt für Steuern wegen der Besteuerung der Ausschüttungen, die sie von der Gaz de France Deutschland GmbH mit Sitz in Deutschland im Steuerjahr 1999 erhielt.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Art. 2 der Richtlinie 90/435 lautet:
„Im Sinne dieser Richtlinie ist ‘Gesellschaft eines Mitgliedstaats’ jede Gesellschaft,
a) die eine der im Anhang aufgeführten Formen aufweist;
b) die nach dem Steuerrecht eines Mitgliedstaats in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz als in diesem Staat ansässig und aufgrund eines mit einem dritten Staat geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz nicht als außerhalb der Gemeinschaft ansässig betrachtet wird;
c) die ferner ohne Wahlmöglichkeit einer der nachstehenden Steuern
…
‐ impôt sur les sociétés in Frankreich,
…
oder irgendeiner Steuer, die eine dieser Steuern ersetzt, unterliegt, ohne davon befreit zu sein.“
Rz. 4
Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435 sind die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne, zumindest wenn diese einen Anteil am Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft von wenigstens 25 % besitzt, vom Steuerabzug an der Quelle befreit.
Rz. 5
Unter Buchst. f des mit „Liste der unter Artikel 2 Buchstabe a) fallenden Gesellschaften“ überschriebenen Anhangs der Richtlinie 90/435 sind folgende Gesellschaften aufgeführt:
„die Gesellschaften französischen Rechts mit der Bezeichnung: société anonyme, société en commandite p...