Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmereigenschaft nach Aufgabe des Geschäftsbetriebs bei Andauern eines gewerblichen Mietverhältnisses
Leitsatz (amtlich)
Artikel 4 Absätze 1 bis 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der Fassung der Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 ist dahin auszulegen, dass derjenige, der seine wirtschaftliche Tätigkeit eingestellt hat, aber für die Räume, die er für diese Tätigkeit genutzt hatte, wegen einer Unkündbarkeitsklausel im Mietvertrag weiterhin Miete und Nebenkosten zahlt, als Steuerpflichtiger im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist und die Vorsteuer auf die entsprechenden Beträge abziehen kann, soweit zwischen den geleisteten Zahlungen und der wirtschaftlichen Tätigkeit ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang besteht und feststeht, dass keine betrügerische oder missbräuchliche Absicht vorliegt.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 4 Abs. 1-3
Beteiligte
Verfahrensgang
Hojesteret (Dänemark) (Entscheidung vom 22.01.2003) |
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Eigenschaft als Steuerpflichtiger ‐ Recht auf Vorsteuerabzug ‐ Liquidation ‐ Direkter und unmittelbarer Zusammenhang ‐ Vorgänge, die zur wirtschaftlichen Tätigkeit insgesamt gehören“
In der Rechtssache C-32/03
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Højesteret (Dänemark) mit Entscheidung vom 22. Januar 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Januar 2003, in dem Verfahren
I/S Fini H
gegen
Skatteministeriet
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter A. Borg Barthet, J.-P. Puissochet, J. Malenovský und U. Lõhmus (Berichterstatter),
Generalanwalt: F. G. Jacobs,Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2004,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐
der I/S Fini H, vertreten durch S. Halling-Overgaard und M. Krarup, advokaterne,
‐
des Skatteministeriet, vertreten durch P. Biering als Bevollmächtigten,
‐
der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde und P. Biering als Bevollmächtigte,
‐
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und T. Fich als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Oktober 2004,
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 4 Absätze 1 bis 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kommanditgesellschaft I/S Fini H (im Folgenden: Fini H) und dem Skatteministeriet (Finanzministerium). Dieses Ministerium verlangt von der genannten Gesellschaft die Rückzahlung des Betrages, der ihr in der Zeit vom 1. Oktober 1993 bis 31. März 1998 als Erstattung eines Vorsteuerüberschusses gezahlt worden war. Es lehnt außerdem die Erstattung eines Vorsteuerüberschusses gegenüber Fini H für die Zeit vom 1. April 1998 bis 30. September 1998 ab.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
3
Die Sechste Richtlinie soll nach ihrer vierten Begründungserwägung u. a. die Neutralität des gemeinsamen Umsatzsteuersystems wahren.
4
Artikel 4 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.
(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.
(3) Die Mitgliedstaaten können auch solche Personen als Steuerpflichtige betrachten, die gelegentlich eine der in Absatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben …
…“
5
Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie lautet:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a)
die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden ...