Entscheidungsstichwort (Thema)

Bemessungsgrundlage, Minderung der Bemessungsgrundlage, Arzneimittellieferungen, Zahlungen eines Pharmaunternehmens an staatliche Krankenversicherungsträger, Rechnungsbesitz als Voraussetzung der Minderung der Bemessungsgrundlage

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 90 Abs. 1, Art. 273

 

Beteiligte

Boehringer Ingelheim

Boehringer Ingelheim RCV GmbH & Co. KG Magyarországi Fióktelepe

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága

 

Verfahrensgang

Fovárosi Törvényszék (Ungarn) (Beschluss vom 16.09.2019; ABl. EU 2020, Nr. C 95/11)

 

Tenor

1. Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein pharmazeutisches Unternehmen von seiner Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer deshalb nicht den Teil seines Umsatzes aus dem Verkauf von Arzneimitteln, die von dem staatlichen Krankenversicherungsträger bezuschusst werden, abziehen kann, den es aufgrund eines zwischen diesem Träger und dem genannten Unternehmen geschlossenen Vertrags an diesen Träger zahlt, weil die danach gezahlten Beträge nicht auf der Grundlage von zuvor von diesem Unternehmen im Rahmen seiner Geschäftspolitik festgelegten Bedingungen bestimmt worden sind und diese Zahlungen nicht zur Absatzförderung geleistet worden sind.

2. Art. 90 Abs. 1 und Art. 273 der Richtlinie 2006/112 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach die nachträgliche Verminderung der Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer voraussetzt, dass der erstattungsberechtigte Steuerpflichtige über eine Rechnung verfügt, die auf seinen Namen lautet und den zur Erstattung berechtigenden Umsatz nachweist, selbst wenn eine solche Rechnung nicht ausgestellt wurde und dieser Umsatz auf andere Weise nachgewiesen werden kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (vormals Fővárosi Bíróság) (Hauptstädtisches Stuhlgericht, vormals Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 16. September 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 27. September 2019, in dem Verfahren

Boehringer Ingelheim RCV GmbH & Co. KG Magyarországi Fióktelepe

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Kumin sowie des Richters P. G. Xuereb (Berichterstatter) und der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Boehringer Ingelheim RCV GmbH & Co. KG Magyarországi Fióktelepe, vertreten durch Sz. Vámosi-Nagy, ügyvéd,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch Z. Fehér Miklós und G. Koós als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaite und L. Havas als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 90 Abs. 1 und Art. 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Boehringer Ingelheim RCV GmbH & Co. KG Magyarországi Fióktelepe (im Folgenden: Boehringer Ingelheim) und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn) (im Folgenden: Rechtsbehelfsdirektion) über die Entscheidung, mit der Letztere es abgelehnt hat, Boehringer Ingelheim das Recht auf Abzug der von ihr an den Nemzeti Egészségbiztosítási Alapkezelő (Nationaler Krankenversicherungsfonds, Ungarn) (im Folgenden: staatlicher Krankenversicherungsträger oder NEAK) geleisteten Zahlungen von ihrer Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer zuzuerkennen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.”

Rz. 4

Art. 90 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.

(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.”

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